Exzellenz Annex No. 1 / Das CHE und die Privatisierung der Universitäten

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No. 1
Dezember 2003


Bewußtseinsdesign im Namen der Exzellenz

Wie man durch die Umstrukturierung der Universitäten das gesellschaftspolitische Bewußtsein der nächsten Generationen plant

Über die gesellschaftspolitischen Ziele
der Bertelsmann-Stiftung




2.



Das CHE und die Privatisierung der Universitäten

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

»Ideologie der Einzelmaßnahmen«

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

»Es gilt, das Bewegungsgesetz zu erkennen.«

 

 

 

 

 

 

 

»Das Verhältnis von Wissenschaft, Gesellschaft und Politik.«

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

»Die eigentliche Absicht hinter den Verlautbarungen des CHE wird nie erwähnt«

 

Am Centrum für Hochschulentwicklung der Bertelsmann-Stiftung (abgekürzt CHE) lassen sich all diese Prozesse beispielhaft beobachten. Das CHE ist eine Lobbygruppe mit gesellschaftspolitischen Zielen. Denn Hochschulen sind Institutionen, durch die ein wesentlicher Teil der Menschen einer Gesellschaft hindurchgehen und dabei von den dort vorhandenen Strukturen geprägt werden. Wenn es also einem Bündnis an Interessengruppen gelingt, die Hochschulen in ihrem Sinne zu verändern, verändert sie damit auch die Gesellschaft. Es soll im Folgenden gezeigt werden, inwiefern die Lobbyarbeit der Bertelsmann-Stiftung eine weitreichende Veränderung der Gesellschaft bzw. der Subjekte, aus denen sie sich zusammensetzt, zum Ziel hat.

Die Bertelsmann-Stiftung gibt sich nicht ohne weiteres als Lobbygruppe zu erkennen. In der Öffentlichkeit präsentiert sich das CHE als eine gemeinnützige Stiftung, als eine Gruppe von WissenschaftlerInnen und ExpertInnen, die den Vorwurf, im Interesse der Wirtschaft oder einzelner Konzerne zu handeln, weit von sich weisen würde. So bedient sich die Bertelsmann-Stiftung zur Einflußnahme auf die gegenwärtige Hochschuldebatte verschiedener Techniken, von denen einige für die handelnden Politiker nicht als Lobbyarbeit zu erkennen sind. Das CHE stellt beispielsweise kostenlos Rankings und Evaluationen der verschiedenen Hochschulen her, steht als Berater von Hochschulen kostenlos zur Verfügung und tritt auch in der Politik vorrangig als Sachverständiger und Experte auf, jedoch kaum als Lobbyist und Interessenvertreter.

Auf diese Weise ist es dem CHE bislang gelungen, die gegenwärtige Debatte über Hochschulpolitik maßgeblich in seinem Sinne zu definieren. So wird fast in allen Medien ausschließlich von den Möglichkeiten einer betriebswirtschaftlichen Organisation der Hochschulen gesprochen, während gleichzeitig der gesellschaftspolitische Auftrag einer Universität sowie der von Bildung im allgemeinen öffentlich nicht mehr diskutiert werden kann. Dies ist neben der kulturellen Hegemonie des Neoliberalismus spätestens seit dem Fall der Mauer vor allem auf die unzähligen Möglichkeiten der Bertelsmann-Stiftung zurückzuführen, in den dem Konzern zugehörenden Medien ausschließlich solche Artikel und Berichte zu veröffentlichen, die die Frage nach einer möglichen betriebswirtschaftlichen Organisation der Hochschulen zum Thema haben.

Welches Ziel das CHE im besonderen und der Bertelsmann-Konzern im allgemeinen mit einer betriebswirtschaftlichen Organisation der Universitäten verbindet, wird hingegen in den erwähnten Artikeln und Beiträgen nie ausgesprochen. Man kann daher sagen, daß sich das CHE zur Durchsetzung seiner gesellschaftspolitischen Interessen einer Ideologie der Einzelmaßnahmen bedient. Die klassische Argumentation des CHE funktioniert wie folgt: Ein realer Mißstand der gegenwärtigen Hochschulen wird beispielhaft thematisiert. Zum Beispiel das Mißverhältnis zwischen der Anzahl von Professoren zu der ihrer Studenten, die Anonymität an einigen besonders nachgefragten Studiengängen, wie Jura, BWL oder Germanistik. Doch unabhängig davon welchen Mißstand sich das CHE in den seit 20 Jahren unter. nanzierten Universitäten exemplarisch herausgreift: Die Lösung, die dann von der Bertelsmann-Stiftung zur Behebung der Mißstände propagiert wird, ist immer die gleiche. Stets wird einer betriebswirtschaftlichen Organisation von Lehre und Forschung sowie der Universität als Ganzem das Wort geredet. Die Antwort auf die zu behebenden Mißstände steht daher immer schon fest: Nämlich, daß eine Hochschule nach betriebswirtschaftlichen Regeln wie ein Konzern strukturiert werden soll.

