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Wochenendseminar
“Eine neue Verfassung für die Humboldt-Uni”

8. bis 9. Mai 2004

                          

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B. Inputreferate

II. Dr. Andreas Keller (Politologe, BdWi)
Hochschulreform oder Hochschulrevolte? –
Was soll oder kann eine Hochschulverfassung leisten?

1.) Reform versus Revolte

  • Hochschulreform oder Hochschulrevolte?, diese Frage bildet den Hintergrund der Mitbestimmungsfragen seit den 60er Jahren und war zugleich Streit- und Spaltungspunkt jeder Studierendenbewegung:

    • es ging immer darum Beteiligung zu erkämpfen
    • oder gegen die Institution bzw. die Gesellschaft zu revolutionieren
  • In diesem Zusammenhang ergeben sich noch weitere Antagonismen:
    • Hochschulreform vs. Hochschulrevolte
    • Institution vs. Autonomie
    • Partizipation vs. Selbstorganisation
  • es gilt einen Ausgleich zwischen diesen Positionen zu finden...

2.) Demokratisierung der Hochschulen

a) Was soll/heißt Demokratisierung

  • der Weg der Reformen führt über die Demokratiesierung der Hochschulen
    • dies verstanden als Beitrag zur Demokratiesierung der (Gesamt)Gesellschaft und ihrer Teilbereiche
    • nicht nur der Staat, auch die Gesellschaft muss demokratisiert werden (Trennung von Staat und Gesellschaft)
  • Demokratiesierung von Entscheidungen durch Beteiligung derjenigen, die sie angehen,
    • führt auch zu einer Erhöhung der Rationlität und Effizienz von Entscheidungen (durch die Konkurrenz der Interessen)
    • fördert die Identifikation mit der Hochschule als Körperschaft der Forschenden und Lernenden
  • Demokratisierung zielt damit immer auf Dezentralisierung der politischen Steuerung von Hochschulentwicklung
    • statt zentraler Steuerung
    • statt ökonomischer Steuerung

b) die Mehrdimensionale Mitbestimmungsstruktur der Hochschule

  • die Hochschulegesetze tragen diesen Forderungen insofern Rechnung, als dass sie mehrdimensionale Mitbestimmungsstrukturen an den Hochschulen instaliert haben
  • hierzu zählen:
    • Hochschulselbstverwaltung
    • Verfasste Studierendenschaft / AssistentInnenschaft etc.
    • Personalräte (und Gewerkschaften)
    • Beauftragte (für Frauen, Daten, Behinderte, AusländerInnen etc.) mit besonderen Kontroll- und Beteiligungsrechten
    • Hochschuldienstrecht / Tarifverträge als besondere Formen der Personverfassung (durch Gesetz oder Tarifverträge ausgestaltet) regeln ebenfalls die Frage, wie konkret die wissenschaftliche, forschungsrelevante Tätigkeit organisiert wird und wie selbständig die Beteiligten dabei sind
    • ferner sind auch informelle Mitbestimmungsformen zu nennen:
      • Küchenkabinette
      • Runde Tische (zu denen die Macht insbesondere in Krisenzeiten bereit ist – Krisenmanagement)
      • Kooperationsprojekte oder
      • Zielvereinbarungen

c) Ausgangs- und Rahmenbedigungen für die Mitbestimmung in der Hochschulverwaltung (eine Themensammlung)

