Am Mittwoch, den 31.05.2023, kam es zum Urteilsspruch im sogenannten "Antifa-Ost-Verfahren" gegen Lina E. und weitere Antifaschist*innen. Das Ergebnis sind 5 Jahre und 3 Monate Haft für Lina E. und weitere Strafen zwischen zwei und drei Jahren gegen weitere Mitangeklagte. Ihnen wurden Angriffe auf (teils verurteilte) Rechtsextreme in Thüringen und Sachsen so wie die „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ vorgeworfen. Diese langen Haftstrafen stehen in einer Kontinuität zu langjähriger Repression gegen Antifaschist*innen.
Das Vorgehen des LKA Sachsen und die von der CDU während des Wahlkampfes 2019 gegründete Soko LinX kennzeichnen eine zunehmende Kriminalisierung antifaschistischen Aktivismus´ in der Öffentlichkeit in den letzten Jahren. Seit Beginn des Prozesses ist eine politische Motivation nicht von der Hand zu weisen. Sei es die Einschaltung der Bundesanwaltschaft, welche sonst nur bei Fällen von Terrorismus zuständig ist, oder das übermäßige Polizeiaufgebot in Dresden zum Prozessauftakt. Auch die Statements verschiedener Politiker*innen nach Abschluss des Verfahrens, wie von Innenministerin Nancy Faeser oder Justizminister Marco Buschmann, unterstreichen die politische Bedeutung des Prozesses, verzerren aber auch gesellschaftliche Realitäten. So betont Faeser die Gefahr des Linksextremismus, nach Angaben ihres eigenen Ministeriums hat es aber 4x so viele rechtsextreme Straftaten im Jahr 2021 (letzte Erfassung) gegeben. Seit der Wiedervereinigung wurden 219 Menschen durch rechte Gewalt getötet.
Bedenkt man, wie schwerwiegend die Vorwürfe sind und wie publikumswirksam sie inszeniert werden, ist die Beweislage doch sehr vage und dünn. So änderten Zeug*innen, von denen ein Teil nun selbst aufgrund rechtsextremer Aktivitäten auf Grundlage des § 129 StGB angeklagt wurden, vor Gericht immer wieder ihre Aussagen und der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft ist ein in der Szene geouteter Täter, an dessen Glaubwürdigkeit grundlegende Zweifel zu stellen sind. Das Verfahren gegen diesen Kronzeugen wegen Vergewaltigung wurde im Zuge seiner Aussage fallengelassen.
Wie der Anwalt der Angeklagten Lina E., Ulrich von Klinggräff, richtig feststellte, und was vielfach auch die Erfahrung von Gerichtsjournalist*innen spiegelte: "Die Ermittlungen [sind] einseitig geführt worden sind. [...] [D]ie Verurteilung [beruht] auf Hypothesen und Mutmaßungen und weniger auf handfesten Beweisen."
Vergleicht man dies mit dem Umgang mit zahlreichen Verfahren im rechten Spektrum, lässt sich ein grobes Missverhältnis feststellen. Dieses Missverhältnis zeigt sich insbesondere in der Strafzumessung. Repräsentativ hierfür steht die Verurteilung von John Demjanjuk (SS-Wachmann), welcher wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 28.060 Fällen zu nur fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Auch erwähnenswert ist die Verurteilung des NSU-Hauptunterstützers Andre Eminger, der damals eine Freiheitsstrafe von 2,5 Jahre erhielt.
Der § 129 StGB ist ein politisches Instrument bzw. stellt ein sogenanntes Organisationsdelikt dar, welches eine Strafbarkeit weit vor der Vorbereitung konkreter Straftaten begründet. Zudem ermöglicht er bei uneindeutiger Beweislage eine Anklage, schließlich muss keine konkrete Begehung einer Tat nachgewiesen werden. Auch werden durch den Verdacht zur Bildung einer kriminellen Vereinigung den Ermittler*innen weitgehende Ermittlungsbefugnisse wie Telefonüberwachung und Online-Durchsuchungen ermöglicht. Personen im unmittelbaren Umfeld der angeblichen Mitglieder einer solchen "kriminellen Vereinigung" unterliegen der sogenannten Kontaktschuld, die eine enorme Welle an Hausdurchsuchungen, vor allem in Leipzig und in Jena, mit unhaltbaren Begründungen nach sich zog. Wirkliche Verbindungen zu den verurteilten Antifaschist*innen konnten nie nachgewiesen werden. Der Effekt auf die politischen Akteure ist enorm, wie vor kurzem auch die klimaaktivistische Gruppe Letzte Generation feststellen musste. Öffentlich werden die Gruppen in die Nähe der "organisierten Kriminalität" geschoben und somit entpolitisiert. Die Handlungsgründe rücken in den Hintergrund; was nachhaltig bleibt, ist das Stigma.
Wir als Arbeitskreis kritischer Jurist*innen der Humboldt-Universität verurteilen den Prozess und das Urteil gegen Lina E. und weitere Beteiligte aufs Schärfste. Wir solidarisieren uns mit Antifaschist*innen und unterstützen Protestaktionen gegen staatliche Repressionen weltweit.
Trotz Alledem - Für einen kämpferischen Antifaschismus!
In Gedenken an Esther Bejarano: "Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen."
Wir haben gegen das Verbot der Demonstration am Samstag Eilantrag beim Verwaltungsgericht Leipzig eingelegt. Der Eilantrag findet sich in Kürze hier.