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No.
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Wie man durch die Umstrukturierung der Universitäten das gesellschaftspolitische Bewußtsein der nächsten Generationen plant Über
die gesellschaftspolitischen Ziele |
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Der Forschungsmarkt
»Nicht undenkbar wäre, daß die Autonomie der Wissenschaften an ihr historisches Ende gelangt«»Aus der Vermischung der Funktionen könnte schließlich eine viel wirkungsmächtigere Zensur erwachsen.«»Man darf nicht vergessen, daß sich die Neuzeit letztlich der Autonomie der Universitäten verdankt«»Betriebswirtschaftslehre als religiöse Heilslehre?« |
Der dritte Markt, den die Universität als Dienstleistungsunternehmen zu bedienen hat, ist der Markt für Forschungsergebnisse. Er wird besonders in den Natur,- Sozial,- und Wirtschaftswissenschaften von der Industrie nachgefragt. Die dem zugrundeliegende Idee ist die, daß die Universität im Verbund mit einzelnen Konzernen ihre Forschungsschwerpunkte festlegt. Danach ist eine Universität besonders erfolgreich, wenn ein möglichst großer Anteil ihrer Forschungsergebnisse eine unmittelbare Anwendung in der Entwicklung und Fertigung von Gütern findet. Welche Folgen eine derartige Ausrichtung der universitären Forschung auf die Bedürfnisse der Industrie haben könnte, ist eine der wenigen kritischen Einwände, die – man höre und staune – hier und da in der Öffentlichkeit tatsächlich Erwähnung gefunden haben. Nämlich, daß dies zur Folge hätte, daß die Grundlagenforschung abnehmen, während die anwendungsorientierte Forschung entsprechend zunehmen würde, da nur sie sich wirtschaftlich rentiert. Der Industrie geht es dabei unter anderem auch um eine Verbilligung der Forschung, da Studierende und wissenschaftliche Mitarbeiter in der Regel für ein äußerst geringes Gehalt zu arbeiten bereit sind. Des weiteren dient eine engere Verflechtung zwischen Unternehmen und Universität auch dazu, daß sich zwischen deren Mitgliedern Netzwerkstrukturen ausbilden, die ja für die neuen Formen der Arbeitsorganisation grundlegend sind. Schließlich ist zu befürchten, daß kritische Erwägungen hinsichtlich des Gebrauchs der Wissenschaften – also Wissenschaftskritik – an den Universitäten nur noch einen sehr begrenzten bzw. gar keinen Ort mehr haben könnte. Denn es ist anzunehmen, daß eine Universität, die z. B. mit einem großen Pharmakonzern zusammenarbeitet, es sich schlichtweg nicht erlauben kann, die Forschungsvorhaben dieses Konzerns kritisch zu hinterfragen. Es ist außerdem bekannt, daß es eine gängige Methode von Lobbygruppen ist, durch die Publizierung von selbst in Auftrag gegebenen – also gekauften – Forschungsergebnissen, eigene Interessen durchzusetzen. So beispielsweise der Fall einer Batteriefirma, die – um das Verbot von cadmiumhaltigen Batterien zu verhindern – versuchte, durch selbst in Auftrag gegebene Forschungsergebnisse zu beweisen, daß Cadmium weniger schädlich sei, als allgemein angenommen. Derart interessengeleitete Forschung könnte bei einer stärkeren Verflechtung mit der Industrie auch an der Universität möglich werden. Würde die Universität auf den ständigen Zufluß von Drittmitteln angewiesen sein und ihre Forschungsergebnisse auf einem Forschungsmarkt anbieten müssen bzw. lediglich in Kooperation mit einzelnen Konzernen forschen können, so ist davon auszugehen, daß damit die Autonomie der Wissenschaften sehr stark eingeschränkt werden dürfte, wenn sie nicht sogar historisch an ihr Ende gelangte. Entscheidend ist dabei nicht nur eine von der Hochschulleitung ausgeübte Zensur, sondern in ebenso großem Maße eine freiwillige Selbstzensur der Wissenschaftler, die aufgrund ihrer Einbindung in