  • Definition der Hochschulmitgliedschaft:
    • Wer ist das Volk?
    • Demokratie ist mehr als nur die Gesamtheit der Mitglieder: Was ist mit den an der Hochschule Tätigen, die über keine Mitgliedsrechte verfügen (Lehrbeauftragte, PrivatdozentInnen, freie MitarbeiterInnen)
  • Abgrenzung der Mitgliedsgruppen
    • als Frage der Zuordnung von Hochschulmitgliedern zu bestimmten Statusgruppen
    • z.B. werden JuniorprofessorInnen durch das BerlHG der Gruppe der ProfessorInnen zugewiesen; Studierende im Beschäftigtenverhältnis und DoktorandInnen der Studierendenschaft (sie könnten auch als Auszubildende oder Forschende eingestuft werden)
  • Materielle Rahmenbedingungen:
    • als materieller Anreizpunkt können verschiedene, gruppenbezogene Vergünstigungen die Mitarbeit in den Gremien befördern (z.B. Sitzungsgelder für Studierende, Ansprüche auf Vertragsverlängerungen für Zeitbeschäftigte, Anerkennung von Gremientätigkeit auf die Dienstzeit)
    • umgekehrt können materielle Umweltfaktoren aber Gremienarbeit auch unattraktiv machen oder gar ausschließen:
      • insbesondere können Studiengebühren oder mangelhafte Ausbildungsförderung durch BAföG etc. nicht nur vom Studium schlechthin, sondern auch von Gremientätigkeit abschrecken, weil der für die Gremientätigkeit erforderliche Zeitaufwand zur Sicherung des Lebensunterhaltes und zur Ermöglichung des Studiums zum Jobben neben dem Studium aufgewendet werden muss
      • ferner wirkt die Verschulung des Studiums durch die Erhöhung der Präsenzzeiten in den Lehrveranstaltungen einer Beteiligung entgegen, da der erhöhte Studienaufwand und die mangelhaften Selbstgestaltungsmöglichkeiten im Studium die Teilnahme an Gremiensitzungen erheblich erschweren, ohne Verzögerung im Studium hinzunehmen
  • letztlich bestimmt die Gremienstruktur selbst die Gestaltungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten der Hochschulmitglieder:
    • hinsichtlich seiner Zusammensetzung,
    • Arbeitsweise und
    • Zuständigkeiten

d) Zuständigkeiten gewählter Gremien

  • Gestaltungsmöglichkeiten sind durch die Verteilung von Zuständigkeiten unter den Gremien begrenzt:
    • dabei stellt sich im Kompetenzgerangel zwischen den akademischen Gremien und der Hochschulleitung bzw. -verwaltung immer wieder die Frage, ob Universitätsgremien lediglich in grundsätzlichen Angelegenheiten entscheiden sollen oder auch Detailfragen regeln dürfen bzw. an der Umsetzung ihrer Beschlüsse Anteil nehmen können oder auf bloße Kontrollrechte beschränkt werden; dazu zählen insbesondere:
      • Haushaltsfragen
      • Struktur- und Planungsfragen
      • Personalfragen
      • Fragen von gesamtuniversitärem Belang
    • um den Kompetenzstreit zugunsten der Gruppengremien zu entscheiden, sollte dem Akademischen Senat eine Auffangkompetenz zugebilligt werden, die es ihm ermöglicht, seine Kompetenzen im Zweifel selbst bestimmen zu können (sofern keine andere Zuständigkeit gegeben ist)
  • direkt gewählte Gremien müssen über Kontrollrechte verfügen, insbesondere wenn es um die Überprüfung der Umsetzung ihrer Eigenen Beschlüsse oder die Kontrolle der Tätigkeit von ihnen gewählter Gremien oder Amtspersonen geht, durch:
      • Akteneinsichtsrechte
      • Untersuchungs- und Befragungsrechte
      • Rechenschaftspflichten der Exekutivorgane gegenüber den Hochschulgremien
  • Leitbild dieser Gewaltenteilung sollte ein Staatsorganisationsmodell sein und nicht das eines Unternehmens oder einer Behörde

d) Zusammensetzung gewählter Gremien

Die aktuelle Zusammensetzung gewählter Gremien der akademischen Selbstverwaltung ist im Referat von Thomas Neie (siehe 1.) bereits herausgearbeitet worden, so dass wir uns hier auf notwendige Forderungen konzentrieren können:

