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Aktuell
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Ist
Europa in guter Verfassung?
EU-Verfassung
– ein zukunftsoffener Entwurf
oder Diktatur der Gegenwart über die Zukunft?
Freitag,
den 29. April 2005, 18.00 - 21.00 Uhr im Kinosaal
der Humboldt-Universität zu Berlin (Unter den Linden 6,
Tram: M 1, 12; Bus: 100, 200, TXL)
Beitrag von Martin
Hantke
Per Verfassungsvertrag zu einem Raum der Freiheit,
Sicherheit und des Rechts? Zur
Kritik der Innen-, Rechts- und Justizpolitik im Verfassungsvertrag
Während
es zum Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik des
Verfassungsvertrages, wie zur Wirtschafts-, Sozial- und
Beschäftigungspolitik zumindest in Ansätzen öffentliche
Debatten gibt, werden die in ihm getroffenen Festlegungen zur
Innen-, Rechts- und Justizpolitik jedoch wenig beachtet. Dies ist
umso verwunderlicher, als gerade auch hier wesentliche Änderungen
im Vergleich zum gültigen Vertrag von Nizza zu . nden sind,
wie auch gewichtige Fortschreibungen der bisherigen Konstruktion
des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts vorgenommen
werden.
Relevante
Vertragsbestimmungen für die Innen- und Justizpolitik
Relevant
für die Innen- und Justizpolitik sind die Artikel I-42 "Besondere
Bestimmungen über den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts"
(gegenwärtig Art. 29 Vertrag über die Europäische Union
– EUV und Art. 61 EG-Vertrag - EGV) und Artikel I-43 mit der völlig
neuen "Solidaritätsklausel" im ersten Teil des Verfassungsvertrags.
Im zweiten Teil ist es die gesamte Grundrechtecharta sowie die dazu gehörenden
Erläuterungen, die in der Erklärung Nr.12 des Verfassungsvertrages
enthalten sind. Im Teil III sind die Artikel III-257 bis -277 im Kapitel
IV von Bedeutung sowie die Bestimmungen über den Gerichtshof der
Europäischen Union (Artikel III-353 bis III-381) und hier insbesondere
die Bestimmungen über die Nichtzuständigkeit für "Maßnahmen
der Polizei" eines Mitgliedstaates und für die "Wahrnehmung
der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung
der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit"
(Art. III-377). Hinzu kommt die Ausführungsbestimmung der "Solidaritätsklausel"
in III-329. Außerdem sind noch Protokolle und Erklärungen,
wie das Protokoll Nr. 17 "über den in den Rahmen der Europäischen
Union einbezogenen Schengen-Besitzstand" und die Erklärung Nr.
25 zu Artikel III-325 "über die Aushandlung und den Abschluss
internationaler Übereinkünfte betreffend den Raum der Freiheit,
der Sicherheit und des Rechts durch die Mitgliedstaaten" von Relevanz.
Gegenseitige
Anerkennung von Entscheidungen
In
Artikel I-3 Abs. 2 wurde als eines der Ziele der EU fixiert: "Die
Unionbietet ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der Freiheit,
der Sicherheit und des Rechts". Auf drei Wegen soll nun dieser Raum
gemäß Art. I-42 hergestellt werden: Durch die Angleichung von
Rechtsvorschriften, durch die "gegenseitige Anerkennung der gerichtlichen
und außergerichtlichen Entscheidungen" sowie durch die "operative
Zusammenarbeit der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten".
Als besondere Bestimmung wird zudem noch festgehalten, dass die Mitgliedstaaten
"über ein Initiativrecht im Bereich der polizeilichen und justiziellen
Zusammenarbeit in Strafsachen" verfügen.
Die
damit vertraglich fixierte Absicht, diesen Rechtsraum auch mittels
gegenseitiger Anerkennung von Urteilen herstellen zu wollen, ist
seit der Etablierung des Europäischen Haftbefehls
zunehmend in die Kritik geraten.
