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Michael
Plöse Das Zivilrecht zu Studienbeginn
Radbruchs
Vom
"heutigen Römischen Recht" zur Entstehung des BGB
Beschreibung:
Seminararbeit im Rahmen des rechtsphilosophischen Seminars "Gustav
Radbruchs Rechtsphilosophie" bei Prof. Hasso Hofmann im SoSe
2000 an der Humboldt-Universität
I. Einleitung
Als
Gustav Radbruch 1898 ganz dem väterlichen Wunsch entsprechend
das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität
München aufnahm, waren die großen Schlachten um das
deutsche Zivilrecht bereits geschlagen. Dennoch steckte dieser
junge, verunsicherte Student, der “das eigentliche
Rechtsstudium mit wenig Passion, eher beiläufig betrieb”,
mitten drin in einer Zeit des rechtswissenschaftlichen Umbruchs in
Studium und Lehre, die ihn und seinen Kommilitonen die ganze
Vehemenz und Leidenschaftlichkeit, mit der die Diskussion um die
Entstehung des BGB geführt wurde, deutlich spüren ließ.
Radbruch begann seine zivil-rechtlichen Studien mit Savignys
“System des heutigen Römischen Rechts” von 1841
und den “Institutionen des römischen Rechts”
von Rudolph Sohm. Als er 1901 sein Staatsexamen ablegte, galt das
BGB zwar schon zwei Jahre, aber hatte als Konstrukt
spätpandektistischer Normierungskunst
mit seiner mangelhaften lebensnahen Anschaulichkeit kaum eines der
alten Lehrbücher ersetzen können. Von daher bedarf es
auch heute noch eines Rückblickes in die Tiefen des 19.
Jahrhunderts, um sich der Bedeutung und Denkschule des BGB und
seiner Rechtsinstitutionen bewußt zu werden.
II. Die Historische Schule des Friedrich Carl von
Savigny
II.1. Der Kodifikationsstreit -
Rechtsvereinheitlichung oder Rechtswerdung
Zu
Beginn des 19. Jh. befindet sich nicht nur die Rechtswissen-schaft
im Umbruch. Das Alte muß dem Neuen weichen. Mit der
französischen Revolution von 1789 hält in Europa das
Zeitalter der bürgerlichen Gesellschaft und der
Nationalstaaten Einzug. Das Heilige Römische Reich Deutscher
Nationen zerfällt endgültig, als Napoleons Truppen über
Europa hinwegrollen und 1807 auch die preußische Armee bei
Jena und Auerstedt unterliegt. Der bürgerlichen Revolution
folgt die industrielle; das erstarkende Finanzbürgertum
verdrängt die aristokratische Elite; den Feudalismus löst
der Manchesterkapitalismus ab. Die bürgerliche Gesellschaft
erreicht ihren Höhepunkt. Zum einen begrenzt sich das
Handels- und Produktionswesen längst nicht mehr nur auf die
Nationalstaaten, zum anderen zieht sich der Staat ganz im Sinne
von Adam Smith
aus der Lenkung der Wirtschaft zurück und überläßt
sie dem selbst regulierenden Prozeß der Gesellschaft.
Allerdings wird die wirtschaftliche Tätigkeit noch immer von
der Verschiedenartigkeit der Rechtsordnungen in den einzelnen
Nationalstaaten und durch eine Vielzahl unübersichtlicher
Policeiordnungen gebremst. Thibaut beschreibt den Rechtszustand
nach Abzug der napoleonischen Truppen als einen “endlose[n]
Wust einander widerstreitender, vernichtender, buntschäckiger
Bestimmungen, ganz dazu geartet, die Deutschen von einander zu
trennen, und den Richtern und Anwälden die gründliche
Kenntniß des Rechts unmöglich zu machen.”
Zugleich
findet unter dem Eindruck der französischen Revolution und
den ihr folgenden napolionischen Kriegen eine allgemeine Abwendung
vom Rationalismus der Aufklärung statt. Man ist plötzlich
wieder eifrig bemüht, nach gestaltenden Kräften im
eigenen Volkstum zu suchen. So wendet man sich verstärkt der
Vergangenheit zu, “um aus ihr für die Gegenwart zu
schöpfen und dieselbe zu erklären.”
Unter den Zeichen der Zeit werden die Rufe nach Einheit und
Freiheit der deutschen Nation und damit die Forderungen nach einem
einheitlichen Rechtswesen immer lauter.
Dem Wunsch nach Schaffung eines allgemeinen
Privatrechtsgesetzbuches für ganz Deutschland verleiht 1814
erstmals der Heidelberger Zivilrechtslehrer Anton Friedrich Justus
Thibaut (1772-1840) in seiner aufsehenerregenden Schrift “Ueber
die Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für
Deutschland” publizistischen Ausdruck.
Er
fordert zur “Festigung des bürgerlichen Zustandes”
den Erlaß eines einfachen, deutschen, den Bedürfnissen
des Volkes entsprechendenden und einheitlichen Gesetzbuches, das
an Stelle des verworrenen, kontroversenreichen und fremden Corpus
iuris treten sollte, um so alles veraltete und zersplitterte
römische wie deutsche Recht abzulösen. Thibaut hofft,
“daß ein einfaches Gesetzbuch, das Werk eigner Kraft
und Thätigkeit endlich unsern bürgerlichen Zustand, den
Bedürfnissen des Volks gemäß, gehörig
begründen und befestigen möge, und daß ein
patriotischer Verein aller Deutschen Regierungen dem ganzen Reich
die Wohlthaten einer gleichen bürgerlichen Verfassung auf
ewige Zeiten angedeihen lasse.”
Nicht
zuletzt wegen der leichten Lesbarkeit verfehlt die Schrift
Thibauts ihre Wirkung nicht und lenkt erstmals das breites
Interesse der Bevölkerung auf eine gesamtdeutsche
Kodifikation. “Der Geist der Zeit kam Thibauts Forderung
allerdings nicht entgegen.”
Seine Ideen wurzeln noch im Rationalismus der Aufklärung,
seine Sympathien gelten der französischen Revolution. Die
Einheit im Recht als erste Stufe zu einer neuen staatlichen
Einheit, getragen von der nationalen Begeisterung nach den
Befreiungskriegen, stellt zudem kaum eine aussichtsreiche
Forderung in einer Zeit dar, die durchdrungen ist vom
konservativen Partikularismus der Mächtigen. Aber es kommt
auch hinzu, daß selbst ein Teil der Liberalen sich von einer
Gegenschrift umstimmen läßt, die als prompte Antwort
noch im selben Jahr erscheint. Autor dieser Schrift mit dem Titel
“Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und
Rechtswissenschaft” ist Friedrich Carl von Savigny
(1779-1861). Der Berliner Universitätslehrer bringt darin
seine das statisch-systematische, materielle Naturrechtsdenken
Wolffscher Prägung entschieden ablehnende, prinzipiell andere
Vorstellung von Recht zum Ausdruck.
Zwar zielt er wie Thibaut auf die “Grundlage eines sicheren
Rechts, sicher gegen Eingriffe der Willkühr und ungerechter
Gesinnung; desgleichen [auf]
Gemeinschaft der Nation und Concentration ihrer wissenschaftlichen
Bestrebungen auf dasselbe Object.”
