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Ausnahmezustand
Der BAKJ-Sommerkongress in Halle (Saale)

 

Wochenende vom 6. bis 8. Juli 2018
Infos und Anmeldungen per Mail.

 

Als Ausnahmezustand bezeichnet man eine juristisch-politische Situation, die vom Normalfall abweicht, und in der der Souverän deshalb die Ordnung wieder herzustellen versucht. In einer Ausnahmesituation weicht nicht nur das Recht, sondern auch dessen Durchsetzung von der Norm ab. Dabei wird stets auf das Nicht- bzw. Außerrechtliche verwiesen, was es zu bekämpfen gilt, um Recht (wieder)herzustellen.

Das 20. Jahrhundert hat gezeigt, dass der Ausnahmezustand, in dem wir leben, nicht wie sein Begriff vermuten lässt, ein singuläres Ereignis, sondern die Regel ist. Die theoretischen Grundlagen, seine Erscheinung im Gegenwärtigen und was er im Einzelnen für den*die Jurist*in bedeutet, bilden den Gegenstand des diesjährigen Sommerkongresses.



Da die Unterbringung in privaten Wohngemeinschaften erfolgen wird, wäre es hilfreich, wenn ihr, sofern ihr Menschen in Halle kennt, diese um einen Schlafplatz bitten könntet. Ansonsten teilt uns bei der Anmeldung bitte mit, ob wir für euch eine Schlafmöglichkeit organisieren sollen.



Programm:
Anreise ist Freitag ab 16h (Vortrag beginnt nach dem Abendessen um 18h
Abreise ist am Sonntag nach dem Plenum

Die Dialektik von Demokratie und Kapitalismus oder –
   eine materialistische Konzeption des „Ausnahmezustandes“ (Sonja Buckel, Kassel)


Die Theorie des Ausnahmezustandes wurde von Carl Schmitt geprägt – dem bürgerlichen Rechtstheoretiker, der zum Kronjuristen des Dritten Reichs avancierte. Bis heute greifen auch kritische Ansätze (z.B. Giorigo Agamben, Chantal Mouffe) auf seine Theorie zurück, um aktuelle Krisen des Rechtstaats zu analysieren. Doch damit greifen sie auf eine im Kern bürgerliche, und zumal antidemokratische, Rechts- und Staatstheorie zurück, die gerade gesellschaftliche Kräfteverhältnisse und Strukturen kapitalistischer Vergesellschaftung nicht thematisiert. Daher will der Vortrag von Sonja Buckel eine alternative Erklärung der Krisen von Politik und Recht vorstellen: die Dialektik von Demokratie und Kapitalismus. Mit diesen Kategorien haben Marx und die auf ihn folgenden materialistischen Theoretiker*innen, wie Franz Neumann, Rosa-Luxemburg, Wolfgang Abendroth, Nicos Poulantzas und andere, die großen Krisen des Kapitalismus in den letzten 150 Jahren analysiert. Sie ermöglichen es auch heute, so die These, die aktuelle Krisen-Konstellation zu analysieren und damit Anschlusspunkte für eine politische Praxis aufzuzeigen.

Neue Deutsche Härte (Eric v. Doemmingen, Frankfurt a.M.)

Der Workshop wird versuchen, Inszenierungen staatlicher Gewalt anhand zweier Fallbeispiele nachzuvollziehen und diese verfassungsrechtlich und rechtsphilosophisch zu verorten. Als Beispiel dienen soll zum einen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Bundeswehr-Aufklärungsflugzeugen vom Typ Tornado beim G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm, zum anderen der Einsatz von Sondereinsatzkommandos der Polizei bei Versammlungen. Im Workshop soll versucht werden, die beiden Entscheidungen dogmatisch einzuordnen und anschließend die Frage zu stellen, wie sich die beiden Fälle zum Begriff des Ausnahmezustands verhalten.

Inszenierung von Ausnahmezuständen (Elke Steven, Berlin)

Der Kampf um das Grund- und Menschenrecht auf Versammlungsfreiheit ist uralt. Versammlungen stärken die Demokratie, sie legen die Finger in die Wunden des bestehenden Systems, offenbaren, was falsch läuft. Tatsächlich bleibt aber auch in den demokratischen Staaten die Angst erhalten, Proteste könnten die herrschenden Zustände grundlegend infrage stellen, sie könnten die Herrschenden herausfordern und zu Veränderungen zwingen.

Anhand der Proteste gegen den G20 Gipfel können Formen der Generierung des Ausnahmezustands aufgezeigt werden. Der Streit um die Deutungshoheit über das Geschehen rund um die Proteste gegen den G20 dauert auch ein Jahr später noch an. Hier lassen sich die Herrschaftsformen zeigen, mit denen eine bestimmte staatliche Perspektive - nicht zuletzt mit „alternativen Fakten“ – versucht wurde in der Öffentlichkeit durchzusetzen. Daran wird auch deutlich, in welchem Maße sich Überwachung und Verdacht im Umgang mit den Bürger*innen durchgesetzt haben. Der immer und überall drohende Terrorismus wird zur Militarisierung der Polizei und zur Generierung pauschalen Verdachts im Umgang mit den Bürger*innen genutzt.

Auf den Barrikaden sind alle gleich!? (Marc Brandt, Frankfurt a.M.)

