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Ring frei zur dritten Runde


Rechtswidrige Rasterfahndung an den Berliner Hochschulen?



Auf Beschwerde dreier HU-Studis, des RefRat und der Humboldt-Universität hat das Landgericht Berlin die seit Mitte September laufende Rasterfahndung am 20. Januar 2002 für rechtswidrig erklärt. Innensenator Körting (SPD) ging in die Beschwerde und verweigert die Datenlöschung.


Nach den Anschlägen des 11. September 2001 ist der kollektive Sicherheitswahn zum stärksten Bewußtsein erklärt und durch zahlreiche polizeiliche, geheimdienstliche und militärische Tätigkeiten unterstützt worden, die in ihrem Umfang ebenso aufwendig wie ergebnislos sind. Zu groß ist die Versuchung, im allgemeinen Entsetzen das Projekt der „offenen Gesellschaft“ für gescheitert zu erklären und die „wehrhafte Demokratie“ aufzurüsten. Gegen das „Böse“, gegen die Neider, nichts Konkretes - hauptsache wirkungsvoll. Vormals undenkbare Sicherheitskonzepte werden mehrheitsfähig und durch die Gewöhnung an umstrittene Polizeibefugnisse der Kontrolle durch das öffentliche Interesse entzogen. Der Einsatz von Rasterfahndungen auf der Suche nach potentiellen „Schläfern“ ist dafür das beste Beispiel.


Hintergrund


Am 17. September 2001 forderte das Landeskriminalamt Berlin (LKA) auf Weisung von Innensenator Körting (SPD) die Berliner Universitäten zur Herausgabe von Daten arabischer Studierender aus zunächst 15 Herkunftsländern auf, um diese mit anderen Daten (beispielsweise des LandeseinwohnerInnen-, des AusländerInnen- oder des Kriminalamtes) zu vergleichen. Nach einem Rasterkatalog des CIA sollten die Studierenden auf bestimmte verdächtige (anscheinend schläferspezifische) Merkmale wie Geschlecht, Staatszugehörigkeit, Religion, technischer Studiengang, Reisetätigkeit oder Kinderlosigkeit hin überprüft werden.

Grundlage für die Datenübermittlung ist neben strafprozessualen Regelungen1 § 47 ASOG (Allgemeines Gesetz zum Schutz der Sicherheit und Ordnung in Berlin). Darin heißt es, dass die Polizei von öffentlichen Stellen und Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für qualifizierte Rechtsgüter (Sicherheit des Bundes oder eines Landes, Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person) die Übermittlung von personenbezogenen Daten bestimmter Personengruppen aus Dateien zum Zwecke des Abgleichs mit anderen Datenbeständen verlangen kann, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dies zur Abwehr der Gefahr erforderlich sei.

Die Rasterfahndung zählt zu den eingriffsintensivsten Maßnahmen des Polizeirechts. Schließlich werden auf der Suche nach vermeintlichen, einzelnen Personen die Daten einer Vielzahl von Unbeteiligten durch die Polizei gesammelt, abgeglichen und ausgewertet. Nicht selten passiert es deshalb, dass unschuldige, aber nach dem Datenabgleich „als Treffer“ hängengebliebene und damit verdächtige Personen durch „normale“ polizeiliche Ermittlungsmethoden wie Hausdurchsuchungen, ArbeitgeberInnenbefragung, Vorladungen, Kontosperrungen, Beschattungen und ähnliche Repressionen überprüft werden. Menschen, deren einziges Vergehen darin besteht, ein ähnliches - wohlgemerkt völlig rechtmäßiges - Verhalten an den Tag zu legen, wie unbekannte und auch nicht weiter exakt bestimmbare Täter, werden zu Verdächtigen. Aber auch wenn es nicht zu weiteren Ermittlungen kommen sollte, stellt die Datenübermittlung an das LKA bereits einen erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, welches das BVerfG2 aus Art. 2 I GG hergeleitet hat. Danach soll jede Person allein über die Verwendung ihrer Daten bestimmen können.

Daher sind mit der Rasterfahndung auch immer weitreichende Eingriffe in das soziale Umfeld und die Freiheitsrechte unbeteiligter Personen verbunden. Dies gilt um so mehr, wenn sich die Rastermerkmale, an der Herkunft und Religionszugehörigkeit der Menschen orientieren. So werden „deutsche Deutsche“ nicht Gegenstand dieser Rasterfahndung, AusländerInnen dagegen unter Generalverdacht gestellt. Das Misstrauen gegen sie wird geschürt und die Rasterfahndung rassistisch.