Denn was mit der Formulierung der "gegenseitigen
Anerkennung" auf den ersten Blick recht harmlos daherkommt,
hat es in sich. Dies zeigen bereits die ersten Erfahrungen mit
diesem Haftbefehl, der nach dem Verfassungsvertrag nun so etwas
wie die Blaupause für die gegenseitige Anerkennungspraxis von
gerichtlichen Urteilen und Entscheidungen darstellt. Soll eine
deutsche Staatsbürgerin oder ein deutscher Staatsbürger
in ein anderes EU-Mitgliedsland ausgeliefert werden, so ist keine
rechtliche Prüfung mehr möglich. Damit gibt es nach den
Regeln des EU-Haftbefehls keinen deutschen Rechtsschutz mehr.
Diese Praxis wird jetzt vom höchsten deutschen Gericht
überprüft: Das Bundesverfassungsgericht befasst sich mit
der Vereinbarkeit von Europäischem Haftbefehl und
Grundgesetz. In der für Karlsruher Verhältnisse
ungewöhnlich aufwendigen Verhandlung geht es um eine
Verfassungsbeschwerde des Hamburger Kaufmanns Mamoun Darkazanli,
dessen Auslieferung an Spanien das Karlsruher Gericht im Dezember
2004 gestoppt hatte. Die Anwälte des Deutsch-Syrers
beanstanden, dass auf Grund des Europäischen Haftbefehls
Deutsche auch dann ausgeliefert und im Ausland verurteilt werden
können, wenn ihre Tat in Deutschland nicht strafbar wäre.
Nach
Angaben der EU-Kommission sind allein im Jahr 2003 insgesamt 2.603
Europäische Haftbefehle in der EU ausgestellt worden.
Dies zeigt schon, welche Bedeutung das Instrumentarium der
gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen künftig erlangen
kann. Zu Recht wurde dieses Gesamtkonzept als "schlicht auf
dem Herkunftsland beruhend" bezeichnet.
Solidarität
im militärischen Anti-Terrorkampf im Inneren
Artikel
I-43 des Verfassungsvertrags schafft die völlig neue, so genannte
"Solidaritätsklausel". Kern der Bestimmung ist eine vertraglich
fixierte Beistandsklausel der Mitgliedstaaten. Wenn "ein Mitgliedstaat
von einem Terroranschlag, einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen
verursachten Katastrophe betroffen" ist, dann "mobilisiert die
Union alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich
der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel,
um
terroristische
Bedrohungen im Hoheitsgebiet von Mitgliedstaaten abzuwenden;
die
demokratischen Institutionen und die Zivilbevölkerung vor
etwaigen Terroranschlägen zu schützen;
im
Falle eines Terroranschlags einen Mitgliedstaat auf Ersuchen
seiner politischen Organe innerhalb seines Hoheitsgebiets zu
unterstützen."
Hier
wird nichts anderes als eine gegenseitige, militärische
Hilfeleistung bei der innenpolitischen Terrorbekämpfung
festgeschrieben. Auf Grundlage dieser Klausel könnte
beispielsweise die deutsche Bundeswehr, nach einem Hilfeersuchen
der spanischen Regierung, infolge eines ETA-Anschlags in Spanien
eingesetzt werden. Im Hinblick auf die Bedeutung, die der
militärischen Terrorbekämpfung zugeschrieben wird, ist
es durchaus aufschlussreich, sich die Genese dieses Artikels im
Verfassungskonvent vor Augen zu führen.
Ursprünglich
wurde dieser Artikel in der Konventsarbeitsgruppe "Verteidigung"
diskutiert, nicht aber in der Arbeitsgruppe "Freiheit, Sicherheit
und Recht." Im Abschlussbericht der Arbeitsgruppe "Verteidigung"
finden sich an unterschiedlichen Stellen Verweise auf die "Solidaritätsklausel".
