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No.
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Wie man durch die Umstrukturierung der Universitäten das gesellschaftspolitische Bewußtsein der nächsten Generationen plant Über
die gesellschaftspolitischen Ziele |
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Destruktion der Kernthese»Das zugrunde liegende Dogma in der Argumentation des CHE«»Das zivilisatorische Versprechen von Institutionen«»Die Utopie einer demokratischen Universität«»Universitäten als Orte der gesellschaftlichen Selbstverständigung«»Die Selbstaufgabe der Zivilisation«»Der Verrat des zivilisatorischen Freiheitsversprechens, das einst an Institutionen gebunden war«»Die große Debatte in der Philosophie des 20. Jahrhunderts«»Institutionen als Gewalten, die den in sie eintretenden Menschen verbrennen und konsumieren«»Der Krieg als einzig verbliebene Lebensform « |
Die Frage muß gestellt werden, welche gesellschaftspolitischen
Motive und hintergründigen Wertmaßstäbe in der Argumentation des CHE
der Bertelsmann-Stiftung eigentlich wirksam sind. Mehrfach spricht nämlich
Detlef Müller-Böling (Leiter des CHE) in dem unter seinem
Namen erschienenen Buch „Die
entfesselte Hochschule“ von einem „Überlebenskampf der Organisationen“.
Müller-Böling zufolge ist eine Neuorganisation der Universität nach
einer betriebswirtschaftlichen Logik notwendig, „wenn eine Organisation
über kurz oder lang überleben will.“(7) Ebenso widersinnig ist es aber, den Wert einer Organisation
einzig und allein vom Maßstab ihrer Überlebensfähigkeit in einem darwinistischen
Wettkampf mit anderen Organisationen abzuleiten. Denn dann bestünde
ja der Sinn der Zivilisation in nichts anderem, als daß große wirtschaftliche
Organisationseinheiten entstehen, die in einen unendlichen Wettkampf
zueinander treten. Organisationen und Institutionen sind aber Gebilde,
die ursprünglich im Dienste des Menschen stehen sollten. Bevor sie –
wie Lucàses
in Reaktion auf den ersten Weltkrieg 1920 aussprach – zur „Schädelstätte
vermoderter Innerlichkeiten“(8) Wie sehr dieser humanistische Anspruch auch noch im 20. Jahrhundert für die Gründung von Universitäten bestimmend gewesen ist, zeigt eine 1967 verfaßte und auf das Jahr 1948 rückblickende Notiz von Klaus Heinrich, einem der Mitbegründer der Freien Universität.
Die Gründer der Freien Universität verbanden mit ihrem Engagement die Hoffnung, daß die zweite Demokratie in Deutschland nicht das Schicksal der ersten erleide. Daß die Freie Universität ein Ort intellektueller Geistesgegenwart werden möge, der jene innere Aushöhlung verhindern könne, an der einst die Weimarer Republik zugrunde gegangen war. Insofern die Studenten der Universität sich als Bürger der Universität verstanden, brachten sie zum Ausdruck, daß sie die Universität als eine Miniatur der Gesellschaft ansahen. Intellektuelle Selbstverständigungs-prozesse, die im Mikrokosmos der Universität stattfanden, sollten von dort aus auf die gesamte Gesellschaft als Makrokosmos ausstrahlen. Aus diesem Verständnis folgt zwingend eine demokratische Organisation der Hochschule. Klaus Heinrich hoffte 1967 noch auf eine mögliche Veränderung der Gesellschaft durch die Universität. Dabei jedoch setzte er in der Öffentlichkeit ein zumindest im Ansatz vorhandenes Bewußtsein von Demokratie voraus, das man ansprechen, an welches man appellieren konnte. Doch was geschieht, wenn dieses nicht mehr existiert? Wenn die Steuerung gesellschaftlicher Verständigungsprozesse durch Massenmedien zum Normalzustand geworden ist? Wenn die Aushöhlung jeglicher Volkssouveränität durch das professionelle Lobbying großer internationaler