akj



Home

Aktuell

Erklärungen

das freischüßler

     Ausgabe 1/99
     
Ausgabe 2/99
     
Ausgabe 3/99
     
Ausgabe 1/00
     
Ausgabe 2/00
     
Ausgabe 3/00
     
Ausgabe 1/01
     
Ausgabe 2/01
      Ausgabe 1/02

     
Ausgabe 1/03

     
Ausgabe 2/03
      Ausgabe 1/04

     Ausgabe 1/05

      Ersti-Heft

Vorträge

Projekte

Seminare

Links

Impressum



Recht und Unrecht

Bibliothek dialektischer Grundbegriffe von Hermann Klenner

Hermann Klenner nimmt in seinem im transcript Verlag erschienen Büchlein den Leser mit auf seinen Gewaltritt durch das „who-is-who“ und „was-ist-was“ der Rechtsphilosophie. Kaum ein klassischer Autor, der nicht in einer seiner Kernaussagen angeführt wird, und kaum ein Gebiet, das RechtsphilosophInnen und -theoretikerInnen beackern, das nicht zügig durchmessen wird. Aber wo steht der/die etwas durchgeschüttelte LeserIn nach der Lektüre der knapp 44 Seiten von „Recht und Unrecht“?

 

Wilko Bauer

Dem/der unbefangenen LeserIn bietet Klenner, selbst sehr belesen, eine sehr prägnante, vielleicht etwas zu kurz gefasste Einführung in das Thema „Recht und Unrecht“. Dabei gibt bereits der erste Satz den Grundton an: Recht betrifft „herrschaftsförmig organisierte Gesellschaften.“ Die Ursache des Rechts sind gesellschaftliche Antagonismen. Die innere Gegensätzlichkeit der Gesellschaft, ihr Selbstwiderspruch produziert notwendig das Recht als Herrschaftsinstrument, und zwar als ein solches, das selbst, weil es die gesellschaftlichen Verhältnisse nur widerspiegelt, innerlich widersprüchlich ist: Recht und Unrecht sind notwendig „dialektische Begriffe“.

Ein so verstandenes Recht zielt somit nicht auf Streitausmerzung – die Antagonismen der Gesellschaft sind real und auf dieser Stufe der Entwicklung nicht aufzulösen -, sondern auf bloße Streitbeilegung. Unrecht, Kriminalität wird nicht verhindert, sondern lediglich eingehegt.

Die gesellschaftliche Rückbindung des Rechts, die Tatsache, dass es kein „raum- und zeitloses Naturgesetz“ gibt, sondern dass Recht von Menschen für Menschen gemacht ist, steht zu Recht im Mittelpunkt der Klennerschen Abhandlung. Er liefert eine große Fülle von Beispielen für die historische Bedingtheit des Rechts und für das, was er dessen drei Fundamentalattribute nennt: Seine Reflexivität (Wiederspiegelung der gesellschaftlichen Verhältnisse), seine Normativität (Recht reguliert gleichzeitig die gesellschaftlichen Verhältnisse) und seine Funktionalität (es ist Mittel der Ausübung von Macht und Gewalt).

Ein Bewusstsein, welches die inhärente Vermachtung des Rechts erkannt und aufgenommen hat, tut nicht nur für diejenigen Not, die sich dem Recht und dem Justizapparat mehr oder weniger hilflos gegenüberstehen sehen, sondern auch und gerade für die JuristInnen, die, ob sie wollen oder nicht, qua Ausübung ihrer Funktionen der Macht dienen. Klenner versäumt nicht, auf die Gewalt, die durch die Machthabenden in Form gesellschaftlicher Strukturen ausgeübt wird, einzugehen. Recht ist keine Alternative zu Gewalt, sondern immer selbst schon Gewaltausübung.

Auf der anderen Seite zeigt Klenner allerdings auch auf, dass die historischen Verhältnisse, die sich im Recht der Zeiten widerspiegeln, eben durch das Recht selbst auch verändert werden. Über eine bloß instrumentelle Funktion des Rechts hinaus ordnet und regelt es auch – und bindet die es nutzenden MachthaberInnen an sich. Recht begrenzt Machtausübung und ermöglicht so Freiräume für gesellschaftlichen Fortschritt.

Aber dieser Fortschritt ist stets gefährdet. Denn die Möglichkeit, Recht ausschließlich und einseitig als Mittel der Machtausübung einzusetzen, ist immer gegeben. In der Krise der Gesellschaft hat das Recht nicht die Kraft, den überwältigenden materiellen Interessen der gesellschaftlichen Akteure Einhalt zu gebieten, so dass die Ansprüche des modernen Rechtsstaats auf Freiheit und Demokratie immer wieder verloren gehen und statt dessen Unterdrückung, Rückschritt in der Emanzipation der Individuen und der gesellschaftlichen Gruppen, schließlich Imperialismus und Krieg möglich werden.

