Das elitäre Konzept der JustizministerInnen
Die JustizministerInnenkonferenz (JuMiKo) hat sich am 10. November für
eine "praxisintegrierte universitäre Juristenausbildung"1
ausgesprochen. Im heimlichen Zentrum steht dabei aber keine progressive,
inhaltliche Reform, sondern die Hoffnung, bis zu einer Milliarde Mark
durch den Wegfall des Referendariats einzusparen und der Versuch, die
Studienplätze um bis zu 50 % zu reduzieren. Nun wird sich noch die
KultusministerInnenkonferenz (KMK) mit der Reform befassen. Wer Einfluss
nehmen will, sollte das jetzt versuchen, bevor auch die Position der KMK
festgeklopft ist.
Dass die Pläne für die Befürworter einer reformierten
einphasigen Ausbildung überhaupt kein Grund zum Feiern sind, zeigt
sich bei näherem Hinsehen. Denn die MinisterInnen sprechen sich für
eine Reform "nach den Eckwerten des von der JuMiKo-Arbeitsgruppe
vorgelegten Modells"2 aus.
Und für das Modell dieser gemeinsamen Arbeitsgruppe von JuMiKo und
KMK hat vor allem der sogenannte Ladenburger Kreis Pate gestanden, der
nicht gerade für besonders fortschrittliche Konzepte in der JuristInnenausbildung
bekannt ist. Andere Organisationen, wie z.B. der Bundesarbeitskreis Kritischer
Juragruppen (BAKJ), wurden in der Schlussphase der Anhörungen trotz
Einspruchs ausgeschlossen.
Das vorliegende Konzept der JuMiKo legt nur Grundsätze fest, die
Details bleiben offen.3 Vorgesehen
ist ein insgesamt zehnsemestriges Studium, in dem eine einjährige
Praxisphase integriert wird. Diese soll blockartig im siebten und achten
Semester liegen, die wünschenswerte Theorie-Praxis-Integration beschränkt
sich nunmehr darauf, dass die gegenüber dem Referendariat auf ein
Jahr verkürzte Praxisphase das vorletzte Studienjahr bildet. Das
Konzept sieht eine obligatorische Zwischenprüfung bis zum vierten
Semester vor, die dem Herausprüfen "ungeeigneter" Studierender
dienen soll.
Das Studium gliedert sich nach dem Entwurf entsprechend in ein Grundstudium
bis zum vierten, einem "Vertiefungsstudium I" im fünften
und sechsten sowie einem "Vertiefungsstudium II" nach dem Praxisblock
im neunten und zehnten Semester.
Die Zwischenprüfung soll als universitäre Prüfung gestaltet
werden, dabei sollen studienbegeleitende Leistungen als Credit Points
einfließen. Im fünften und sechsten Semester vorgesehene Leistungskontrollen
(Klausuren, u. U. auch Hausarbeiten) in den Kernfachveranstaltungen sollen
für das Examen angerechnet werden.
Die JustizministerInnen wollen zudem den sogenannten Curricular-Normwert
(CN-Wert) drastisch erhöhen. Dieser Wert gibt das Verhältnis
von Lehrkapazität zu Studierenden an. Ein höherer CN-Wert führt
so zu "weniger Studierenden pro HochschullehrerIn" und damit
bei gleichbleibender ProfessorInnenzahl zu weniger Studienplätzen.
Die Erhöhung des CN-Wertes wird angeblich erforderlich, wenn das
JuMiKo-Konzept bezüglich der Lehrveranstaltungen umgesetzt wird.
Hier präsentiert der Entwurf aber keine wirklichen Neuigkeiten, vielmehr
werden traditionelle Lehrformen mit neuen Namen versehen. Einzig die Festlegung
eines größeren Kleingruppenangebots fällt positiv auf,
allerdings verknüpft mit dem Festhalten von Großvorlesungen
jetzt neu "in dialogischer Unterrichtsform", an die die Kleinveranstaltungen
angebunden werden sollen.
Als Bonbon für die Anwaltschaft enthält der Beschluss der JuMiKo
noch eine an das Examen anschließende obligatorische "Berufseinarbeitungsphase".
