Am 19.11.2024 beobachteten wir, ein Team aus dem arbeitskreis kritischer jurist*innen HU und den Kritischen Jurist*innen der FU, den Polizeieinsatz zur "Kampfmittelsondierung" rund um das Protestcamp "Tesla Stoppen” in Grünheide (Mark) und die damit verbundene anschließende Auflösung und Räumung der gesamten Versammlung. Im Vorhinein war bereits in zwei Gerichtsurteilen bestätigt worden, dass sowohl die Art der Versammlung als Baumbesetzung, als auch die längerfristige Dauer vom grundrechtlichen Schutz umfasst ist.
Auf Grundlage dieser gerichtlichen Entscheidungen und unserer Beobachtungen haben wir eklatante Verstöße gegen gewichtige Rechtsgüter feststellen müssen. Sowohl die Art und Weise der geplanten Sondierungsmaßnahmen als auch die letztendliche Auflösung der gesamten Versammlung verletzen in schwerer Weise die in Art. 8 GG geschützte Versammlungsfreiheit.
Erforderlichkeit der Sondierungsarbeiten im Widerspruch zum Urteil
Im Mai 2024 wurde durch das OVG Berlin-Brandenburg (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.05.2024 - OVG 1 S 30/24 - openJur 2024, 6910, Rn. 26) bestätigt, dass ein Kampfmittelverdacht und die davon ausgehende Gefahr nicht ausreichen, um die Beendigung der Versammlung anzuordnen. Im Sommer 2024 wurden im Rahmen von Sondierungsarbeiten für eine Bautrasse zwei Weltkriegsbomben der Nähe des Protestcamps gefunden. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg stellte aber fest, dass ein an die Versammlung gerichtetes Verbot über das Befahren der Fläche mit Fahrzeugen und das Graben im Erdboden ausreiche, um einer Gefahr vorzubeugen, die von etwaigen Kampfmitteln im Boden ausgehen könnte. In diesem Lichte erscheinen die geplanten Sondierungsarbeiten bereits nicht erforderlich gewesen zu sein und stehen im Widerspruch zum Urteil des OVG Berlin Brandenburg.
Inkonsistenz der polizeilichen Gefahrenprognose
Dennoch wurde die zeitweise Aussetzung der Versammlung in einem Teilgebiet des Versammlungsortes, dem sogenannten Sondierungsgebiet, von der Versammlungsbehörde angeordnet. Begründet wurde dies mit einer polizeilichen Gefahrenprognose nach welcher auf dem Gelände vermutete Kampfmittel im Boden durch herabfallende Gegenstände oder Baumhäuser durch Erschütterung explodieren könnten.
Allerdings scheint die Gefahrenprognose der Polizei widersprüchlich. Spätestens bei der Dekonstruktion des Camps, warfen Beamt*innen mehrfach schwere Gegenstände aus großer Höhe auf den Waldboden, sodass es zu Erschütterungen kam. Am Mittwoch, 20.11., erfuhren wir aus den Medien, dass die Polizeikräfte selbst im Rahmend der Räumungsmaßnahmen mit schwerem Gerät auf die unsondierte Fläche fuhren. (https://www.moz.de/lokales/erkner/tesla-gruenheide-polizei-grossaufgebot-im-protestcamp-wird-heute-geraeumt-77663990.html). Dieses Verhalten steht im Widerspruch zu der durch die Polizei angenommene unberechenbare Explosionsgefahr. Solche Erschütterungen hätten laut der aufgestellten Gefahrenprognose gerade vermieden werden müssen. Die durch die Maschinen verursachten Erschütterungen sind wohl als weit über der von möglichen Versammlungsteilnehmer*innen ausgehenden Erschütterungen einzuschätzen. In der Gesamtschau drängt sich daher die Frage auf, ob eine solche Gefahr, die als Grund für die Maßnahmen genannt wurde, nur als vorgeschobener Grund diente, die Versammlung zu räumen.
Auflösung der Versammlung
Die Auflösung der gesamten Versammlung, auch über das Sondierungsgebiet hinaus, begründete die Polizei Brandenburg laut Pressemitteilung mit: "mehrfachen massiven Verstößen gegen die Auflagen (und) Straftaten (sowie) die wiederholten Begehungen von Straftaten (diese) machten deutlich, dass die Versammlung darauf ausgerichtet war, weitere Sondierungen zu verhindern."
(https://polizei.brandenburg.de/pressemeldung/polizei-loest-versammlung-auf/5248683auf/5248683).
Bis auf die gewaltfreie Weigerung von den Bäumen herunterzukommen, konnte unserer Beobachtung nach nichts der Gleichen festgestellt werden. Auch die Beamt*innen vor Ort erwähnten uns gegenüber lediglich, dass es Ihnen um die Entfernung der Aktivist*innen von den Bäumen des Sondierungsgebiets ankam. Es ist nicht ersichtlich weshalb dazu die Auflösung der gesamten Versammlung einhergehend mit der Dekonstruktion des gesamten Camps nötig gewesen sein soll. Damit verstieß mindestens die Auflösung ausdrücklich gegen die Urteile des VG Potsdam und OVG Berlin-Brandenburg. Damit liegt eine Verletzung gegen das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG in einer besonders Besorgnis erregenden Art und Weise, vor. Dementsprechend kann die Versammlungsauflösung mit Hinweis auf die
Undurchführbarkeit von offensichtlich rechtswidrigen Sondierungsmaßnahmen ebenfalls nicht mit Hinblick auf Art. 8 GG gerechtfertigt werden.
Gefährdung für Leib und Leben
Des Weiteren stellt eine Räumung bei starkem Regen und zeitweisem Schneeregen eine erhebliche Gefahr für das Leib und Leben der Aktivist*innen der Waldbesetzung dar. Dem Schutz dieser ist die Polizei gem. Art. 2 Abs.2 GG verpflichtet. Eine schnelle Beendigung des Protestcamps scheint von den Einsatzkräften aber über die körperliche Unversehrtheit und das Leben der Menschen in den Baumhäusern gestellt worden zu sein. Wir beobachten wie im Zuge der Auflösung und Räumung systematisch die Seile der Demonstrant*innen von der Polizei durchtrennt wurden. Diese Seile boten den
Demonstrant*innen die Möglichkeit sich zwischen den Bäumen zu bewegen und in Gefahrensituationen selbstständig entweichen zu können. Mit der Durchtrennung verlagerte sich das Versammlungsgeschehen in die höheren Baumkronen, was mit einer erhöhten Gefährdung für die Demonstrierenden verbunden ist. Auch wurde den Demonstrierenden Zugang zu Essen, Trinken warmer Kleidung und Schlafsachen verwehrt, solange sie nicht von den Bäumen runterkommen. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verbietet jegliche Form der Folter oder einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung. Dieses Verbot gilt absolut und kann nicht eingeschränkt werden. Demonstrierenden nachts, bei Minusgraden den Zugang zu Essen, Trinken und Wärme zu verwehren, um ihren Willen zu brechen, stellt eine beständige Zufügung von absichtlich verursachtem physischen und psychischen Leidens dar. Diese Taktik der Polizeileitung erfüllt die Definition einer erniedrigenden und unmenschlichen Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK. Die hier von uns dargelegten Rechtsverstöße der Polizei sind nicht abschließend. Wir werden zeitnah in einem ausführlichen Bericht Stellung nehmen, sowohl in Bezug auf weitere festgestellte Rechtsverstöße der Polizei als auch in Bezug auf die hier bereits angesprochenen Verstöße.