Inwieweit hängt eine antifaschistische Gewaltfxiertheit der radikalen Linken mit hegemonialen Männlichkeiten zusammen und inwieweit wird durch Szenefolklore eine kritische Auseinandersetzung verhindert?

Linke Protestformen werden in dem Workshop kritisch hinterfragt. Offensivität, Militanz und Durchsetzungsfähigkeit beim Besetzen von Themen, Räumen und Plätzen müssen nicht mit männlicher Dominanz, sondern können mit einer antisexistischen Ausrichtung verknüpft werden. Wie diese Strategien und politischen Aktionen aussehen können, wird neben der Erarbeitung von Theoriekonzepten das zentrale Thema des Workshops sein.

Der Ausnahmezustand bei Carl Schmitt (Barbara Bushart, Jena)

„Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ So lautet die berühmte Formel des Nazijuristen Carl Schmitt in seiner Schrift „Politische Theologie“. Er beschreibt die Ausnahme als einen Grenzfall, in dem die Rechtsordnung zugunsten der öffentlichen Ordnung suspendiert werden kann. Allerdings obliegt bereits die Entscheidung darüber, ob es sich um eine normale Situation oder um einen Ausnahmezustand handelt, allein dem Souverän. Bis heute erfreuen sich Schmitts Thesen einer ungebrochenen Aktualität und bilden - insbesondere in Zeiten einer dualistischen Weltordnung - den Anknüpfungspunkt und die Grundlage juristisch-politischer Diskussionen.

Die Rolle des Anwalts im Ausnahmezustand (Christian Woldmann, Hamburg)

Der G20 Gipfel im Juni 2017 in Hamburg steht als leuchtendes Beispiel für einen Ausnahmezustand. Für dieses Ereignis hatte die Polizei eigens eine Gefangenensammelstelle errichtet, die Platz für bis zu 400 Menschen bot. In ihr wurden festgenommene Personen erkennungsdienstlich behandelt und dem/der Haftrichter*in vorgeführt. Die Rechte der Gefangenen haben dabei Exekutive und Judikative systematisch unterlaufen. Rechtsbeistände wurden zu Gefangenen nicht vorgelassen und sogar körperlich angegriffen. RA Christian Woldmann aus Hamburg wird uns in einem Workshop seine Erlebnisse vom G20 Gipfel schildern und gemeinsam mit uns Handlungsmöglichkeiten von Anwältinnen und Anwälten im Ausnahmezustand diskutieren.

Die Figur des Gefährders (David Kuch, Würzburg)

Der „Gefährder“ ist eine der Hauptfiguren in aktuellen sicherheits- und kriminalpolitischen Debatten. In Gesetzen und Gerichtsurteilen hat er bereits gewisse Spuren hinterlassen. Der Rechtsdogmatik ist die bis mindestens Ende 2001 zurückzuverfolgende Präsenz dieser Vokabel aber eher suspekt.

Das Referat filtert zwei ihrer Bedeutungsnuancen aus dem derzeitigen Sicherheitsrecht heraus: Die erste verbindet sich mit der Absenkung von Eingriffsschwellen; zunehmend sind Eingriffsmaßnahmen gegen Personen zulässig, die nach bisherigem Verständnis (noch) keine „Störer“ wären. Die zweite tritt in neuerlichen Tendenzen zur Subjektivierung des Gefahrverständnisses hervor.

Der Kurzvortrag möchte zur Diskussion über die rechtsdogmatischen, verfassungsrechtlichen und rechtspolitischen Probleme anregen, die die Modevokabel begleiten.

Gefahrengebiete – ein kommunaler Ausnahmezustand? (Maren Leifker, Nora Keller, Berlin)

Durch die Festlegung von Gefahrengebieten kann die Polizei an diesen Orten Personen anhalten, befragen und durchsuchen, ohne dass ein konkreter Verdacht vorliegen muss. Indem die Polizei sich in den Gebieten nicht mehr an einem Gefahrenverdacht orientieren muss, entstehen Sonderrechtszonen, in denen die Befugnisse der Exekutive ausgeweitet sind. Folge davon sind selektive und damit diskriminierende Personenkontrollen anhand von Pauschalverdächtigungen. Maren Leifker und Nora Keller werden in ihrem Workshop erläutern, welche Mechanismen in Gefahrengebieten wirken und diskutieren, inwiefern sich das Leben der hiervon Betroffenen als ein Leben im Ausnahmezustand charakterisieren lässt.

719 Tage Ausnahmezustand – Eine Bilanz (Matthias Lemke, Lübeck)

Insgesamt 719 Tage - vom 13.11.2015 bis zum 01.11.2017 - war Frankreich im Ausnahmezustand. Die lange Kette von Anschlägen, angefangen beim Überfall auf die Redaktion von Charlie Hebdo, über die Geiselnahme im Bataclan bis hin zur Amokfahrt in Nizza, hat das Land und seine politische wie rechtliche Kultur nachhaltig verändert. Unter Präsident Macron ist der Ausnahmezustand offiziell beendet worden, allerdings um den Preis der Überführung zahlreicher ausnahmezustandlicher Maßnahmen in den Code de la Sécurité intérieure. Wie analysiert man einen solchen Prozess, wie lässt sich eine Normalisierung des Ausnahmezustands politik- und rechtswissenschaftlich erfassen? Diesem Problem will der Vortrag nachgehen und damit einer wesentlichen demokratischen Herausforderung der Gegenwart: der zunehmenden Exekutivlastigkeit des Regierens.

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