In Punkt 56 des Berichts ist festgehalten: "Die Gruppe stimmte auch
darin überein, dass auf diese Bedrohung (durch den Terrorismus –
M.H.) mit dem synergetischen Einsatz des gesamten Instrumentariums reagiert
werden muss, das der Union und insbesondere den Mitgliedstaaten derzeit
zur Verfügung steht (militärische Mittel, Intelligence, polizeiliche
und justizielle Zusammenarbeit, Bevölkerungsschutz usw.)".
In Punkt 58 des Berichts geht es um "Maßnahmen im Gebiet der
Union, die insbesondere dazu dienen, terroristische Anschläge zu
verhindern". Hierfür sollten "sowohl die militärischen
Mittel und die ursprünglich für die Petersberg-Aufgaben geschaffenen
Strukturen" dienen. In einer Stellungnahme von Joseph Fischer und
Dominique de Villepin zu einem ersten Entwurf des Abschlussberichts wurde
nicht nur ein eigener Pakt für Aufrüstung, sondern auch ein
eigenes Protokoll für diese Solidaritätsklausel der militärischen
Terrorismusbekämpfung vorgesehen.
Im Vorentwurf des Berichts der Arbeitsgruppe war sogar noch die präventive
militärische Terrorbekämpfung außerhalb des Territoriums
der EU vorgesehen.
Auch
wenn sich diese europäische Variante militärischer
Präemptivschläge nicht durchsetzte, so atmen die
Bestimmungen des Artikels I-43 weiterhin den Geist der
militärischen Terrorbekämpfung. Sie verschieben die
Debatten und die rechtlichen Voraussetzungen der Innen-
und
Rechtspolitik in der EU abermals zuungunsten der Grundrechte im
Kampf gegen den Terrorismus, denn es steht in der Tat in Frage,
wie der Erhalt der Grundrechte und der Einsatz von Militär im
Inneren bei der Bekämpfung terroristischer Gefahren
zusammengehen sollen.
Die
Grundrechtecharta – Ein Erfolg für einen besseren
Grundrechtsschutz in der EU?
Die
Debatte um die Grundrechtecharta beginnt oft mit der Behauptung, die Charta
sei ohne Änderungen zur Gänze in den Verfassungsvertrag übernommen
worden. Schaut man sich dagegen den Text der Charta genau an, fällt
auf, dass von der Regierungskonferenz in Artikel II-112 ein neuer Absatz
7 eingefügt wurde. Im Entwurf des Konvents (CONV 850/03) gab es noch
keinen Verweis auf die so genannten Erläuterungen. Jetzt wurde jedoch
eingefügt: "Die Erläuterungen, die als Anleitung für
die Auslegung der Charta der Grundrechte verfasst wurden, sind von den
Gerichten der Union gebührend zu berücksichtigen." Und
in der Erklärung Nr. 12, die Teil des Verfassungsvertrages ist, wurde
festgehalten: "Diese Erläuterungen haben als solche keinen rechtlichen
Status, stellen jedoch eine nützliche Interpretationshilfe dar, die
dazu dient, die Bestimmungen der Charta zu verdeutlichen." Vielfach
wurde festgestellt, dass diese Erläuterungen die Grundrechte wesentlich
einschränken, ja in Teilen das Gegenteil des Grundrechts aussagen.
Durch die Erklärung Nr. 12 wurde die Charta zudem auf die hinsichtlich
der Grundrechte restriktive Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
(EuGH) verpflichtet.
Nicht
weniger einschneidend für die Wirksamkeit der
Grundrechtecharta ist allerdings folgende Bestimmung in Artikel
II-111 Abs. 2 des Verfassungsvertrags: "Diese Charta dehnt
den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die
Zuständigkeiten der Union hinaus aus und begründet weder
neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Union,
noch ändert sie die in den anderen Teilen der Verfassung
festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben." Was im
Hinblick auf die nicht gewollte zusätzliche Aneignung von
Kompetenzen durch die Europäische Union sinnvoll erscheinen
mag, ist hinsichtlich der Grundrechtsgeltung im Bereich der Innen-
und Justizpolitik fatal, denn die Europäische Union verfügt
in diesem Bereich nur über stark eingeschränkte
Zuständigkeiten.
