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Wochenendseminar
“Eine neue Verfassung für die Humboldt-Uni”
8. bis 9. Mai 2004
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[zurück zu B.I. Thomas Neie: Hochschulmitbestimmung
und Verfassungsrechtsprechung]
B. Inputreferate
II. Dr. Andreas
Keller (Politologe, BdWi)
Hochschulreform oder Hochschulrevolte? –
Was soll oder kann eine Hochschulverfassung leisten?
1.) Reform versus Revolte
2.) Demokratisierung der Hochschulen
a) Was soll/heißt Demokratisierung
- der Weg der Reformen führt über die Demokratiesierung der Hochschulen
- dies verstanden als Beitrag zur Demokratiesierung der (Gesamt)Gesellschaft
und ihrer Teilbereiche
- nicht nur der Staat, auch die Gesellschaft muss demokratisiert
werden (Trennung von Staat und Gesellschaft)
- Demokratiesierung von Entscheidungen durch Beteiligung derjenigen,
die sie angehen,
- führt auch zu einer Erhöhung der Rationlität und Effizienz
von Entscheidungen (durch die Konkurrenz der Interessen)
- fördert die Identifikation mit der Hochschule als Körperschaft
der Forschenden und Lernenden
- Demokratisierung zielt damit immer auf Dezentralisierung der politischen
Steuerung von Hochschulentwicklung
- statt zentraler Steuerung
- statt ökonomischer Steuerung
b) die Mehrdimensionale Mitbestimmungsstruktur der Hochschule
- die Hochschulegesetze tragen diesen Forderungen insofern Rechnung,
als dass sie mehrdimensionale Mitbestimmungsstrukturen an den Hochschulen
instaliert haben
- hierzu zählen:
- Hochschulselbstverwaltung
- Verfasste Studierendenschaft / AssistentInnenschaft etc.
- Personalräte (und Gewerkschaften)
- Beauftragte (für Frauen, Daten, Behinderte, AusländerInnen etc.)
mit besonderen Kontroll- und Beteiligungsrechten
- Hochschuldienstrecht / Tarifverträge als besondere Formen der
Personverfassung (durch Gesetz oder Tarifverträge ausgestaltet)
regeln ebenfalls die Frage, wie konkret die wissenschaftliche, forschungsrelevante
Tätigkeit organisiert wird und wie selbständig die Beteiligten dabei
sind
- ferner sind auch informelle Mitbestimmungsformen zu nennen:
- Küchenkabinette
- Runde Tische (zu denen die Macht insbesondere in Krisenzeiten
bereit ist – Krisenmanagement)
- Kooperationsprojekte oder
- Zielvereinbarungen
c) Ausgangs- und Rahmenbedigungen für die Mitbestimmung in der Hochschulverwaltung
(eine Themensammlung)
- Definition der Hochschulmitgliedschaft:
- Wer ist das Volk?
- Demokratie ist mehr als nur die Gesamtheit der Mitglieder: Was
ist mit den an der Hochschule Tätigen, die über keine Mitgliedsrechte
verfügen (Lehrbeauftragte, PrivatdozentInnen, freie MitarbeiterInnen)
- Abgrenzung der Mitgliedsgruppen
- als Frage der Zuordnung von Hochschulmitgliedern zu bestimmten
Statusgruppen
- z.B. werden JuniorprofessorInnen durch das BerlHG der Gruppe der
ProfessorInnen zugewiesen; Studierende im Beschäftigtenverhältnis
und DoktorandInnen der Studierendenschaft (sie könnten auch als
Auszubildende oder Forschende eingestuft werden)
- Materielle Rahmenbedingungen:
- als materieller Anreizpunkt können verschiedene, gruppenbezogene
Vergünstigungen die Mitarbeit in den Gremien befördern (z.B. Sitzungsgelder
für Studierende, Ansprüche auf Vertragsverlängerungen für Zeitbeschäftigte,
Anerkennung von Gremientätigkeit auf die Dienstzeit)
- umgekehrt können materielle Umweltfaktoren aber Gremienarbeit
auch unattraktiv machen oder gar ausschließen:
- insbesondere können Studiengebühren oder mangelhafte Ausbildungsförderung
durch BAföG etc. nicht nur vom Studium schlechthin, sondern
auch von Gremientätigkeit abschrecken, weil der für die Gremientätigkeit
erforderliche Zeitaufwand zur Sicherung des Lebensunterhaltes
und zur Ermöglichung des Studiums zum Jobben neben dem Studium
aufgewendet werden muss
- ferner wirkt die Verschulung des Studiums durch die Erhöhung
der Präsenzzeiten in den Lehrveranstaltungen einer Beteiligung
entgegen, da der erhöhte Studienaufwand und die mangelhaften
Selbstgestaltungsmöglichkeiten im Studium die Teilnahme an Gremiensitzungen
erheblich erschweren, ohne Verzögerung im Studium hinzunehmen
- letztlich bestimmt die Gremienstruktur selbst die Gestaltungs- und
Mitbestimmungsmöglichkeiten der Hochschulmitglieder:
- hinsichtlich seiner Zusammensetzung,
- Arbeitsweise und
- Zuständigkeiten
d) Zuständigkeiten gewählter Gremien
- Gestaltungsmöglichkeiten sind durch die Verteilung von Zuständigkeiten
unter den Gremien begrenzt:
- dabei stellt sich im Kompetenzgerangel zwischen den akademischen
Gremien und der Hochschulleitung bzw. -verwaltung immer wieder die
Frage, ob Universitätsgremien lediglich in grundsätzlichen Angelegenheiten
entscheiden sollen oder auch Detailfragen regeln dürfen bzw. an
