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No.
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Wie man durch die Umstrukturierung der Universitäten das gesellschaftspolitische Bewußtsein der nächsten Generationen plant Über
die gesellschaftspolitischen Ziele |
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Der Elitediskurs»Alter
Wein in neuen Schläuchen –
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Auf diese Weise kommt es zu einer Spaltung der Universitätslandschaft. Einer großen Gruppe finanzschwacher Universitäten für die breite Masse der Studenten steht eine kleine Zahl von Eliteuniversitäten gegenüber. Häufig wird zur Begründung dieser absichtlich hergestellten Ungleichheit ein vulgärer Nietzschenismus ins Feld geführt, wonach die Starken vor den Schwachen geschützt werden müssen. Nur in räumlicher Separierung von der großen Masse der Studenten können die vermeintlich Starken, nämlich die künftige Elite des Landes, ihre Stärke ausbauen, also werden, was sie zu sein beanspruchen. Nun kann man leicht soziologische Erkenntnisse anfü anf hren, die diese angestrebte Stärkung der Starken und Schwächung der Schwachen als pädagogischen Irrsinn entlarven. Denn eine wirkliche Elite an eigenständig denkenden und verantwortlich handelnden Menschen ist bislang in allen Gesellschaften nur dann entstanden, wenn Individuen die Möglichkeit hatten, sich in ihrer geistigen Entwicklung und praktischen Lebensplanung von eigenen Impulsen und Interessen leiten zu lassen. Ein Mensch ist gebildet, wenn ihm die Fähigkeit zugefallen ist, unabhängig vom Konformitätsdruck der Gesellschaft seine Persönlichkeit nach einem ihm eingegebenen und nicht von außen vorgegebenen Bild selbständig zu formen. Sobald man aber nach Maßgabe von Intelligenztests, persönlichen Beziehungen oder schlichtweg der Bereitschaft, gigantische Studiengebühren zu zahlen, eine kleine Gruppe von Menschen herausgreift, in der Absicht, aus ihr die zukünftige Elite zu formen, so wird man mit Sicherheit das Gegenteil einer echten Elite bekommen. Und zwar einfach deshalb, weil solche Selektionsmechanismen tendenziell macht- und aufstiegsorientierte Menschen begünstigen und damit einen Subjekttypus heraus. ltern, der gerade durch seinen gesellschaftlichen Ehrgeiz dem Konformitätsdruck der Gesellschaft erlegen ist. Wirkliche Intelligenz war jedoch mit Konformismus noch nie vereinbar. Daß ein auf gesteigerte Selektion und Abgrenzung der Elite zielendes Gesellschaftsmodell entgegen aller besseren wissenschaftlichen Einsicht dennoch auf dem Vormarsch begriffen ist, hat mehrere Gründe. Zum einen sind von der ständigen Verschärfung des wirtschaftlichen Konkurrenzdrucks auch die Eliten selbst betroffen. Durch die Etablierung von Eliteuniversitäten mit hohen Studiengebühren als Zugangsberechtigung soll der soziale Aufstieg für die finanzstarke Schicht der Gesellschaft wieder berechenbarer werden. Die zunehmende Verschärfung des Konkurrenzdrucks hat das Bedürfnis nach Institutionen erzeugt, deren hoher Rang und Name ihren Mitgliedern den sozialen Aufstieg stark erleichtern, wenn nicht gar garantieren. Doch es gibt noch weitere Gründe, die die Konjunktur des Elitebegriffs mit erklären. Einer dürfte beispielsweise sein, daß – wie noch zu zeigen ist – sich derzeit eine Transformation des Kapitalismus hin zu einer gesellschaftlichen Netzwerkstruktur vollzieht. Daraus erwächst die Notwendigkeit Institutionen zu schaffen, die dafür prädestiniert sind, solche Netzwerkstrukturen auszubilden. Und dies gelingt am ehesten dort, wo die bloße Zugehörigkeit zu einer Institution aufgrund ihrer Exklusivität zum identitätsstiftenden Faktor wird.(4) Dies hängt nicht zuletzt auch damit zusammen, daß die Stabilität einer Gesellschaft nicht allein auf dem Grad der erreichten Inklusion all ihrer Mitglieder beruht, sondern im wesentlichen auf der Zufriedenheit ihrer Eliten. Gelingt es also, den Absolventen zukünftiger Eliteuniversitäten das Gefühl zu geben, jemand zu sein, der es unter Tausenden geschafft hat, so wird man zwar nicht die geistigen Fähigkeiten, wohl aber das Selbstbewußtsein und damit auch die Selbstzufriedenheit der künftigen Elite in so starkem Maße steigern, daß trotz zunehmender sozialer Ungleichheit die Stabilität der Gesellschaft aufrecht erhalten werden kann. Und schließlich gibt es vielleicht noch einen dritten Grund, warum gerade gegenwärtig der Elitediskurs eine solche Konjunktur erlebt, ja in den jetzten fü junktur f nf Jahren in der Semantik des Begriffs geradezu eine Umwertung stattgefunden hat. War in den achtziger Jahren der Begriff Elite noch im wahrsten Sinne des Wortes ein elitäres Unwort, so ist der Begriff heute positiv besetzt. Man mag es für einen kuriosen Zufall halten, daß das Männermagazin Playboy in einer seiner letzten Ausgaben