Bei der Lieferung der Leichenteile von
Wolfgang Grams, sowie der anderen Beweismittel von Lübeck nach
Zürich ist dann auch noch zufällig die Versiegelung
aufgeplatzt, so dass das BKA eine neue Versiegelung vornehmen musste.
Dabei müssen die BKA-Beamten ein ziemliches Durcheinander
angerichtet haben, denn die Züricher Kriminologen wussten bei
der Ankunft der Lieferung teilweise nicht, welches Asservat wem
zugeordnet werden sollte.5
Was die BKA-Leute sonst noch mit den Leichenteilen angestellt haben
weiß keiner.
Selbst das Schweizer Gutachten, dass ja
die staatsanwaltschaftliche Selbstmordthese wie gewünscht im
Ergebnis stützte, wurde vom Bundestagsinnenausschuss zur
geheimen Verschlusssache erklärt und durfte nur in einer
5seitigen Pressemitteilung Öffentlichkeit erlangen. Dabei ist
die Selbstmordthese völlig unwahrscheinlich: nachdem Wolfgang
Grams gestürzt war (fünf Polizeikugeln hatten ihn schon
getroffen) lag er auf seinem rechten Arm. Nach dem Sturz kann er mit
diesem also nicht mehr geschossen haben. Selbst wenn er dies
geschafft hätte, so hätte er den rechten Arm dann nicht
wieder unter seinen Körper schieben können, da
augenblicklich eine vollständige Muskelerschlaffung eingetreten
wäre.6
Die Kopfschusswunde befindet sich jedoch an seiner rechten Kopfseite.
Sowohl die Bundesregierung, die Staatsanwaltschaft Schwerin und die
Münsteraner Gutachter waren sich einig, dass der Kopfschuss erst
erfolgte, als Grams schon lag.7
Erst das OLG Rostock versucht die somit eigentlich unmöglich
gewordene Selbstmordthese damit zu retten, dass es nun behauptet
Grams hätte sich im Fallen erschossen.8
Dagegen spricht jedoch, dass der Ort, an dem Teile des Geschosses
gefunden wurden nur mit einer Schussabgabe im Liegen nachvollziehbar
ist.9
Weiterhin existiert ein unangefochtenes
Gutachten von Prof. Bonte, Direktor des Instituts für
Rechtsmedizin an der Uni Düsseldorf und einer der
renommiertesten Gutachter in der BRD, dessen Gutachten bisher auch
oft und gerne von StaatsanwältInnen zur Beweisführung
benutzt wurden. Danach muss aufgrund der Beschaffenheit von
Hautabschürfungen an Grams' Handrücken, Wolfgang Grams die
Waffe zu einem Zeitpunkt zu dem er noch lebte mit Gewalt aus der Hand
genommen worden sein.10
Die offizielle Tatwaffe (die von Grams) kann somit also auch von
einem GSG9-Beamten zur Tötung benutzt worden sein. Prof. Bonte
weist weiterhin nach, dass entgegen dem Schweizer Gutachten die
Schüsse auf Wolfgang Grams zwar nicht aus allernächster
Nähe, wie bei einem Selbstmord, aber aus weniger als einem Meter
Entfernung abgegeben wurden und stützt somit auch die zwei
Zeugenaussagen.
Prof. Geserick von der Humboldt
Universität Berlin kam, entgegen dem offiziellen Gutachten, nach
einer Begutachtung zu dem Schluss, dass die Schusswunde in Grams
Bauch, die unstreitig von einem GSG9-Beamten verursacht wurde, darauf
hindeutet, dass der Schuss aus der Nähe auf den liegenden Grams
abgegeben wurde.11
Allgemein kann zur Qualität der
Gutachten des Schweizer Instituts gesagt werden, dass sie zum einen
schon das umstrittene Gutachten zum Selbstmord von Gudrun Enslin,
Andreas Baader und Jan-Carl Raspe 1977 anfertigten, zum
anderen sich ein weiteres Gutachten des Instituts sich 1992 nicht
einmal vor einer deutschen Staatsschutzkammer (im Prozess gegen
Christian Klar und Peter-Jürgen Boock) als haltbar
erwies.12
Weiterhin soll Wolfgang Grams nach der offiziellen Version als
erster vor Ort geschossen haben, und zwar vom oberen Treppenende auf
dem Bahnsteig auf die ihm am unteren Treppenende folgenden Beamten.
Dabei soll er den Beamten Newrzella getötet haben. Alle
zivilen Zeugen sowie der anonyme "Spiegel"-Informant (s.o.)
geben jedoch an, dass Grams erst noch zu der linken Bahnsteigkante
lief, bevor er auf seine Verfolger schoss. Dies wird zudem dadurch
bestätigt, dass alle aus seiner Waffe verschossenen
Patronenhülsen auf dem besagten Gleis liegen (was auch mit dem
Auswurfverhalten seiner Waffe zusammenpasst13).
Daraus folgt, dass Grams nicht die Treppe hinunterschoss, sondern die
zuerst schießenden Verfolger14
selber ihren Kollegen dort erschossen haben (weil er in der
Fluchtlinie stand oder weil sie ihn aufgrund seiner zivilen Kleidung
mit Grams verwechselten) und dass die Beamten gelogen haben.
