"Neue Sicherheitsarchitektur" & Bürgerrechte
Die "neue Sicherheitsarchitektur" und ihre Folgen für die Bürgerrechte
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Multiplikatoren-Seminar des Instituts für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit e.V.
Samstag/Sonntag, 29./30. November 2008
Juristische Fakultät/ Humboldt-Universität zu Berlin
Teilnahme kostenfrei
Veranstalter: Institut für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit e.V.
arbeitskreis kritischer juristinnen und juristen an der HUB (akj-berlin)
Komitee für Grundrechte und Demokratie
Konzept:
Die Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik befinden sich im Umbau: Legitimiert mit einer neuen Bedrohungslage werden bestehende Behörden zentralisiert (Bundespolizei), ihnen werden neue Aufgaben übertragen (Bundeskriminalamt, Zoll), sie werden mit neuen Befugnissen ausgestattet (Geheimdienste), sie werden näher an die Regierung gerückt (Bundesnachrichtendienst) oder erst zu einer Sicherheitsbehörde aufgewertet (Bundesverwaltungsamt). Daneben werden neue Behörden geschaffen (wie das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe) oder sie werden zunehmend mit inneren Aufgaben betraut (wie die Bundeswehr). Zugleich werden im Zeitalter des vernetzten Denkens die Informationsbestände und -ströme unterschiedlicher Instanzen zusammengeführt (Gemeinsame Dateien-Gesetz) und Formen der praktischen Zusammenarbeit über alle Ressortgrenzen hinweg werden etabliert (GTAZ). Dieses dichter werdende Konglomerat verschiedener Behörden, Foren, Zentren, aus Polizeien und Geheimdiensten, aus Zoll, Militär und Katastrophenschutz etc. wird überwölbt von Einrichtungen der Europäischen Union, auf deren Ebene sich vergleichbare Prozesse der Zentralisierung, der Verwischung von Zuständigkeitsgrenzen, der Militarisierung Innerer Sicherheitsfragen und des möglichst weitreichenden Informationsaustauschs zu Sicherheitszwecken abspielen.
Die institutionelle Entwicklung verlängert und unterfüttert die Veränderungen, denen das Sicherheitsrecht in den vergangenen Jahrzehnten dauerhaft unterworfen war und weiterhin unterworfen ist. Beide Entwicklungen wirken in dieselbe Richtung, indem sie herkömmliche Sicherungen bürgerschaftlicher Freiheitsrechte außer Kraft setzten: Normenklarheit und Berechenbarkeit, Transparenz und Kontrollierbarkeit, klare Eingriffsschwellen und Zweckbindungen. Bürgerrechtlich kommt ein weiteres Problem hinzu: Der Prozess der Veränderung selbst ist weniger denn je für die BürgerInnen durchschaubar. Mit der Vergeheimdienstlichung der Polizeien (präventiver Einsatz verdeckter Methoden) und der Integration der Geheimdienste sowie der Bundeswehr in polizeiliche Aufgaben verhindern angebliche Geheimhaltungsbedürfnisse jede öffentliche Erörterung der Praxis. Darüber hinaus fallen die neuen Kooperationsformen durch die Maschen parlamentarisch oder justiziell herstellbarer Öffentlichkeit. Nicht allein die Inhalte der Veränderungen, sondern bereits der Umstand, dass sich diese Umgestaltungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit vollziehen, stellen ein bürgerrechtliches Problem ersten Ranges dar.
Die Diskussion um die „neue Sicherheitsarchitektur“ interessiert viele, die mit dem Ausbau des Staatsapparates nicht einverstanden sind. Diese kritische Öffentlichkeit steht den Veränderungen jedoch häufig vergleichsweise uninformiert gegenüber. Dazu trägt die Geheimhaltung, aber auch die Komplexität der verschiedenen Entwicklungen bei. Eine wenig fundierte kritische Position führt jedoch schnell zu Fehleinschätzungen, und sie ist auch nicht geeignet, in der politisch-öffentlichen Auseinandersetzung zu überzeugen.
Das Seminar richtet sich an Berliner Studierende, aktive Mitglieder von Bürgerrechtsorganisationen und von Organisationen aus den verschiedenen sozialen Bewegungen, die sich direkt mit Fragen der Inneren Sicherheit beschäftigen oder die im Rahmen ihres eigentlichen Anliegens immer wieder mit der Polizei- und Geheimdienstentwicklung konfrontiert sind. Diese Multiplikatoren sind die Zielgruppe des Seminars.
Dessen Ziel ist es, wichtige Element der „neuen Sicherheitsarchitektur“ im Hinblick auf ihre Relevanz für die Bürgerrechte darzustellen und gemeinsam, aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen in unterschiedlichen Organisationszusammenhängen, zu diskutieren.
Programm:
Das Seminar wird sich auf zwei Teile erstrecken:
- Neustrukturierung der Bundesdeutschen Sicherheitsarchitektur
- Sicherheitsarchitektur in der EU
Insgesamt sind – aus zeitlichen Gründen – nicht mehr als sieben Blöcke von je 90 Minuten möglich, was notwendigerweise zu einer beschränkten Auswahl von Themen zwingt. Die Einleitungsblöcke sollen die Beschränkung etwas ausgleichen. Die einzelnen Blöcke werden durch ein Referat von ca. 30 Minuten eingeleitet werden, damit ausreichend Zeit für Nachfragen und Diskussionen bleibt.