Allerdings bestreitet Savigny die Zweckmäßigkeit eines
Gesetzbuches, als stelbsttäuscherichen Versuch, die organisch
fortschreitende Rechtswissenschaft “zu vernichten, indem man
alle historischen Fäden zu durchschneiden und ein ganz neues
Leben zu beginnen versuchte.”
Vielmehr betont er den “organischen Zusammenhang des Rechts
mit dem Wesen und Charakter des Volkes.”
Danach werde das Recht nicht durch den Staat gesetzt, sondern
entstehe aufgrund der dem Volke innewohnenden rechtserzeugenden
Kraft als Gewohnheitsrecht aus dem Volk selbst heraus. Es sei
daher Aufgabe der Rechtswissenschaft durch behutsame, umfassende
Reformierung des geltenden zersplitterten Rechts auf der Grundlage
des gemeinen Römischen Rechts die Rechtseinheit
voranzutreiben, an deren Ende dann auch eine Kodifikation möglich
erscheine.
Das
Wort des 1779 in Frankfurt geborene Savigny wiegt mehr als das
Thibauts, so daß es sich schließlich durchsetzt. Damit
ist die Debatte um eine gesamtdeutsche Gesetzeskodifikation
zunächst entschieden. Man verfehlt jedoch das Wesentliche,
wenn man Savignys Anfechtung der thibautschen Forderungen als
bloßes Gelehrtengezänk abtut. Tatsächlich handelt
es sich um den verzweifelten Bewahrungsversuch des
Althergebrachten und eine Absage an die französische
Revolution, die sie tragende Aufklärung und den Liberalismus.
Denn, auch wenn Savigny das Produkt des unhistorischen Naturrechts
und die schlichte Spekulation der Vernunft in der Kodifikation zu
erkennen glaubt, so brauchte objektiv betrachtet sowohl die
Nationwerdung der Deutschen wie auch der kapitalistische
Warenmarkt ein jus commune, ein gesamt-deutsches Recht. Von daher
waren Savignys Haßtiraden auf den Code civil, “das
normierte Krebsgeschwür von Frankreichs verfluchter
Revolution”,
zwar von rezeptionsverhindernder Wirkung, aber der Substanz nach
letztlich erfolglos.
Die Einführung des BGB konnten sie nur verzögern.
II. 2. Savigny und das Programm der Historischen
Rechtsschule
Savigny,
den Radbruch als einen “der Romantik eng verbunden[en],
[...]
das geschichtliche Werden ehrfürchtig belauschende[n]
Gegner gesetzgeberischer Willkür, [...]
von jung an wunderbar ausgeglichen und von einem freundlichen
Geschick pfleglich emporgeleitet” beschreibt,
den Heinrich Heine dagegen als “süßlichen
Troubadour der Pandekten” abtut,
hat schon früh durch seine wissenschaftlichen Leistungen die
Aufmerksamkeit und Achtung der Fachwelt auf sich gelenkt. Nach
seiner akademischen Lehrtätigkeit in Marburg (1800-1804),
einer Studienreise auf den Spuren des Römischen Rechts, die
ihn nach Göttingen, Heidelberg, Straßburg und Paris
führte, und einer nur zweijährigen Professur in Landshut
(1808-1810) wird er an die neu gegründete Reformuniversität
nach Berlin berufen. Hier gehört er dem Kreis jener an, die
den Hegemonialanspruch Preußens verfechten. Sein
anfänglicher Glaube an den Fortschritt und Planbarkeit der
Gesellschaft durch Vernunft, wird durch die französische
Revolution und den Zusammenbruch des friderizianischen Preußens
nahezu ausgelöscht.
“Was haben wir erleben müssen”, schreibt er am
22. Dezember 1830 an Eichhorn, “und was wird noch folgen!
Mir ist in dieser letzten Zeit die gänzliche Unsicherheit
jeder Art von Vermögen so anschaulich geworden, daß mir
wenigstens schwerlich ein einbrechender Verlust unerwartet kommen
wird. Man muß auf den Untergang aller Verhältnisse, die
uns erfreulich sein und Sicherheit gewähren mögen,
gefaßt sein. Daß unser ruhiges Deutschland ein
Schauplatz von Unordnung geworden ist, gereicht mir zu einer
nationalen Beschämung.”
So ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß Savignys
Grundauffassung von der Entstehung des Rechts aus dem historisch
gewachsenen Wesen und Charakter des Volkes der politischen, Staat
und Gesellschaft erfassenden Restauration entspricht und allen von
Aufklärung und Naturrecht getragenen revolutionären
Gedanken eine klare Absage erteilt.
Es
ist Immanuel Kant (1724-1804), der die Vorstellungen des älteren
Naturrechts von der Existenz eines überpositiven Rechts ohne
geschichtliche Grundlage spektakulär und überzeugend
widerlegt hat. Wie Radbruch in seiner Rechtsphilosophie darlegt,
habe Kants Kritik der Vernunft gezeigt, “daß die
Vernunft nicht ein Arsenal fertiger theoretischer Erkenntnisse,
anwendungsreifer ethisch und ästhetischer Normen sei,
vielmehr nur das Vermögen, zu solchen Erkenntnissen und
Normen zu gelangen, ein Inbegriff nicht von Antworten, sondern von
Fragen, von Gesichtspunkten, mit denen man an die Gegebenheit
herantritt, von Formen, die erst durch die Aufnahme eines
gegebenen Stoffes, von Kategorien, die erst durch die Anwendung
auf ein gegebenes Material Urteile oder Beurteilungen bestimmten
Inhalts zu liefern vermögen,” die “niemals das
Produkt ‘reiner’ Vernunft, sondern immer nur ihre
Anwendung auf bestimmte Gegebenheiten - und deshalb niemals
allgemein, sondern immer nur für diese Gegebenheit gültig”
seien.
Auf diesen Zug springt Savigny auf, als er die
Erneuerung der Jurisprudenz als Wissenschaft wieder in der
Geschichtswissenschaft zu finden versucht.
Die
Methode der geschichtlichen Betrachtung des Rechtsgesche-hens ist
nicht ganz neu. Nachdem im ausgehenden 18. Jh. die Darstellung der
Rechtsgeschichte zu einer “Antiquitätendarstellung ohne
Anschluß an eine wissenschaftliche oder praktische
Behand-lung des geltenden Rechts herabgesunken” ist,
obliegt es Gustav Hugo (1764-1844), die römischen
Institutionen aus dem Geist der Zeit heraus verstanden zu wissen
und in ihren Wandlungen bis zur Gegenwart zu verfolgen. Man müsse,
lehrt Hugo, die Rechtser-scheinungen in der Geschichte ebenso
unbefangen, objektiv und vorurteilslos beobachten wie andere
Naturphänomene, um dann auf induktivem Wege ein auch
rationell den konkreten Gegebenheiten entsprechendes Recht
aufzubauen. Die eigentliche Quelle des Rechts sieht auch Hugo
daher nicht in den willkürlich erlassenen Gesetzbüchern,
sondern in der dem geschichtlichen Wandel unter-worfenen
Volksüberzeugung, der “Meinung der Nation”.
