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Das Verfahren um den Lübecker Brandanschlag

Vor dem 18.1.1996 wurden in der BRD schon viele Asylbewerberunterkünfte von rechtsradikalen Deutschen mit tödlichen Folgen in Brand gesteckt. Dabei hatte man den Eindruck, dass es den deutschen Politikern mehr um das Ansehen des wiedervereinigten Deutschlands im Ausland Leid tat als um die von den Anschlägen betroffenen Personen. Die Anschläge werden von nicht wenigen Personen auch nur als tatkräftige Antwort des "Mobs" auf die Hetze gegen Asylbewerber angesehen, die von deutschen Politikern zu dieser Zeit verstärkt stattfand.

Am 18.1.1996 wurde dann eine Asylbewerberunterkunft in Lübeck in Brand gesteckt. Dies war der bisher schwerste Anschlag dieser Art in Deutschland: zehn Menschen kamen dabei ums Leben. Bei den nun folgenden Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft schien das Ermittlungsergebnis schon vorher dergestalt festzustehen, dass auf keinen Fall wieder rechtsradikale Deutsche die Verantwortlichen gewesen sein dürfen. Stattdessen wurde der Brand einem Bewohner des Heimes, dem libanesischen Asylbewerber Safwan Eid angelastet.

Dabei verstieß die Staatsanwaltschaft eindeutig gegen ihre Pflichten, nämlich für alle infragekommenden Verdächtigen unparteiisch belastendes und entlastendes Material zu suchen. Stattdessen wurde vom ersten Tag an fieberhaft Belastendes gegen Safwan Eid und Entlastendes für die Grevesmühlener Nazis gesucht. Alles, was dem widersprach, wurde von den Anwälten von Safwan Eid zusammengetragen und von der Staatsanwaltschaft schlicht ignoriert. Beweismaterial, das nicht in die staatsanwaltschaftliche Strategie passte, wurde sogar vernichtet.

Auch das Lübecker Landgericht war sich nicht zu schlecht, alledem im Prinzip zu folgen und lediglich die Indizien gegen Safwan Eid für nicht ausreichend zu erachten. Ohne seine Rechtsanwälte wäre Safwan Eid wohl wegen des Brandanschlages verurteilt worden, der wahrscheinlich von rechtsradikalen Deutschen verübt wurde und auch ihm selber galt. Und dies nicht etwa wegen zwingender Indizien, die gegen ihn sprachen, sondern wegen eines eisernen Willens der Staatsanwaltschaft, Safwan Eid die Tat anzuhängen und eines zumindest oberflächlichen Lübecker Landgerichts.

Vier Jahre nach dem schlimmen Anschlag ist es der Staatsanwaltschaft jedoch wahrscheinlich erfolgreich gelungen, zu verhindern, dass die wahren Täter jemals zur Verantwortung gezogen werden.

1) Kein Verfahren gegen Rechtsradikale

Noch in der Tatnacht wurden am Tatort vier als rechtsradikal bekannte Skinheads aus Grevesmühlen und Umgebung in Mecklenburg/Vorpommern festgenommen.

Sie wurden jedoch am nächsten Tag schon wieder freigelassen, da sie angeblich ein Alibi hatten: ungefähr zur errechneten Zeit des Anschlags um 3:20 Uhr hatte sie eine Polizeistreife an einer 8 km entfernten Tankstelle gesehen. Damit war für die Polizei dann offiziell auch der Verdacht eines rechtsradikalen Hintergrunds der Tat abgehakt1. Daran änderte sich auch nichts, als der errechnete Brandausbruch später noch einmal um 30 Minuten korrigiert wurde2!

Drei der Nazis wiesen bei ihrer Festnahme jedoch frische Brandspuren auf, wie z.B. angesengte Wimpern, Haare und Ruß im Gesicht. Grund dafür sollte zunächst gewesen sein, dass sie versucht hatten, ein geklautes Auto anzuzünden. Als sich jedoch herausstellte, dass das vermeintliche Auto völlig unbeschädigt war, folgte eine noch abstrusere Begründung: einer der Männer wollte sich vier Tage zuvor beim Versuch einen mit Haarspray eingesprühten Hund anzuzünden verletzt haben, ein weiterer wollte "Anfang Januar" versucht haben unter Feuerzeugbeleuchtung Sprit aus einem Mofa zu zapfen und dem dritten fiel es schlicht nicht mehr ein woher er die Brandspuren hatte3. Der vermeintliche Hund wurde nie gesucht bzw. gefunden4. Die Befragungen der Staatsanwaltschaft zu den Brandspuren fanden auch erst mehrere Monate nach dem Anschlag statt5!!!

