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No.
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Wie man durch die Umstrukturierung der Universitäten das gesellschaftspolitische Bewußtsein der nächsten Generationen plant Über
die gesellschaftspolitischen Ziele |
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Destruktion der Kernthese»Das zugrunde liegende Dogma in der Argumentation des CHE«»Das zivilisatorische Versprechen von Institutionen«»Die Utopie einer demokratischen Universität«»Universitäten als Orte der gesellschaftlichen Selbstverständigung«»Die Selbstaufgabe der Zivilisation«»Der Verrat des zivilisatorischen Freiheitsversprechens, das einst an Institutionen gebunden war«»Die große Debatte in der Philosophie des 20. Jahrhunderts«»Institutionen als Gewalten, die den in sie eintretenden Menschen verbrennen und konsumieren«»Der Krieg als einzig verbliebene Lebensform « |
Die Frage muß gestellt werden, welche gesellschaftspolitischen Motive und hintergründigen Wertmaßstäbe in der Argumentation des CHE der Bertelsmann-Stiftung eigentlich wirksam sind. Mehrfach spricht nämlich Detlef Müller-Böling (Leiter des CHE) in dem unter seinem Namen erschienenen Buch „Die entfesselte Hochschule“ von einem „Überlebenskampf der Organisationen“. Müller-Böling zufolge ist eine Neuorganisation der Universität nach einer betriebswirtschaftlichen Logik notwendig, „wenn eine Organisation über kurz oder lang überleben will.“(7) Denn es geht ihm um die „Überlebensfähigkeit der Hochschule“. Die betriebswirtschaftliche Organisation der Hochschule ist für ihn die „Voraussetzung für den dauerhaften Bestand einer wirtschaftlichen Organisation.“(7) In gewisser Weise drückt sich in diesen scheinbar nebensächlichen Sätzen die zentrale Grundannahme der gesamten Argumentation des CHE aus. Denn die Frage, welchen Wert man einer Sache zuerkennt, ist immer davon abhängig, wovon man abstrahiert. Detlef Müller-Böling bemißt den Wert einer Universität an ihrer Überlebensfähigkeit im Wettkampf mit anderen Organisationen. Die Paradoxie dieses Wertmaßstabes wird einem gleich klar, wenn man sich versuchsweise vorstellt, den Wert des Lebens in seiner Überlebens-fähigkeit zu sehen. Das Leben eines Soldaten mag um so wertvoller sein, je überlebensfähiger es ist. Doch daraus abzuleiten, daß der Wert des Lebens an sich in nichts anderem als seiner Überlebensfähigkeit besteht, entspricht einer Logik des Krieges. Ebenso widersinnig ist es aber, den Wert einer Organisation einzig und allein vom Maßstab ihrer Überlebensfähigkeit in einem darwinistischen Wettkampf mit anderen Organisationen abzuleiten. Denn dann bestünde ja der Sinn der Zivilisation in nichts anderem, als daß große wirtschaftliche Organisationseinheiten entstehen, die in einen unendlichen Wettkampf zueinander treten. Organisationen und Institutionen sind aber Gebilde, die ursprünglich im Dienste des Menschen stehen sollten. Bevor sie – wie Lucàses in Reaktion auf den ersten Weltkrieg 1920 aussprach – zur „Schädelstätte vermoderter Innerlichkeiten“(8) erstarrten, lagen ihrer Gründung humanistische Ziele zugrunde. Die Institutionen sollten dem Menschen dazu verhelfen, im Dienste der Gesellschaft ein allgemeines Leben zu führen, dessen Wirkung auf diese Weise auch über die Kürze seiner Lebenszeit hinaus Folgen zeitigen konnte. Institutionen sollten Orte der Vergesellschaftung sein und damit weit mehr, als nur Möglichkeiten zur individuellen Karriereplanung bieten. Das Bewußtsein, welches die Menschheit in ihrer geschichtlichen Selbstverständigung über Jahrhunderte ausbildete, sollte sich in den Institutionen gewissermaßen als Verwirklichung des menschlichen Geistes materialisieren. Und dies sollte so geschehen, daß auch der einzelne Mensch der Institution nicht fremd gegenüberstand, sondern die Vernunft, nach der er sein Leben führte, auch in der Organisation der Institution wiedererkennen konnte. In keiner Institution jedoch drückte sich dieser humanistische Anspruch nach einer Versöhnung zwischen dem Leben des Einzelnen und dem gesellschaftlichen Allgemeinen tiefer und umfassender aus als in den Universitäten, die einst kühn das Bildungs- und Wissensmonopol der katholischen Kirche herausgefordert hatten, in die alle Emanzipations-ansprüche der Neuzeit eingeflossen sind und ohne deren Autonomie es die Neuzeit als Epoche vielleicht nie gegeben hätte. Wie sehr dieser humanistische Anspruch auch noch im 20. Jahrhundert für die Gründung von Universitäten bestimmend gewesen ist, zeigt eine 1967 verfaßte und auf das Jahr 1948 rückblickende Notiz von Klaus Heinrich, einem der Mitbegründer der Freien Universität.