Hier
knüpft nun Savigny mit seiner Volksgeistlehre an. Er greift
auf die Vorstellungen Johann Gottfried Herders (1744-1803) vom
gemeinsamen Kulturbesitz einer Nation, also Sprache und Literatur,
zurück, durch den das Volk erst seine Individualität
erhielte und aus dem auch das Recht als Teil der nationalen
Gesamtkultur erwachse. Denn wie die Sprache so stehe auch das
Recht in einem organischen Zusammenhang mit dem Charakter des
Volkes, es entwickle sich zunächst durch Sitte und
Volksglaube, später durch Rechtswissenschaft, also durch
innere, stillwirkende Kräfte. Es sei also “durch die
gesammte Vergangenheit der Nation gegeben, doch nicht durch
Willkühr, so daß er zufällig dieser oder ein
anderer seyn könnte, sondern aus dem innersten Wesen der
Nation selbst und ihrer Geschichte hervorgegangen.”
Als naturnotwendiger Bestandteil der Volkskultur (und damit des
Volksganzen) müsse es wie die Kultur selbst organisch aus dem
“gemeinsamen Bewußtsein des Volkes”, aus dem
Volksgeist erwachsen.
Daher könne auch durch den Willen des Gesetzgebers kein Recht
erzeugt werden. Allein der Volksgeist vermag dem Recht durch die
geschichtliche Rechtfertigung Geltung zu verleihen.
Einzig
diese “strenge historische Methode” hält Savigny
für geeignet, die Brauchbarkeit des geltenden gemeinen
Römischen Rechts und der Partikularrechte wiederherzustellen.
Nur so sei es möglich “jeden gegebenen Stoff bis zu
seiner Wurzel zu verfolgen und so ein organisches Princip zu
entdecken, wodurch sich von selbst das, was noch Leben hat, von
demjenigen absondern muß, was schon abgestorben ist und nur
noch der Geschichte angehört.”
Gegenüber
der philosophischen Schule der Naturrechtler unter den Juristen
gilt es nun, eine geschichtliche Schule zu entwickeln. Da diese
Historische Rechtsschule “den Weg zur wahren Erkenntnis
unseres Zustandes”
nicht mehr in der Vernunft, sondern in der Geschichte sucht,
bildet sich auch eine gänzlich veränderte Vorstellung
vom Rechtssystem heraus. Nicht mehr a priori von der Vernunft
gewonnene Prinzipien vom Wesen der Natur des Menschen können
den Zusammenhang der Rechtsnormen herstellen, sondern die
historisch entstandenen je besonderen Rechtsinstitute, Rechtssätze
oder Rechtsbegriffe gilt es nun zuerst zu ergründen, um von
ihnen ausgehend zu dem aufzusteigen, was ihren gemeinsamen Gehalt
ausmacht, nämlich zu den ordnenden Prinzipien des Rechts. Das
System wird also nicht, wie im Vernunftsrecht, durch eine
Deduktion vom Allgemeinen zum Besonderen aufgebaut, sondern eher
umgekehrt auf induktivem Weg, vom Besonderen zum Allgemeinen.
Als
Ergebnis der umfassenden Historisierung des Rechts entsteht ein
neuer Wissenschaftsstil: die Pandektistik oder
Pandektenwissenschaft. Ihr theoretisches Fundament bildet die
historisch-syste-matische Methode. Die sozialethische Basis wird
durch die kantische Pflicht- und Freiheitslehre definiert. Der
diese Wissenschaft kennzeichnende Kernbegriff Pandekten entstammt
dem Hauptteil der justinianischen Kodifikation und wird daher auch
als Digesten bezeichnet. Er gibt bereits Aufschluß über
Arbeitsgegenstand und ideologische Verankerung dieser
Wissenschaft. Ziel der Pandektisten ist es nämlich, durch
Interpretation (Exegese) der justinianischen Pandekten, die sie
als überpositive Legitimationsgrundlage definieren, ein
dogmatisch widerspruchsfreies positives Rechtssystem zu formen und
Pandektenharmonistik unter den verschiedenen Pandektenlehrbüchern
herzustellen. Damit gelingt es gegenüber den reformunwilligen
Fürsten durch das Römische Recht auch eine gewisse
Rechtseinheit herzustellen, was den rechtspolitischen Programmen
und Bedürfnissen der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung
des 19. Jh. voll entspricht. Die Pandektistik als später
verbindliche, die Partikularrechte übergreifende
Rechtsdogmatik des gemeinen Rechts hat auch auf das Rechtsdenken
des Auslandes eingewirkt, insbesondere in der Schweiz, in
Österreich, Italien und England.
II.3. Kritik an der Historischen Rechtsschule
Veranlaßt
durch die Berufung Savignys zum preußischen Minister für
Gesetzgebung schrieb Karl Marx als “scharfsinniger
Beobachter der Jurisprudenz seiner Zeit”
1842 in der “Rheinischen Zeitung”: “Die
historische Schule hat das Quellenstudium zu ihrem Schibboleth
(hebr. = Losungswort) gemacht, sie hat ihre Quellenliebhaberei bis
zu dem Extrem gesteigert, daß sie dem Schiffer anmutet,
nicht auf dem Strome, sondern auf seiner Quelle zu fahren, sie
wird es billig finden, daß wir auf ihre Quelle zurückgehen,
auf Hugos Naturrecht.”
Und in der Tat kommt das Pandektenrecht ohne die Übernahme
der zentralen zivilrechtlichen Errungenschaften des angeblich so
“willkürlichen” Naturrechts (wie
Willenserklärung, Regeln über Irrtum und
Stellvertretung) gar nicht aus.
Weiterhin
richtet sich die verschieden motivierte Kritik an Savignys
Rechtsverständnis vor allem gegen die Vorstellung,
Rechtsent-wicklung sei wesentlich eine Frage des stillen Wachstums
eines Volksgeistes. Während Zippelius ihr vorwirft, mit den
Verhältnissen einer Industriegesellschaft nicht adäquat
zu sein, weil der “Volksgeist” den “in den
komplizierten und rasch sich wandelnden Verhältnissen der
modernen Industriegesellschaft” entstehenden
Entscheidungsdruck “gar nicht aufnehmen und zu hinreichend
differenzierten und präzisen Verhaltensregeln verarbeiten”
könne,
kritisiert Klenner, daß Savignys Volksbegriff “keine
soziologische Kategorie” sei und “erst recht keine
demokratischen Konsequenzen” zulasse.
Vielmehr sei das Forschungsprogramm der Historischen Rechtsschule
“von seiner embryonalen bis zu seiner klassischen Gestalt im
Wortsinn: Reaktion” gewesen. Sie habe den “organischen
Zusammenhang des Rechts mit dem Wesen und Charakter des Volkes”
beteuert, und doch dem deutschen Volk ein römisches
Rechtskleid nach dem Muster Papinians und Ulpians geschneidert.
Auch
Wesel fragt zurecht, “wieso der deutsche Volksgeist in den
letzten Jahrhunderten hauptsächlich römisches Recht
hervorgebracht haben soll.”
Die Antwort ist nicht zuletzt in der Motivation Savignys zu
suchen, die ihn als Aristokratensprößling bewog, den
Dienst an der Rechtswissenschaft der Karriere im Staatsapparat
vorzuziehen. Er hat sich bewußt entschieden, Professor zu
werden, weil er das Alte Reich und seine ausgediente Ordnung
gefährdet sah. Eine Tendenz, der er wenigstens durch das
Aufrechterhalten des Rechtes dieses Reiches, nämlich des
Römischen, entgegenzuwirken versucht. Bewahrung der alten
Ordnung durch ihre Anpassung an neue Gegebenheiten. Darin liegt
auch der Erfolg seiner Lehre. Denn für das liberale Bürgertum
assoziierte Geschichte in erster Linie Veränderung und
Entwicklung historischer Prozesse und zwar hin zu einer
bürgerlichen Gesellschaft. Durch ihren nach Rechtseinheit
strebenden länderübergreifenden Gültigkeitsanspruch,
ihre Rationalität und ihre Garantien an die Freiheit von
Eigentum und Vertrag, stellt die Historische Schule daher das
damals für den freien Markt der immer selbstbewußter
werdenden bürgerlichen Wirtschaftstätigkeit noch am
besten geeignetste Instrument dar.