Schon im Januar 1996 bezeichnete ein Gerichtsmediziner die Brandspuren jedoch als "frisch", was der Öffentlichkeit jedoch lange vorenthalten wurde. Im August 1996 wurde dies dann durch ein vom Gericht in Auftrag gegebenes Gutachten präzisiert: die Brandspuren waren "allenfalls mehrere Stunden bis maximal 24 Stunden" alt! Diese eindeutige Widerlegung der Ausreden der Nazis führten jedoch für Oberstaatsanwalt Klaus Dieter Schulz "zu keiner Änderung der bisherigen Bewertung"6.

Nazi-Demo am 19.09.98 in RostockEiner der vier Nazis, Maik W. aus Grevesmühlen hatte erst ein paar Wochen vor dem Anschlag einem Freund erzählt, dass er "in Lübeck was anstecken" wolle7. Nachdem Maik W. sich im Gefängnis, wo er 1998 wegen mehreren Eigentumsdelikten saß, schon mehrfach mit dem Brandanschlag gebrüstet hatte, gestand er die Tat im Februar 1998 vor der Staatsanwaltschaft und schilderte dabei ausführlich den Tathergang. Dabei erwähnte er, dass die vier nach ihrer Ankunft in Lübeck, um sich ein Alibi zu verschaffen, zunächst ein Auto geklaut hatten und sich dann an mehreren Stellen der Stadt sehen ließen, bevor sie das Asylbewerberheim ansteckten8. Einer der vier soll 100 m weiter Schmiere gestanden haben, was auch erklären würde, warum er als einziger keine Brandspuren aufwies.

Die Staatsanwaltschaft glaubte dem Geständnis jedoch nicht, was auch den Haftleiter Dannenberg erstaunte, da Maik W. zweimal dasselbe Geständnis (einmal vor den Haftbeamten, einmal vor der Staatsanwaltschaft) abgegeben hatte, was für ihn eindeutig gegen eine ausgedachte Geschichte sprach. Weiterhin existieren auch zwei plausible Gründe für das Geständnis des Maik W. Nach eigenen Angaben dachte er, dass die Sache früher oder später sowieso herauskommen würde - da wolle er lieber gleich, als erst mit 30 die Konsequenzen tragen. Außerdem behaupteten seine Mitgefangenen ihm gegenüber, das Geständnis, das er vor ihnen abgegeben hatte um sich zu brüsten, mitgeschnitten zu haben, um zu verhindern, dass Maik W. wegen der üblichen Knastvergewaltigungen Ärger macht9. Allein deshalb könnte Maik W. ein Geständnis als das kleinere Übel erschienen sein.

All dies war nach Ansicht der Staatsanwaltschaft jedoch nicht ausreichend, um die vier Nazis wegen des Brandanschlages vor Gericht zu stellen. Bei Safwan Eid reichte da viel weniger.

2) Das Verfahren gegen Safwan Eid

Schon kurz nach dem Anschlag ermittelten Polizei und Staatsanwaltschaft gegen einen Bewohner der Asylbewerberunterkunft, gegen Safwan Eid. Wichtigstes Indiz, auf das sich auch die spätere Anklage stützte, war die Aussage eines der in der Brandnacht eingesetzten Sanitäter. Diesem gegenüber soll Safwan Eid die Tat gestanden haben. Bezüglich Ort, Zeit und Inhalt des Geständnisses machte der Sanitäter Jens L. jedoch mehrfach sehr unterschiedliche Angaben, nachdem er sich in Widersprüche verwickelt hatte (auch im Vergleich zu Aussagen anderer "neutraler" Anwesender), wodurch er eigentlich völlig unglaubwürdig wurde10. Außerdem stimmten die angeblichen Details, die Safwan Eid geschildert haben soll, nicht mit den tatsächlichen Verhältnissen im Gebäude überein. Dazu kommt noch, dass der "beste" Freund von Jens L., der auch in der Tatnacht anwesende Sanitäter Matthias H. ein bekannter Rechtsradikaler ist. Bei einer Durchsuchung seines Spindes vor einigen Jahren wurden faschistische Hetzzeitschriften, ein Plan zum Aufbau einer Wehrsportgruppe, ein Gummiknüppel sowie eine Gaspistole gefunden11. Zur Zeit der Tat veranstaltete Matthias H. "Fun-Kriegsspiele", an denen auch Jens L. schon teilgenommen hatte12. Dieser Matthias H. hatte Jens L. aufgefordert und bestärkt, seine Aussage zu machen und den Kontakt zur Polizei deswegen hergestellt13.

