akj
HomeErklärungendas freischüßlerVorträgeProjekteSeminareLinksImpressum |
Landgericht Berlin Geschäftsnummer: 84 T 278, 288, 289, 308, 309, 348-351/01, 84 T 8/02 Amtsgericht Tiergarten 353 AR 199/01
Beschluß
In der Gefahrenabwehrsache betreffend Maßnahmen nach § 47 ASOG,
Antragsteller:
Der Polizeipräsident in Berlin - Geschäftszeichen: St 4 - Platz der Luftbrücke 6, 12006 Berlin
Beteiligte:
hat die Zivilkammer 84 des Landgerichts Berlin auf die Beschwerden
am 15. Januar 2002 beschlossen: 1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Tiergarten vom 20./21. September 2001, vom 26. September 2001 und vom 24. Oktober 2001 werden aufgehoben. Die Anträge des Antragstellers vom 19./20. September 2001, vom 26. September 2001 und vom 24. Oktober 2001 werden zurückgewiesen.
2. Die Beschwerden der Beteiligten zu 4) werden als unzulässig verworfen.
Gründe
I. Der Beteiligte zu 1) ist xxxx Staatsangehöriger und ist an der Beteiligten zu 5) als Student der xxxx immatrikuliert. Die Beteiligten zu 2) und 3) sind xxxx Staatsangehörige islamischen Glaubens und studieren an der Beteiligten zu 5) xxxx.
Mit Schreiben vom 19. September 2001 hat der Antragsteller beim Amtsgericht Tiergarten beantragt, die Übermittlung personenbezogener Daten (Name, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort, Nationalität, Wohnort, Beschäftigungsstatus, Familienstand, Religionszugehörigkeit) durch öffentliche Stellen und Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs in Berlin (Landeseinwohneramt, Hochschulen bzw. Universitäten, Fachhochschulen, Ver- und Entsorgungsunternehmen, Einrichtungen mit Bezug zur Atomenergie, öffentliche und private Institutionen mit Bezug zu Gefahrenstoffen, Betriebe des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, Kommunikationsdienstleister, Berliner Flughafengesellschaft, Sicherheitsdienste, Catering-Firmen, Reinigungsfirmen, Luftfahrtschulen und Luftfahrtunternehmen) an den Antragsteller zum Zweck des Datenabgleichs nach § 47 ASOG anzuordnen.
Mit Beschluß vom 20. September 2001 hat das Amtsgericht angeordnet, daß die geforderten Daten von den im Antrag genannten Stellen an den Antragsteller zu übermitteln seien, soweit sie Personen beträfen, die männlichen Geschlechts, islamischer Religionszugehörigkeit ohne nach außen tretende fundamentalistische Grundhaltung, legal in Deutschland aufhältlich, ohne eigene Kinder, technische Fächer studierend, mehrsprachig, im allgemeinkriminellen Bereich unauffällig, häufig auf Reisen, finanziell unabhängig und Inhaber einer Flugausbildung seien. Auf Antrag des Antragstellers vom gleichen Tag hat das Amtsgericht den Beschluß mit Beschluß vom 21. September 2001 dahingehend berichtigt, daß die Merkmale der zu überprüfenden Personengruppen lediglich die Eigenschaften der vermutlich islamischen Religionszugehörigkeit und des vermutlich legalen Aufenthalts in Deutschland umfassen sollten.
Gegen den Beschluß vom 20. September 2001 in der Fassung des Beschlusses vom 21. September 2001 haben die Beteiligten zu 4) mit Schreiben vom 24. September 2001, der Beteiligte zu 1) mit Schreiben vom 28. September 2001 sowie die Beteiligten zu 2) und 3) mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 24. Oktober 2001 Beschwerde eingelegt.
Auf Antrag des Antragstellers vom 26. September 2001 hat das Amtsgericht Tiergarten den Beschluß vom 20./21. September 2001 mit Beschluß vom gleichen Tage dahin erweitert, daß alle Dienststellen der Landesregierung zur Übermittlung ihrer einschlägigen Datenbestände verpflichtet seien. Gegen diesen Beschluß hat der Beteiligte zu 1) mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 4. Oktober 2001 Beschwerde eingelegt.
