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»Wir
fordern ein nationales Memorandum der Todesstrafe in den USA und die sofortige
Freilassung von Mumia Abu-Jamal aus der Todeszelle!«
Erste
Erklärung des Internationalen Komitees zur Abschaffung der Todesstrafe
von ICADP
1.
Juli 2006
30
Jahre Wiedereinführung der Todesstrafe in den USA
Vor
30 Jahren, am 2. Juli 1976, wurde die Todesstrafe in den Vereinigten Staaten
von Amerika wiedereingeführt. Vier Jahre lang war die Gesetzgebung der
Todesstrafe zuvor außer Kraft gesetzt gewesen, weil der Oberste Gerichtshof
der USA, am 29. Juni 1972, aufgrund der Klage 408 U.S. 238 (1972) des
Todeskandidaten Furman gegen den Bundesstaat Georgia in einem 5-zu-4-Urteil
entschieden hatte, daß diese Gesetze willkürlich und diskriminierend seien
und deshalb den 8. Zusatz zur US-Verfassung verletzten, der »grausame
und ungewöhnliche« Strafen verbietet.
Die
Furman-Entscheidung erklärte mehr als 600 Todesurteile für nichtig. Dennoch
wurde damit die Todesstrafe nicht generell abgeschafft, weil nur zwei
der Obersten Richter, William Brennan und Thurgood Marshall, die Todesstrafe
insgesamt ablehnten. Infolgedessen verabschiedete die Mehrheit der US-Bundesstaaten
neue Gesetze, damit künftige Todesurteile nicht mehr als Verletzung der
Verfassung definiert werden könnten.
Dieser vorübergehende Sieg über die Todesstrafe war der juristische Ausdruck
der gesellschaftlichen Umbrüche der 1960-70er Jahre, vor allem des Aufbegehrens
der afroamerikanischen Bevölkerung gegen Armut und Rassismus und ihres
Kampfes für Bürger- und Menschenrechte.
Todestrakte
und industrieller Gefängniskomplex
An
dieser Situation hat sich seit der Wiedereinführung der Todesstrafe durch
dasselbe Gericht am 2. Juli 1976 mit dem Urteil Gregg gegen Georgia, 428
U.S. 153 (1976), im wesentlichen nichts geändert. Mit dieser Entscheidung
wurde die neue Todesstrafengesetzgebung gebilligt. Heute sind die US-Todestrakte
voller denn je, und nach wie vor sind Hautfarbe und Armut die vorherrschenden
Kriterien bei der Frage, wer im Todestrakt oder im Gefängnis landet und
wer nicht.
Seit 1975 ist die Kriminalitätsrate in den USA konstant geblieben, in
einigen Bereichen sogar gesunken. Trotzdem hat sich die Inhaftierungsrate
in den USA in diesem Zeitraum vervierfacht, und die Rate der verhängten
Todesurteile und der vollzogenen Hinrichtungen ist enorm angestiegen.
Die Todesstrafe wird auf diskriminierende Weise angewendet. Sie ist Gesetz
im Bundesgefängnissystems und in 38 von 50 US-Bundesstaaten. Die Todestrakte
sind überproportional mit Gefangenen belegt, die arm sind und Minderheiten
angehören und die oft nur über eine unzureichende und fragwürdige Verteidigung
verfügen. DNA-Tests und andere Beweismittel belegen in zunehmendem Maße,
daß viele Todeskandidaten zu unrecht verurteilt wurden und bestärken damit
den Verdacht, daß der Staat Menschen tötet, die nicht »schuldig im Sinne
der Anklage« sind. Viele Gefangene gingen in den Tod und beteuerten bis
zum letzten Atemzug ihre Unschuld. Über 122 Todeskandidaten mußten freigelassen
werden, weil DNA-Tests oder andere Beweise ihre Unschuld bestätigten -
einige von ihnen erst nach vielen qualvollen Jahren, in de-nen sie täglich
auf ihren Henker warteten.
Diese Gefangenen, die den Todestrakt überlebten, haben öffentlich ihre
warnenden Stimmen erhoben: Ihr Schicksal zeigt, daß die Dunkelziffer der
unschuldig hingerichteten Männer und Frauen um ein Vielfaches höher sein
muß. Aber vor allem erinnern uns ihre Stimmen daran, daß »verurteilt«
noch lange nicht «schuldig« bedeutet und Jurys Fehlurteile fällen.
Es ist kein Wunder, daß auf jeden studierenden Afroamerikaner fünf kommen,
die im Gefängnis sitzen, wenn die Regierung auf nationaler und lokaler
Ebene die Ausgaben für Bildung senkt und für den Bau von neuen Gefängnissen
erhöht. Die am schnellsten wachsende Gefangenengruppe sind schwarze Frauen.
Mehr als 70 Prozent aller Gefangenen sind Afro- und Latino-Amerikaner.
