Am 19.10.2024 wurde die Versammlung "Patriarchat sterben lassen - Antifaschistisch kämpfen" [Fn. 1] von einem Demobeobachtungsteam des arbeitskreis kritischer jurist*innen (akj) der HU Berlin begleitet. Die Arbeit der anwesenden Einheiten (Bundespolizei Blumberg und Berlin, Alarmhundertschaften C1 und A1 und Einsatzhundertschaft 34 sowie Zivilpolizei) wird im Folgenden kritisch eingeordnet.
Die Versammlung startete nach einer Auftaktkundgebung gegen 17 Uhr an der S Raoul-Wallenberg-Straße und lief dann durch Marzahn-Hellersdorf bis zum geplanten Endpunkt S Mehrower Allee. Zum Gegenprotest aufgerufen hatten verschiedene Gruppen von Neonazis, die Gegendemonstration lief während der gesamten Versammlung hinter der Demonstration. Die Veranstalter*innen hatten eine gemeinsame An- und Abreise geplant, um sich vor umherstreunenden Gruppen gewaltbereiter Neonazis zu schützen. An der Demonstration beteiligten sich laut Veranstalter*innen ca. 1.500 Menschen. Wir verließen den Versammlungsort kurz vor 21 Uhr.
Einschüchterung statt Kooperation
Um den störungsfreien Verlauf der Versammlung zu sichern, gilt für die Polizei das aus Art. 8 GG folgende Kooperationsgebot [Fn. 2]. Die aktive Kommunikation mit der Versammlungsleitung muss vor und während der Versammlung gewährleistet werden, dabei muss die Polizei versammlungsfreundlich verfahren. Die Polizei verletzte jedoch mehrmals das Kooperationsgebot. So wurden in den vorbereitenden Kooperationsgesprächen pauschale Verdächtigungen bezüglich der Verfassungsmäßigkeit geplanter Redebeiträge geäußert. Weiterhin wurden ohne konkrete Anhaltspunkte einschüchternde Aussagen bezüglich repressiver Maßnahmen wie etwa dem "Stürmen" der Demonstration seitens der Polizei getätigt - in ihrer abschreckenden Wirkung ebenfalls Eingriffe in die Versammlungsfreiheit.
Auch während der Versammlung wurden der Versammlungsleiterin mehrmals grundlos Falschaussagen unterstellt. Nach Art. 8 GG müssen neben der Freiheit der Versammlung selbst auch die Wege zur Veranstaltung gewährleistet werden. Personen mit Krücken und Rollstühlen wurde der Weg zur Versammlung über eine Rampe erst nach ca. zehnminütiger Diskussion und nach Zurücklassen ihrer Bezugsgruppe gewährt - aus unserer Sicht unbegründete Schikane.
Unterlassene Gefahrenanalyse
In der Gesamtschau kam der Eindruck auf, dass die Polizei der Demonstration mit erheblichem Misstrauen begegnete, gleichwohl aber eine adäquate Gefahreneinschätzung der faschistischen Gegendemonstration unterblieb. Das zeigte sich unter anderem in den Vorgesprächen mit der Anmelderin, in denen die Polizei die Gegendemonstration unter dem Titel "Gegen Linkspropaganda und Lügen der Antifa" nicht als Reaktion auf die zuerst angemeldete Demonstration erkannte. Und das, obwohl schon Tage vorher Neonazi-Gruppen mobilisiert hatten, die bereits CSDs z.B. in Bautzen gestört hatten. [Fn. 3]
Auch während der Versammlung wollte die Polizei beispielsweise verletzte Teilnehmende samt kleinen Bezugsgruppen allein stehen lassen, obwohl die faschistische Gegendemo immer näher rückte. Gegen Ende sperrte die Polizei die Versammlung einseitig ab: Die antifaschistische Versammlung wurde zur Gegendemonstration hin abgeriegelt, sodass Menschen in einer Maßnahme zwischenzeitlich nicht begleitet werden konnten. Gleichzeitig hatten rechte Streamer und Kleingruppen aus der Gegendemo durchgehend Zugang zur Versammlung. Die Polizei sah eine Gefahr anscheinend nur von links kommen.
Gewaltbereitschaft
Die Polizei nahm die antifaschistische Demonstration als generell gewaltbereit wahr. So wurden bereits vor dem Start der Demonstration Handschuhe, teils auch Quarzhandschuhe getragen. Quarzhandschuhe gehören nicht zur Dienstausrüstung und sind verboten, da sie unverhältnismäßigen Schaden anrichten können. [Fn. 4] Außerdem behelmten sich im Lauf der Versammlung beinah alle anwesenden Polizist*innen, ohne dass eine Gefahr ersichtlich gewesen wäre. Dies läuft nicht nur dem Deeskalationsgebot zuwider, das in § 3 Abs. 4 VersFG festgeschrieben ist. Die Polizist*innen antworten auf Nachfrage auch, dass die Demonstration ja ersichtlich "gewaltbereit" sei, ohne jegliche Anhaltspunkte liefern zu können. Ihre Eskalationsbereitschaft demonstrierten sie während zweier Gewahrsamnahmen: Eine Person hatte Sticker geklebt und wurde dafür aus der laufenden Demonstration gezogen; bei einer weiteren Gewahrsamnahme war ein unverhältnismäßiges und riskantes Vorgehen der Polizei ohne ersichtlichen Anlass zu beobachten.
Kriminalisierung von Selbstschutz
Auf Versammlungen gilt das Vermummungsverbot nach § 19 Abs. 1 VersFG. Dieses besagt, dass die Identität sich nicht zur Verhinderung der Verfolgung einer Straftat/Ordnungswidrigkeit verschleiert werden darf. Die Polizei erließ darüber hinaus die Auflage, dass jede Vermummung verboten sei, und filmte infolge von Verstößen wiederholt große Teile der Demonstration ab. Die Vermummung diente jedoch dem Schutz des Persönlichkeitsrechts, da Rechte fast durchgängig die Demonstration filmen, fotografieren oder streamen konnten. Nicht nur deswegen fordern NGOs ein Ende des pauschalen Vermummungsverbotes, um die Versammlungsfreiheit zu schützen. [Fn. 5] Die Polizei untersagt diesen Selbstschutz nicht nur, sondern kriminalisiert ihn durch das Filmen aktiv.
Für uns zeigt sich wiedereinmal, dass die Polizei der von Neonazis ausgehende Gefahr für Leib und Leben nicht adäquat begegnet - während antifaschistischer Protest pauschal als gefährlich wahrgenommen wird. Die Demonstration kam vor allem wegen eines umfassenden Sicherheitskonzepts der Veranstalter*innen und solidarischem Miteinander der Teilnehmenden sicher ans Ziel - während der Nachhauseweg weiterhin von umherstreunenden Neonazis gefährdet wurde.
Rückfragen an: akj-berlin@aktion.ismus.jetzt
Fn. 1: Hier findet sich der Aufruf: https://stressfaktor.squat.net/node/307749
Fn. 2: s. auch BVerfGE 269, 315; "Brokdorf-Beschluss"
Fn. 3: https://taz.de/CSD-in-Bautzen/!6029166/
Fn. 4: https://taz.de/Skandal-um-Polizeiausruestung/!5171833/