Auf einen weiteren Antrag des Antragstellers vom 17. Oktober 2001 hat das Amtsgericht Tiergarten mit Beschluß vom 24. Oktober 2001 die Übermittlung personenbezogener Daten (Name, Geburtsname, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit, Wohnanschrift, frühere Namen, Haupt-/Nebenwohnung sowie Ein- und Auszugsdatum, Familienstand, Beschäftigungsstatus, Religionszugehörigkeit, Reisetätigkeiten, Visabeantragungen sowie - bei Angehörigen von Universitäten und Fachhochschulen - Martikelnummer) der Personengruppe mit den nachfolgend aufgeführten Merkmalen (männlich, Geburtsdatum zwischen 1. Januar 1960 und 1. Oktober 1983, vermutlich islamischen Religionszugehörigkeit und - soweit vorhanden - vermutlich legaler Aufenthaltsstatus in Deutschland, Student/ehemaliger Student, Mehrsprachigkeit, Flugausbildung, Nutzung von Flugsimulatoren) aus den Datenbeständen der Berliner Senatsverwaltung, der Berliner Bezirksämter, des Landeseinwohneramtes Berlin, der Universitäten, Hochschulen und Fachhochschulen, der Ver- und Entsorgungsunternehmen in Berlin, der Einrichtungen mit Bezug zur Atomenergie in Berlin (Beschäftigte und Besucher), der öffentlichen und privaten Institutionen mit Bezug zu chemischen, biologischen und radiologischen Gefahrenstoffen (Beschäftigte und Besucher), der Betriebe des öffentlichen Personennah- und Fernverkehrs in Berlin, der Kommunikationsdienstleister in Berlin, der Berliner Flughafengesellschaft, der Sicherheitsdienste in Berlin, der Catering-Firmen in Berlin, der Reinigungsfirmen in Berlin, der IHK (Teilnehmer an Prüfungen im Bereich Gefahrguttransport oder an Zulassungen im Bereich der Sicherheitsunternehmen und des Wachschutzes) und der Luftfahrtschulen, Flugsimulatorenbetreiber und Luftfahrtschulen zum Zweck des Abgleichs mit anderen Datenbeständen angeordnet. Dabei sollen jeweils nur die Datenbestände übermittelt werden, die zwischen dem 1. Januar 1996 und dem 1. Oktober 2001 angelegt worden sind.
Gegen diesen Beschluß haben die Beteiligten zu 1) bis 4) mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 13. November 2001 und die Beteiligten zu 5) mit Schreiben vom 20. November 2001 Beschwerde eingelegt.
Das Amtsgericht hat den Beschwerden nicht abgeholfen.
II.
Die Beschwerden der Beteiligten zu 1) bis 3) sind gem. §§ 47 Abs. 4 Satz 7 ASOG, 19 FGG zulässig. Diese Beteiligten sind beschwerdeberechtigt, da sie als immatrikulierte Studenten der Beteiligten zu 5) zu den Betroffenen gehören, deren personenbezogene Daten abgeglichen werden sollen. Die Beschwerde der Beteiligten zu 5) ist ebenfalls nach §§ 47 Abs. 4 Satz 7 ASOG, 19 FGG zulässig. Insbesondere ist auch die Beteiligte zu 5) gem. § 20 Abs. 1 FGG beschwerdeberechtigt. Adressaten einer Anordnung nach § 47 Abs. 1 ASOG sind auch die einzelnen Stellen, von denen die Polizei die Übermittlung von Daten ihren Beständen verlangen kann (Berg/Knape/Kiworr, ASOG Bln, 8. Aufl., § 47 Anm. II C). Die Beschwerde der Beteiligten zu 4) ist unzulässig, weil sie durch die angefochtenen Beschlüsse nicht in ihren Rechten betroffenen ist. Sie gehört weder zu den Stellen, deren Daten der Antragsteller nach diesen Beschlüssen zum Zweck des Abgleichs herausverlangen kann, noch zu den Personen, deren Daten in den Abgleich einbezogen sind.
Die Beschwerden der Beteiligten zu 1) bis 3) und 5) sind auch begründet. Die gesetzlichen Voraussetzungen der beantragten Maßnahmen sind nicht erfüllt. Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 ASOG kann die Polizei die Übermittlung personenbezogener Daten zum Zweck des Abgleichs mit anderen Datenbeständen nur verlangen, wenn sie eine gegenwärtige Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Leib oder Freiheit einer Person abzuwehren hat. Eine gegenwärtige Gefahr ist jedoch weder vom Antragsteller dargelegt noch sonst ersichtlich.
