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HUMBOLDT LAW


Rastern, Fahnden, Prozessieren



Dank des Kammergerichts darf nun auch in Berlin weitergerastert werden. Am 16. April hob es auf Beschwerde des Berliner Polizeipräsidenten den Beschluß des Landgerichtes auf, das die umstrittene Polizeimaßnahme im Januar für rechtswidrig erklärt hatte. Die Urteilsbegründung des Kammergerichtes offenbart den neuen (?) Geist der Sicherheitsjustiz.


Nicht noch einen Artikel zur Rasterfahndung. Es kotzt uns an. Wir wollen das ewige Geflenne um die Bürgerrechte nicht mehr hören. Sollen die doch überwachen, wen sie wollen. Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten. Ist doch egal, wenn sie mal ein paar Leute verhören, die nichts damit zu tun haben, deren Wohnungen durchsuchen und die NachbarInnen ausfragen. Was soll's, die werden schon die Richtigen finden. Was sollen sie auch sonst tun? Dazu sind sie schließlich da! Und wenn doch mal eine Bombe hochgeht, mitten in der Stadt, was sagt ihr dann? Dann hätte die Polizei alles vorher wissen und verhindern müssen, oder was?

Es ist soweit, was interessiert uns noch der ganze Dreck, der z.Z. auf die Welt herniedergeht? Wir wurden daran gewöhnt, daß Videokameras unseren Weg zur Uni, die Vorlesung und die Disse überwachen. Eingriffe der Polizei in das Privatleben sind alltäglich, haben ihren Platz in der Normalität. Oder nicht? Ist auch egal, das ist noch lange nicht die höchste Steigerung dessen, was uns durch die Sicherheitspakete erst bevorsteht.

Die Politik hat ihre Hausaufgaben gemacht und auch die Justiz leistet - nach anfänglichem Widerwillen - endlich ihren Beitrag zum Ausbau des Polizeistaates. Mit Beschluß vom 16. April 2002 erklärte das Kammergericht Berlin die seit Mitte September in Berlin laufende Rasterfahndung für rechtmäßig und hob damit den Beschluß des Landgerichtes auf, das die umstrittene Polizeimaßnahme im Januar für rechtswidrig erklärt hatte.

Wer ist tot? Also gut, noch mal von vorn: Auf Antrag des Landeskriminalamtes (LKA) hatte das Amtsgericht Tiergarten im September 2001 in insgesamt drei verschiedenen Beschlüssen die Rasterfahndung für Berlin angeordnet. Daraufhin wurden neben den Hochschulen die Landeseinwohnerämter, Flughafengesellschaften, Sicherheitsdienste, Verkehrs-, Versorgungs- und Entsorgungsbetriebe sowie weitere öffentliche Einrichtungen zur Herausgabe bestimmter personenbezogener Daten verpflichtet (siehe HUch! 1/01, 2/01), um diese auf der Suche nach den sgn. Schläfern mit anderen Datenbeständen abzugleichen. Das Täterprofil entspricht unseren Klischees vom Muselmann beim Lesen von „Tausendundeine Nacht“: Gesucht werden vor allem männliche kinderlose Muslime aus 29 Herkunftsländern (drunter auch Frankreich und Israel).

In diesem Zusammenhang wurden von den Hochschulen berlinweit über 3000 Daten an das LKA übersandt. Dagegen wandten sich drei HU-Studis arabischer Herkunft, der ReferentInnenrat und die Humboldt-Universität, die durch den Beschluß des Amtsgerichts zur Datenübermittlung verpflichtet wurde, mit einer Beschwerde vor dem Berliner Landgericht. Dieses hob alle drei angefochtenen Beschlüsse des Amtsgerichtes am 15. Januar 2002 mit der Begründung auf, daß es mangels konkreter Anhaltspunkte für in Deutschland drohende Terroranschläge an der erforderlichen gegenwärtigen Gefahr fehle, wie sie gesetzlich zur Anwendung der Rasterfahndung vorausgesetzt wird.

So weit zur Geschichte. Die Wutschreie der Polizeibehörden - insbesondere des Berliner Innensenators Erhard Körting (SPD) - waren noch nicht verhallt, das Aufatmen in BürgerInnenrechts- und Datenschutzvereinigungen noch nicht verhaucht, der Glaube an den trotz aller Terrorpanik nüchtern bleibenden Rechtsstaat, der eine Aushöhlung der Grund- und BürgerInnenrechte nicht zuläßt, hatte gerade zu keimen begonnen, da wurde das Weltbild wieder zurechtgerückt. Das Berliner Kammergericht erklärte den Beschluß des Landgerichtes, der bundesweit von verschiedenen Gerichten aufgegriffen wurde, für rechtsfehlerhaft und hob ihn auf. Es erklärte damit die Rasterfahndung für rechtmäßig und öffnete die Türen für weitere in ihrer Wirkung rassistische Rasterungen und Polizeimaßnahmen. Die zwischenzeitlich gesperrten Datensätze der über 3000 Berliner Studenten werden nun wieder in den nebulösen Netzwerken und Verbundsdateien der Sicherheitsdienste verschwinden.