Diese könnte mit einer weiteren Prüfung abschließen, die
dann vermutlich in privaten Anwaltsakademien zu leisten und von den AnwärterInnen
zu finanzieren wäre.
Dreh- und Angelpunkt der vorgeschlagenen Reform ist die Anhebung des
CN-Wertes. Dessen Anhebung von derzeit 1,7 auf 3,0 ist das Instrument,
um nach Berechnungen des Justizministeriums Baden-Württemberg eine
Reduzierung der Studienplätze um die Hälfte (!) zu erreichen,
wenn die Zahl der Deputatstunden der HochschullehrerInnen gleich bleibt.
Würde diese erhöht, so könnte die Reduzierung der Studienplätze
beispielweise auf "nur" 30 % begrenzt werden. Dies würde
aber bedeuten, dass erhebliche zusätzliche Mittel an die Fakultäten
fließen müssten. Auch wenn dies von der JuMiKo-KMK-Arbeitsgruppe
noch geprüft werden soll, ist wohl kaum mit einer nennenswerten Erhöhung
der Kapazitäten zu rechnen.
Die zu erwartende drastische Beschränkung der universitären
Ausbildungskapazitäten bleibt ein bildungspolitischer Skandal. Die
offensichtlich avisierte Reduzierung der BerufsanfängerInnen ist
zudem schlicht verfassungswidrig: Art. 12 GG (Freiheit der Ausbildungs-
und Berufswahl) i.V.m. dem Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip
garantiert einen Anspruch auf die Bereitstellung der erforderlichen Bildungseinrichtungen
und ein Recht auf Zugang zu denjenigen Bildungseinrichtungen, die den
Fähigkeiten der Einzelnen entsprechen. Dieser Grundsatz kann auch
nicht ausgehebelt werden indem die JustizministerInnen diese Beschränkungen
durch die Hintertür "der dialogischen Unterrichtsform"
mit einer CN-Wert-Erhöhung durchsetzen wollen.
Bedingt durch den Wegfall des Referendariats stehen den Justizhaushalten
der Länder insgesamt etwa eine Milliarde Mark zur Verfügung.
Die derzeit 17.427 Studienplätze ließen sich bei einem CN-Wert
von 3,0 erhalten, indem jährlich 262,9 Millionen DM, also nur ein
gutes Viertel dieses Finanzvolumens, für die Erhöhung der Lehrkapazitäten
aufgewendet würden.
Derzeit deutet alles darauf hin, dass diese Mittel aus der Ausbildungsfinanzierung
entweder komplett eingespart werden oder zum Teil der Lehre zugute kommen
werden. Die angehenden JuristInnen werden zur Finanzierung der Praxisphase
in Zukunft auf das BAföG verwiesen werden. Der BAKJ ist dagegen der
Meinung, dass die Einsparungen zuerst in die sozialen Absicherung der
Studierenden reinvestiert werden müssen und die Qualität der
Lehre nachrangig zu behandeln ist. Aus Gründen der Chancengleichheit
ist es deshalb unverzichtbar, die künftige Praxisphase entsprechend
dem Referendariat zu vergüten.
Davon ist allerdings momentan keine Rede. Die Referendarbezüge sollen
nicht wie ehemals bei der reformierten einstufigen JuristInnenausbildung
der Ausbildungsfinanzierung zur Verfügung stehen. Ignoriert wird
dabei, dass nur ca. 15% der Studierenden Leistungen nach dem BAföG
erhalten.
Nach dem Grundsatzbeschluss der JuMiKo liegt die Federführung für
das weitere Verfahren jetzt bei der KMK. Bis der Beschluss tatsächlich
in eine Änderung des Richtergesetzes (DRiG) mündet, kann also
noch einige Zeit vergehen, zumal die KMK - anders als die JuMiKo - üblicherweise
einstimmig entscheidet. Aber das die Reform kommt, wird durch den Grundsatzbeschluss
vom 10. November 1999 präjudiziert.
