Aufruf zum Dezentralen Aktionstag gegen Repression am 28.11.

 
Die körperliche Gewalt und Strafverfolgung, die Aktivist*innen während und nach den Protesten gegen den G20 erlebt haben, zeigen sich als Gipfel weitgehender staatlicher Repression gegen antikapitalistische, feministische und antirassistische Bewegungen.
 
Zuvor gab es bereits diverse Strafverschärfungen, die den G20-Gipfel repressionstechnisch einleiteten: Im April 2017 wurde das „Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften“ beschlossen, wodurch Straftatbestände des Widerstandes und tätlichen Angriffes gegen Vollstreckungsbeamte enorm verschärft wurden. Begründet wurde dies mit der angeblich steigenden Zahl an Angriffen – tatsächlich lässt sich dies nicht nachweisen. Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) zählt das polizeiliche Anzeigeverhalten – nicht aber die rechtskräftigen Verurteilungen (was, selbst wenn wir uns auf eine unabhängige Justiz berufen könnten, problematisch wäre).
 
Der in der Rechtsprechung äußerst weit definierte Begriff des „tätlichen Angriffs“ ist in der Praxis schnell erfüllt – ein einfaches Schubsen, etwa bei engen Einschließungen oder bei Gerangel an Polizeiketten, oder bei Aktionen zivilen Ungehorsams weggetragen zu werden, kann bereits zu einer Haftstrafe führen. Verletzungserfolge oder -absichten sind hierfür nicht erforderlich. Das bloße Teilnehmen an einer Versammlung wird so schnell zur potentiellen Gefahr weitreichender Repressionen. Zudem erschwert die Strafrechtsverschärfung die Aufklärung rechtswidriger Polizeigewalt weiter. Betroffene von rechtswidrig agierenden Polizist*innen sind regelmäßig mit einer Gegenanzeige z.B. wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte konfrontiert – künftig  wird daher wohl noch häufiger von Anzeigen gegen Polizist*innen abgesehen werden.
 
2017 wurde außerdem das „Hooligan-Urteil“ vom Bundesgerichtshof (BGH) erlassen, nach dem Personen allein aufgrund ihrer Anwesenheit für Vorfälle, die aus einer Menschenmenge heraus passieren, mitverurteilt werden können (sog. "ostentatives Mitmarschieren"). Die bloße psychische Unterstützung durch Anwesenheit sei danach strafbar im Sinne des Landfriedensbruch nach § 125 StGB. Obwohl der BGH die Übertragung des Urteils auf politische Versammlungen explizit ausschloss,  bildet es nun die Grundlage für ein  „Kollektivschuldprinzip“ in der Anwendung des §125 StGB (Landfriedensbruch) bei G20-Verfahren. Im konkreten Fall des Urteils, in dem "Alle Teilnehmer der Menschenmenge einzig das Ziel verfolgten, geschlossen Gewalttätigkeiten zu begehen(...)," sei die Begehung von Gewalttätigkeiten das alleinige Ziel aller Beteiligten gewesen. Bei Demonstrationen und Kundgebungen kann davon nicht ausgegangen werden. Auch nicht im Fall des Rondenbarg-Komplexes. Im Rahmen dieser wird ein politisches Großverfahren gegen mindestens 86 linke Aktivist*innen geführt. Wie auch beim Elbchaussee-Prozess geht es nicht um individuelle Handlungen der Aktivist*innen. Gegenstand der Anklageschrift ist lediglich die Teilnahme an einer "gemeinschaftlichen Handlung".
 
Wenn das BGH- "Hooligan-Urteil" hier gerichtlich angewandt und rechtgesprochen wird, hätte das fatale Folgen für das Demonstrationsrecht. Wenn zukünftig Teilnehmenden an Demonstrationen das Verhalten nicht ganz friedlicher Teile zugerechnet werden könnte, würde jede*r für etwaige Eskalationen innerhalb einer Demo strafrechtlich verfolgt werden können. Das schreckt ab, macht rechtliche Folgen der eigenen Handlungen unkalkulierbar und beschränkt auch die Möglichkeit, den Ausdruck von politischen Versammlungen selbstbestimmt zu wählen.
 
Unabhängig davon, wie der Versammlungs-Charakter innerhalb der Rondenbarg-Verfahren ausgehandelt wird, ist das "Hooligan-Urteil" auch an sich streitbar. Es fokussiert sich allein auf den mutmaßlichen Vorsatz von Teilnehmenden einer Menschenmenge. In Fällen wie den Verfahren zu den G20-Protesten, denen eine Rechtsprechung mit weitreichender Dämonisierung fast aller Gegenprotestierenden vorausgeht, ist auch dieser Vorsatz schnell gefunden, wenn die eigene Distanzierung nicht offenkundig wird. Wer sich nicht distanziert, hat sich damit durch das Konstrukt der "Kollektivschuld" mitschuldig gemacht. Das ist für uns als Bewegung und gemeinsam Betroffene staatlicher Repression zermürbend. 
 
Wir rufen dazu auf, sich an der Begleitung der Rondenbarg-Verfahren zu beteiligen, solidarisch mit den Angeklagten zu sein und gegen eine weitreichende Einschränkung des Demonstrationsrechts auf die Straße zu gehen! 
 
Erst ein gemeinsamer, solidarischer Umgang mit Repression ermöglicht uns offensive Politik. Der (Re)Traumatisierung durch Polizeigewalt und Haftstrafe und der möglichen/suggerierten Abwendung von politischer Arbeit können wir nur gemeinsam begegnen.
 
Kommt zur Demonstration am Samstag, den 28.11., um 15h am Spreewaldplatz oder am 5.12 in Hamburg!

Tags : G20 ,   Antirepression ,   Polizei ,   Gericht

27th January