Dies
hat zur Folge, dass die Grundrechte, inklusive derer im Bereich
der "justiziellen Rechte", praktisch in der Luft
hängen. Auch bei den justiziellen Rechten sind zudem die
einschränkenden Erläuterungen mit ihrer Bindung an
restriktive Entscheidungen des EuGH von Belang. Im Hinblick auf
elementare Grundrechte bedeutsam ist auch der im Konventsentwurf
noch nicht enthaltene Verweis auf die Möglichkeit der
grundrechtschartakonformen möglichen Tötung von Menschen
in innenpolitischen Spannungssituationen. So liest man in den
Erläuterungen zu Artikel II-112: "Die Charta berührt
nicht die den Mitgliedstaaten offen stehende Möglichkeit, von
Artikel 15 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)
Gebrauch zu machen, der im Falle eines Krieges oder eines anderen
öffentlichen Notstands, der das Leben der Nation bedroht,
eine Abweichung von den in der EMRK vorgesehenen Rechten erlaubt,
wenn sie nach ihren in Artikel I-5 Absatz 1, und in den Artikeln
III-131, III-262 der Verfassung anerkannten Verantwortlichkeiten
Maßnahmen im Bereich der nationalen Verteidigung im
Kriegsfalle oder im Bereich der Aufrechterhaltung der öffentlichen
Ordnung treffen." Offensichtlich wollte man alle
Missverständnisse auf Seiten der Mitgliedstaaten vermeiden,
was ihre Rechte in Spannungszeiten betrifft. Der hier aufgeführte
Artikel 15 EMRK verweist in seinem zweiten Absatz weiter auf
Artikel 2 EMRK (Das Recht auf Leben) und dort heißt es:
"Eine Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels
betrachtet, wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird,
die unbedingt erforderlich ist, um (...) einen Aufruhr oder
Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen." Auch wird
den Mitgliedstaaten weiterhin das Recht zugestanden, die
Todesstrafe anzuwenden. Absatz 1 von Artikel 2 EMRK lautet:
"Niemand darf absichtlich getötet werden, außer
durch Vollstreckung eines Todesurteils, das ein Gericht wegen
eines Verbrechens verhängt hat, für das die Todesstrafe
gesetzlich vorgesehen ist".
Nichts
anderes als das innerstaatliche Recht von Mitgliedstaaten, unter
den Bedingungen des Ausnahmezustands auch Menschen legal töten
zu dürfen sowie die Todesstrafe anwenden zu können, wird
damit im Verfassungsvertrag anerkannt. Dass dies mit Verweis auf
die Europäische Menschenrechtskonvention geschieht, macht die
Sache nicht besser. Sollte also jemals der Ausnahmezustand in
einem der Mitgliedstaaten verhängt werden, deren nationale
Verfassungsordnung im inneren Spannungsfall die Möglichkeit
der Tötung von Menschen vorsieht,
könnte
sich der betreffende Staat dabei auch auf diese Bestimmung im
Verfassungsvertrag berufen. Dies hätte etwa Bedeutung im
Falle des Beitritts der Türkei. Eine Aufnahme der türkischen
Republik in die EU, die sich die Vollstreckung der Todesstrafe in
Kriegs- und Krisenzeiten offen hält, dürfte demnach
nicht am Verfassungsvertrag scheitern.
Asyl-,
Flüchtlings-, und Einwanderungspolitik
Auch
in der Asyl- und Flüchtlingspolitik gibt es keine Stärkung des
Grundrechtsschutzes. Während auf der einen Seite das Recht auf Asyl
formal, wie im deutschen Asylkompromiss von 1992 auch, gewahrt bleibt,
wird durch die Bestimmungen des neuen Vertrages, die vom Geist der Flüchtlingsabwehr
geprägt sind, der Zugang zu diesem Recht weitgehend ausgehebelt.