  • grundsätzlich sollten (Entscheidungs-)Gremien durch gewählte VertreterInnen der Mitgliedsgruppen besetzt werden und nicht durch AmtsträgerInnen
  • Viertelparität, soweit Forschung und Lehre nicht substanziell betroffen sind (nach der Entscheidung des BVerfG von 1973 und der aktuellen HRG-Regelung ist eine Proporzregelung auf Landesebene durchaus möglich)
    • soweit Forschung und Lehre substanziell betroffen sind, sollte der erforderliche “ProfessorInnenüberschusses” aus einer integrierten Wahl hervorgehen, an der alle Hochschulmitglieder gleichermaßen beteiligt sind
    • keine Stimmrechtsbeschränkungen (z.B. für sonstige MitarbeiterInnen)
    • keine “Mehrheit in der Mehrheit” (bei Berufungsfragen muss neben der Mehrheit des Gremiums auch die Mehrheit der ProfessorInnen für die Berufung stimmen), weil das BVerfG – von der Gremienzusammensetzung abgesehen – keine Aussagen macht
    • Paritätisch besetzte Leitungsorgane

aa) Paritätische Mitbestimmung

  • nach BVerfGE von 1973 und Hochschulrahmengesetz (HRG) möglich bei:
    • Satzungsfragen und Wahlen der Hochschulleitung (Konzil)
    • Gremienentscheidungen z.B. über:
      • Evaluation der Lehre (§ 37 Abs. 1 HRG)
      • “Neue Mitbestimmungstatbestände” (Strukturplanung, Haushalt etc.)
    • Gremien, die ausschließlich derartige Entscheidungen treffen (z.B. Ausbildungskommissionen)
    • Gremien ohne Entscheidungsbefungnis (Kommissionen, Ausschüsse, Arbeitskreise)

3.) Rechtliche Rahmenbedigungen

a) Stufenaufbau des Hochschulrechts

  • hierarchisierte Befugnis- und Entscheidungsnormen (von oben nach unten):
    • Grundgesetz: Auslegung strittiger Schlupfwinkel oder möglicherweise betroffener Rechte von Hochschulmitgliedern
    • Hochschulrahmengesetz (HRG): 1998 dereguliert (Bundeskompetenz im einzelnen strittig)
    • Berliner Hochschulgesetz (BerlHG): regelt die konkrete Hochschulorganisation (große Novelle mit weitreichenden Änderungen zugunsten mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten in absehbarer Zeit?; solange Erprobungsklausel von § 7a BerlHG ausnutzen!)
    • Grundordnung/Verfassung der Universität (an der HU Vorläufige Verfassung)

b) Erprobungsklausel des Berliner Hochschulgesetzes (§ 7a BerlHG)

  • genehmigt Abweichungen von §§ 24 - 29, 34 - 36, 51 - 58, 60 - 75, 83 - 121 möglich
  • Zulassungserfordernis durch die Senatsverwaltung auf begrenzte Zeit
  • auf Antrag der “Hochschule” (konkret der Leitung, nicht Gremienbeschluss)
  • Problem: Zweckbestimmung
    • “Vereinfachung der Entscheidungsprozesse”
    • “Verbesserung der Wirtschaftlichkeit”
    • es sollte statt dessen oder daneben der Zweck der Demokratisierung aufgenommen werden (gemeint ist die Stärkung von Mitbestimmungsrechten)
    • ggf. Genehmigungsproblem in Abhängigkeit von der jeweiligen politischen Senatszusamensetzung

4.) Abschließende Bemerkungen

  • Ausgehend von der Frage “Hochschulreform oder Hochschulrevolte?” muss vor der Gefahr des Klein-Klein im Streit über die Umsetzung des § 7a BerlHG oder der Verfassungsausgestaltung gewarnt werden:
    • die Frage über Hochschulreform allgemein muss über die Verfassungsdiskussion in die Gremien hineingetragen werden, um dadurch eine Politisierung der Hochschule zu erreichen
    • aber sie darf sich nicht darauf beschränken – im Streit um Mitbestimmungsrechte kann nicht das Hauptinteresse der Studierenden(bewegung) zu sehen sein.

 

[weiter zu III. Jana Schütze: Die Voräufige Verfassung der Humboldt-Universitätl]

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