Daß zur Behebung der bestehenden Mißstände auch ganz andere Möglichkeiten offenstehen als ein Umbau der Organisationsstruktur nach Vorbild eines Wirtschaftsunternehmens, wird dabei geflissentlich verschwiegen. Das CHE bedient sich also einer Ideologie der Einzelmaßnahmen. Das bedeutet konkret, daß es der Stiftung eigentlich gar nicht um die Behebung der erwähnten Mißstände geht, sondern daß diese instrumentalisiert werden, um eigentlich etwas ganz anderes durchzusetzen. Um dies aber zu verstehen, bedarf es der Fähigkeit zur grundsätzlichen kritischen Hinterfragung gesellschaftlicher Prozesse. Doch die Bedingungen, unter denen die meisten Menschen heute leben, läßt die Ausbildung dieser Fähigkeit immer unwahrscheinlicher werden. Denn in einer von Massenmedien und Desinformationen beherrschten Kultur stellt sich eine allgemeine Unübersichtlichkeit ein. Das gesellschaftliche Allgemeine ist als solches immer schwieriger greifbar, und damit erscheint dem einzelnen auch sein eigenes Verhältnis zur Gesellschaft zunehmend diffus. Menschen, die unter dieser Desorientierung besonders leiden, die sich in der Gesellschaft kaum verorten können, neigen in der Regel dazu, jene Positionen richtig zu finden, die ihnen als Ausdruck der Mehrheitsmeinung erscheinen. Dieses sozialpsychologische Phänomen macht sich das CHE zunutze. Die zehnjährige Öffentlichkeitsarbeit über zahlreiche Massenmedien mit einem Gesamtbudget von 3,2 Millionen Euro pro Jahr hat dazu geführt, daß es heute immer mehr Menschen gibt, die die vom CHE propagierten Einzelmaßnahmen eigentlich ganz vernünftig finden. Warum nicht Bewerbungsgespräche statt Studienplatzmitteilung über die ZVS? Warum nicht Trimester statt Semester? Warum nicht eine leistungsorientierte Bezahlung der Professoren? Um dieser Ideologie der Einzelmaßnahmen, die sich stets progressiv gibt, geistig etwas entgegensetzen zu können, bedarf es einer Vergegenwärtigung der grundsätzlichen Konzepte von Universität und Gesellschaft, um die heute gekämpft wird. Es gilt, das Bewegungsgesetz sichtbar zu machen, welches hinter den vom CHE propagierten Einzelmaßnahmen wirksam ist.

Worum geht es eigentlich? Es geht dem Bertelsmann-Konzern und dem von ihm ins Leben gerufenen CHE darum, die Entstehung eines Bildungsmarktes in die Wege zu leiten, auf dem dann Universitäten als Bildungskonzerne agieren können. Die betriebswirtschaftliche Reorganisation der bis dahin staatlich verwalteten Universitäten soll also Universitäten in Bildungskonzerne verwandeln, die dann auf einem internationalen Markt in Konkurrenz zueinander treten, was zwangsläufig zu Konzentrationsprozessen, Fusionen und der Expansion der im Wettstreit besonders erfolgreichen Bildungskonzerne führt. Am Ende dieser Entwicklung wären Konzentrationsprozesse denkbar, die einen ähnlich hohen Grad erreichen könnten, wie jene, die in dem vor 20 Jahren privatisierten Fernsehmarkt vonstatten gegangen sind. Die Harvard University verfügt alleine über ein Kapital von 20 Milliarden Dollar. Ist der Markt für Bildung erst einmal geschaffen, so könnte sie leicht in verschiedenen europäischen Ländern Zweigstellen eröffnen. Es könnten also Konzerneinheiten entstehen, die – wie der Murdoch-Konzern auf dem Markt für Massenmedien – zahlreiche Hochschulen eines Landes unter sich vereinigen, ja sich über mehrere Kontinente und Länder erstrecken. Daß die dabei erreichte Machtkonzentration nicht immer nur nach betriebswirtschaftlichen Kriterien eingesetzt wird, läßt sich am Murdoch-Konzern exemplarisch beobachten, der ja keinen Hehl daraus macht, in den letzten britischen Wahlkampf aktiv eingegriffen zu haben. Und selbstverständlich sind Entscheidungen bestimmte Lehrstühle zu schaffen und wiederum mit bestimmten Personen zu besetzen politisch nie neutral.