Nicht alleine, dass der gesamte Schengen-Besitzstand in den Verfassungsvertrag
übernommen werden soll (Protokoll 17), es kommt zudem, was die konkreten
Politikinhalte angeht, zu Verschlechterungen gegenüber dem Nizza-Vertrag.
Dies nicht anzuerkennen, heißt zu negieren, dass die Politik wesentlich
durch die ihr zugrunde liegenden Vertragsbestimmungen strukturiert und
bestimmt wird, und dass die EU-Kommission rechtlich verp. ichtet ist,
anhand dieser Linien vorzugehen, wenn es um europäische Gesetzesinitiativen
geht.
Im
Verfassungsvertrag ist . xiert, dass die EU eine Politik
entwickelt "mit der die Personenkontrolle und die wirksame
Überwachung des Grenzübertritts an den Außengrenzen
sichergestellt" und "schrittweise ein integriertes
Grenzschutzsystem an den Außengrenzen eingeführt werden
soll" (III-265 Abs. 1). Eine "gemeinsame europäische
Asylregelung" umfasst Maßnahmen im Bereich
"Partnerschaft und Zusammenarbeit mit Drittstaaten zur
Steuerung der Zuwanderungsströme von Personen, die Asyl oder
subsidiären beziehungsweise vorübergehenden Schutz
beantragen" (III-266 Abs. 2 g). Hier werden die rechtlichen
Instrumente bereitgestellt, um die so genannten Rücknahmeabkommen
mit sicheren Drittstaaten zu sanktionieren.
Auch
in den Bestimmungen zur Einwanderungspolitik befinden sich
Wendungen, die geprägt sind vom Geist der Abwehr von
Einwanderern. So geht es der Europäischen Union um "eine
wirksame Steuerung der Migrationsströme" sowie um "die
Verhütung und verstärkte Bekämpfung illegaler
Einwanderung und Menschenhandel" (III-267 Abs. 1). Zu diesem
Zweck sollen Rahmengesetze erlassen werden können, die
Festlegungen treffen in den Bereichen "illegale Einwanderung
und illegaler Aufenthalt, einschließlich Abschiebung und
Rückführung solcher Personen, die sich illegal in einem
Mitgliedstaat aufhalten" (III-267 Abs. 2).
Auch
die Abschiebeabkommen werden im Verfassungstext selbst verankert:
"Die Union kann mit Drittländern Übereinkünfte
über eine Rücknahme von Drittstaatsangehörigen in
ihr Ursprungs- oder Herkunftsland schließen" (III-267
Abs. 3). Als wäre die Abwehr von Einwanderern nicht schon
hinreichend im Verfassungstext verankert, . ndet sich auch noch
zusätzlich eine wesentliche Einschränkung des nach
Artikel II-75 des Verfassungsvertrages garantierten "Rechts
zu arbeiten" für Migrantinnen und Migranten. In Bezug
auf die Einwanderungspolitik heißt es: "Dieser Artikel
berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten, festzulegen, wie
viele Drittstaatsangehörige aus Drittländern in ihr
Hoheitsgebiet einreisen dürfen, um dort als Arbeitnehmer oder
Selbstständige Arbeit zu suchen" (III-267 Abs. 5). Die
Rechte von Flüchtlingen und Einwanderern blieben so auf der
Strecke. Sie haben von europäischen Regelungen auf dieser
Vertragsgrundlage keine Besserung ihrer Situation zu erwarten.
Nicht einmal ein Rechtsrahmen für Legalisierungsmaßnahmen
für illegalisierte Einwanderer wurde geschaffen. Insofern
spiegelt sich in den Vertragsbestimmungen die aktuelle, äußerst
restriktive Asyl- und Einwanderungspolitik wider.
