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Die Meinungsfreiheit als Gunsterweis
des Unternehmers
Zu der Beschneidung der Meinungsfreiheit im Arbeitsverhältnis.
Die Meinungsfreiheit als eines der "vornehmsten" Rechte überhaupt
wurde und wird gerne bei der Betrachtung der ehemaligen DDR besonders
hervorgehoben - nicht zuletzt, um einen moralischen Vorteil aus der Systemauseinandersetzung
als Gewinn verbuchen zu können. Dass in der Bundesrepublik Deutschland
Grenzen der Meinungsfreiheit existieren, ist oftmals kaum bekannt; dabei
hat sich dies schon seit der Weimarer Republik in der bekannten Erkenntnis
niedergeschlagen, dass die Meinungsfreiheit an den Fabrik-Toren ein Ende
hat: Im Betrieb hat man den Mund zu halten. Die gesellschaftliche Realität
in der BRD hat jedoch aufgezeigt, dass diese Grenze von Justiz und Staat
bis weit vor das besagte Fabriktor gelegt wurde. Die grundgesetzlich gesicherte
Meinungsfreiheit wurde somit zur Makulatur - insbesondere in der Rechtssprechung
des Bundesarbeitsgerichtes. Der Artikel stellt deshalb exemplarisch einige
Bereiche vor, in denen die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in
der leider oftmals nicht allzu großen öffentlichen Diskussion
war.
Grundsätzliches zur Meinungsfreiheit
Die Meinungsfreiheit ist in Art. 5 Abs. 1 S. 1 1. Hs. Grundgesetz
(GG) besonders geschützt. Sie steht neben den anderen genannten Grundrechten
in Art. 5 GG, wie der Informationsfreiheit und Pressefreiheit; dabei kommt
es zu Überschneidungen, da die Voraussetzung sich eine eigene Meinung
bilden zu können bekanntermaßen die Möglichkeit der Information
beinhalten muss. Es besteht eine Garantie, dass jeder (auch Staatsangehörige
anderer Staaten oder Staatenlose) das Recht hat seine Meinung in Wort,
Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Meinung
im Sinne des Art 5 sind Ansichten, Auffassungen, Überzeugungen, Wertungen,
Urteile, Einschätzungen, Stellungnahmen zu allen möglichen Themen
und Personen, so dass der Begriff der Meinung ist grundsätzlich weit
zu verstehen ist1.
Lüth-Urteil
Die Meinungsfreiheit nimmt unter den Grundrechten einen besonders hohen
Status ein. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1951 im sogenannten
Lüth-Urteil die Meinungsfreiheit "als unmittelbarster Ausdruck
der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten
Menschenrechte überhaupt"2
und "für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung schlechthin
konstituierend" angesehen3.
Grundsätzlich ist die Demokratie durch die Selbstbestimmung der Bürgerinnen
und Bürger geprägt; diese Selbstbestimmung setzt aber ein Bewusstsein
über die gesellschaftliche Situation voraus, die ohne freien Informationsfluss
und freie Meinungsäußerung nicht entwickelt werden kann.
In Urteilen4 des BVerfG ist ausdrücklich
auch das Arbeitsverhältnis einbezogen worden. Der Bereich der betrieblichen
Arbeitswelt wird als wesentlich für "die Lebensgestaltung zahlreicher
Bürger" bezeichnet, in der die Meinungsfreiheit nicht durch
den Gesetzgeber gänzlich ausgeschlossen werden dürfe. Das Arbeitsgericht
München5 hat dies auch aus
den Grundrechten des Art. 1 und des Art. 2 GG abgeleitet, da es den allgemeinen
Menschenrechten entspreche sich an einem Ort, an dem man "einen sehr
erheblichen Teil des Tages ...verbringt" als Mensch zu verwirklichen.
Schranken des Grundrechtes auf freie Meinungsäußerung- und
-verbreitung
Die Meinungsfreiheit in Art. 5 Abs. 1 wird jedoch nicht uneingeschränkt
gewährleistet; sie findet ihre Schranken in Abs. 2: Danach sind die
Vorschriften der allgemeinen Gesetze, die gesetzlichen Bestimmungen zum
Schutze der Jugend sowie die Rechte zum Schutz der persönlichen Ehre
Schranken, die die Meinungsfreiheit beschränken. Insbesondere die
üble Nachrede (§ 186 StGB) oder die Beleidigung (§ 185
StGB) sind im ArbR von Bedeutung; aber auch rassistische Äußerungen,
die unter die sogenannte Volksverhetzung (§ 130 StGB) fallen
oder das Verbreiten bzw. Verwenden von Propagandamitteln verfassungswidriger
Organisationen (§ 86 bzw. 86a StGB).