Die Urteilsbegründung des Berliner Kammergerichts offenbart den neuen (?) Geist der Sicherheitsjustiz. Es folgt der zwingenden Logik der Anschlagspanik wie sie innenpolitisch zur Erweiterung von Polizeibefugnissen und den Abbau von BürgerInnenrechten genutzt wird. Insbesondere vier Aspekte sind dabei hervorzuheben:

1. Die Rasterfahndung gehört wegen ihrer starken Beeinträchtigung Unbeteiligter zu den belastendsten Maßnahmen des Polizeirechts. Menschen, deren einziges Vergehen darin besteht, ein ähnliches - wohlgemerkt völlig rechtmäßiges - Verhalten an den Tag zu legen, wie unbekannte und auch nicht weiter exakt bestimmbare Täter, werden zu Verdächtigen. Nicht selten passiert es, daß unschuldige, aber nach dem Datenabgleich „als Treffer“ hängengebliebene und damit verdächtige Personen durch „normale“ polizeiliche Ermittlungsmethoden wie Hausdurchsuchungen, ArbeitgeberInnenbefragung, Vorladungen, Kontosperrungen, Beschattungen und ähnliche Repressionen überprüft werden. Aber auch wenn es nicht zu weiteren Ermittlungen kommen sollte, stellt die Datenübermittlung an das LKA bereits einen erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Deswegen wird die Anwendung der Rasterfahndung an das Vorliegen gesetzlich normierter Kriterien geknüpft, die einen übermäßigen Einsatz der Maßnahme verhindern sollen.

Ein solches Kriterium ist die Gegenwärtigkeit der Gefahr. Das Landgericht Berlin hatte das Vorliegen einer solchen Gefahr für Deutschland verneint. Dagegen geht das Kammergericht vom Vorliegen einer Dauergefahr aus, die sich jederzeit verwirklichen könne. Diese sei mit einem baufälligen Turm vergleichbar, „der nach den Erkenntnissen der Statik jederzeit zusammenstürzen kann, mag der Einsturz tatsächlich auch noch längere Zeit auf sich warten.“ Die SpartakistInnen vor der Mensa haben also recht, mit der Revolution ist jeder Zeit zu rechnen. Deutschland ist baufällig - die Gerichte müssen es ja wissen.

So werden gesetzlicher Vorbehalte umgangen, die bei polizeilichen Maßnahmen mit hoher Grundrechtseinwirkung bestimmte Anforderungen an ihre Anwendbarkeit und Durchführung formulieren. Damit wird die Verhältnismäßigkeitsabwägung durch die Gerichte wirkungslos, was rechtspolitisch einer freiwilligen Selbstbeschränkung gleichkommt. Wenn schon nicht die Politik die Entscheidungshoheit der Gerichte durch den Ermessensgebrauch der Polizei ersetzt, dann tut es die Justiz eben selbst.

Zum anderen höhlt das Gericht durch solche Konstrukte das Polizeirecht aus. Dieses läßt präventive Polizeimaßnahmen nur dort zu, wo sie durch ausdrückliche Gesetzesermächtigung gerechtfertigt sind. Im Angesicht der Dauergefahr sollen Sicherheitsbehörden schnell und rigoros reagieren können. Deswegen wird sich zukünftig das Recht, Grundrechtsverletzungen zu begehen, aus dem Bestehen der Sicherheitsbehörden selbst ableiten und keiner speziellen Ermächtigung mehr bedürfen.

2. Die Tatsache, daß die Rasterfahndung noch nie zu einem Ermittlungserfolg geführt hat, relativiert das Kammergericht. Schließlich könnte sie in Zukunft irgendwann einmal Erfolg haben. Die Logik besticht auffallend, erinnert sie doch an die Situation eines Verdächtigen, der trotz des Einsatzes der Streckbank seine Unschuld beteuert.

3. Richten sich die Beschwerden der Betroffenen auch gegen den diskriminierenden Charakter der Fahndungsmethode, durch die männliche Angehörige einer ganzen Religionsgemeinschaft als potentielle Terroristen erscheinen, und wird in den Medien allenthalben von zunehmenden Spannungen im Umgang mit arabischen Menschen und der damit verbundenen Beeinträchtigung des Campuslebens berichtet, stellt das Kammergericht schlicht fest, daß „die betroffenen Nichtstörer [...] nicht diskriminiert werden.“ Kinder, hier könnt ihr noch was lernen: Problemlösung durch Problemleugnung.

4. Der Schaden, zu dessen Vermeidung die Rasterfahndung durchgeführt wird, muß nicht in Deutschland eintreten. Die Vorbereitung von Straftaten genügt den Gerichten für das Einschreiten der Polizei. Damit hat sich Deutschland auf die internationale Terrorfahndung eingeschworen und kann politisches Handeln von AusländerInnen, die sich gegen die Politik in ihren Herkunftsländern engagieren, als terroristischen Umtrieb verfolgen und abschieben.

Die den Begründungen des Kammergerichts zugrundeliegende Logik folgt dem Gedanken, daß Polizei- oder Militärdiktaturen immer noch der beste Schutz gegen Terrorismus seien. Das Mißtrauen einer globalisierten Welt gegen die ausgebeuteten Neider überall auf der Erde manifestiert sich in permanenter Angst vor Anschlägen. Kapitalismus heißt Dauergefahr. Der Wohlstand will geschützt sein. Wer oder was das „Böse“ ist, das wir heute noch in den Reihen islamischer Religionszugehöriger suchen, liegt in der Definitionsmacht von Polizeibehörden. Die zur Abwendung der Bedrohung ersonnen Mittel und Befugnisse werden sich bei Bedarf auch gegen außerparlamentarische Opposition oder soziale Bewegungen richten.


Raster Locke