Unkontrollierbare
Institutionen
Die
Bestimmung des Verfassungsvertrags, dass polizeiliche Institutionen künftig
auf Grundlage europäischer Gesetze eingerichtet werden sollen, wird
von einigen als Fortschritt im Hinblick auf ihre bessere Kontrollierbarkeit
gewertet. Aus bürgerrechtlicher Sicht ist diese Hoffnung nicht begründet;
dies gilt im Übrigen auch für die bereits arbeitenden oder sich
im Aufbau be. ndlichen EU-Polizeibehörden.
"Beschränkt sich die Aufgabe von Europol nach bisherigem Recht
auch im Rahmen des Förderplans Art. 30 Abs. 2 EU-Vertrag im Wesentlichen
auf die Anregung und Koordination nationaler (grenzüberschreitender)
Ermittlungsmaßnahmen sowie auf die Sammlung und den Austausch von
Daten, so wird sie jetzt allgemein de. niert als die Unterstützung
und Verstärkung der Tätigkeit von Polizei und Strafverfolgungsbehörden
der Mitgliedstaaten bei der Prävention und Bekämpfung schwerer
grenzüberschreitender Kriminalität (Art. III-276 Abs. 1). Zu
diesem Zweck kann Europol nicht nur Informationen speichern, analysieren
und austauschen, sondern auch gemeinsam mit den Behörden der Mitgliedstaaten
Ermittlungen und operative Maßnahmen durchführen (Art. III-276
Abs. 2)."
Es wird daher auch vom "Quantensprung von der Informationssammlungs-
zur Eingriffsbehörde"
gesprochen.
Auf
dem Kongress des Republikanischen Anwälte- und
Anwältinnenvereins (RAV) zur europäischen Innen- und
Justizpolitik im Jahr 2003 äußerten sich Kritiker noch
vor Abschluss der Konventsarbeiten wie folgt: "Das
Europäische Parlament hatte bisher nichts zu sagen, wenn es
um den Aufbau der entsprechenden Institutionen ging. Auch in
Zukunft wird das Parlament über die Praxis dieser
Polizeibehörden nicht zu entscheiden haben. Selbst wenn die
Rechte des Parlamentes größer werden, ist es fraglich,
ob das Europäische Parlament eine tatsächliche
Kontrollfunktion wahrnehmen könnte. Den Exekutiven geht es
heute vor allem darum, langatmige Entscheidungs- und Rati.
Zierungsprozesse zu
verkürzen, völkerrechtliche Verträge durch schnell
änderbare Verordnungen und Richtlinien zu ersetzen und so
auch bei demnächst 25 Mitgliedstaaten eine schnelle
Entwicklung zu ermöglichen. Das Europäische Parlament
wird bei der erwartbaren Masse von Entscheidungen überfordert
sein, die Qualität seiner Äußerungen lässt
bereits heute viel zu wünschen übrig. Die nationalen
Parlamente spielen auch jetzt kaum mehr eine wirkliche Rolle."
Und in einer Analyse des Konventsentwurfs heißt es: "Was
die allgemeine Aufsicht und rechtliche Kontrolle von Europol
betrifft, so hat sich der europäische Verfassungsgeber eine
Lösung einfallen lassen, der die Inef. zienz auf die Stirn
geschrieben steht.
Nicht
etwa die staatsanwaltschaftliche Behörde Eurojust ist zur
Rechtsaufsicht über Europol berufen – diese soll
vielmehr die Aktionen, wie der Verfassungsentwurf vage formuliert,
gegebenenfalls ,in Verbindung mit Eurojust‘ ausführen
–, sondern das ferne Europäische Parlament, das dabei
auch noch die nationalen Parlamente beteiligen soll (im
Verfassungsvertrag so jetzt in Art. III-276 Abs. 2 vorgesehen,
M.H.). Wie dieser schwerfällige Apparat die machtvolle,
leichtfüßige, grenzüberschreitend tätige
Operativbehörde Europol wirksam überwachen soll, bleibt
eines der Geheimnisse der europäischen Verfassungsväter
und -mütter."