Konzerne als Gott gegebener Zustand akzeptiert wird? Dann verliert die Universität die Möglichkeit, die Gesellschaft zu verändern! Eine Gesellschaft, der jeglicher inhaltliche Begriff von Demokratie verloren gegangen ist, kann auch von Seiten der Universität nicht mehr ohne weiteres an diesen erinnert werden. An die Stelle der Veränderung der Gesellschaft durch die Universität tritt dann die Anpassung der Universität an die Gesellschaft. Die demokratisch organisierte Hochschule wird zu einem Relikt vergangener Zeiten, einem Fossil, dessen gesellschaftspolitischen Auftrag niemand mehr versteht. Die Universität gerät in die paradoxe Situation, Prozesse realer Entdemokratisierung, wie sie in der Gesellschaft in den letzten 20 Jahren stattgefunden haben und die unabweisbar einen gesellschaftlichen Rückschritt darstellen, als vermeintlichen Fortschritt nachzuvollziehen. Nach mehreren Jahrhunderten der Neuzeit und der Aufklärung und 60 Jahre nach der letzten großen Katastrophe ist also eine Situation eingetreten, in der das Bewußtsein des Emanzipationsanspruchs, der einst in die Gründung verschiedener Institutionen eingegangen ist, gänzlich verlorengegangen ist. Sie sind wirklich zu einer „Schädelstätte vermoderter Innerlichkeiten“ geworden. An die Stelle des Bewußtseins von Freiheit ist vielmehr der naturwüchsige Zwang getreten, im Wettstreit mit anderen Organisationen zu überleben, ohne daß noch irgend jemand zu sagen vermöchte, welchen humanen Zielen die Fusion verschiedener Bildungskonzerne zu immer größeren und mächtigeren Einheiten überhaupt dient. Die Gesetze des Dschungels, nach denen das wilde Tier sein Überleben zu sichern hat, scheinen das geheime Vorbild für jenen entfesselten Weltmarkt zu sein, auf dem gigantische Konzerne zu immer größeren Einheiten fusionieren. Und alle menschlichen Güter vom Trinkwasser, über das Wissen, die Kultur und sogar seelische Bedürfnisse, ja schließlich auch die DNA aller möglichen Pflanzenarten in die Kapitalakkumulation eingebunden werden und erst durch diese Einbindung ihren vermeintlichen Sinn und Wert erhalten. Aus den Universitäten – man muß es sich immer wieder vergegenwärtigen – die einmal Orte der geistigen Selbstverständigung der Gattung Mensch im Vollzug ihrer Geschichte waren, sollen nun Organisationseinheiten werden, die sich im Interesse ihres Überlebens der Umwelt anpassen. Nichts drückt sinnfälliger aus, daß die Neuzeit als Zeitalter und damit auch ihr humanistisches Selbstverständnis wahrscheinlich an ihr Ende gekommen ist. Denn an deren Beginn gewann der Mensch erstmals in seiner Geschichte Bewußtsein davon, daß er als ein geistig bestimmtes Wesen der blinden Notwendigkeit von Naturprozessen enthoben ist, daß er befähigt ist, in Freiheit aus den Zwängen der Natur herauszutreten, daß eine Zivilisation errichtet werden kann, innerhalb derer der Mensch von dem blinden Zwang der Natur zu überleben befreit wäre. Insofern nun der besinnungslose Überlebenszwang dem neoliberalen Gesellschaftsmodell zufolge wieder zum vorherrschenden Paradigma der einzelnen Subjekte wird, wie auch der von gesellschaftlichen Institutionen überhaupt, fällt die Menschheit von selbstgeschaffener Angst getrieben wieder in den Naturzustand zurück. Einer Menschheit, der das Überleben zum einzigen Wert und Kriterium ihrer Existenz geworden ist, ist gewissermaßen das Bewußtsein ihres Menschseins abhanden gekommen. Schwer zu sagen, was sie in diesem Fall eigentlich noch von einem ebenfalls sehr komplex organisierten Ameisenvolk unterscheidet? Eine solche Menschheit würde sich selbst nämlich einzig und allein unter der Bestimmung der Notwendigkeit erkennen. Jegliches Freiheitsbewußtsein hätte sich in einer dergestalt gegen Transzendenz abgeschotteten Welt verflüchtigt. Der Umbau der Institutionen nach einer betriebswirtschaftlichen