Der BAKJ kritisiert das JuMiKo-Konzept massiv. Die Justizseite hat ein
neoliberales und elitäres Bildungskonzept der JuristInnenausbildung
vorgelegt, das sich insbesondere durch die Privatisierung von Bildungs-
und Berufschancen sowie der Verschulung einer akademischer Ausbildung
auszeichnet. Sowohl die Praxisphasen sind von den Studierenden privat
zu finanzieren als auch künftige Fortbildungen in Anwaltsakademien
während der Berufseinarbeitungsphase.
Das vorrangige Ziel des Reformmodells ist die Reduzierung der Studierendenzahlen:
damit sollen die Justizhaushalte saniert, die ProfessorInnen entlastet
und die Standesinteressen der Anwaltschaft bedient werden. Und weil der
CN-Wert-Erhöhung Grenzen gesetzt werden könnten, verfällt
die JuMiKo präventiv dem Prüfungswahn: Die Zwischenprüfung
wird repressiv zur Selektion von Studierenden ausgestaltet, indem nach
Zeitablauf von vier Semestern die Exmatrikulation droht, wenn nicht 75%
der Credit-Points nachgewiesen werden.
Vor dem Hintergrund, dass ca. dreiviertel der Studierenden während
der Vorlesungszeit notwendigerweise einer Erwerbstätigkeit nachgehen,
ist die Fristsetzung von vier Semestern bis zur Zwischenprüfung ein
Angriff auf das verfassungsrechtliche und politische Postulat der Chancengleichheit
im Bildungswesen. Es missachtet zudem den Grundsatz der Studierfreiheit,
da ein Teilzeitstudium oder gar modulares Studium von Beginn an ausgeschlossen
wird.
Dieses Modell kann nicht mehr durch Detailänderungen gerettet werden,
hier ist ein breiter Protest der Studierenden gefordert, auf deren Rücken
Finanz- und Standesinteressen gesichert werden sollen! Der BAKJ fordert
bei den weiteren Beratungen eine stärkere Berücksichtigung studentischer
Interessen: Eine inhaltliche und strukturelle Reform erfordert keine Reduzierung
der Studienplätze und auch keine repressive Zwischenprüfung.
Eine neue einphasige JuristInnenausbildung muss sich vielmehr am Grundsatz
der Chancengleichheit im Bildungswesen orientieren. Die Einsparungen müssen
deshalb - wie bisher im Referendariat - für die Ausbildungsfinanzierung
eingesetzt werden. Ohne eine materielle Grundsicherung wird die juristische
Ausbildung in Zukunft nur noch finanziell privilegierten Studierenden
möglich sein. Und schließlich muss gewährleistet werden,
dass der Berufszugang nicht zusätzlich eingeschränkt wird, indem
der Anwaltschaft die Ausgestaltung der Einarbeitungsphasen überlassen
wird.
Dringend notwendig ist deshalb unserer Ansicht nach ein offener Diskurs
über das Leitbild der neuen JuristInnenausbildung. Denn hieraus resultieren
die inhaltlichen und strukturellen Anforderungen an eine Reform. Der BAKJ
befürwortet eine Theorie-Praxis-Integration, die Berufsroutinen anhand
rechtlicher und sozialwissenschaftlicher Kategorien kritisch reflektiert
und eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Rechtswissenschaft
und Jurisprudenz in den Vordergrund rückt.
Für diese Ziele muss in den nächsten Monaten in Zusammenarbeit
mit BündnispartnerInnen innerhalb und außerhalb des Ausbildungsspektrums
konsequent gekämpft werden. Nur so lässt sich vielleicht noch
verhindern, dass wir eine einphasige Ausbildung bekommen, in der sich
alle nach der Zweiphasigkeit zurücksehnen.
Bela Rogalla
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Beschluss Herbstkonferenz der Justizministerinnen
und -minister am 10. November 1999 in Bonn, TOP I.1 Nr. 2
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Beschluss Herbstkonferenz der Justizministerinnen
und -minister am 10. November 1999 in Bonn, TOP I.1 Nr. 2
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Abschlussbericht
(auch erreichbar über www.bakj.de,
Schaltfläche Aktuell).
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