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ND-Bericht
vom 17. Juni 2004
Neues Deutschland >
Anwälte in Sorge um faires Verfahren
36 der am 1. Mai Festgenommenen noch in Haft.
Von Heiko Balsmeyer
Seit
den Maikrawallen sollen 36 Beschuldigte ohne schlüssige Begründung in
Haft sein. Die Anwältin Ulrike Birzer, die einiger der am 1. Mai Festgenommenen
rechtlich vertritt, schilderte in der Humboldt Universität die Haftpraxis
rund um den 1. Mai im Vergleich zu Vorjahren. 100 Personen wurden in Untersuchungshaft
genommen, während es 2003 nur 56 und 2002 41 waren. Tatsachen, die normalerweise
zur Aufhebung der Haft führen, werden bei den 36 weiter in Untersuchungshaft
Sitzenden nicht anerkannt: soziale Bindungen, das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses,
keine Gefahr, dass Beweismittel vernichtet werden.
Als
Begründung wird von der Justiz das zu erwartenden hohe Strafmaß von zwei
bis drei Jahren angeführt. Anwalt Sven Lindemann hält diese angekündigten
Strafen für »absurd hoch« und ergänzte, unter den seit sechs Wochen im
Gefängnis festgehaltenen Demonstranten seien auch solche ohne irgendwelche
Vorstrafen. Die Anwälte vermuten, die Untersuchungshaft werde von der
Berliner Justiz als Mittel zur Erpressung von Geständnissen sowie als
neue Form von vorgezogenem Arrest genutzt. Die Erfahrung zeige, wer Straftaten
einräumt, kann mit Strafmilderung rechnen und wer später auf Bewährung
verurteilt werde, habe auf diese Weise trotzdem bereits im Gefängnis gesessen.
Dass
die Betroffenen kein faires Verfahren erwarten können, befürchtet Anwalt
Lindner schon seit dem 1. Mai. So seien Haftbefehlsanträge von den Richtern
bereits vor der Anhörung der Beschuldigten unterschrieben worden. In einem
Fall konnte deshalb auch ein Richter erfolgreich wegen Befangenheit abgelehnt
werden. Die nächste Richterin erließ dann jedoch formell einwandfrei einen
entsprechenden Haftbefehl.
Demonstration
»Gegen Polizeigewalt und Klassenjustiz« am 23. Juni, 16 Uhr, am Oranienpolatz,
Kreuzberg
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