All dies hätte zumindest die Glaubwürdigkeit des Jens L. erheblich erschüttern müssen. Die Staatsanwaltschaft sah dafür jedoch keinen Grund. Stattdessen stützte sie die Anklage und die sechsmonatige Untersuchungshaft Safwan Eids hauptsächlich auf die Aussagen des Jens L.

Eine erhebliche Belastung Safwan Eids sollte sich nach Ansicht der Staatsanwaltschaft weiterhin aus den Gesprächen, die er in der Gefängniszelle führte und die von den Beamten abgehört und mitgeschnitten wurden, ergeben. Wie im Oktober 1999 endlich höchstrichterlich bestätigt wurde, ist den Gesprächen jedoch nichts belastendes zu entnehmen. Vielmehr habe der von der Staatsanwaltschaft eingesetzte BKA-Dolmetscher falsch oder eindeutig tendenziös (im Klartext: so wie die Staatsanwaltschaft es hören wollte) übersetzt. Safwan Eids Rechtsanwalt hat genau dies schon im März 1996 ohne Erfolg erklärt. Aus "wenn ich gestorben wäre" machte der Dolmetscher "wenn ich gestehen würde", aus "Ich habe alle beruhigt" machte er "Ich habe alle zum Schweigen gebracht", aus dem Satz seines Bruders "Der Junge ist unschuldig" wurde "Stell dich als Unschuldiger dar"14.

Aber auch ansonsten war es absolut unklar, warum die Staatsanwaltschaft so fieberhaft gegen Safwan Eid ermittelte. Wie von mehreren Hausbewohnern bestätigt wurde, hat er in der Brandnacht bis zuletzt geholfen, z.B. Kinder aus dem Haus zu retten, und sich dabei selber Verletzungen zugezogen. Weiterhin ist das Feuer im 1.Stock gelegt worden, wo Safwans Familienmitglieder wohnen und schlafen15. Dies passte von Anfang an nicht in die von der Staatsanwaltschaft erfundene These von ethnischen Konflikten im Haus, wegen derer Safwan das Haus aus Rache angezündet haben soll. Dazu kommt noch, dass die überlebenden Bewohner mehrmals öffentlich dementierten, dass es ernsthafte Konflikte im Haus gegeben habe, und versicherten, dass sie Safwan Eid für unschuldig hielten16. Von den Ermittlungsbehörden wurden die überlebenden Bewohner schikaniert: sie wurden auf ansteckende Krankheiten untersucht, um ein Tatmotiv zu finden, wurden gefragt, ob sie beim Sozialamt betrügen, die Stadt unerlaubt verlassen hätten oder sich von Safwan Eids Freispruch ein Bleiberecht versprächen, sowie unzulässigerweise mit Abschiebung bedroht, wenn sie nicht die Wahrheit sagen würden17 etc.. Nachdem sie berechtigterweise völlig das Vertrauen in die deutschen Ermittlungsorgane verloren hatten, forderten sie sehr bald eine internationale Untersuchungskommission, die dann auch eingesetzt wurde und die die unverständlich einseitige und undurchsichtige Ermittlungstätigkeit von Staatsanwaltschaft und Polizei rügte18.

Gegen den Verdacht der Staatsanwaltschaft sprach von Anfang an auch, dass der Vater von Safwan Eid aussagte, kurz vor dem Brand ein Knarren an der Gartentür gehört zu haben und einen Knall, als ob etwas kaputtgegangen sei. Bewohner berichteten auch, dass dies nicht der erste Versuch war, das Haus in Brand zu setzen: erst im Dezember 1995 war ein Behälter mit einer teerartigen Flüssigkeit gegen das Haus geschleudert worden. Der Staatsanwaltschaft zufolge sollte ein Anschlag von außen aber deswegen ausscheiden, weil die Haustür verschlossen war - jedoch war schon seit einiger Zeit die Scheibe der Tür kaputt, wie Hausbewohner aussagten19.