Allgemeine Gesetze
Die Auslegung des Begriffes der allgemeinen Gesetze war schon in der
Weimarer Republik umstritten. Art. 118 Abs. 1 WRV gewährleistete
die Meinungsfreiheit "innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze".
Das Bundesverfassungsgericht hat Elemente zweier Theorien - der Sonderrechtstheorie
und der Abwägungslehre, die in der Diskussion dominierend waren in
seinem Lüth-Urteil6 zu einer
Wechselwirkungslehre kombiniert die alle Gesetze als allgemein ansieht,
die die Äußerung einer Meinung oder die Meinung an sich nicht
verbieten, sondern "ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung
(einem) zu schützenden Rechtsgutes dienen, dem Schutze eines Gemeinschaftswertes,
der gegenüber der Meinungsfreiheit den Vorrang hat". In einer
Einzelabwägung unter besonderer Berücksichtigung des besonderen
Wertgehaltes der Meinungsfreiheit muss deshalb abgewogen werden, ob die
allgemeinen Gesetze, die ihrerseits wieder unter Beachtung des Wertes
des Grundgesetzes ausgelegt werden müssen, eine Schranke für
schutzwürdige und höher zu bewertende Interessen darstellen.
Als Gesetz werden auch Rechtsverordnungen und Satzungen, die auf einer
gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage beruhen, erfasst. Auch Rechtssätze,
die durch richterliche Rechtsfortbildung zustande gekommen sind, werden
als allgemeine Gesetze der Schranke des Art. 5 Abs. 2 GG betrachtet7
. Dies hat richtigerweise zu entschiedenen Widerspruch geführt, da
so die verfassungsgemäß zugewiesene Rolle der Legislative negiert
wird. Auch kann nicht von einem Gewohnheitsrecht gesprochen werden, das,
kurz skizziert, vorliegt, wenn eine dauernde, ständige, gleichmäßige
und allgemeine Übung existiert, die von allen beteiligten Rechtsgenossen
als verbindliche Rechtsnorm anerkannt ist8
. Ein Grundsatz über den vertraglichen Rahmen des Arbeitsvertrages
hinauszugehen ist jedoch kaum ein allgemein anerkannter Grundsatz; ein
Gewohnheitsrecht dürften allerdings die Unternehmerseite für
sich gerne in Anspruch nehmen - was aber kaum ausreichend sein kann.
Bedeutung für das Arbeitsrecht
Das Bundesarbeitsgericht hat den Begriff der allgemeinen Gesetze erweitert,
indem es zu den allgemeinen Gesetzen auch "Grundregeln über
die Arbeitsverhältnisse"9
oder einen "allgemein anerkannten arbeitsrechtlichen Grundsatz"10
zählt. Solche Grundregeln sind nach Ansicht des BAG "das Pflichtengebot
sich so zu verhalten, dass der Betriebsfrieden nicht ernstlich und schwer
gefährdet wird". Dies bemesse sich daran, ob die Zusammenarbeit
im Betrieb für die anderen dort beschäftigten Personen und den
Arbeitgeber noch zumutbar bleibe.11
Das
Bundesarbeitsgericht konstatiert weiter eine sogenannte "Treuepflicht",
die sich aus dem Arbeitsvertrag ergebe. Diese Treuepflicht beinhalte,
dass die Interessen des Arbeitgebers nicht beeinträchtigt werden
dürften. Meinungsäußerungen, die diese Pflicht verletzen
und das Arbeitsverhältnis dadurch "konkret berühren"
seien nicht mehr durch die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt.
Das Bundesarbeitsgericht hat in einer Vielzahl von Urteilen mit diesen
Begriffen hantiert und in der Literatur sind verschiedene Konstruktionen
erdacht worden, um die Meinungsfreiheit den Interessen der Unternehmer
unterzuordnen.