der Umsetzung ihrer Beschlüsse Anteil nehmen können oder auf bloße
Kontrollrechte beschränkt werden; dazu zählen insbesondere:
- Haushaltsfragen
- Struktur- und Planungsfragen
- Personalfragen
- Fragen von gesamtuniversitärem Belang
- um den Kompetenzstreit zugunsten der Gruppengremien zu entscheiden,
sollte dem Akademischen Senat eine Auffangkompetenz zugebilligt
werden, die es ihm ermöglicht, seine Kompetenzen im Zweifel selbst
bestimmen zu können (sofern keine andere Zuständigkeit gegeben ist)
- direkt gewählte Gremien müssen über Kontrollrechte verfügen, insbesondere
wenn es um die Überprüfung der Umsetzung ihrer Eigenen Beschlüsse oder
die Kontrolle der Tätigkeit von ihnen gewählter Gremien oder Amtspersonen
geht, durch:
- Akteneinsichtsrechte
- Untersuchungs- und Befragungsrechte
- Rechenschaftspflichten der Exekutivorgane gegenüber den Hochschulgremien
- Leitbild dieser Gewaltenteilung sollte ein Staatsorganisationsmodell
sein und nicht das eines Unternehmens oder einer Behörde
d) Zusammensetzung gewählter Gremien
Die aktuelle Zusammensetzung gewählter Gremien der akademischen Selbstverwaltung
ist im Referat von Thomas Neie (siehe 1.) bereits herausgearbeitet worden,
so dass wir uns hier auf notwendige Forderungen konzentrieren können:
- grundsätzlich sollten (Entscheidungs-)Gremien durch gewählte VertreterInnen
der Mitgliedsgruppen besetzt werden und nicht durch AmtsträgerInnen
- Viertelparität, soweit Forschung und Lehre nicht substanziell
betroffen sind (nach der Entscheidung des BVerfG von 1973 und der aktuellen
HRG-Regelung ist eine Proporzregelung auf Landesebene durchaus möglich)
- soweit Forschung und Lehre substanziell betroffen sind, sollte
der erforderliche “ProfessorInnenüberschusses” aus einer integrierten
Wahl hervorgehen, an der alle Hochschulmitglieder gleichermaßen
beteiligt sind
- keine Stimmrechtsbeschränkungen (z.B. für sonstige MitarbeiterInnen)
- keine “Mehrheit in der Mehrheit” (bei Berufungsfragen muss neben
der Mehrheit des Gremiums auch die Mehrheit der ProfessorInnen für
die Berufung stimmen), weil das BVerfG – von der Gremienzusammensetzung
abgesehen – keine Aussagen macht
- Paritätisch besetzte Leitungsorgane
aa) Paritätische Mitbestimmung
- nach BVerfGE von 1973 und Hochschulrahmengesetz (HRG) möglich bei:
- Satzungsfragen und Wahlen der Hochschulleitung (Konzil)
- Gremienentscheidungen z.B. über:
- Evaluation der Lehre (§ 37 Abs. 1 HRG)
- “Neue Mitbestimmungstatbestände” (Strukturplanung, Haushalt
etc.)
- Gremien, die ausschließlich derartige Entscheidungen treffen (z.B.
Ausbildungskommissionen)
- Gremien ohne Entscheidungsbefungnis (Kommissionen, Ausschüsse,
Arbeitskreise)
3.) Rechtliche Rahmenbedigungen
a) Stufenaufbau des Hochschulrechts
- hierarchisierte Befugnis- und Entscheidungsnormen (von oben nach unten):
- Grundgesetz: Auslegung strittiger Schlupfwinkel oder möglicherweise
betroffener Rechte von Hochschulmitgliedern
- Hochschulrahmengesetz (HRG): 1998 dereguliert (Bundeskompetenz
im einzelnen strittig)
- Berliner Hochschulgesetz (BerlHG): regelt die konkrete
Hochschulorganisation (große Novelle mit weitreichenden Änderungen
zugunsten mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten in absehbarer Zeit?;
solange Erprobungsklausel von § 7a BerlHG ausnutzen!)
- Grundordnung/Verfassung der Universität (an der HU Vorläufige
Verfassung)
b) Erprobungsklausel des Berliner Hochschulgesetzes (§ 7a BerlHG)
- genehmigt Abweichungen von §§ 24 - 29, 34 - 36, 51 - 58, 60 - 75,
83 - 121 möglich
- Zulassungserfordernis durch die Senatsverwaltung auf begrenzte Zeit
- auf Antrag der “Hochschule” (konkret der Leitung, nicht Gremienbeschluss)
- Problem: Zweckbestimmung
- “Vereinfachung der Entscheidungsprozesse”
- “Verbesserung der Wirtschaftlichkeit”
- es sollte statt dessen oder daneben der Zweck der Demokratisierung
aufgenommen werden (gemeint ist die Stärkung von Mitbestimmungsrechten)
- ggf. Genehmigungsproblem in Abhängigkeit von der jeweiligen politischen
Senatszusamensetzung
4.) Abschließende Bemerkungen
- Ausgehend von der Frage “Hochschulreform oder Hochschulrevolte?” muss
vor der Gefahr des Klein-Klein im Streit über die Umsetzung des § 7a
BerlHG oder der Verfassungsausgestaltung gewarnt werden:
- die Frage über Hochschulreform allgemein muss über die Verfassungsdiskussion
in die Gremien hineingetragen werden, um dadurch eine Politisierung
der Hochschule zu erreichen
- aber sie darf sich nicht darauf beschränken – im Streit um Mitbestimmungsrechte
kann nicht das Hauptinteresse der Studierenden(bewegung) zu sehen
sein.
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zu III. Jana Schütze: Die Voräufige Verfassung der Humboldt-Universitätl]
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