Eine Antwort auf „So einfach ist das nicht“ von Ronen Steinke

Der § 218 StGB kriminalisiert seit 1871 Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland. Genauso lange dauert auch der Kampf für seine Abschaffung. Ebenso alt wie die Bewegung für Abtreibungsrechte ist auch die müde Gegenargumentation, die am 11.01.23 erneut von Ronen Steinke in der SZ ausgerollt wurde. Bemüht wird hier die Frage danach, ab wann ein Embryo beginnt, ein Mensch zu sein, und dementsprechende Rechte in Anspruch nehmen kann, die der Staat zu schützen hat.

Nach ständiger Rechtsprechung bejaht das Bundesverfassungsgericht das Prinzip des „Lebensschutzes“ auch schon vor der Einnistung des Fötus und duldet deswegen auch die Abtreibung vor der vollendeten zwölften Woche nur bei Durchführung eines Beratungsgesprächs. Selbst dann hält es sie für rechtswidrig, jedoch straflos.

Jede Grenze zwischen Mensch-Sein und einem unbestimmten (embryonalen) Zustand davor ist zufällig. Damit wird jede Fristsetzung eine relativ beliebige, politische Angelegenheit. Nicht beliebig ist die körperliche Selbstbestimmung der schwangeren Person. Die Debatte um die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen auf die Frage nach der Fristsetzung zu reduzieren, wie es Steinke hier tut, greift zu kurz.

An dieser Stelle ein Gedankenexperiment, das wir Judith Jarvis Thomson („A Defense of Abortion“) entliehen haben: Stellen wir uns vor, im Krankenhausbett neben uns liegt eine Person, die nur dadurch am Leben gehalten werden kann, dass sie eine Bluttransfusion erhält. Wir haben die gleiche Blutgruppe und könnten diese Blutspende geben. Diese Entnahme könnte ohne langfristige gesundheitliche Folgen stattfinden. Es müsste also nur ein relativ kurzer, relativ gering körperlich belastender Eingriff - der wesentlich kürzer andauert als eine Schwangerschaft - ertragen werden, um das Leben eines anderen Menschen zu erhalten. Auch hier wäre grundrechtlich (und ethisch) das Leben der sterbenden Person gegen die körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung abzuwägen. Sollte in diesem Fall das Nicht-Geben der Blutspende eine Straftat sein?

Niemand sollte dazu gezwungen werden, den eigenen Körper, die privateste Sphäre, für jemand Anderen einzuschränken, zu belasten oder verletzen zu lassen. Nur innerhalb einer gewaltvollen Logik des Patriarchats ist zu erklären, warum das bei einer Schwangerschaft anders sein sollte. Einer Logik, die gebärfähigen Personen Handlungsmacht abspricht und Eingriffe in ihre reproduktiven Rechte mit der konstruierten Rechtsposition des „ungeborenen Lebens“ rechtfertigt. Das Strafrecht reproduziert einen gewaltvollen Anspruch, über diese Körper verfügen zu dürfen. Steinke müsste hier erklären, wieso es in einer liberalen Gesellschaft legitim ist, Solidaritätspflichten aufzustellen, die mit derart starken Eingriffen in die körperliche Selbstbestimmung einhergehen. Gerade in einer Gesellschaft, die sonst Selbstbestimmung und individueller Freiheit größte Bedeutung beimisst.

Als Jurist, der sich einen relevanten Teil seiner Karriere mit einer kritischen Analyse von Strafrecht und Strafvollzug beschäftigt hat, hätten wir uns von Steinke zumindest ein tieferes und ernsthafteres Verständnis dessen erhofft, was die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und ihre Regelung im Rahmen des StGB faktisch bedeutet. Für Steinke bedeutet dies lediglich ein Ausbuchstabieren „begrenzter humaner Tabus“. Ein Thema, das ebenfalls in Steinkes Expertise fallen würde, er jedoch nur kurz anschneidet ist die Kriminalisierung als Klassenfrage. Diese reduziert er auf eine Betrachtung der „sozio-ökonomischen Umstände“ der schwangeren Person. Er beschränkt sich lediglich auf den Prozess der Entscheidungsfindung. Die Frage nach einem gerechten, sicheren Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch, nach der Entscheidung für diesen, lässt Steinke völlig außen vor. Da die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch durch die gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen werden, bleibt dieser auch vor Ablauf der zwölf Wochen nur denjenigen möglich, die spontan 350 – 500 Euro für die Bezahlung eines ambulanten Eingriffs bzw. über 500 Euro für einen stationären Eingriff zur Verfügung haben. Erschwert wird eine Abtreibung weiter durch eine schlechte Versorgungsanbindung mit weiter Anfahrt zu den jeweiligen Mediziner*innen und Beratungsstellen, deren Zahl in den letzten Jahren zusätzlich drastisch zurückgegangen ist.

Entgegen der von Steinke aufgeworfenen ethischen Bedenken ist es zu einfach, Schwangeren in dieser hochgradig schwierigen Situation moralische Vorhaltungen zu machen, und die Legalisierung von Abtreibungen als „Einfallstor für Eugeniker“ zu beschreiben. Dieser Vorwurf klingt besonders zynisch in einer Gesellschaft, die zeitgleich Menschen mit Behinderungen stark ausgrenzt und die Eltern von Kindern mit Behinderungen in ihren starken Belastungen allein lässt.

Nichts an Steinkes Argumentation ist neu, und doch trifft sie immer wieder auf offene Ohren. Das ist nicht nur bedauerlich, sondern auch gefährlich in Zeiten eines globalen Rollbacks bei Abtreibungsrechten. Die Frage, die jetzt in einer erneut aufflammenden Debatte um die Streichung von § 218 StGB verhandelt wird, ist nicht, ob Embryonen Menschen sind, sondern ob schwangere Personen es sind.

Tags : Abtreibung ,   OffenerBrief

27th January