Logik, die Etablierung eines darwinistischen Wettstreits im Raum der
Institutionen selbst und die damit einhergehende Preisgabe des humanistischen
Freiheitsversprechens, auf welchem sich die Neuzeit als Epoche ursprünglich
begründete, ist in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von verschiedenen
Intellektuellen wie Max
Weber, Arnold
Gehlen, Walter
Benjamin, Theodor
Adorno bis zu Jacob
Taubes als das sich abzeichnende Schicksal der Menschheit erkannt
worden. All diesen Theoretikern ist gemeinsam, daß sie eine Gesellschaft
beschreiben, die gewissermaßen in der Immanenz ihrer eigenen Rationalität
erstarrt. So spricht Walter Benjamin vom „Traumschlaf“, in welchen die
Menschheit mit dem Anbruch der Moderne gefallen sei und aus dem es zu
erwachen gilt.(10)
Jacob Taubes – der sich politisch von Gehlen abgrenzt – hat Gehlen Bemerkung dennoch aufgegriffen und das von ihm beschriebene Opferritual als Merkmal der Wiederkehr einer mythischen Geisteslage auf der Speerspitze der Moderne charakterisiert:
Doch diese ganze Debatte, die in den zwanziger Jahren begann
und schließlich in den sechziger Jahren von Adorno und Horkheimer vorläufig
abgeschlossen wurde und die sich um eine religionswissenschaftliche
Zuordnung der Moderne im Spannungsfeld von Monotheismus und Polytheismus
bemüht, wäre ohne Webers Diagnose der modernen Industriegesellschaft
als „stählernes Gehäuse“ gar nicht zu denken.(14)
Arnold Gehlens Opferritual der Institutionen, Adornos „Verblendungs-zusammenhang“ und Webers Beschreibung der modernen Gesellschaft als „stählernes Gehäuse“ stimmen in ihren Diagnosen darin überein, daß sie davon ausgehen, daß sich kulturell wie machtpolitisch ein Organisationsdarwinismus etabliert wird, dem gegenüber der einzelne Mensch, einschließlich seiner Bewußtseinsbildung nur noch Verfügungsmasse ist. Für diese Entwicklung gibt es in der jüngsten Geschichte ein vielsagendes Beispiel. Die beiden Weltkriege unterschieden sich von den vorausgegangenen Kriegen vor allem dadurch, daß nicht allein Soldaten, sondern in Form der Materialschlacht letztlich Volkswirtschaften miteinander kämpften. Deshalb wurde im zweiten Weltkrieg die Zivilbevölkerung auch als Kriegspartei bekämpft. Dieser Kampf großer und immer größerer Organisationseinheiten setzte sich im Wettrüsten des kalten Krieges ungebrochen fort und hat sich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nun auf den erbarmungslosen Wettstreit aller Volkswirtschaften untereinander übertragen. So muß heute jede Volkswirtschaft, jede Organisation und damit auch jede Universität bis in ihre einzelnen Fachbereiche hinein ihre Existenz-berechtigung in Rankings unter beweis stellen. Mit dieser Rückkehr zum Naturzustand wird aber der Krieg zur paradigmatischen Form der Vergesellschaftung und damit zur einzig verbliebenen Lebensform! Ebenso wie nach Darwin die Arten einer ökologischen Nische bedürfen, um zu überleben, ebenso sollen nun auch die einzelne Universitäten und die in ihr arbeitenden Menschen durch spezielle Profilbildungen Qualifikationen erwerben, die ihnen im Konkurrenzkampf mit anderen Akteuren immer nur vorübergehend einen Vorteil verschaffen. Ähnlich wie eine Tierart am ehesten dann überlebt, wenn die Anpassung an die Umwelt möglich reibungslos verläuft, ebenso sollen in Zukunft die Universitäten als Dienstleistungskonzerne in einen reibungslosen Austauschprozeß zu ihrer Umwelt, genauer mit ihren Märkten treten.
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Dezember 2003 |