Die Gründer der Freien Universität verbanden mit ihrem Engagement die Hoffnung, daß die zweite Demokratie in Deutschland nicht das Schicksal der ersten erleide. Daß die Freie Universität ein Ort intellektueller Geistesgegenwart werden möge, der jene innere Aushöhlung verhindern könne, an der einst die Weimarer Republik zugrunde gegangen war. Insofern die Studenten der Universität sich als Bürger der Universität verstanden, brachten sie zum Ausdruck, daß sie die Universität als eine Miniatur der Gesellschaft ansahen. Intellektuelle Selbstverständigungs-prozesse, die im Mikrokosmos der Universität stattfanden, sollten von dort aus auf die gesamte Gesellschaft als Makrokosmos ausstrahlen. Aus diesem Verständnis folgt zwingend eine demokratische Organisation der Hochschule. Klaus Heinrich hoffte 1967 noch auf eine mögliche Veränderung der Gesellschaft durch die Universität. Dabei jedoch setzte er in der Öffentlichkeit ein zumindest im Ansatz vorhandenes Bewußtsein von Demokratie voraus, das man ansprechen, an welches man appellieren konnte. Doch was geschieht, wenn dieses nicht mehr existiert? Wenn die Steuerung gesellschaftlicher Verständigungsprozesse durch Massenmedien zum Normalzustand geworden ist? Wenn die Aushöhlung jeglicher Volkssouveränität durch das professionelle Lobbying großer internationaler Konzerne als Gott gegebener Zustand akzeptiert wird? Dann verliert die Universität die Möglichkeit, die Gesellschaft zu verändern! Eine Gesellschaft, der jeglicher inhaltliche Begriff von Demokratie verloren gegangen ist, kann auch von Seiten der Universität nicht mehr ohne weiteres an diesen erinnert werden. An die Stelle der Veränderung der Gesellschaft durch die Universität tritt dann die Anpassung der Universität an die Gesellschaft. Die demokratisch organisierte Hochschule wird zu einem Relikt vergangener Zeiten, einem Fossil, dessen gesellschaftspolitischen Auftrag niemand mehr versteht. Die Universität gerät in die paradoxe Situation, Prozesse realer Entdemokratisierung, wie sie in der Gesellschaft in den letzten 20 Jahren stattgefunden haben und die unabweisbar einen gesellschaftlichen Rückschritt darstellen, als vermeintlichen Fortschritt nachzuvollziehen. Nach mehreren Jahrhunderten der Neuzeit und der Aufklärung und 60 Jahre nach der letzten großen Katastrophe ist also eine Situation eingetreten, in der das Bewußtsein des Emanzipationsanspruchs, der einst in die Gründung verschiedener Institutionen eingegangen ist, gänzlich verlorengegangen ist. Sie sind wirklich zu einer „Schädelstätte vermoderter Innerlichkeiten“ geworden. An die Stelle des Bewußtseins von Freiheit ist vielmehr der naturwüchsige Zwang getreten, im Wettstreit mit anderen Organisationen zu überleben, ohne daß noch irgend jemand zu sagen vermöchte, welchen humanen Zielen die Fusion verschiedener Bildungskonzerne zu immer größeren und mächtigeren Einheiten überhaupt dient. Die Gesetze des Dschungels, nach denen das wilde Tier sein Überleben zu sichern hat, scheinen das geheime Vorbild für jenen entfesselten Weltmarkt zu sein, auf dem gigantische Konzerne zu immer größeren Einheiten fusionieren. Und alle menschlichen Güter vom Trinkwasser, über das Wissen, die Kultur und sogar seelische Bedürfnisse, ja schließlich auch die DNA aller möglichen Pflanzenarten in die Kapitalakkumulation eingebunden werden und erst durch diese Einbindung ihren vermeintlichen Sinn und Wert erhalten. Aus den Universitäten – man muß es sich immer wieder vergegenwärtigen – die einmal Orte der geistigen Selbstverständigung der Gattung Mensch im Vollzug ihrer Geschichte waren, sollen nun Organisationseinheiten werden, die sich im Interesse ihres Überlebens der Umwelt anpassen. Nichts