das Wort Uni-Elite im Titel trug und unter diesem Begriff ein Dutzend ausgewählter Eliteschönheiten von deutschen Fakultäten posieren ließ. Aber vielleicht offenbart sich an dieser Assoziation von Elite und Schönheit ein Dispositiv der Gegenwartskultur überhaupt? Die Assoziation des Wortes Elite mit schönen Körpern zeigt deutlich, daß der Begriff Elite offenbar ästhetisch aufgeladen, ja sexy ist. Gleiches läßt sich anhand vieler anderer Metaphern des neoliberalen Diskurses zeigen. Der „schlanke“ Staat und das „schlanke“ Unternehmen, die beide „Verkrustungen lösen“ und „starre Strukturen aufbrechen“ und sich aller „hemmenden“ und daher unästhetischen „Bürokratie“ entledigt haben, sind nicht allein das Ergebnis wirtschaftlichen Effizienzdenkens, sondern verkörpern nicht zuletzt auch ein ästhetisches Ideal. Der effiziente und flexible Unternehmer, der alle unliebsamen Tätigkeiten ausgelagert und damit aus seinem Gesichtskreis entfernt hat, gewinnt die Semantik seines Denkens und Handelns schließlich aus dem kulturellen Feld, in dem er lebt. Dieses ist jedoch davon bestimmt, daß alle religiösen Maßstäbe und unbedingten moralischen Wertevorstellungen, die das Handeln in frühren Epochen legitimiert und bestimmt habe, mehr oder weniger zerfallen sind. Ohne in die konservative Klage über den allgemeinen Werteverfall einzustimmen, bleibt doch zu konstatieren, daß es keine Formen der Lebensführung, des geistigen Selbstverhältnisses und der daraus resultierenden gesellschaftlichen Verantwortung mehr gibt, die uns heute als Ausdruck des richtigen Lebens vor Augen stehen und denen mehr als nur subjektive Geltung zukäme. Ja, daß der Begriff des richtigen und guten Lebens selbst zu einem unmöglichen Wort geworden ist, ist Ausdruck einer Situation, in der die Subjektivität der einzelnen Menschen sich nur noch in äußerst bescheidenem Maße in der allgemeinen Kultur wiederzuerkennen vermag. Die heute fast unüberbrückbare Kluft zwischen „subjektivem Lebensvollzug“ und objektiver Kultur erlaubt fast nur noch ein ironisches Verhältnis des einzelnen zum gesellschaftlichen Allgemeinen. Man mag einwenden, es gebe auch heute noch viele Menschen, die in ihrer Lebensführung an unbedingten Wertmaßstäben festhalten. So richtig das ist, so bleibt doch zu bemerken, daß sie trotz allem diesen Anspruch nicht mehr ungebrochen in der Öffentlichkeit vertreten können, ohne den Verdacht der Naivität, der Intoleranz oder gar des totalitären Denkens auf sich zu ziehen. Die öffentliche Vernunft ist heute nicht mehr in der Lage, kenntlich zu machen, daß bestimmte Formen der Lebensführung höher stehen als andere. Der einzige Maßstab des Urteils, der von diesem Verfall objektiver Werte in der öffentlichen Selbstverständigung unberührt geblieben ist, ist der ästhetische. Er erfährt als Maßstab der Beurteilung nach wie vor eine allgemeine Anerkennung. Und deshalb ist unsere öffentliche Selbstverständigung vom Schönheitskult unserer Tage bestimmt, dessen Philosophie sich dahingehend zusammenfassen ließe, daß nach dem Zerfall religiöser und moralischer Werte nun Sexualität und Körperästhetik das Vakuum füllen und zum wesentlichen Element individueller Sinnstiftung überhöht worden sind.(5) Das wiederum hat dazu geführt, daß im postmodernen Lebenshorizont alles gerechtfertigt erscheint, was ästhetisch überzeugt. Als Nietzsche vor über 130 Jahren verkündete, die Welt sei nur ästhetisch gerechtfertigt und damit alle ethischen und religiösen Wertmaßstäbe zurückwies, leitete er jenen Prozeß der „Ästhetisierung der Wahrheit“ (6) ein, der Jacob Taubes zufolge ein grundlegendes Paradigma postmoderner Theorie geworden ist. Die unbewußt hingenommene Gleichsetzung eines ästhetischen Wertmaßstabes mit Wahrheit kann deshalb mit Fug und Recht als das beherrschende Dispositiv unserer Gegenwart angesehen werden, das die Semantik eines Männermagazins wie auch eines politischen Diskurses, ohne daß sich die Akteure dessen bewußt wären, gleichermaßen bestimmt. Die Studierenden, die während des zurückliegenden Universitätsstreiks, statt inhaltliche Diskussionen zu führen, sich medienwirksam auszogen und mit dem Verkauf ihrer Pinups-Kalender vorgaben, den Streik zu finanzieren, sind neben der neoliberalen Bildersprache von Leuchttürmen, Wissenschaftsdesign und Exzelenzclustern nur ein weiterer kultureller Ausdruck einer Bewußtseinslage, die sich nur noch an ästhetischen Maßstäben zu orientieren weiß. Der Titel des Playboys, der den Elitebegriff mit schönen Frauenkörpern assoziiert, spricht daher nur unbefangen aus, was für eine Vielzahl von Menschen unreflektiert maßgebend ist, wenn sie die Eliteuniversität fordern und damit eigentlich nur die Verwirklichung eines ästhetischen Ideals meinen. Elite ist sexy!
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Dezember 2003 |