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GENUA 2001 - 2004
Chilenische Nächte und die italienische Strafjustiz

Mittwoch, den 23. Juni 2004 – 19.30 Uhr (c.t.)
im Audimax der Humboldt-Universität zu Berlin
(Unter den Linden 6, Tram: 13, 52, Bus: 100, 200, 348)


Eine gemeinsame Veranstaltung
des arbeitskreises kritischer juristinnen und juristen,
des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV),
der Berliner Rechtsanwaltskammer
und der Vereinigung Berliner Strafverteidiger e.V.

Podiumsdiskussion anlässlich der am 26.Juni 2004 in Genua beginnenden gerichtliche Anhörung von 76 - (nur) wegen der Teilnahme am Überfall auf die Diaz-Schule am 20. Juni 2001 angeklagten Polizeibeamten. Mit folgenden ReferntInnen:

  • Rechtsanwältin Eva Lindenmaier, Vertreterin von Opfern der Polizeigewalt in Genua
  • NN, Betroffener
  • Dario Azzelini, Journalist
  • Rechtsanwalt Bernd Häusler, Vizepräsident und Menschenrechtsbeauftragter der Berliner Anwaltskammer
  • Rechtsanwalt Dr. Stefan König, Vorsitzender der Vereinigung Berliner Strafverteidiger e.V.
  • Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, Vorsitzender des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV)

Hintergrund

Am 19. bis 21. Juli 2001 protestierten über 300.000 Menschen gegen die Politik des G 8 - Gipfels in Genua/Italien. Der Massenmobilisierung der sogenannten Antiglobalisierungsbewegung folgte eine ungewohnt harte und brutale polizeiliche Repression. Der junge Demonstrant Carlo Giuliani wurde am 20. Juli 2001 von einem Carabinieri erschossen - das Strafverfahren gegen den Schützen ist inzwischen eingestellt. In der Nacht vom 21. auf den 22. Juli 2001 ("Chilenische Nacht") stürmten Sondereinheiten der italienischen Polizei die Schule A. Diaz, in der DemonstrantInnen und Journalisten übernachteten. Von den 93 anwesenden Personen, darunter etliche Deutsche, wurden über 60 zum Teil schwer verletzt. Viele mussten blutüberströmt mit eingeschlagenen Schädeln und Zähnen und Knochenbrüchen auf Krankenbahren herausgetragen werden. Die Festgenommenen wurden wie weitere ausserhalb von Genua fern der Proteste verhafteten Personen über Wochen in Polizei- und Untersuchungshaft misshandelt und gefoltert. Die anschliessenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ergaben, dass die von der Polizei für die Räumung der Schule veröffentlichten Gründe unzutreffend, die angeblichen Beweise gefälscht waren.

Am 26.Juni 2004 beginnt in Genua die gerichtliche Anhörung von 76 - (nur) wegen der Teilnahme an den Diaz- Schule- Ausschreitungen angeklagten- Polizeibeamten. Schon seit dem 2. März 2004 stehen 26 ProtestteilnehmerInnen wegen Bildung krimineller Vereinigung, subversiver Vereinigung und Verwüstung/Plünderung aufgrund von Strafvorschriften, die teilweise aus Mussolinis Zeiten stammen, in Genua vor Gericht. Der Italienische Staatschef Berlusconi hat sich der öffentlichen Klage als Nebenkläger angeschlossen. Es drohen zwischen 8 und 15 Jahren Freiheitstrafe. Eine Anklage 50 weitere ProtestteilnehmerInnen wegen ähnlicher Vorwürfe wird für die nächsten Tage erwartet.

Das Vorgehen der Polizei in Genua bedeutet sowohl wegen der Massivität und Brutalität als auch wegen der öffentlichen Zustimmung der Berlusconi-Regierung eine neue Qualität von Menschenrechtsverletzungen gegenüber sozialen Bewegungen durch Polizeikräfte in Europa. Während die verletzten Opfer and weitere Personen wegen fadenscheiniger Vorwürfe teilweise noch Wochen in Untersuchungshaft sassen, wurden bisher nur wenige disziplinarische Massnahmen gegen die Polizisten ergriffen. Trotz schwerster Verletzungen befand und befindet sich kein einziger Polizist in Untersuchungshaft. Ohne eine öffentliche Auseinandersetzung mit den Vorfällen in ganz Europa droht Straflosigkeit für die Polizeibeamten und eine Verurteilung von ProtestteilnehmerInnen aufgrund fragwürdiger rechtlicher und tatsächlicher Konstruktionen zu drastischen Strafen.

In einem Europa, das sich anschickt einen einheitlichen "Raum der Freiheit, der Sicherheit, und des Rechts " zu schaffen und auf seine hohen Grund- und Menschenrechtstandards verweist, kann ein derartiges staatliches Vorgehen keine innerstaatliche Angelegenheit bleiben. Die Durchsetzung demokratischer und rechtsstaatlicher Verhältnisse in der Europäischen Union ist ein politisches und rechtliches Problem, dem sich vor allem auch Juristen- und Anwaltsorganisationen widmen müssen. Die Teilnahme an Demonstrationen in den EU- Mitgliedstaaten darf nicht zum Risiko für Leib und Leben und zur Auslieferung an behördliche und juristische Willkürakte führen. Dies gilt umso mehr als im Zeitalter der zunehmenden polizeilichen Zusammenarbeit in Europa sowie des Europäischen Haftbefehls in Zukunft staatliche Sanktionen in anderen EU- Mitgliedsstaaten vollstreckt werden könnten, ohne dass ein faires Verfahren garantiert wäre. In Italien kann in Abwesenheit verhandelt und verurteilt werden. In dem seit März laufenden Verfahren gegen 26 ProtestteilnehmerInnen treten nur 10 Verteidigerinnen auf, die unter ungünstigsten Bedingungen teilweise unbezahlt arbeiten müssen. Aus diesem Grunde wollen wir auf die Zustände in Genua 2001/2004 hinweisen und über die laufenden Prozesse Aufklärung leisten. Denn für Europa gilt : Was heute in Italien vorexerziert wird, kann morgen schon in den anderen Mitgliedstaaten Wirklichkeit werden.

Weiterführende Artikel:

  • Jungle World von federica matteoni [No.23/2004]: "Zwischenergebnis 76:76"
    50 neue Verfahren drohen: endlich Gleichstand bei den Ermittlungen gegen Polizisten und Demonstranten wegen des G 8-Gipfels in Genua 2001

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