Um auf die anstehende Europawahl aufmerksam zu machen, legte am 22. Mai 2019 ein Arbeitskreis aus Teilen des Fachschaftsrates Jura (FSR) und der Gruppe „Junge Europäische Bewegung“ (JEB) Wahlkampfmaterial verschiedener Parteien an der juristischen Fakultät der HU aus. Nach eigenen Angaben sollten extremistische Parteien ausgeschlossen werden – welche Parteien darunter der Arbeitskreis als extremistisch einstufte, änderte sich bis zur Veröffentlichung dieser Stellungnahme immer wieder. Da aber die organisierenden Gruppen jedenfalls die Partei „Alternative für Deutschland (AfD)“ nicht zu dem Spektrum der extremistischen Parteien zählen wollten, lagen auch Flyer dieser Partei aus.
Wir, der arbeitskreis kritischer jurist*innen an der HU (akj Berlin), machten auf diese Situation mit einem Transpi im Foyer aufmerksam und kritisierten, wie auch viele vorbeikommende Studierende, diese Normalisierung rechter Positionen. Mehrere Personen entsorgten die ausgelegten Flyer fachgerecht. Trotz vierstündiger Kritik von unterschiedlicher Seite wurden die AfD-Flyer immer wieder neu ausgelegt.
Hätte es unsere Aktion und die Reaktionen vieler solidarischer Menschen nicht gegeben, gäbe es auch keine Statements, in denen sich der FSR oder die JEB hastig von rechten Inhalten abzugrenzen versuchen. Die AfD-Flyer wären unkommentiert in der Fakultät verteilt worden. Wir möchten uns daher bei den solidarischen Menschen bedanken und werten die Aktion als Erfolg.
Die Diskussion über rechte Inhalte am Stand wurde mehrfach ergebnislos gesucht. Immer wieder erhielten wir die gleiche Antwort: Es handele sich um „neutrale“ Wahlinformation. Aus dem Verhalten des Arbeitskreises am Stand geht für uns nicht hervor, wie entweder die JEB und/oder der FSR „inhaltlich komplett gegen die AfD stehen“. Macht die JEB nach eigener Aussage „durch [ihre] Programmatik, [ihre] Veranstaltungen und [ihre] Präsenz auf Demos“ ansonsten klar erkennbar, dass sie sich inhaltlich komplett gegen die AfD stellt, bleibt aus umso fragwürdiger, wieso sie es bei einem Stand in der Juristischen Fakultät nicht tut. Spätestens nachdem am Stand mehrere Studierende ihr Unverständnis für das Auslegen von Wahlwerbung der AfD zum Ausdruck gebracht haben und in die Diskussion gegangen sind, hätte die klare inhaltliche Abgrenzung stattfinden müssen, die nun online versucht wird nachzuholen. Stattdessen lediglich der Hinweis auf Neutralität. Und im nächsten Moment legt die unsichtbare Hand den nächsten Flyer auf den Tisch.
Wir halten es für müßig und deplatziert, jetzt darüber zu streiten, ob das Darbieten und Mitnehmen-Lassen von Flyern, nun ein „Verteilen“ oder nur ein „Auslegen“ ist. Fest steht, dass der AK Europa im Besitz von circa 60 AfD-Flyern war. Es kamen Menschen, die Flyer anderer Parteien mitnehmen durften. So wurde das Wahlkampfmaterial der ausgelegten Parteien unkommentiert verbreitet.
Wir sind nicht bereit zuzusehen, wie sich unter dem Deckmantel der Neutralität der Diskurs immer weiter nach rechts verlagert und der öffentliche Raum der Hochschule instrumentalisiert wird. Sich konstruktiv mit der Europäischen Union zu beschäftigen, beinhaltet für uns nicht, einer antifeministischen, rassistischen, antisemitischen, nationalistischen und antieuropäischen Partei einen „neutralen“ Raum zur Präsentation zu bieten. Wahlprogramme werden geschrieben, um Wähler*innen zu gewinnen und die Ideen der Partei zu verbreiten. Sie sind keine „neutralen“ Informationsquellen und sie auszulegen, bietet der AfD eine Bühne und gibt ihr und ihren Inhalten Raum, um zu wirken. Die Ansicht, dass das Auslegen von Wahlprogrammen dazu führt, dass sich die AfD selbst enttarnt, ist gefährlich naiv. Darüberhinaus legitimiert das Auslegen der Flyer zwischen der Wahlwerbung anderer Parteien ihren Status als wählbare, demokratische Partei und hilft keineswegs, sie und ihre Inhalte zu problematisieren, geschweige denn rechtes Gedankengut aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen.