An ihre Anwendung werden daher hohe Hürden geknüpft. Im Sinne des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gilt: je exzessiver die Datenerfassung ist, desto höhere Anforderungen sind an die sie rechtfertigenden Umstände, die Nähe der Betroffenen zu den Ursachen der Gefahr und die vorhandene Tatsachenbasis zu stellen. So müßten relativ gesicherte Verdachtsmomente gegen die Personengruppe, deren Daten erfasst werden sollen, oder zumindest hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der konkreten Gefahr bestehen, sich also ein Terrorakt mindestens im fortgeschrittenen Stadium der Vorbereitung befinden. Auch für drohende Gefahren genügt ein bloßer Tatverdacht, wie er sich aus den Ankündigungen der Al Qaida ergeben könnte, nicht aus.


Langer Weg durch die Instanzen


Gegen die Beschlüsse des Amtsgerichtes Tiergarten,3 das die in Berlin unter dem Vorbehalt der Anordnung durch eineN RichterIn stehende Rasterfahndung anwies, hatten der ReferentInnenrat der HUB (RefRat), drei von ihm unterstützte Studenten arabischer Herkunft und die Humboldt-Universität zu Berlin Beschwerde beim Landgericht Berlin (LG-Berlin) eingelegt. In der Zwischenzeit hatte das Berliner LKA die Daten von über 3000 Studenten aus 29 Herkunftsländern, darunter über 600 HU-Studis (von denen 40% Franzosen waren) in die Rasterfahndung einbezogen, die neben den Hochschulen auch die LandeseinwohnerInnenämter, Flughafengesellschaften, Sicherheitsdienste, Verkehrs-, Versorgungs- und Entsorgungsbetriebe sowie die öffentlichen Einrichtungen betraf.

In Hamburg hatte die Polizei nach parallel laufenden Rasterungen im ganzen Bundesgebiet mit der „Überprüfung“ ihrer Treffer begonnen und 140 ausländische Studenten zum „klärenden Gespräche“ geladen, „um sich ein abschließendes Urteil über Sie bilden zu können.“ Dazu wäre es nötig, dass neben dem Pass und der Aufenthaltserlaubnis u.a. auch die Kontoauszüge der letzten drei Jahre, Zug- und Flugtickets vorgelegt würden.

Am 15. Januar 2002 erklärte das LG-Berlin die Rasterfahndung für rechtswidrig und hob die Beschlüsse des AG-Tiergarten auf.4 In der Urteilsbegründung heißt es:

„Eine Gefahr ist nur dann gegenwärtig, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses auf das betroffene Schutzgut entweder bereits begonnen hat oder wenn dieses Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht. [...] Selbst wenn es nicht [...] allein auf die zeitliche Nähe des schädigenden Ereignisses ankommen soll, wäre für eine gegenwärtige Gefahr mindestens zu fordern, daß ein sofortiges Einschreiten der Polizei unerläßlich erscheint, um den Schaden für das Schutzgut effektiv abwenden zu können. Dafür bestehen hier keine ausreichenden Anhaltspunkte.“

Innensenator Körting ließ widerwillig die Daten sperren und legte am 23. Januar seinerseits Beschwerde beim Kammergericht (Oberlandesgericht von Berlin) ein. Er bezweifelt, dass es auf die Gegenwärtigkeit der Gefahr ankomme. Angesichts des erheblichen Schadensausmaßes bei einem möglichen Gefahreneintritt, seien an die Gegenwärtigkeit der Gefahr keine zu großen Anforderungen zu stellen. Durch die Sperrung der Daten will sich das LKA alle Möglichkeiten offen lassen, im Falle eines Sieges vor dem Kammergericht die bereits erlangten Daten weiter auswerten zu können. Damit verstösst es jedoch gegen § 47 Abs. 3, in dem eine protokollierte Löschung der Daten vorgeschrieben wird und blockiert das Recht der Betroffenen, über Art, Umfang und Aufbewahrungsort der erhobenen Daten Auskunft zu erlangen. Die Betroffenen werden ein zweites Mal vorgeführt und bleiben verdächtig.

Die Studierendenschaften und DatenschützerInnen fordern bundesweit den Stop der Rasterfahndungen, die Vernichtung der Daten und Unterrichtung der Betroffenen. Die Gerichte sind zerstritten, die Politik sowieso. In den nächsten Wochen entscheidet das Berliner Kammergericht ...


Raster Locke


1§§ 98 a, b StPO.

2Sog. Volkszählungsurteil, BVerfGE 65, 1, 42 ff.

3353 AR 199/01 ASOG vom 20./21. und 26. September sowie vom 24. Oktober 2001.

4Vollständiger Text: www.akj-berlin.de, www.refrat.hu-berlin.de/rasterfahndung .