Schließlich sagten mind. fünf Zeugen aus, dass nach dem
zusammenhängenden Schusswechsel später noch einige
Einzelschüsse fielen15
- bei einem Selbstmord hätte es höchstens einer sein
dürfen. Dass Wolfgang Grams sterben sollte ergibt sich noch
durch zwei andere Indizien. Vor Ort befand sich ein Rettungssanitäter
der GSG-9, der sich um den verletzten Beamten Newrzella
kümmerte. Auch von den in einem Krankenwagen aus Wismar später
hinzukommenden Arzt, einem Rettungssanitäter sowie einer
Krankenschwester wurden alle angewiesen sich nur um Newrzella
zu kümmern: "Der da hat nichts. Kümmert euch um den!".
Gleiches passierte bei dem dann noch hinzukommenden Hubschrauber mit
einem Arzt und einem Sanitäter. Bis zu Wolfgang Grams'
medizinischen Erstversorgung vergingen so 25 Minuten.16
Das andere Indiz ist, dass, obwohl es Gang und Gebe ist, dass die
Polizei von allen wichtigen Einsätzen Videoaufnahmen macht sich
vor Ort ein am Stellwerk installiertes, unbeobachtbares und
einsatzbereites Videogerät befand, offiziell keine
Videoaufnahmen vom Tathergang existieren. Erklärbar ist dies nur
so, dass das Video unterdrückt wurde, da es einen Mord zeigte
oder dass diesmal von Anfang an feststand, dass es kein Video geben
darf.17
All diese Indizien und Widersprüche
konnten jedoch an der von der Staatsanwaltschaft und dem OLG
vertretenen Selbstmordthese keinerlei Zweifel aufkommen lassen.
Vielmehr galt für sie mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit ein Tathergang, den so kein Mensch gesehen hat.
Wäre diese Version zutreffend, hätte es dann all der
Beweisunterdrückung und Desinformation bedurft? Wahrscheinlicher
ist vielmehr, dass hier eine Shoot-to-kill-Fahndung auf
mutmaßliche Terroristen mit den Mitteln des Strafrechts
vertuscht und somit legitimiert werden sollte.
Dafür spricht auch der Umgang der
Justiz mit denjenigen, die die Selbstmordthese nicht glauben und dies
offen sagen: So wurde beispielsweise im April 1997 und im Februar
1999 Christiane Schneider erst- und zweitinstanzlich als
presserechtlich verantwortliche Redakteurin des Angehörigen-Infos
aufgrund zweier in dieser Zeitschrift publizierter Artikel wegen
Verunglimpfung der BRD gemäß § 90a verurteilt.
Grund dafür war, dass in den Artikeln behauptet wurde, dass das
mutmaßliche RAF-Mitglied Wolfgang Grams 1993 in Bad Kleinen von
den GSG-9 Beamten "hingerichtet" und "ermordet"
wurde, sowie dass dieser Mord staatlich gedeckt und vertuscht wurde.
Der Verteidiger von Christiane Schneider argumentierte völlig
zutreffend, dass die Presse in einem so umstrittenen Fall nicht nur
das Recht, sondern sogar die Pflicht habe, zu hinterfragen und die
Diskussion am Leben zu erhalten. Ob die Mord- oder Selbstmordthese
zutrifft ist und wird wahrscheinlich von keinem je eindeutig
beweisbar sein. Daher kann es nicht strafbar sein, eine der beiden
Thesen zu vertreten, auch wenn es diejenige ist, die den Staat in
einem weniger positiven Licht dastehen lässt, zumal eben einiges
für diese These spricht. Die Gerichte sahen in den Behauptungen
jedoch eine Verunglimpfung, unabhängig davon, ob sie wahr oder
falsch seien, denn nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes reicht für § 90a allein die
Behauptung schimpflichen Verhaltens, unabhängig von ihrem
Wahrheitsgehalt. Kurz gesagt: es ist strafbar die Wahrheit über
das Verhalten staatlicher Organe zu sagen, wenn dies dem Ansehen der
BRD schaden könnte!!!
1 So die Rechtsanwälte der Eltern von Wolfgang Grams (siehe Rote Hilfe 2/96 S.18).
2 Rote Hilfe 1/94.
3 So die Rechtsanwälte der Eltern von Wolfgang Grams (siehe Rote Hilfe 2/96 S.18).
4 Alles in Rote Hilfe 1/94 S.4.
5 Spiegel 29/93.
6 Gutachten der Rechtsmediziner aus München S.8.
7 Rote Hilfe 2/94 S.22.
8 Rote Hilfe 2/96 S.18.
9 Gutachten der Rechtsmediziner aus München S.12.
10 Rote Hilfe 3/95 S.15.
11 .Woche vom 8.7.93
12 Rote Hilfe 1/94 S.5.
13 Rote Hilfe 4798.
14 Dass im unteren Treppenbereich schon geschossen wurde, bestätigen auch mehrere zivile Zeugen.
15 Rote Hilfe 3/94 S.15.
16 Alles in Rote Hilfe 4/98.
17 Ebda.