Noch einige Sätze zur viel bemühten Neutralität: Für uns steht fest, dass es kein politisch neutrales Verhalten gibt! Bereits eine pro-europäische Positionierung ist inhärent politisch – diese kritisieren wir nicht, aber sie ist eben auch nicht politisch neutral. Diese politische Position einzunehmen und sich dann auf anderen Gebieten, insbesondere bei dem Umgang mit der AfD, auf Neutralität zu berufen, ist in sich widersprüchlich. Der FSR schreibt weiter, dass eine politische Positionierung nicht gewünscht sei, da Mitglieder „aufgrund persönlicher Sympathie und Fähigkeiten gewählt“ würden, sie also nicht politisch gewählt würden. Dass bestimmte Personen aufgrund ihres politischen Auftretens und sonstigen Verhaltens gewählt bzw. nicht gewählt wurden, kommt dem FSR offensichtlich nicht in den Sinn.
Auch aus anderen Gründen ist die vorgeschobene Neutralität völlig unangebracht. Die Fakultät der Rechtswissenschaften ist an einem historischen Ort untergebracht und blickt auf eine lange Tradition zurück. Am Bebelplatz wurden am 10. Mai 1933, unter der maßgeblichen Beteiligung der damaligen Jura-Studierenden, hunderte Bücher Andersdenkender verbrannt. Diese sowohl örtliche als auch – im weitesten Sinne – institutionelle Kontinuität erfordert eine gewisse historische Sensibilität und Verantwortung. Nun an diesem Ort das Propagandamaterial der Partei auszulegen, die den Nationalsozialismus als „Vogelschiss in der Geschichte“ bezeichnet, wird dem sicher nicht gerecht.
In den Bemühungen um Neutralität wird auch ausgeblendet, dass einige Mitglieder dieser Fakultät beispielsweise People of Colour, Geflüchtete, nicht heterosexuell oder anderweitig von (institutionalisierter) Diskriminierung betroffen sind. Offensichtlich kommen diese Personen in den Vorstellungen des FSR von der Studierendenschaft nicht vor, er gibt jetzt aber Positionen Raum an der Fakultät, die diese Personen öffentlich angreifen, diffamieren und entrechten wollen.
Während der FSR in seinem Statement das Anbringen des Transpis mit der Aufschrift „Kick them Out – Kein Raum der AfD“ als „noch vertretbar“ wertet, wurden am Tag selber die Jurist*innen-Eltern angerufen und kurze Zeit später die Verwaltungsleitung der Fakultät um Unterstützung gebeten. Die Verwaltungsleitung sah sich dann genötigt, das Transpi als Verstoß gegen die Genehmigungspflicht zu werten und forderte die Security auf, dieses entfernen zu lassen. So viel zur Toleranz gegenüber unterschiedlichen politischen Postionen! (vgl. BverfGE 7, 198, 207 ff. – obligatorisches Urteilszitat, lol!)
Zudem wurde uns vorgeworfen, den Konflikt durch die Kommentierung der Thorhammer-Kette eines Standbetreuers zu personalisieren. Uns ist klar, dass der Thorhammer zwar in manchen Subkulturen auch als ein unpolitisches Zeichen genutzt wird, es ist aber vor allem ein beliebtes, da germanisches und nicht strafbares, Symbol der Nazi-Szene. Vor diesem Hintergrund kann der Thorhammer auf andere beängstigend bis provokant wirken, besonders wenn rechte Propaganda im Spiel ist. Deshalb ist es unangebracht, eine emotionale, negative Reaktion auf den Anblick einer solchen Kette als unberechtigtes Vorurteil zu kritisieren.
Die Ankündigung des FSR, den Stand am zweiten Tag wegen des „Eskalationspotentials“ nicht weiter zu betreiben, können wir nicht nachvollziehen. Den Stand an sich haben wir an keiner Stelle kritisiert, sondern nur das Auslegen von Flyern einer menschenverachtenden, rechten Partei. Wir freuen uns über die vielen solidarischen Studierenden mit politischem Rückgrat, die Leute an dem Stand zur Rede gestellt haben und ihre Kritik auf vielfältige Weise zum Ausdruck gebracht haben. Körperlichkeiten, Beleidigungen oder Bedrohungen haben wir dabei nicht erkennen können. Verstehen können wir allerdings, dass Rassismus und Diskriminierung emotionale Themen sind. Wer fordert, auf rechte Propaganda sachlich oder gar freundlich zu reagieren, statt sich mit der vorgebrachten Kritik zu beschäftigen, betreibt eine Form des Silencing, d. h. des Zum-Schweigen-Bringens und Ignorierens. Darüber hinaus wurden AfD-Flyer festgehalten, Leuten hinterhergelaufen, die diese Flyer in den Müll werfen wollen, und verkündet, dass die AfD-Flyer ab jetzt „verteidigt“ würden.
Wir stellen uns entschieden gegen rechte Hetze, Rassismus und Hass – an der Uni und überall!