Denn jede wissenschaftliche Arbeit ist in einen kulturellen Kontext eingebunden und bleibt häufig von deren unhinterfragten Grundüberzeugungen gefärbt. In politisch bedeutsamen Wissenschaften wie Soziologie, Politologie oder Philosophie lassen sich deshalb verschiedene Schulen durchaus verschiedenen politischen Richtungen zuordnen. In diesem Sinne gibt es keine wissenschaftliche Wertneutralität. Aber gerade weil wissenschaftliche Wertneutralität eigentlich nicht erreichbar ist und immer nur eine idealistische Bestimmung bleibt, ist es wichtig, daß wissenschaftliche Methoden und Fragestellungen auch politisch in Form von Wissenschaftskritik immer wieder verhandelt werden. Ja daß die Wissenschaften ihre Stellung zum Ganzen der Gesellschaft mit reflektieren müssen. Und dort, wo eine wissenschaftliche Analyse schließlich dennoch noch auf ein Werturteil hinausläuft, was kaum zu vermeiden ist, ist es, wie Max Weber immer wieder betont hat, wichtig anzugeben, „welches die Maßstäbe sind, an denen die Wirklichkeit gemessen und aus denen das Werturteil abgeleitet wird.(2) Denn wenn überhaupt, so läßt sich nur auf diesem Wege ein gewisser Grad an Wertneutralität herstellen. Doch ein solches Offenlegen der eigenen Wertmaßstäbe schwächt natürlich die Allgemeingültigkeit einer wissenschaftlichen Position und schafft Raum für Gegenargumente. Deshalb werden in aller Regel dort, wo wissenschaftliche Analysen als Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen eingesetzt werden, die zugrundeliegenden Wertmaßstäbe eher unterschlagen als offengelegt. Diese Einbindung der Forschung in ökonomische Interessen, die immer auch Machtinteressen sind, beschädigt auf lange Sicht die Wissenschaft insgesamt. An einer privatisierten Universität, an der Wissenschaft einem ökonomischen Kalkül zu folgen hat, dürften diese Umgangsformen in noch stärkerem Maße zur alltäglichen Praxis gehören, als dies ohnehin schon der Fall ist. Daß den Wissenschaften für die Selbstverständigung einer Gesellschaft und einer Epoche eine ungeheuer wichtige Rolle zukommt und deshalb die Privatisierung der Universitäten alles andere als unproblematisch ist, ist im Grunde genommen eine Binsenweisheit. Insofern ist es alarmierend, daß Selbstverständlichkeiten dieser Art heute überhaupt mit Nachdruck ausgesprochen werden müssen.

Diese eigentliche Absicht, die hinter dem Engagement der Bertelsmann-Stiftung steht, die Universitäten nach Kriterien der Unternehmensführung neu zu organisieren, wird in den öffentlichen Verlautbarungen der Stiftung nie erwähnt. Dennoch gewinnt die gesamte Argumentation – alle Einzelmaßnahmen für die sich das CHE öffentlichkeitswirksam eingesetzt hat – einen höheren Grad an Kohärenz, wenn man die Gründung und Entstehung eines Bildungsmarktes im internationalen Maßstab als das eigentliche Ziel und ausgesparte Zentrum in den Argumentationen des CHE annimmt. Damit fügen sich die hochschulpolitischen Vorstellungen der Bertelsmann-Stiftung in die wirtschaftspolitischen Interessen all jener Akteure ein, die im Zuge des GATS-Abkommens den Handel nicht nur für materielle Güter, sondern darüber hinaus auch für Dienstleistungen liberalisieren wollen. Der Staat soll vor allem deshalb aus der direkten Verantwortung für die Universitäten entlassen werden, damit international agierender Dienstleistungskonzerne befreit vom staatlichen Zugriff sich den Bildungsmarkt als zukünftige Wachstumsbranche nach kommerziellen Gesichtspunkten erschließen können. Und sehr wahrscheinlich hat der Bertelsmann-Konzern auch insofern ein Interesse an dieser Entwicklung, als daß er bestrebt ist, einer der führenden Global Players auf dem künftigen Bildungsmarkt zu werden, auf dem dann die Universitäten als Dienstleistungskonzerne agieren sollen.

 

3. Über die Funktionsweise eines Bildungskonzerns


 

Die UrheberInnenrechte liegen bei den jeweiligen AutorInnen.

 

 

Dezember 2003

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