Übergeordnete Maßstäbe für das geltende Recht wie Menschenrechte oder allgemeine Gerechtigkeitstheorien dienen laut Klenner bedauerlicherweise nur zu oft der Verbrämung und Verschleierung einer solchen rückschrittlichen Machtpolitik und haben nur dann eine Chance, wenn sie die „Gretchenfrage“ stellen, „wie aus Kapitalsouveränität Volkssouveränität entstehen kann.“ Schließlich, so Klenner, „kommt man in unserer Zeit globaler wie nationaler Privatisierungs- und Entsolidarisierungsorgien kaum an der verblüffenden Einsicht vorbei, dass am Ende alle Rechts- und Gerechtigkeitsprobleme in Vergesellschaftungsforderungen münden.“

LeserInnen, denen der machtkritische Ansatz im Versuch, „Recht und Unrecht“ zu erfassen, aus der Seele spricht, werden am Ende einen Überblick über diese Phänomene sowie die Bestätigung der Einsicht gewonnen haben, dass letztlich gesellschaftliche Macht Recht macht.

Wer sich erhofft hatte, Futter für neue Ideen einer besseren Zukunft zu finden, wird sich aber wohl auf andere Texte (desselben Autors?) vertrösten müssen. So richtig es ist, die Rolle der Macht in den Mittelpunkt zu rücken, so wenig wird jedoch von Klenner aufgehellt, wie das Phänomen Macht im Unterschied zum Phänomen Recht präzise zu fassen ist. Hier, wie auch in dem gesamten Buch , wäre eine nachvollziehbare – nicht bloß behauptete - dialektische Entfaltung der Begriffe von „Recht und Unrecht“ hilfreich gewesen. Was heißt es, die antagonistischen Verhältnisse, die die Dialektik von Recht und Unrecht, von Recht und Machtmissbrauch bedingen, als tatsächlich und unauflösbar widersprüchlich anzuerkennen, sie zu denken und die Praxis danach zu gestalten?

Eine bloß formale Machtkritik wird wohl nicht stark genug sein, um den Gefahren gesellschaftlicher Rück-Entwicklungen zu wehren. Macht ist nicht nur „böse“; eine solche moralische Kategorie kann einem gesellschaftlichen Phänomen ohnehin nicht gerecht werden. Macht ist vor allem notwendig: Gesellschaftliche Macht ist die Grundlage, das Bewegende der menschlichen Gesellschaft, der Historie überhaupt. In unserer Zeit hat die Macht der bürgerlichen Gesellschaft, insbesondere „das Kapital“ jedoch nur das eine Ziel der Selbsterhaltung und -vergrößerung. Die von der Politik formulierten Ziele bleiben im Wesentlichen defensiv und negativ: Kein Abbau von Arbeitsplätzen, keine Zerstörung der Umwelt, kein Krieg. So wichtig diese Punkte ohne Zweifel sind, so sind die Fragen, die zu stellen sind, aber auch diejenigen danach, für welche positiven Ziele die existierende gesellschaftliche Macht eingesetzt werden soll: Die Entwicklung der 2. und 3. Welt z.B., die vorsichtige, respektvolle Überführung feudaler Gesellschaften in die Moderne oder im Rahmen der Frage danach, was die Arbeitslosen bzw. diejenigen, die die vom Markt vorgegebene Kapitalrendite nicht erzielen können, mit ihrer dennoch vorhandenen Arbeitskraft produzieren sollen. Für die dahinter stehende Frage, wie und woher diese oder andere Ziele des Menschen bzw. der Menschheit gewonnen werden können, ist eine grundlegende theoretische Standortbestimmung nötig. Die Diskussion über diese Pun-kte braucht das Wissen und die spezifische Erfahrung auch von WissenschaftlerInnen wie Hermann Klenner.

Dennoch: Machtkritik und das Bewusstsein, dass unser Recht historisch und sozial bedingt ist, ist nötig, heute vielleicht mehr als in anderen Epochen. Gerade in der Krise der Gesellschaft tragen diejenigen, die die Macht und die Machthabenden konsequent kritisieren, dazu bei, eine taumelnde Gesellschaft an deren wenigen Pfeilern, an ihren Fortschritten aus besseren Zeiten, die sich in Recht und Gesetz, in Institutionen niedergeschlagen haben, festzuhalten. Damit tragen sie dazu bei, das Abgleiten in gesellschaftliche Verfallsformen der Unterdrückung, Verelendung und Krieg zu behindern. Dem/der LeserIn diese Aufgabe ins Bewusstsein zurückgerufen zu haben stellt den „Gebrauchswert“ des Büchleins von Hermann Klenner dar.

Wilko Bauer



Klenner, Hermann:
Recht und Unrecht / Hermann Klenner. – Bielefeld : Transcript, 2004. 51 Seiten;
(Bibliothek dialektischer Grundbegriffe; Bd. 12); ISBN 3-89942-185-X; EUR 7.60

zurück