II.4. Puchta und die Begriffsjurisprudenz
In den Werken der Schüler und Gleichgesinnten
Savignys bahnt sich ein grundlegender Wandel an. Savigny selbst
hat ihn durch die Verbindung der historischen mit der
systematischen, die innere Vernünftigkeit des Rechtsstoffes
eingeleitet. Die neue Richtung der Pandektistik hofft, die
Verpflichtung zur historischen Erfassung des Rechts durch eine
formal-begriffliche, systematisch-konstruktive Denkweise
ermöglichen zu können. Der juristische Formalismus hält
seinen Siegeszug. Der gesetzgeberische “Quietismus”
(Absage, Zurückhaltung) Savignys hat dem allgemeinen
Rechtsnotstand nicht abzuhelfen vermocht, dem sich eine auf den
zweifelhaften Fundamenten des Rechtspartikularismus nur unsicher
fußende Rechtswissenschaft nun ausgesetzt sieht. Das während
der Restauration resignierende liberale Bürgertum ist nicht
in der Lage, seine Lebensverhältnisse selbst zu verbessern.
Zudem entstehen durch die Umformung der alten Ständegesellschaft
zu einer Industrie- und Wirtschaftsgesellschaft neue rechtliche
Problemfelder. Sie können allein durch die Entfaltung des
Recht erzeugenden “wissenschaftlichen Geistes” nicht
bewältigt werden.
Der neue pandektistische Stil zielt auf pragmatische
Lösungen. Die schwer überschaubaren Stoffmassen des
gemeinen Rechts erscheinen durch ein kunstvolles, den Regeln der
formalen Logik ent-sprechendes System besonderer, materiell
bedeutsamer Begriffe beherrschbar. Seine Erstellung auf der
Grundlage der vernunftrechtlichen “Begriffspyramide”
Christian Wolffs wird zur zentralen Aufgabe der Juristen.
Den
strengen Begriffsformalismus der Pandektenwissenschaft bringt
Friedrich Puchta (1798-1846), Schüler und Nachfolger Savignys
am Berliner Lehrstuhl, zur vollen Blüte. Er gilt als der
eigentliche Begründer der formalen Begriffsjurisprudenz,
einer Vorläuferin des späteren Positivismus. Seine
“begriffsjuristische” Methode wird zur Grundlage der
künftigen Rechtsdokmatik. In seinem “Gewohnheitsrecht”
erkennt er dem wissenschaftlich gebildeten Juristen ein Monopol
für Theorie und Praxis des Rechts, also die ausschließliche
Kompetenz zur Rechtserzeugung zu. Es sei Aufgabe der Wissenschaft
allein, “die Rechtssätze in ihren systematischen
Zusammenhang, als einander bedingende und von einander
abstammende, zu erkennen, um die Genealogie der einzelnen bis zu
ihrem Princip hinauf verfolgen, und eben so von den Princpien bis
zu ihren äußersten Sprossen herabsteigen zu können.”
Dadurch, so meint Puchta weiter, könne man Rechtssätze
zu Tage fördern, die vorher noch gar nicht, weder als Gesetz
noch als Gewohnheits-recht, vorhanden gewesen seien. “So
tritt die Wissenschaft als dritte Rechtsquelle zu den ersten
beiden; das Recht, welches durch sie entsteht, ist Recht der
Wissenschaft, oder da es durch die Thätigkeit der Juristen
ans Licht gebracht wird, Juristenrecht.”
Das System wird so in zwei Richtungen durchlaufen:
Ausgehend von den vorgefundenen Rechtssätzen gelangt man,
indem man nach dem ihnen Gemeinsamen und sie Zusammenhaltenden
sucht, zu immer allgemeineren bzw. gewichtigeren Sätzen, bis
man schließlich die Spitze der Pyramide erreicht. Von dort
aus wieder zurücksinkend lassen sich immer konkretere
Rechtssätze ergründen oder sogar konstruieren, die
bisher noch gar nicht bestanden haben, sich aber ohne weiteres in
das System integrieren lassen. Die später sog.
Begriffsjurisprudenz stimmt im zweiten, deduktiven Teil ihrer
Systemkonstruktion also teilweise mit dem Vernunftrecht überein.
Puchta
fördert und belebt alle die Bestrebungen in der
gemein-rechtlichen Wissenschaft, die später in der Krise der
juristischen Romanistik Gegenstand heftiger Kritik werden: das
systematische Streben im Sinne einer möglichst lückenlos
erschöpfenden Zusammenfassung des ganzen Rechtsstoffes, die
Neigung zu allgemeinen Lehren und schließlich der Kult des
Begriffes. So bedeutet das Wirken Puchtas, der auf dem Gymnasium
ein Schüler Hegels, aber ein Gegner der Schule Hegels war,
zugleich auch eine gewisse Abkehr vom Historismus Savignys.
II.5. Das Privatrecht der Germanistik
Entsprechend
der Forderungen, des im Zuge der Industriellen Revolution als neue
Repräsentanten der Nation aufsteigenden über Besitz und
Bildung verfügenden Bürgertums, nach größtmöglicher
Vertrags- und Verkehrsfreiheit bei gleichzeitiger Garantie des
Eigentums entwerfen die Pandektisten ein nach ihrem Verständnis
liberales Verkehrsrecht. Dieses hat allerdings einen gewichtigen
Nachteil. Es ist für eine in Wirklichkeit stark limitierte
Gemeinschaft freier Individuen konzipiert, die nur auf die
Sicherung ihrer auf Eigentum gegründeten wirtschaftlichen
Freiheiten Wert legen, ohne zugleich auch demokratische
Mitspracherechte einzufordern.
Natürlich läßt ein solches Privatrecht die
Bedürfnisse der neuen Klasse von Industrie- und Bergarbeitern
außer Betracht. Bald schon offenbaren sich die Schwarzen
Löcher seines Sozialmodells. Auch auf den Schlüsselgebieten
der neuen Wirtschaftsgesellschaft, dem Arbeits-, Handels- und
Gesellschaftsrecht, versagt das Pandektenrecht. Sein
Instrumentarium ist unzeitgemäß und ungeeignet, die aus
der veränderten sozialen Realität entstandenen Fragen
rechtlich und praktisch angemessen zu lösen. Hier springt nun
die Germanistik ein. Ursprünglich eine Schwesterdisziplin der
Historischen Rechtsschule, mit der sie das Selbstverständnis
als geschichtliche Wissenschaft teilt, unterscheidet sie sich vor
allem durch die Pflege der germanisch-deutschen Kulturelemente des
Rechts.