drückt sinnfälliger aus, daß die Neuzeit als Zeitalter und damit auch ihr humanistisches Selbstverständnis wahrscheinlich an ihr Ende gekommen ist. Denn an deren Beginn gewann der Mensch erstmals in seiner Geschichte Bewußtsein davon, daß er als ein geistig bestimmtes Wesen der blinden Notwendigkeit von Naturprozessen enthoben ist, daß er befähigt ist, in Freiheit aus den Zwängen der Natur herauszutreten, daß eine Zivilisation errichtet werden kann, innerhalb derer der Mensch von dem blinden Zwang der Natur zu überleben befreit wäre. Insofern nun der besinnungslose Überlebenszwang dem neoliberalen Gesellschaftsmodell zufolge wieder zum vorherrschenden Paradigma der einzelnen Subjekte wird, wie auch der von gesellschaftlichen Institutionen überhaupt, fällt die Menschheit von selbstgeschaffener Angst getrieben wieder in den Naturzustand zurück. Einer Menschheit, der das Überleben zum einzigen Wert und Kriterium ihrer Existenz geworden ist, ist gewissermaßen das Bewußtsein ihres Menschseins abhanden gekommen. Schwer zu sagen, was sie in diesem Fall eigentlich noch von einem ebenfalls sehr komplex organisierten Ameisenvolk unterscheidet? Eine solche Menschheit würde sich selbst nämlich einzig und allein unter der Bestimmung der Notwendigkeit erkennen. Jegliches Freiheitsbewußtsein hätte sich in einer dergestalt gegen Transzendenz abgeschotteten Welt verflüchtigt. Der Umbau der Institutionen nach einer betriebswirtschaftlichen Logik, die Etablierung eines darwinistischen Wettstreits im Raum der Institutionen selbst und die damit einhergehende Preisgabe des humanistischen Freiheitsversprechens, auf welchem sich die Neuzeit als Epoche ursprünglich begründete, ist in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von verschiedenen Intellektuellen wie Max Weber, Arnold Gehlen, Walter Benjamin, Theodor Adorno bis zu Jacob Taubes als das sich abzeichnende Schicksal der Menschheit erkannt worden. All diesen Theoretikern ist gemeinsam, daß sie eine Gesellschaft beschreiben, die gewissermaßen in der Immanenz ihrer eigenen Rationalität erstarrt. So spricht Walter Benjamin vom „Traumschlaf“, in welchen die Menschheit mit dem Anbruch der Moderne gefallen sei und aus dem es zu erwachen gilt.(10) Horkheimer und Adorno sprechen davon, daß sich die Öffentlichkeit in einen „Verblendungszusammenhang“ verwandelt habe bzw. sich ein „technologischer Schleier“ über diese gelegt habe.(11) Ganz in diesem Sinne hat Max Weber bereits 1904 von einem „stählernen Gehäuse“ gesprochen, in welches der moderne Mensch – unabhängig von seiner Klassenzugehörigkeit – eingespannt sei. All diese Begriffe und Metaphern beschreiben die Dialektik der Aufklärung: also die Erschöpfung neuzeitlicher Säkularisationsprozesse; den Umschlag einer aufklärerischen gesellschaftlichen Selbstverständigung, die in Nachfolge des Christentums noch auf gesellschaftliche Utopien und Transzendenz bezogen war, hin zu einer rein immanenten ökonomischen Rationalität, die in ihrer Geschlossenheit und Bewußtlosigkeit wieder Merkmale der polytheistisch, mythischen Geisteslage der Vorgeschichte aufweist. So einig man sich in der Diagnose war, so sehr gingen die Bewertungen allerdings auseinander. Arnold Gehlen, dessen Verstrickung mit der nationalsozialistischen Herrschaft allgemein bekannt ist, hat diese Entwicklung sogar affirmiert. In sehr eindringlichen Worten formulierte Gehlen, daß die Institutionen in der modernen Industriegesellschaft nicht länger Orte der Freiheit sind, sondern den Menschen konsumieren und verbrennen. Gehlen beschreibt die Herrschaft der institutionellen Gewalt als permanentes Opferritual, dem er in einer Art Identifikation mit dem Angreifer sogar positive Seiten abgewinnt.