bestimmte Organisationsstrukturen und Forschungseinrichtungen sich schlichtweg nicht trauen, von der herrschenden Kultur abzuweichen. Denn die Ausrichtung der Industrie auf einen industriellen Forschungsmarkt würde zwangsläufig zu einer immer stärkeren Vernetzung zwischen Konzernen und Universität führen, so daß am Ende gar nicht mehr erkennbar ist, wo die Interessen der Universität beginnen und die eines Wirtschafts-unternehmens aufhören. So ist es beispielsweise ein Merkmal der Wirtschaft der Gegenwart, daß die Grenzen zwischen dem Hauptkonzern und seinen Zuliefererbetrieben zunehmend diffus werden. In ganz ähnlicher Weise würde auch die fortschreitende Vernetzung zwischen Universität und Industrie dazu führen, daß die Grenzen zwischen beiden verschwimmen, weil die Industrie ihre Forschungsvorhaben in wachsendem Maße an die Universität auslagert. Aus dieser Vermischung der Funktionen und Interessen könnte zu guter Letzt eine viel wirkungsmächtigere Zensur erwachsen, als die, die im klassischen Sinne von oben verordnet wäre. Daß der damit bewirkte Verlust an Autonomie der Wissenschaften durchaus erwünscht und beabsichtigt ist, zeigen auch weitere Argumentationen des CHE. So fordert Detlef Müller-Böling, daß die einzelnen Wissenschaften sich nicht wie bisher ausschließlich anhand der Logik ihrer jeweiligen Disziplinen fortentwickeln dürften, sondern sich zudem auch einer Bewertung von Seiten gesellschaftlicher Interessengruppen unterziehen müßten. Denn bislang war es so, daß die Forschungen einer Disziplin nur von Forschern derselben Disziplin bewertet und beurteilt werden konnten. Ob die Forschungsarbeit eines Politikwissenschaftlers wertvoll ist, obliegt somit ausschließlich dem Urteil anderer Politikwissenschaftler, jedoch nicht etwa dem Urteil eines Politikers. Die darauf begründete Autonomie der Wissenschaften möchte das CHE zugunsten von stakeholder-Interessen und Forschungskooperationen im Rahmen von public-private partnerships stark einschränken, wenn nicht sogar auflösen. Zudem soll die Forschungstätigkeit eines Wissenschaftlers durch regelmäßig erneuerte Zielvereinbarungen überprüfbar gemacht werden. Schließlich wird vom CHE gefordert, daß sich die Forschungstätigkeit eines einzelnen Wissenschaftlers in die Profilbildung der gesamten Universität harmonisch einfügen muß. Ein Wissenschaftler, der sich dem herkömmlichen Wissenschaftsethos verpflichtet fühlt und infolgedessen zu eigenständig seinen Interessen nachgeht, könnte damit das Bemühen des Hochschulmanagements um ein einheitliches Profil der Hochschule stören und durch ein ander bringen. Das Hochschulmanagement könnte sich genötigt sehen, einen solchen Forscher im Interesse des Ansehens der Universität bei einzelnen Konzernen sowie in der Öffentlichkeit zu entlassen. Außerdem ist vorgesehen, daß der Kostenfaktor von Forschungen als Maßstab zur Bewertung von wissenschaftlicher Arbeit herangezogen werden soll. Je mehr ein Wissenschaftler – dieser Logik folgend – publiziert, desto billiger ist jede einzelne Publikation. Schließlich soll die Qualität von Forschungsergebnissen nach automatisierten Verfahren gemessen werden, etwa nach der Anzahl der zitierten Autoren. Auf diese Weise müssen sich alle Professoren einer Universität immer wieder erneuerten Rankings aussetzen und stehen damit unter einem niemals endenden Konkurrenzdruck. All diese Maßnahmen werden zwangsläufig dazu führen, daß der Konformitätsdruck, der auf jeder einzelnen Veröffentlichung lastet, stark zunehmen wird. Experimentierendes und provokantes Denken sowie eine gewisse Resistenz gegenüber dem Zeitgeist könnte sich auf diese Weise als Risiko erweisen, das immer weniger Wissenschaftler einzugehen bereit sind. Insbesondere von dieser letzten