Savignys
methodischer Ansatz von der organischen Bildung des Rechts aus der
Volksüberzeugung verstehen die Germanisten als Rückbesinnung
auf das ältere germanische und mittelalterlich-deutsche
Recht. In vielerlei Hinsicht ist die Germanistik besser auf die
Gegenstände ihres durchaus auch praktischen Interesses
vorbereitet als die Romanistik. Erst durch die Sichtung und
Edition der ältesten deutschen Rechtsquellen (Volksrechte,
Kapitularien, Stadtrechte, Rechtsbücher und Urkunden) gelingt
schließlich die Isolierung allgemeiner, grundlegender und
sich über die lokalen Besonderheiten hinaus erstreckende
Rechtsideen und Rechtsinstitutionen. Dieses in den partikularen
Rechten wiedergefundenen, vom gelehrten Recht weitgehend
unbeeinflußt gebliebenen Recht wird von der germanistischen
Rechtswissenschaft zum Gemeinen deutschen Privatrecht erhoben. Aus
ihm entwickelt u.a. der Berliner Rechtshistoriker und
Zivilrechtslehrer Otto von Gierke (1841-1921) wichtige dogmatische
Erkenntnisse zum deutschrechtlichen Genossenschaftswesen, zum
Verbandsrecht, Arbeits- und Dienstvertrag und zum allgemeinen
Recht der Persönlichkeit. Modern und aktuell geblieben ist
auch seine Forderung nach Berücksichtigung der “sozialen
Aufgaben des Privatrechts”.
Um
1830 leitet eine Gruppe um den nationalliberalen Georg Besler
(1809-1888) die Trennung der Germanistik von der Romanistik ein.
Beseler bezeichnet das Römische Recht als ein nationales
Unglück für Deutschland und wirft den Romanisten ein
mangelndes Eintreten für nationalpolitische Anliegen vor.
Fortan bekämpfen die Germanisten die Lehre der Romanisten von
der rechtserzeugenden Tätigkeit des Volkes durch die Juristen
als Repräsentanten desselben. Sie selbst greifen auf das
“reine Volksrecht” zurück,
von dem sie annehmen, es sei in nationalen Rechtsgewohnheiten
verkörpert. Daher bejaht Beseler auch die Laienbeteiligung in
den Gerichten und die parlamentarische Gesetzgebung als Ausprägung
des Volksrechtes. Auch Kodifikationen erscheinen vorteilhaft,
solange sie zum Volksrecht zurückzuführen und die in
Deutschland seiner Meinung nach seit der Rezeption des Römischen
und Kanonischen Rechts bestehende Doppelung des Rechts zu
beseitigen helfen.
Die
Heftigkeit des Streits, der zwischen den Germanisten und den
Romanisten ausbricht und schließlich zum Bruch der Einheit
zwischen beiden führt, wird nur vor dem geistigen und
politischen Hintergrund der deutschen Einigungsbewegung
verständlich.
Die Ernsthaftigkeit, mit der beide Schulen dieses letztlich
gemeinsame Ziel verfolgen, führt Romanisten und Germanisten
auf den gemeinsamen Deutschen Juristentagen nach 1860 wieder
zusammen.
III. Der Kampf ums Recht
Mit der Überwindung des begriffsjuristischen
Positivismus in der zweiten Hälfte des 19. Jh. hält auch
eine neue Epoche der Rechtswissenschaft in Deutschland Einzug. Sie
kommt in Gestalt einer verstärkte Hinwendung zu einem
naturalistischen Pragmatismus und damit zu den sozialen Funktionen
des Rechts. Den Umbruch leiten die herausragenden Juristen Rudolph
von Jhering (1818-1892) und Otto von Gierke (1841-1921) ein.
III.1. Der Zweck als Schöpfer des Rechts
(Jhering)
Jhering,
“der vormalige Vollender der wohl extremsten Position der
Pandektistik in der Form der Begriffs- oder
Konstruktionsjurisprudenz[,]
hat als erster mit schonungsloser Offenheit die Sterilität
des pandektistischen formalbegrifflichen Denkens angeprangert und
zugleich auf die Aufgaben einer erneuerten produktiven, auf
soziologischen Grundlagen zurückgreifenden Rechtswissenschaft
hingewiesen.”
In den ersten zwei Bänden seines großen Jugendwerkes
“Der Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen
Stufen seiner Entwicklung” (insges. drei Bände
1852-1865) hebt Jhering die Vernünftigkeit des in Deutschland
geltenden gemeinen römischen Recht als Vorbild der
Rechtsordnung auf den Prüfstand. Davon ausgehend versucht er,
paradigmatisch eine allgemeingültige “Naturlehre des
Rechts auf rechtsphilosophischem und emirisch-comparativem Wege”
zu entwickeln. Die kritische Analyse des römischen Rechts
dient der Offenlegung seiner symptomatischen Zwecktendenzen auf
den verschiedensten Entwicklungsstufen, um damit Natur und
Erscheinungsformen des geltenden Rechts ergründen zu können.
Durch die drei Fundamentaloperationen der juristischen Technik
will er das geltende Recht zu einem System gestalten
(Konstruktion). Und zwar durch Reduktion der komplexen
Rechtsverhältnisse auf ihre einfachsten Bestandteile
(Analyse) und deren Zurückführung auf Rechtsprinzipien
(Konzen-tration). Die so gewonnene Konstruktion kann auch so
vorgehen, daß die Rechtssätze auf die ihnen
zugrundeliegenden “einfachen Körper”, also die
für das ganze System als wesentlich angenommenen Begriffe,
zurückgeführt und durch Kombination dieser Begriffe neue
Begriffe und Rechtssätze entwickelt werden.
So lassen sich aus den verschiedenen Vertragspflichten
(Hauptleistungspflicht, Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen,
spezielle Nebenleistungspflichten, Schadensersatzpflicht u.ä.)
die Grundbegriffe “primäre Leistungspflicht” (für
Zahlung von Verzugszinsen und Schadensersatz) entwickeln. Aus der
Kombination beider Begriffe leitet sich nun eine sekundäre
Leistungspflicht her, die bereits primär eingreift, also ohne
das vorherige Entstehen einer primären Leistungspflicht. Die
Geburtsstunde der begriffsjuristischen Konstruktion der
Verpflichtung aus “culpa in contrahendo”.
Die
Abkehr Jherings von diesem als “höhere Jurisprudenz”
bezeichneten konstruktivistischen Denken der
Konstruktionsjurisprudenz kündigt sich in seinem dritten,
unvollendet gebliebenen Band vom “Geist des römischen
Rechts” an. An die Stelle der systematischen
Betrachtungsweise und Rechtstechnik treten nun soziologische
Aspekte. Es stellt sich die Frage nach den sozialen Zwecken,
Funktionen und Interessen von Recht, die Jhering bereits 1872 in
seiner aufsehenerregenden Schrift “Der Kampf ums Recht”
herumtrieb. Radbruch führt dazu aus: “An die Stelle des
dunklen Dranges setzt er den zielbewußten Willen als den
Träger der Rechtsentwicklung. [...]
Dem Irrationalismus der Historischen Schule stellt er von neuem
einen Rationalismus gegenüber, aber, anders als Hegel es tat,
auf ihrem eigensten Gebiet, nicht als ‘eine logische
Dialektik des Begriffs’, sondern als ‘die praktisch
zwingende des Zweckes’, nicht als eine philosophische,
sondern als eine historisch-soziologische Lehre.