Jacob Taubes – der sich politisch von Gehlen abgrenzt – hat Gehlen Bemerkung dennoch aufgegriffen und das von ihm beschriebene Opferritual als Merkmal der Wiederkehr einer mythischen Geisteslage auf der Speerspitze der Moderne charakterisiert:
Doch diese ganze Debatte, die in den zwanziger Jahren begann und schließlich in den sechziger Jahren von Adorno und Horkheimer vorläufig abgeschlossen wurde und die sich um eine religionswissenschaftliche Zuordnung der Moderne im Spannungsfeld von Monotheismus und Polytheismus bemüht, wäre ohne Webers Diagnose der modernen Industriegesellschaft als „stählernes Gehäuse“ gar nicht zu denken.(14) Er begründet gewissermaßen diese Debatte. Weil seine Analyse zudem ein einzigartiges literarisches Dokument ist, soll es deshalb an dieser Stelle in ganzer Länge zitiert werden. Nachdem Weber in seiner berühmten Studie zur protestantischen Ethik, die Entstehung des kapitalistischen Geistes aus der calivinistischen Lebensführung hergeleitet hat, schreibt er:
Arnold Gehlens Opferritual der Institutionen, Adornos „Verblendungs-zusammenhang“ und Webers Beschreibung der modernen Gesellschaft als „stählernes Gehäuse“ stimmen in ihren Diagnosen darin überein, daß sie davon ausgehen, daß sich kulturell wie machtpolitisch ein Organisationsdarwinismus etabliert wird, dem gegenüber der einzelne Mensch, einschließlich seiner Bewußtseinsbildung nur noch Verfügungsmasse ist. Für diese Entwicklung gibt es in der jüngsten Geschichte ein vielsagendes Beispiel. Die beiden Weltkriege unterschieden sich von den vorausgegangenen Kriegen vor allem dadurch, daß nicht allein Soldaten, sondern in Form der Materialschlacht letztlich Volkswirtschaften miteinander kämpften. Deshalb wurde im zweiten Weltkrieg die Zivilbevölkerung auch als Kriegspartei bekämpft. Dieser Kampf großer und immer größerer Organisationseinheiten setzte sich im Wettrüsten des kalten Krieges ungebrochen fort und hat sich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nun auf den erbarmungslosen Wettstreit aller Volkswirtschaften untereinander übertragen. So muß heute jede Volkswirtschaft, jede Organisation und damit auch jede Universität bis in ihre einzelnen Fachbereiche hinein ihre Existenz-berechtigung in Rankings unter beweis stellen. Mit dieser Rückkehr zum Naturzustand wird aber der Krieg zur paradigmatischen Form der Vergesellschaftung und damit zur einzig verbliebenen Lebensform! Ebenso wie nach Darwin die Arten einer ökologischen Nische bedürfen, um zu überleben, ebenso sollen nun auch die einzelne Universitäten und die in ihr arbeitenden Menschen durch spezielle Profilbildungen Qualifikationen erwerben, die ihnen im Konkurrenzkampf mit anderen Akteuren immer nur vorübergehend einen Vorteil verschaffen. Ähnlich wie eine Tierart am ehesten dann überlebt, wenn die Anpassung an die Umwelt möglich reibungslos verläuft, ebenso sollen in Zukunft die Universitäten als Dienstleistungskonzerne in einen reibungslosen Austauschprozeß zu ihrer Umwelt, genauer mit ihren Märkten treten.
6. Über die Folgen einer Einbindung von Lehre |
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Dezember 2003 |