Die Gefangenen werden einer Situation absoluter Entrechtung und Ausbeutung
unterworfen. In 46 US-Bundesstaaten verlieren Bürger ihr Wahlrecht, wenn
sie wegen eines Verbrechens verurteilt sind. In 32 Staaten erhalten Verurteilte
das Wahlrecht erst nach dem Ende der Bewährungszeit zurück. In 10 Staaten
verlieren Bürger, die wegen eines Verbrechens verurteilt wurden, ihr Wahlrecht
sogar auf Lebenszeit. Dies hat zur Folge, daß 13 Prozent der afroamerikanischen
Bürger im Wahlalter auf Dauer ihr Wahlrecht verlieren. Der industrielle
Gefängniskomplex ist inzwischen ein wesentlicher Bestandteil der US-Wirtschaft.
Die Ausbeutung im industriellen Gefängniskomplex bietet dem Privatkapital
lukrative Investitionsmöglichkeiten, deren niedrige Kosten nur mit Billiglohnländern
der »Dritten Welt« vergleichbar sind. Mit dem 13. Zusatzartikel zur US-Verfassung
wurde die Sklaverei und Zwangsarbeit abgeschafft, »ausgenommen als Strafe
für ein Verbrechen aufgrund eines rechtmäßigen Urteils«. Allein die Privatgefängnisse
mit ihren über 100.000 Gefangenen erzielen einen jährlichen Umsatz von
40-50 Milliarden US-Dollar. Mit dem industriellen Gefängniskomplex ist
in der US-Gesellschaft eine neue Segregation entstanden, deren Kern eine
moderne Form der Sklaverei darstellt.
Verletzung
der Menschenrechte, Bruch des Völkerrechts
Die
Situation der über 3500 Gefangenen in den Todestrakten und der mehr als
zwei Millionen Gefangenen im industriellen Komplex der Bundes-, Staats-
und Privatgefängnisse ist ein Ausdruck der Zuspitzung der sozialen und
politischen Widersprüche in den USA zu Lasten der Armen und Minderheiten.
Sie sind zu Sündenböcken einer Nation geworden, deren Rechtsprechung von
einer Lynch-Mob-Mentalität geprägt wird.
Während die US-Regierung unter dem Vorwand des »Krieges gegen den Terror«
und unter Bruch des Völkerrechts ihre Macht- und Einflußzonen und den
Raub der Energieressourcen im Ausland militärisch sichern, hat im Inland
eine Tochterfirma von Halliburton im Juni 2006 vom Heimatschutzministerium
den Auftrag erhalten, für 385 Millionen US-Dollar »provisorische Gefangenenlager«
zu errichten. Diese Lager könnten im Falle der Verhängung des Kriegsrechts
im Innern dazu dienen, US-Bürger zu internieren. Eine Art Guantanamo-Lager
für die »Heimat«, in denen für Gefangene weder Bürger- noch Menschenrechte
gelten.
Erster
Schritt: ein Moratorium
Die
Todesstrafe muß abgeschafft werden! Sie ist barbarisch, inhuman und grundsätzlich
unangemessen, selbst wenn Fehlurteile und Diskriminierungen ausgeschlossen
werden könnten.
Als ersten Schritt fordern wir deshalb ein nationales Moratorium der Todesstrafe.
Von 38 US-Bundesstaaten, in denen die Todesstrafe Gesetz ist, haben 12
ihre Anwendung durch ein Moratorium ausgesetzt. Von weiteren wird dies
erwogen. Als Indikator für die Dringlichkeit der Forderung nach einem
Moratorium mag gelten, daß der Oberste Gerichtshof in seinem jüngsten
Urteil einem Gefangenen in Florida das Recht zugesprochen hat, die Hinrichtungsmethode
mit der Giftspritze durch eine Klage wegen Verletzung seiner Bürgerrechte
anzugreifen. Streitgegenstand ist der Vorwurf, die Hinrichtung mit der
Giftspritze verursache »unnötige Schmerzen«. Mehrere US-Bundesstaaten
mußten deshalb wegen der qualvollen Methode, mit der der Staat seine Opfer
tötet, Hinrichtungen aussetzen.
In Europa haben die Erfahrungen mit dem Staatsterror während des deutschen
Faschismus dazu geführt, daß nach dem Zweiten Weltkrieg mehr und mehr
Staaten die Abschaffung der Todesstrafe zum Verfassungsgrundsatz erhoben
haben. Auch die USA können durch den massiven Druck einer nationalen und
internationalen Basisbewegung dazu gezwungen werden, diesen Schritt endlich
zu vollziehen.