Danach bestimmen die Kausalfaktoren Macht und Kampf die Entstehung
und Verwirklichung des Rechts. Dieser naturhaften Mechanik
folgende Wertung widerstreitender gesellschaftsbezogener
Interessen ermöglicht Jhering die Definierung der “Zwecke
als Schöpfer des Rechts”. Welchen Zwecken das objektive
Recht konkret zu dienen habe, beantwortet er in seinem
zweibändigen Werk “Der Zweck im Recht”
(1877-1883). Jhering sucht seine Antworten jedoch nicht wie die
Pandektistik im Begriff der Rechtsnorm, sondern in ihrem Zweck,
wie er aus den Motiven der Gesetzgeber und der Funktion, die der
Rechtssatz im kohärenten Rechtsganzen als Mittel der
Interessendurchsetzung und Befriedung hat, hervorgehe. Die
Interpretation der Normen müsse deshalb stets teleologisch
(griech. telos - Zweck, Ziel) erfolgen. Mit dieser auch heute noch
gewichtigen Auslegungsvorschrift, hat Jhering den sterilen
begrifflichen Dogmatismus durch die ratio legis (das funktionelle
Verständnis) der Rechtsnorm ersetzt.
III.2. Sozialrechtliche Strukturen des
Privatrechts (Gierke)
Anknüpfend
an herkömmliche Methoden und Auffassungen werden die
“sozialen Aufgaben der Rechtswissenschaft” von dem
Germanisten Gierke betont. Der seiner Herkunft nach eher
konservative Gelehrte sieht sich selbst als Sproß der
historischen Rechtsschule, an deren Grundidee von der Entstehung
des Rechts aus dem Volksgeist er festhält. Das hindert ihn
aber nicht daran, mit weit-blickenden Erkenntnissen und
Forderungen in bezug auf die besonderen sozialen Aufgaben es
modernen Privatrechts hervorzutreten. Der “atomisierenden
und individualisierenden Grundhaltung” des Pandektenrechts
setzt Gierke das Ziel entgegen, “ein volkstümliches,
ein deutsches, ein soziales gemeines Privatrecht” zu
schaffen.
Teilweise eilen seine Arbeiten seiner Zeit voraus. Besondere
Bedeutung gewinnt sie für die Entwicklung des Arbeitsrechts.
Dies gilt um so mehr für seine Lehre von der Fortbildung des
liberalen, den Warencharakter der Arbeit betonenden “freien
Arbeitsvertrag” im sozial-ausgleichenden Sinne, welche, die
personenrechtlichen Momente erkennend, in die Bestimmung des
Arbeitsvertrages als Treuedienstvertrag einmündet. Selbst der
Tarifvertrag läßt sich nach seiner Theorie von der
genossenschaftlichen Autonomie funktionsgerecht als Rechtsquelle
erfassen. Damit versucht Gierke in erster Linie die
Unzulänglichkeiten der Überschneidungen von öffentlichem
Recht und liberalem Privatrecht zu überwinden, deren Ursprung
in der Ungleichheit zu suchen ist, die sich aus dem Grundsatz
formaler Vertragsfreiheit bei gleichzeitiger faktischer sozialer
Abhängigkeit ergab.
IV. Das BGB - die Verwirklichung der deutschen
Rechtseinheit
Als 1871 das Deutsche Reich gegründet wird, ist
die Einheit im Zivilrecht nur z.T. durch das gesetzlich geregelte
Handelsrecht, die ADWO und in gewisser Weise durch ein
einheitliches Pandekten-recht, also wissenschaftlich hergestellt.
Aber es gibt noch immer erhebliche territoriale Unterschiede. In
linksrheinischen Gebieten gilt seit dem Beginn des 19. Jh. der
code civil von 1804, in Preußen das ALR, in Bayern der Codex
Maximilianeus Bavaricus Civilis von 1756 und in Sachsen das
Sächsische Bürgerliche Gesetzbuch von 1863/1865, das
neben dem code civil und dem österreichischen ABGB als
bedeutendste Kodifikation des 19. Jh. auf dem Gebiet des
bürgerlichen Rechts bezeichnet werden kann.
Einer
raschen Rechtsvereinheitlichung steht zunächst nicht nur die
Verfassung entgegen. Der Föderalismus der Einzelstaaten ist
im Zivilrecht stark geblieben und räumt dem Reichstag gem.
Art. 4 Ziff. 13 der Verfassung lediglich für das Schuldrecht
Regelungskompetenzen ein. Zudem begegnet “der
Codificationsgedanke [...]
noch jetzt häufigem und entschlossenem Widerstand”, wie
Rudolph Sohm (1841-1917) 1874 schreibt. “Es gilt zu zeigen,
dass die Codification des bürgerlichen Rechts nicht blos die
Folge politischer Ereignisse und Motive, sondern umgekehrt die
Folge der inneren Entwicklung des deutschen Rechts ist. Es sind
die Interessen des Rechtslebens, und zwar der juristischen Praxis,
welche die Codifikation des Privatrechts für ganz Deutschland
dringend fordern.”
Die Beschränkung der Gesetzgebungskompetenz wird schon bald
als zu eng empfunden. Dennoch scheitern die Anträge der
nationalliberalen Abgeordneten Johannes Miquel und Eduard Lasker
auf Erweiterung der Bundeszuständigkeit für das gesamte
bürgerliche Recht insgesamt vier Mal an Reichs- oder
Bundestag. Als es 1873 schließlich gelingt, mit einer großen
Reichstagsmehrheit und Zustimmung des Bundesrates in der Lex
Miquel-Lasker die Ausweitung der Gesetzgebungskompetenz des
Reiches auf “das gesamte Bürgerliche Recht, das
Strafrecht und das gerichtliche Verfahren” durchzusetzen,
sollen bis zur Ausfertigung des BGB noch 23 Jahre ins Land gehen.
IV.1. Vorkommission und Erster Entwurf
1874 beginnen die Vorarbeiten zur Schaffung eines
Bürgerlichen Gesetzbuches. Zunächst betraut der
Bundesrat eine aus fünf Juristen bestehende “Vorkommission”
mit der Aufgabe, Vorschläge über Planung und Methode der
zu erstellenden Kodifikation auszuarbeiten. Bei den Juristen
handelt es sich vorwiegend um Praktiker, die Präsidenten der
obersten Gerichte von Preußen, Sachsen, Württemberg und
Bayern sowie als einziger Theoretiker der Handelsrechtler Levin
Goldschmidt. Ihr Gutachten, das im wesentlichen zu einer
wissenschaftlichen Kodifizierung des vorhandenen Rechtsstoffes
rät, überweist der Bundesrat bereits im April 1874 dem
Justizausschuß zur Begutachtung.
Noch im selben Jahr betraut der Bundesrat eine erste
Kommission mit der Ausarbeitung eines Entwurfs für das
Bürgerliche Gesetzbuch. Zu ihren elf streng nach
Länderproporz berufenen Mitglieder gehören sechs
Richter, drei Ministerialbeamte, der in Leipzig lehrende Romanist
Bernhard Windscheid (1817-1892) und der zuletzt in München
tätige Germanist Paul von Roth. Vorsitz führt der
Präsident des Reichsoberhandelsgerichts Heinrich Eduard Pape.
In Anlehnung an das Sächsische Bürgerliche Gesetzbuch
legt die Kommission das Fünfbüchersystem fest. Für
jedes Buch wird einem Mitglied die Redaktion eines Teilentwurfes
übertragen, um sie ab 1881 wieder zu vereinheitlichen.
Infolge des Todes Franz von Kübels bleibt der Teilentwurf für
das Recht der Schuldverhältnisse, dessen Redaktion er
übernommen hatte, unvollendet und wird später durch das
Obligationenrecht des Dresdner Entwurfs zum Sächsischen BGB
von 1866 ergänzt.