Entwicklung werden nicht nur die Naturwissenschaften, sondern in besonderem Maße die Geisteswissenschaften betroffen sein, da ihre Forschungen mit weltanschaulichen Fragen naturgemäß viel enger verflochten sind. All diesen Reformen ist gemeinsam, daß sie der autonomen Entscheidung des einzelnen Wissenschaftlers nicht länger vertrauen und sie deshalb durch subjektlose Selektionsmechanismen der Organisation bzw. Marktmechanismen ersetzen wollen. Wissenschaftliche Erkenntnis, die seit Beginn der Neuzeit an die Autonomie des Denkenden geknüpft war, soll nun durch bürokratische Bewertungsmechanismen aus der Organisationsstruktur der Universität als Dienstleistungskonzern hervorgehen. An die Stelle der Autonomie des einzelnen tritt die „ökonomische Rationalität“ des Bildungskonzerns, der sich nun selbst zulegt, was er dem einzelnen Wissenschaftler nicht mehr zugesteht, nämlich eine „Philosophie“, genauer eine „Unternehmensphilosophie“, als Parodie auf die gedankliche Freiheit, der sich die neuzeitliche Wissenschaft ursprünglich verdankt. Denn in Jahrhunderten währenden Kämpfen hatte sie sich einst von der Bevormundung durch die katholische Kirche befreit. Doch nun, auf der Speerspitze der Moderne – im 21. Jahrhundert – droht sie erneut in Knechtschaft zu geraten. An die Stelle der Kirche tritt nun die Wirtschaft, an die Stelle des Dogmas, nach welchem sich im Mittelalter die gesamte geistige Produktion auszurichten hatte, tritt nun die Betriebswirtschaft als Richtmaß, nach dem sich entscheidet, ob ein Forschungsunternehmen sinnvoll ist oder nicht. Hatte die katholische Kirche ihre politische Legitimation aus der Behauptung von Transzendenz abgeleitet, so leitet sich heute die Neudefinition des Verhältnisses von Wissenschaft und Gesellschaft aus der Annahme einer rein immanenten Logik ab. Insofern uns heute die Hierarchie mittelalterlicher Herrschafts- und Ständeordnung als ein „Terror der Transzendenz“ erscheint, so könnte man umgekehrt in der am Horizont des 21. Jahrhunderts heraufziehende Gesellschaftsordnung, die ihr gesamtes Selbstverständnis, alle Lebensbereiche und alle ihre Institutionen einer betriebswirtschaftlicher Rationalität unterworfen hat, spiegelbildlich zum Mittelalter eine Art Terror der Immanenz erkennen. Denn die rein immanent sich herleitende Argumentation betriebswirtschaftlicher Logik wird zunehmend in Gestalt des „Sachzwangs“ und der Expertenmeinung als Quelle politischer Legitimation in Anspruch genommen. Dies wirft die Frage auf, ob diese enorme Autorität der Betriebswirtschaftslehre, die Definitionsgewalt über Bereiche gewonnen hat, in denen früher Philosophie, Soziologie oder Politikwissenschaft maßgebend gewesen waren, wirklich noch rational zu begründen ist, oder ob nicht irrationale Faktoren daran beteiligt sein könnten, die Betriebswirtschaftslehre zur zentralen Leitwissenschaft der modernen Gesellschaft zu erheben. Solche irrationalen Kräfte sind in der Menschheitsgeschichte vorzugsweise in die Religionen eingeflossen. Letztlich fordert also das CHE die Frage heraus, ob nicht das in ihren Publikationen zutage tretende Zutrauen schlichtweg alle gesellschaftlichen Probleme ausschließlich mit den Mitteln der Betriebswirtschaftslehre zu lösen, nicht letztlich so irrational ist, daß dadurch nicht zuletzt die Betriebswirtschaftslehre ihren wissenschaftlichen Charakter verliert. Ja, ob ihre totale Ausweitung auf alle Lebensbereiche nicht den Punkt markiert, an dem diese schließlich zu einem unbewußt wirksamen Glaubensinhalt, bzw. zu einer Religion wird, die infolge dessen auch prinzipiell aus einer religionswissenschaftlichen Perspektive der Analyse zugänglich gemacht werden könnte. |
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Dezember 2003 |