Freiheit
für Mumia Abu-Jamal
Der
Journalist und Autor Mumia Abu-Jamal aus Philadelphia, dem ein faires
Verfahren verweigert wurde, ist einer der Gefangenen, die unschuldig in
der Todeszelle sitzen. Wenn ihm endlich ein neues und faires Verfahren
mit einer hochkarätigen Verteidigung garantiert würde, wie es eine internationale
Kampagne seit mehr als zwei Jahrzehnten fordert, dann wäre das Ergebnis
sicher ein völlig anderes. In den 25 Jahren seiner Haft hat er nicht nur
einen mutigen Kampf für ein neues Verfahren, sondern generell gegen die
Todesstrafe geführt. Mit seinen Schriften und Hörfunkbeiträgen gegen die
Todesstrafe, gegen Unrecht, Rassismus und Krieg ist Mumia Abu-Jamal zu
einem anerkannten Autor und Sprecher all jener geworden, die sich diesen
Überbleibseln der Barbarei widersetzen. Wie kein zweiter hat Mumia Abu-Jamal
dem Kampf gegen die Todesstrafe ein Gesicht gegeben. Er ist zu einem wichtigen
Symbol dieses Kampfes geworden und darf deshalb nicht jenen Kräften ausgeliefert
bleiben, die seine Hinrichtung in einen Sieg über alle Gegner der Todesstrafe
verwandeln wollen. Wir stehen deshalb fest an seiner Seite und fordern
mit ihm ein neues und faires Verfahren und seine sofortige Freilassung
aus dem Todestrakt.
Verwandeln
wir den 2. Juli in einen Tag, der uns in jedem Jahr an die Notwendigkeit
der endgültigen Abschaffung der Todesstrafe erinnert - bis wir sie und
ihre Befürworter überwunden haben. Bringen wir den Obersten Gerichtshof
dazu, seinen Job zu Ende zu bringen. Wir fordern deshalb alle Basisbewegungen,
demokratischen Kräfte und Verteidiger der Menschenrechte und des Völkerrechts
weltweit dazu auf, diese Forderungen unüberhörbar öffentlich zu erheben:
Abschaffung
der Todesstrafe in den USA und weltweit!
Sofortige Freilassung von Mumia Abu-Jamal und Garantien für ein neues
faires Verfahren!
USA:
Prof. Angela Y. Davis, Santa Cruz / Robert R. Bryan, Lawyer, San Francisco
/ Charlene Mitchell, Co-Chair Committees of Correspondence for Democracy
& Socialism
France: Henri Alleg, journaliste-écrivain, Palaiseau / Gilberte Salem,
traductrice, Palaiseau
Germany: akj-berlin, Detlef Baade, Betriebsrat; Rolf Becker, ver.di Hauptvorst.
HH; Prof. Dr. Lothar Bisky, Parteivors. Linkspartei.PDS, MdB; Dr. Oliver
Brüchert, Soziologe; Peter O. Chotjewitz, Autor; Sevim Dagdelen, MdB;
Dr. Diether Dehm, MdB; Prof. Wolfram Elsner, Ökonom; Christiane Ensslin,
Redakteurin; Prof. Dr. Johannes Feest, Strafvollzugsarchiv Uni HB; Claus
Förster, Rechtsanwalt; Christian Geissler, Autor; Peter Gingold, Bundessprecher
der VVN-BdA, Vize-Vors. d. Auschwitzkomitees; Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt,
Präsident Internat. Liga f. Menschenrechte; Victor Grossman, Journalist;
Lühr Henken, Bundesausschuß Friedensratschlag; Ulla Jelpke, MdB, Innenp.
Sprecherin Die Linke; Walter Kaufmann, Autor; Sabine Klein-Schonnefeld,
Soziologin/Juristin; Sabine Kruse, Erich-Mühsam-Gesellschaft; Oskar Lafontaine,
MdB, Fraktionsvorsitzender d. Linkspartei; Felicia Langer, Rechtsanwältin;
Herbert Leuninger, Pfarrer, Mitbegr. PRO ASYL; Willi van Ooyen, Vors.
d. Friedens- und Zukunftswerkstatt; Ulf Panzer, Richter, IALANA; Norman
Paech, Völkerrechtler, MdB; Sabine Peters, Autorin; Erhard Pumm, DGB-Vorsitzender
HH; Prof. Dr. Werner Ruf; Horst Schäfer, Journalist; Horst Schmitthenner,
Beauftragter d. Vorstandes d. IG Metall; Dr. Heinz Jürgen Schneider, Rechtsanwalt;
Wilfried F. Schoeller, Generalsekretär d. P.E.N.-Zentrums Deutschland;
Prof. Dr. Herbert Schui, MdB; Eckart Spoo, Journalist; Dr. Martin Stankowski,
Journalist; Johano Strasser, Präsident des P.E.N.-Zentr. Deutschl.; Dr.
Peter Strutynski, Bundesausschuß Friedensratschlag; Reinhard Thiele, Cuba
Sí-AG der Linkspartei.PDS; Mag Wompel/Ralf Pandorf, Redaktion LabourNet;Wienke
Zitzlaff, Rektorin i.R.
Kontakt:
Internationales Komitee zur Abschaffung der Todesstrafe/
International Committee to Abolish the Death Penalty (ICADP)
c/o IVK Bremen
P.O.Box 150530
D-28095
Bremen
Fon/Fax:
(421) 354029
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www.freedom-now.de
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