Bei “Fragen von politischer Bedeutung”
nimmt das Reichsjustizamt als oberste Justizbehörde des
Reiches nicht unerheblichen Einfluß auf das Zustandekommen
von Gesetzesentwürfen. So greift es regelmäßig
ein, wenn Regelungen des Vereinsrechts geht. Aber auch die wenigen
sozialen Elemente des BGB gehen auf Initiativen des
Reichsjustizamtes zurück, die dem Schutzbedürfnis der
wirtschaftlich schwächeren Bevölkerungsschichten
jedenfalls teilweise im Miet- und Dienstvertragsrecht Rechnung zu
tragen versuchen.
Der von der Kommission erarbeitete erste Entwurf des
BGB werden 1887 dem Reichskanzler vorgelegt und 1888 zusammen mit
den Motiven veröffentlicht. Das entfacht in der
Öffentlichkeit eine lebhafte, teilweise scharfe Kritik. Man
erkennt zwar im allgemeinen die große technische Leistung
der Kommission an, zerreißt aber deren Ergebnis. Der Entwurf
entpuppt sich als doktrinär und enthält zahlreiche, das
Verständnis erschwerende Verweisungen. Als schärfste
Kritiker des ersten Entwurfs sind wohl der Wiener Professor für
Zivilprozeßrecht und Sozialist Anton Menger (1841-1906) und
Otto von Gierke zu bezeichnen.
In
seiner Schrift “Das bürgerliche Recht und die
besitzlosen Volksklassen” aus dem Jahre 1890 wendet sich
Menger leidenschaftlich gegen die Benachteiligung der armen
Bevölkerungsschichten durch das nur scheinbar neutrale
bürgerliche Recht. Das zeige sich vor allem darin, “daß
die Gesetzgebung von ihrem formalistischen Standpunkt aus für
reich und arm dieselben Rechtsregeln aufstellt, während die
völlig verschiedene soziale Lage beider auch eine
verschiedene Behandlung erheischt”.
Nach Ansicht Mengers handle es sich bei dem ersten Entwurf des BGB
um das Produkt der dem höheren Bürgertum zugeordneten
Juristen, die es zuließen, daß eine unbegrenzte
Privatautonomie bei ungleichen Startbedingungen die schwächeren
Individuen in wirtschaftliche Abhängigkeit und Unfreiheit
bringen würde.
Gierke
kritisiert den Entwurf in seiner Schrift “Der Entwurf eines
bürgerlichen Gesetzbuches und das Deutsche Reich” als
nicht deutsch, nicht volkstümlich und spricht von einem in
“Gesetzesprargraphen gegossenen Pandektenkompendium”,
das sich in der Hauptsache mit einer Kodifikation des Usus
modernus pandectarum begnüge. Es wende sich mit jedem seiner
Sätze an den gelehrten Juristen, nicht aber an das Volk. “Der
sittliche und soziale Beruf einer neuen Privatrechtsordnung
scheint in seinen Horizont überhaupt nicht eingetreten zu
sein.”
Einer besonders strengen Kritik unterwirft Grieke daher das dem
Entwurf innewohnende Sozialmodell. Die Verfasser hätten sich
von der Seele des Volkes und dem Pulsschlag der Zeit abgekehrt,
sich künstlich isoliert und in vornehmer Zurückhaltung
zunächst der Probleme juristischer Technik gewidmet. Dem
Entwurf wohne keine soziale Tendenz inne, dafür aber eine
rein individualistische und einseitig kapitalistische Tendenz “des
reinen Manchestertums”.
Der Entwurf sei gemeinschaftsfeindlich, er ziele “auf die
Stärkung des Starken gegen den Schwachen” und sei in
Wahrheit antisozial.
IV.2. Der zweite Entwurf
Ungeachtet der Mängel beharren bedeutsame
kritische Stimmen jedoch auf dem Fortgang der kodifikatorischen
Bemühungen im Interesse der nationalen Einigung. Es kommt zu
einer zweiten Lesung des Entwurfs, für die eine neue
Kommission eingesetzt wird, die aus 10, später 11 ständigen
und 12, später 13 nicht-ständigen Mitgliedern besteht.
Unter ihnen finden sich nunmehr auch Vertreter wirtschaftlicher
Interessen aus den erlauchten Kreisen von Großgrundbesitzern
und Bourgeoisie. Die Kritik Mengers und Gierkes erlangen keine
Beachtung. Die Kommission tagt nun aber öffentlich und
publiziert laufend die von ihr geänderten Teilentwürfe
der einzelnen Bücher, später auch die sog. Protokolle.
Auf der Grundlage des technisch wie substanziell brauchbaren
Ersten Entwurfs, durch Einarbeitung der reiche Anregung
vermittelnden Kritik, einer leichten Vereinfachung der Sprache und
die klaren Profilierung der Grundgedanken entsteht ein Gesetz, das
zwar den wirtschaftlichen und sozialen Anliegen gerechter wird,
aber im Wesentlichen nicht verändert hat.
IV.3. Dritter Entwurf und Verkündung
Die zweite Kommission bewältigt ihre Arbeit in
erheblich kürzerer Zeit als die erste (April 1891-Juni 1895).
Der neue Entwurf wird dem Reichskanzler 1895 überreicht, der
ihn unverzüglich in an den Bundesrat weiterleitet. Dieser
berät in relativ kurzer Zeit in seinem Justizausschuß
und nimmt dabei in einigen Punkten noch Änderungen vor, ohne
jedoch die Gesamtkonzeption anzutasten.
Am 17.1.1896 geht dieser Dritte Entwurf zusammen mit
einer Denkschrift des Reichsjustizamtes als Gesetzesvorlage an den
Reichstag. Dieser nimmt die verfassungsmäßig
vorgeschriebenen drei Lesungen vor und überweist ihn nach der
ersten Plenardebatte, wie in solchen Fällen üblich,
einer Kommission von 21 Reichstagsabgeordneten. In dieser wird der
Entwurf noch einmal umgearbeitet, wobei sich nicht alle Abänderung
als vorteilhaft erweisen sollten. Andere wiederum, z.B. das neu
eingefügte eigenhändige Testament, werden von der Praxis
positiv aufgenommen.
Bei der zweiten und dritten Lesung im Reichstag
stehen betont innenpolitische Fragen im Vordergrund. Teilweise
werden die Vorschläge der Reichstagskommission auch wieder
beseitigt. Die Sozialdemokratie drängt zur Ergänzung des
unzureichenden Dienstvertragsrechts durch ein gesondertes
Arbeitsvertragsgesetz. Als das scheitert, stimmen alle 42
Sozialdemokraten bei der Abstimmung am 1.7.1896 gegen das Gesetz.
Mit der Mehrheit der Nationalliberalen und des Zentrums von 222
Stimmen wird das Gesetzbuch angenommen.
Der Bundesrat erteilt am 14.7.1896 seine Zustimmung
zu den vom Reichstag gefaßten Abänderungen und Kaiser
Wilhelm II. fertigt das Gesetz am 18.8.1896 aus. In der am 24.
August ausgegebenen Nummer 21 des Reichsgesetzblattes wird es
verkündet und tritt schließlich am 1.1.1900 als
Bürgerliches Gesetzbuch für das Deutsche Reich (BGB) in
Kraft.