Samstag, 29.11.08
Raum E42 | Juristische Fakultät der Humboldt-Unviersität zu Berlin | Bebelplatz 1
09.30 – 09.45 Begrüßung, Übersicht über das Seminar (Prof. Norbert Pütter)
1. Teil: Neustrukturierung der Bundesdeutschen Sicherheitsarchitektur
10.45 – 11.15 Die Entgrenzung der Bundespolizei – Die Entfaltung des ehemaligen
Bundesgrenzschutzes im Landesinnern (Albrecht Maurer/ Martina Kant)
Der 2005 in Bundespolizei umbenannte BGS erlebt derzeit die dritte Organisationsreform seit 1990. Die Gründungslegende des BGS ist nach dem Schengen-Beitritt der osteuropäischen EU-Nachbarstaaten und der Schweiz endgültig erledigt, die Bundespolizei hat nun definitiv keine eigentlichen Grenzkontrollaufgaben mehr. Dieser Block sollte herausarbeiten, dass sich die Bundespolizei einerseits zur Bundesmigrationspolizei und andererseits zur flexiblen Personalressource sowohl für Einsätze im Inland als auch im Ausland entwickelt.
11.30 – 13.00 Das neue BKA-Gesetz – Das Bundeskriminalamt auf dem Weg zu einer
Bundesgeheimpolizei (Dr. Fredrik Roggan)
Der derzeit in Beratung befindliche Gesetzentwurf ist vor allem wegen der darin enthaltenen Befugnis zur „Online“-Durchsuchung berüchtigt; dass das Amt nunmehr neben seinen strafverfolgerischen auch präventive Aufgaben erhält, geht in der öffentlichen Debatte unter. Vor dem Hintergrund der Geschichte des BKA ist hier herauszuarbeiten, wie sich das Gewicht des Amtes in der bundesdeutschen Polizeilandschaft ändert und welche Konsequenzen dies nach sich zieht.
Mittagspause
13.45 – 15.15 Sicherheitspolitische Wiedervereinigung – Vom Informationsaustausch zur
umfassenden Vernetzung von Polizei und Geheimdiensten (Jan Woerlein)
Einen anlassbezogenen Informationsaustausch zwischen Polizei und Geheimdiensten hat es seit den 50er Jahren gegeben. Mit den Geheimdienstgesetzen von 1990 erhielt er eine förmliche Rechtsgrundlage. Seit den 90er Jahren und vermehrt seit dem 11. September 2001 sind neue institutionalisierte Formen der Kooperation entstanden. Herauszuarbeiten wäre hier, wieso das zum Gebot der Zusammenarbeit umdefinierte Trennungsgebot kaum mehr als Bezugspunkt linker Kritik taugen kann.
15:30 – 17.00 40 Jahre „Reform“ der staatlichen Gewaltapparate in der Deutschland
(Prof.
Dr. Norbert Pütter)
Seit den 70er Jahren reißen die „Reformen“ von Polizei und Geheimdiensten in
der Bundesrepublik nicht ab. Die aktuelle Entwicklung setzt diese langfristigen
Veränderungen forciert fort: Zentralisierung und Vergeheimdienstlichung der
Polizeien, Zusammenarbeit mit Geheimdiensten und Militär, undurchsichtige
Praktiken im Windschatten immer neuer Bedrohungsszenarien. Wandelt sich die
Bundesrepublik endgültig zum Überwachungsstaat?
Sonntag, 30.11.08
Raum 2014a | Hauptgebäude der Humboldt-Unviersität zu Berlin | 1. Obergeschoss Ostflügel
2. Teil: Sicherheitsarchitektur in der EU
09.30 – 10.45 Der neue Fünfjahresplan der EU – Aspekte der Entwicklung des
EU-Staatsgebildes (Dr. Heiner Busch)
Nach den „Schlussfolgerungen“ des Europäischen Rates von Tampere 1999 und dem Haager Programm von 2004 ist nun ein drittes Fünfjahresprogramm für die Innen- und Justizpolitik der EU in Vorbereitung. Die unter der deutschen Präsidentschaft eingesetzte „future group“ hat dazu eine Vorlage erarbeitet. Dieser Einstiegsblock in den zweiten, EUbezogenen Teil der Veranstaltung sollte nicht nur die neuen Bestandteile des zu erwartenden Programms präsentieren, sondern gleichzeitig einen Aufriss der EU-„Sicherheitsarchitektur“ bieten. Dies ist um so mehr angesagt, als die folgenden Blöcke nur Schlaglichter auf die Gesamtentwicklung des EU-Staatsgebildes werfen können.
11.00 – 12.15 Mobile Daten, begrenzte Kontrolle: Auf dem Weg zum europäischen
Binnenmarkt
für Polizeidaten (Eric Töpfer)
Informationsaustausch steht seit den Anfängen der europäischen Polizeikooperation
auf ihrer Tagesordnung. Das Haager Programm hat das „Prinzip der Verfügbarkeit"
postuliert, nach dem die nationalen Datenbanken für andere Mitgliedstaaten zu öffnen
sind. Mit dem Vertrag von Prüm und seiner Überführung in EU-Recht ist der erste
Schritt zum pan-europäischen Netzwerk gemacht. Noch behindern Kompatibilitätsprobleme
seine Realisierung. „Konvergenz" ist daher das Motto, das jüngst für die
Weiterentwicklung der EU-Innen- und Justizpolitik ausgegeben wurde. Der Bericht von
der europäischen Großbaustelle polizeilicher IT-Zusammenarbeit wird der Frage
nachgehen, welche Probleme diese Entwicklung für Bürgerrechte und Datenschutz mit
sich bringt.
12.30 Abschlussdiskussion
Eine politische Kampagne zur EU-Sicherheitsarchitektur?
Die Teilnahme am Seminar ist kostenfrei, um Voranmeldung wird gebeten: info@cilip.de |