Eine Gefahr ist nur dann gegenwärtig, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses auf das betroffene Schutzgut entweder bereits begonnen hat oder wenn dieses Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht. Es kann dahinstehen, ob sich der Begriff der gegenwärtigen Gefahr mit dem in den Notwehrvorschriften der §§ 32 Abs. 2 StGB, 227 BGB verwendeten Begriff des gegenwärtigen Angriffs deckt. Selbst wenn es nicht wie in diesen Vorschriften allein auf die zeitliche Nähe des schädigenden Ereignisses ankommen soll, wäre für eine gegenwärtige Gefahr mindestens zu fordern, daß ein sofortiges Einschreiten der Polizei unerläßlich erscheint, um den Schaden für das Schutzgut effektiv abwenden zu können (Berg/Knape/Kiworr, ASOG Bln, 8. Aufl., § 17 Teil 2 IV B 1d). Dafür bestehen hier keine ausreichenden Anhaltspunkte.
Die Bundesregierung hat in ihren Presseerklärungen seit Ende September 2001 stets darauf hingewiesen, es seien keine Anzeichen dafür ersichtlich, daß die Verübung terroristischer Gewalttaten in Deutschland bevorstehe. In einer auf der Internet-Website der Bundesregierung verbreiteten Verlautbarung vom 28. November 2001 heißt es, daran habe sich auch nichts geändert, seitdem der Bundestag am 16. November 2001 beschlossen habe, deutsche militärische Kräfte für den Einsatz in Afghanistan bereitzustellen. Für Deutschland lägen derzeit nach wie vor keine konkreten Anhaltspunkte für Gefahren oder terroristische Anschläge vor. Die Sicherheitsbehörden seien zu erhöhter Wachsamkeit aufgerufen; die ergriffenen Sicherheitsvorkehrungen würden beibehalten. Im folgenden wird nochmals ausdrücklich betont, daß das Bundesinnenministerium seit den Angriffen der USA auf Ziele in Afghanistan keine Hinweise auf geplante Anschläge von Terroristen in Deutschland erlangt habe. Der Bundesminister des Inneren selbst hat in einem Zeitungsinterview am 15. Januar 2002 überdies erklärt, die Sicherheitslage habe sich inzwischen entspannt.
Der Antragsteller hat trotz entsprechender Aufforderung durch das Beschwerdegericht keine tragfähigen Gründe dafür benennen können, daß gleichwohl eine gegenwärtige Gefahr im Sinne des § 47 Abs. 1 Satz 1 ASOG anzunehmen sei. Er hat insbesondere nicht erklärt, daß die Einschätzung der Bundesregierung wesentliche Gesichtspunkte verschweige oder sonst unzutreffend sei. Die Einleitung einer Rasterfahndung ist jedenfalls nicht schon deshalb gerechtfertigt, weil sich nicht definitiv ausschließen läßt, daß sich in Deutschland sogenannte Schläfer aufhalten. Nicht die bloße Möglichkeit, daß es zu terroristischem Handeln kommen könnte, sondern nur eine Gefahr, die zu sofortigem Einschreiten nötigt, um konkret drohende Schäden zu vermeiden, ist nach § 47 ASOG erheblich. Da der Datenabgleich stets den Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht polizeirechtlich nicht Verantwortlicher einschließt, will der Gesetzgeber der Polizei den Zugriff auf fremde Datenbestände nicht ohne dringenden Anlaß erlauben. Solange keine Anhaltspunkte für fortgeschrittene Planungen konkrete Anschläge erkennbar sind, könnte eine gegenwärtige Gefahr für die in § 47 ASOG genannten Schutzgüter allenfalls dann bestehen, wenn sich bereits ein schlagkräftiges terroristisches Netzwerk gebildet hätte, das jederzeit bereit und in der Lage wäre, auf entsprechenden Befehl in kurzer Frist Attentate [zu] verüben. Für die Existenz eines solchen Netzwerks spricht bisher aber nichts. Die Berufung auf nicht näher überprüfte Angaben geheimdienstlicher Quellen genügt dazu nicht. Das eigene Vorbringen des Antragstellers geht insoweit trotz monatelanger intensiver Fahndung über Mutmaßungen nicht hinaus. Offenkundig ist nicht einmal die in Berlin vermutete Zelle der Al Qaida bisher Ziel präventiv-polizeilichen Handelns gewesen.
Für eine Anordnung der Kostenerstattung nach der an sich zwingenden Vorschrift des § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG besteht kein Anlaß, weil nicht ersichtlich ist, daß dem Antragsteller durch die erfolglosen Beschwerden der Beteiligten erstattungsfähige Kosten entstanden wären. Eine Kostenerstattung nach § 13a Abs. 1 Satz 1 FGG findet nicht statt, weil die dazu erforderlichen besonderen Billigkeitsgründe nicht vorliegen.
Grüter Goldack Lickleder
|