Diese
Einschätzung lässt sich nach Abschluss der Arbeiten am
Verfassungsvertrag nur bestätigen. Allerdings sind einige
zusätzliche dunkle Punkte auf der Landkarte der europäischen
Polizeibehörden zu verzeichnen. So wurde durch Artikel
III-261 ein völlig neuer "ständiger Ausschuss"
im Rat eingerichtet, der nach dem vertraglichen Selbstverständnis
auch zum "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts"
beitragen soll. Lapidar heißt es, so wolle man
"sicherzustellen, dass innerhalb der Union die operative
Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit gefördert
und verstärkt wird". Die demokratische Kontrolle dieses
Ausschusses soll dabei auf besondere Weise gewährleistet
werden: "Das Europäische Parlament und die nationalen
Parlamente werden über die Arbeit des Ausschusses auf dem
Laufenden gehalten".
Fazit
Im
Bereich der Innen- und Justizpolitik wiegen die Rückschritte durch
den Verfassungsvertrag schwerer – auch wenn das Europäische
Parlament mehr Mitspracherechte erhält – als einige Fortschritte
im Vergleich zum Vertrag von Nizza. Aus bürgerrechtlicher Sicht sind
zahlreiche Bestimmungen inakzeptabel. Den "Raum der Freiheit, der
Sicherheit und des Rechts" über die gegenseitige "Anerkennung
gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen" sowie
mit Hilfe der "operativen Zusammenarbeit" herstellen zu wollen,
erweist sich im Hinblick auf einen verstärkten Grundrechtsschutz
als Irrweg. Die bisherige Praxis, die darin besteht, dass sich die europäische
Exekutive "erst einmal ihre Zwangsinstrumente schafft … bevor
demokratische, öffentliche und justizielle Kontrollmechanismen eingebaut
werden",
findet in den Bestimmungen des Verfassungsvertrags ihren Niederschlag.
Dazu kommen neue Bestimmungen, die eine militärische Terrorismusbekämpfung
(Art. I-43 und III-329) und neue polizeiliche Institutionen vorsehen (Art.
III-262) sowie eine verstärkte Flüchtlingsabwehr (Art. III-265,
-266) und mindere Rechte für Einwanderer (Art. III-267) . xieren.
Die Frage, ob mit dem Verfassungsvertrag wirklich ein "Raum der Freiheit,
der Sicherheit und des Rechts" zu schaffen ist, muss mit einem Nein
beantwortet werden.
Alternativen
zu den Bestimmungen des neuen Vertrags wurden, meist schon in den Konventsberatungen
abgewiesen und in der Regierungskonferenz endgültig zunichte gemacht.
Die mit der Aufnahme der Erläuterungen zur Grundrechtecharta verbundenen
Einschränkungen des Grundrechtsschutzes sind in diesem Zusammenhang
besonders signifikant. In diesem Sinne gilt es nicht nur die Kritik an
der Politik der Europäischen Union auf diesem Feld zu intensivieren,
sondern konkrete Alternativen zu formulieren. Damit diese Alternativen
allerdings überhaupt mit Aussicht in die Debatte eingeführt
werden können, muss das gegenwärtige Projekt des Verfassungsvertrages
zunächst zum Scheitern gebracht werden.
Der Autor:
Ist wissenschaftlicher Mitarbeiter
von Tobias Pflüger, Mitglied des Europäischen Parlaments, Vereinigte
Europäische Linke/Nordische Grüne Linke.
Quelle:
"Zur
Kritik des Vertrags über eine Verfassung für Europa –
Für ein friedliches, soziales und demokratisches Europa"; Hrsg.:
Martin Hantke, Norman Paech, Tobias Pflüger, Gregor Schirmer, Christiane
Reymann, Ursula Schönberger und Andreas Wehr; eine Broschüre
der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke und
der PDS
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