IV.4. Wesen und Wertung des BGB
“Das
BGB ist ein typisches Produkt des 19. Jahrhunderts, in
Gesetzesform gegossenes Pandektenrecht, dessen System,
Terminologie und hohes Abstraktionsniveau es übernommen
hat.”
Juristisch gesehen ist es also keine Schlechte Arbeit. Es verfügt
über eine klare Systematik, kasuistische Gründlichkeit
und hohe dogmatische Regelungsperfektion. Es stellen sich zwar
bald nach Inkrafttreten einige Unzulänglichkeiten heraus,
aber die können durch Rechtsprechung und Wissenschaft schnell
beseitigt werden. In seinem Aufbau folgt es dem methodischen
Prinzip des Aufsteigens und Fortschreitens vom Allgemeinen zum
Besonderen. Das dafür notwendige technisch ausgefeilte
Begriffsinstrumentarium und das hohe Maß an
Abstraktionsvermögen machen das Gesetzbuch jedoch wegen
seiner ungenügenden Anschaulichkeit für Studienanfänger
und Laien problematisch und nur schwer zugänglich.
Ungeachtet
seiner technischen Perfektion spiegelt es die politischen,
sozialen und ökonomischen Verhältnisse seiner
Entstehungszeit wider. “Mit allen Kodifikationen teilt es
das Schicksal der Unvollkommenheit und des teilweisen
Veraltetseins schon zum Zeitpunkt des Inkrafttretens.”
Der Entwicklungsprozeß der Industriegesellschaft seit Beginn
des 20 Jh. vergrößert den Vorsprung der
Rechtswirklichkeit vor der durch die Gesetzgebung
festgeschriebenen Rechtsordnung. Aus der Beurteilung des
Gesetzbuches als “spätgeborenes Kind des klassischen
Liberalismus und Frucht der Pandektenwissenschaft”,
lassen sich die Grundzüge des ihm innewohnenden Sozialmodells
deutlich ableiten.
Mit
seinen liberalen Grundgedanken, ganz unter dem Schutz der
Privatautonomie, den eigenen Lebensbereich durch Garantie von
Eigentumsfreiheit und Testierfreiheit selbst zu gestalten,
orientiert sich das BGB mit seiner formalen Rechtsordnung
lediglich am Besitzbürgertum, an den mittelständischen
Landwirten und den Unternehmern. So feiert sich denn die formale
Gleichheit als jene “majestätische Gleichheit der
Gesetze, die den Armen wie den Reichen verbietet, unter Brücken
zu schlafen, auf den Straßen zu betteln und Brot zu
stehlen”.
Das nämlich ist in der Konsequenz der rechtspolitsche
Hintergrund einer juristischen Abstraktion, die von allen
Besonderheiten absieht und jeden Rechtsvorgang gleich behandelt.
Durch die Bindung der zivilrechtlichen
Freiheitsrechte an allgemeine Interessen (§§ 138, 157,
242, 903) hat sich der Gesetzgeber die Möglichkeit offen
gelassen, zum Wohle der Allgemeinheit in die absoluten Schutzgüter
des Zivilrechts einzugreifen. Zudem erlaubt ein Netz allgemein
weitgefaßter Generalklauseln die Offenheit des Rechtssystems
gegenüber den wechselnden Anforderungen des Rechtsverkehrs
und eine Berücksichtigung neuer Ordnungsfaktoren oder
Leitwerte im Privatrecht.
Gegenwärtig
sieht sich allerdings die durch das Prinzip der Privatautonomie
nur formal ausbalancierte bürgerliche Rechtsordnung den
elementaren Problemen der modernen Massen- und
Wirtschaftsgesellschaft ausgesetzt, vor denen die
Regelungsinstrumentarien des Gesetzes zu kapitulieren drohen. “Es
ist deshalb vorrangige Aufgabe der Rechtsprechung als Medium der
Rechtsfortbildung, mit den Mitteln der Rechtsdogmatik nach einer
Neubestimmung der Sinngehalte der Privatrechtsnormen zu suchen, um
die sozialrechtlichen Forderungen einer nicht mehr am
individualistischen, sondern kollektivistischen Liberalismus
orientierten freiheitlichen, pluralistischen Gesellschaft zur
Geltung zu bringen.”
Das sind nun allerdings Dimensionen, in denen der
22jährige stud. jur. Gustav Radbruch noch nicht gedacht haben
wird, als er sich Ende des Jahres 1900 auf das ein Jahr später
bevorstehende Staatsexamen vorbereitet. Auf jeden Fall aber hat
ihm das Hardcover der “in Gesetzesform gegossenen
Padektenrechte” das Büffeln der Rechtsquellen erspart
und durch praktische Hausnummer ersetzt. Vielleicht klang also
auch in Radbruch das Loblied Wildenbruchs nach, wenn er in den
kopiererlosen Bibliotheken das Zivilrecht repetierte:
Das
deutsche Recht (Fn. 59)
Durch
Not gewandert und durch lange Nacht, Zum Leben immer wieder
auferwacht, Was hielt, o Deutschland, aufrecht Dich im
Streit? Glauben an ewige Gerechtigkeit. Des heil’gen
Glaubens war Dein Herze voll, Dass nicht dem Zufall diese Welt
entquoll, Dass nicht die Willkür herrschend drüber
steht, Dass
ein Gesetz durch Welt und Zeiten geht: Gut ist das Gute, und
das Schlechte schlecht, Und immer bei der Wahrheit ist das
Recht. So grossem Inhalt hast Du Wort gesucht, Im Wahrspruch
hast die Wahrheit Du gebucht; Und wie die Väter einst das
Recht erkannt, So ward’s geschrieben von der Väter
Hand. Doch wechselnd spiegelte das Bild des Rechts Sich im
Gemüt zerklüfteten Geschlechts; Der Satz, den man im
Norden ausgeprägt, Er ward im Süden still beiseit’
gelegt, Und zu dem Wort, daran der Süd
geglaubt, Schüttelte Deutschlands Norden kühl das
Haupt. Wie Gartenwildnis, wie ein Labyrinth, Wo Irregang des
Wandrers Fuss umspinnt, In Staat und Stadt, wo nur ein
Kirchturm stand, Den Folianten zeugend der Foliant, So
spross und schoss im Wucher-Wuchs geschwächt, Das Recht
der Deutschen, doch kein deutsches Recht. Bis dass nach
Zwietracht, Wirrsal, Scham und Gram Endlich die Stunde des
Besinnens kam. Da war’s, als wenn der Star vom Auge
fiel, Vor allen Augen plötzlich stand das Ziel. Sehnsucht,
die im Vereinzelten gebrannt; Als Sehnsucht Aller wurde sie
erkannt; Es heischte neu geborenes Geschlecht Mit ihm
gebor’nes ein’ges neues Recht. Vollendet ward es,
und das Werk ist da. Beglückte Stunde, die es werden
sah! Nun wandelt durch das deutsche Vaterland Gerechtigkeit
im heimischen Gewand. Sie spricht, und jedem Ohre klingt’s
vertraut, Denn in der Muttersprache tönt ihr Laut. Aus
ihres Volkes tiefstem Seelenschatz Schöpft sie ihr Wort,
Wahrspruch und Rechtes Satz.
O
Deutschland, Du im Kampf vereint und Schlacht, Und nun geeint
durch Rechtes Friedensmacht, Erkenne, dass zu jedem höchsten
Thun In Deiner eignen
Brust die Mächte ruh’n.
Literaturverzeichnis
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