Auch
in Deutschland droht Flüchtlingshelfern
die Kriminalisierung
arbeitskreis
kritischer juristinnen und juristen Berlin kritisiert scheinheilige Kritik
von Claudia Roth und Heidemarie Wieczorek-Zeul zum Fall “Cap Anamur”
16.
Juli 2004
Mit
der Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Claudia Roth, und
der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung,
Heidemarie Wieczorek-Zeul, haben am Dienstag zwei prominente Regierungspolitikerinnen
die Verhaftung der drei „Cap Anamur“-Aktivisten durch italienische Behörden
kritisiert und ihre sofortige Freilassung gefordert. Beide sind sich darin
einig, dass die verhafteten „Cap Anamur“-Mitarbeiter nicht dafür bestraft
werden dürften, dass sie Menschen in Not helfen wollten.
Dem Kapitän und dem 1. Offizier der „Cap Anamur“ sowie Elias Bierdel,
Vorsitzender des gleichnamigen Vereins, werden Begünstigung illegaler
Einwanderung vorgeworfen, weil sie im Mittelmeer 37 Flüchtlinge an Bord
des Schiffes aufgenommen und letztendlich nach drei Wochen Tauziehen mit
den Behörden erfolgreich nach Italien gebracht hatten.
Zwar
ist die Hilfsorganisation "Cap Anamur" in der Vergangenheit durch zweifelhafte
Aktionen und Verlautbarungen aufgetreten, z.B. der Forderung ihres Vorsitzenden
Neudeck zur Bombadierung des Kosovo durch die NATO. Der arbeitskreis
kritischer juristinnen und juristen an der Humboldt-Universität zu Berlin
(akj-Berlin) teilt jedoch im Ausgangspunkt die Kritik von Roth und
Wieczorek-Zeul an der Kriminalisierung von Flüchtlingshilfe. Gleichzeitig
beanstandet der akj-berlin jedoch, dass sie die ähnliche, gleichermaßen
inhumane rechtliche Situation in Deutschland verschweigen.
Nach Paragraf 92a des Ausländergesetzes wird jede/r, die oder der AusländerInnen
bei der illegalen Einreise unterstützt wegen „Einschleusens von Ausländern“
mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft. Diese Strafvorschrift findet
sich wesentlich inhaltsgleich in Paragraf 96 des Aufenthaltsgesetzes wieder,
das als Artikel 1 des Zuwanderungsgesetzes demnächst in Kraft tritt.
Hätten
die jetzt in Italien festgehaltenen Aktivisten von „Cap Anamur“ die 37
Flüchtlinge nach Deutschland gebracht, müssten sie genauso zumindest mit
einem staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren inklusive entsprechender
Eingriffe in ihre Rechte und Freiheiten durch Maßnahmen wie vorläufigen
Festnahmen, Durchsuchungen, Beschlagnahme u.ä. rechnen.
Sollte
die Anlandung der 37 boat people nach italienischem Recht als illegale
Einreise bewertet werden, haben sich die drei Fluchthelfer auch tatsächlich
nach dem deutschen Ausländergesetz strafbar gemacht. Denn Zuwiderhandlungen
gegen Rechtsvorschriften von Mitgliedsstaaten des Schengener Durchführungsübereinkommens
(SDÜ) über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern in deren Hoheitsgebiet
sind gemäß Paragraf 92a Absatz 4 des Ausländergesetzes gleichermaßen als
„Einschleusen von Ausländern“ nach deutschem Recht strafbar. Hierzu haben
sich die Vertragsparteien des SDÜ, in dem neben der Abschaffung der Grenzkontrollen
zwischen den Vertragsstaaten gleichzeitig die verschärfte Abschottung
der Außengrenzen gegen Flüchtlinge vereinbart worden ist, im Jahr 1993
völkerrechtlich verpflichtet.
Diese
Konsequenz hat Bundesinnenminister Otto Schily heute auch unverhohlen
angedroht, indem er ankündigte mit diesem Sachverhalt müssten sich möglicherweise
deutsche Strafverfolgungsbehörden beschäftigen.
Stefanie
Richter vom akj-Berlin erklärt dazu: „Es ist entweder naiv, zynisch
oder demagogisch, wenn die Menschenrechtsbeauftragte und die Entwicklungshilfeministerin
mit starken Worten das Verhalten der italienischen Behörden gegenüber
den Flüchtlingen und ihren Helfern verurteilen, gleichzeitig aber zur
Rechtslage in Deutschland schweigen. Humanitärer Hilfe für Flüchtlinge
droht in Deutschland genauso die Kriminalisierung wie in Italien. Vor
diesem Hintergrund fragt es sich, ob die Äußerungen von Roth und Wieczorek-Zeul
nicht als heuchlerisch bezeichnet werden müssen.“
Der akj Berlin fordert die beiden Politikerinnen deshalb auf, ebenso eindeutig
Stellung gegen die Abschottungs- und Kriminalisierungspolitik der eigenen
Regierung zu nehmen.
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