Die Ermittlungsbehörden leisteten sich jedoch noch weitere "Pannen". So wurde die Bodenplatte des Hauses, auf der laut Staatsanwaltschaft das Feuer ausgebrochen sein soll, auf den Müll geworfen20. Doch nicht etwa um das staatsanwaltliche Brandgutachten, das von mehreren unabhängigen Brandgutachtern eigentlich schon widerlegt war, vor der endgültigen Unhaltbarkeit zu retten? Weiterhin wurde bei der Spurensicherung nicht festgehalten, wo im Haus die gefundenen Gegenstände gefunden wurden. Schließlich wurde auch der so genannte PI-Detektor, den man zum Aufspüren von Brandlegungsmitteln benutzt zwar innerhalb des Hauses "praktisch überall" (ohne Erfolg) benutzt, nicht jedoch an dem vor dem Haus gefundenen Feuerzeug ("wohl weggeworfen worden") und den Glasscherben. Auch an dem Fahrzeug der Grevesmühlener fanden keinerlei nähere Untersuchungen statt21, ihre Haarproben sind auch im Polizeigewahrsam verschwunden.22

Am 30.6.1997 wurde Safwan Eid dann vom Lübecker Landgericht zwar freigesprochen, jedoch war er nach Ansicht des Gerichts zumindest Mitwisser der Tat und eine Tatbeteiligung sei ihm lediglich nicht nachweisbar. Somit bestätigte also auch das Gericht die völlig unverständliche These, dass die Täter aus dem Umfeld der Hausbewohner kamen. Sogar der unglaubwürdige Zeuge Jens L. soll ein schwerwiegendes belastendes Indiz gegen Safwan Eid geliefert haben. Der Staatsanwaltschaft wurde damit attestiert, zumindest in die richtige Richtung ermittelt zu haben, eine Kritik der Ermittlungstätigkeit sucht man im Urteil vergebens. Indirekt wurden somit auch die vier Grevesmühlener Nazis freigesprochen.

Erst in der nach der Revision dieses Urteils stattfindenden Verhandlung vor dem LG Kiel im Herbst 1999 wurden diese Unterstellungen endgültig ausgeräumt. Von dem belastenden Material gegen Safwan Eid blieb absolut nichts übrig.

  1. analyse & kritik vom 8.2.1996.

  2. analyse & kritik vom 2.5.96.

  3. analyse & kritik vom 1.7.1996 und 22.8.1996.

  4. analyse & kritik vom 22.8.1996.

  5. Links vom 1.9.1996.

  6. analyse & kritik vom 22.8.1996.

  7. analyse & kritik vom 22.8.1996, SZ vom 4.7.1996, Spiegel 23/96, Jungle World vom 15.7.98.

  8. Jungle World vom 15.7.98.

  9. ebenda.

  10. So die Rechtsanwältin Gabriele Heinicke in analyse & kritik vom 17.10.96 sowie analyse & kritik vom 22.8.1996.

  11. analyse & kritik vom 22.8.1996.

  12. So die Rechtsanwältin Gabriele Heinicke in analyse & kritik vom 17.10.96.

  13. Antifaschistische Nachrichten vom 25.7.96.

  14. Jungle World vom 20.10.1999.

  15. analyse & kritik vom 8.2.1996.

  16. Gemeinsame Erklärung der Überlebenden des Brandanschlages (abgedruckt in Antifaschistische Nachrichten vom 14.11.1996).

  17. Junge Welt vom 30.6.97 und 22.7.97.

  18. Aus den Erklärungen der Internationalen Untersuchungskommission in Antifaschistische Nachrichten vom 11.7.96 und in analyse & kritik vom 2.5.96.

  19. Alles in analyse & kritik vom 8.2.96.

  20. Links vom 1.9.96.

  21. Alles in analyse & kritik vom 13.2.97.

  22. So die Rechtsanwältin Gabriele Heinicke in junge Welt vom 24.1.98.

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