Maulkorburteil
Eine vielfach als sogenanntes "Maulkorburteil"12
bezeichnete Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes13
hatte eine politische Betätigung außerhalb der Arbeitsstätte
als Ausgangspunkt: Ein Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei -
DKP, angestellt bei einer Bank, hatte eine kommunistische Zeitung auf
dem örtlichen Marktplatz verteilt, in welchem die Bank laut Wertung
des Gerichtes "kämpferisch" angegriffen wurde. Thematisiert
wurden in kritischer Haltung in der Zeitung in kurzer Form und keinesfalls
als einziger Inhalt Konzentrationsprozesse im Bankenwesen (darunter die
arbeitgebende Bank) und Stadtentwicklungspolitik, die durch Banken beeinträchtigt
werde. Die fristlose Kündigung gemäß § 626 BGB
hielt das BAG für gerechtfertigt, weil durch diese "Meinungsäußerung,
die ihm durch den Arbeitsvertrag auferlegten Grenzen loyalen Verhaltens
überschritten" seien.
In einer weiteren Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes14,
die ebenfalls eine fristlose Kündigung bestätigte ging es um
Flugblätter, die im Betrieb verteilt worden waren. Der Inhalt kritisierte
das BetrVG als "Unterdrückungsinstrument gegen die Arbeiterklasse";
der DGB, der sich daran halte, sei eine "organisierte Streikbrecherzentrale".
Diese Meinungsäußerung wurde als parteipolitische Betätigung
eingestuft mit der der Betriebsfrieden und damit die Grundregeln des Arbeitsverhältnisses
beeinträchtigt werde, weil es "nach aller Erfahrung zu Spannungen
und Auseinandersetzungen nicht nur mit dem Arbeitgeber, sondern auch mit
anderen Arbeitnehmern führt".
Auch das Tragen einer Plakette mit der Aufschrift "Strauß
- nein danke" wurde als eine solche Störung bewertet.15
Das BAG sah eine Verpflichtung des Arbeitnehmers eine provozierende parteipolitische
Betätigung zu unterlassen, durch die sich andere Arbeitnehmer belästigt
fühlen; auch dürfe nicht der Arbeitsablauf oder die Pflicht
zur Arbeit beeinträchtigt werden. Das Arbeitsgericht München16
weist in diesem Zusammenhang daraufhin, dass "aktuelle Fußballergebnisse
auf Grund ihrer Diskussionsträchtigkeit (.) den Begriff des Betriebsfriedens
sogar mehr tangieren könnten als allgemeinpolitische Themenkreise".
Insbesondere der Begriff der Parteipolitik mit welchem von Unternehmerseite
gerne hantiert wird verdeutlicht die schwache Basis dieser Position: Als
Gesetz, welches im Arbeitsrecht bei parteipolitischer Betätigung
als allgemeines Gesetz in Betracht kommt, ist das Betriebsverfassungsgesetz.
In § 74 Abs. 2 S. 3 wird die parteipolitische Betätigung
im Betrieb untersagt. Das BAG17
hat eine Betätigung vor dem Werkstor schon dazugerechnet, wenn sie
unmittelbar in den Betrieb hineinwirkt. Unstreitig gilt dies jedoch nur
für die Mitglieder des Betriebrates18
. Das Betriebsverfassungsgesetz umfasst aber bekanntlich nur kollektivrechtliche
und keine individualrechtlichen Regelungen, so dass zwar Betriebsräte
aber nicht der einzelne Arbeiter oder Angestellte daran gebunden sind.
Auch verbietet es nur eine parteipolitische Betätigung und keine
politische Betätigung.
Einschränkungen verfassungsgemäß?
Fraglich ist also, ob solch weitgehende Einschränkungen der Meinungsfreiheit
überhaupt verfassungsgemäß sein können. Ein bei Meinungsäußerung
die Interessen des Arbeitgebers wahrendes Verhalten als Pflicht des Arbeitsverhältnisses
ist nicht existent. Auch die Kommunikation im Betrieb unterliegt keiner
Einschränkung als der des § 611 BGB als allgemeines Gesetz;
dies würde aber nur bedeuten, dass Arbeitnehmer zu ihren vertraglichen
Pflichten aus dem Arbeitsvertrag, der Einhaltung der Arbeitsabläufe
verpflichtet wären. Die Pflicht den Betriebfrieden nicht zu stören,
setzt nicht nur die Konsensfähigkeit der Meinung voraus, sondern
unterstellt, der Arbeitgeber wird mit zur Gemeinschaft gerechnet auch
dessen Meinung. Dies bedeutet eine Schlechterstellung gewerkschaftlicher
Positionen gegenüber den Arbeitgebern, da diese entscheiden welche
Meinung ihnen genehm ist. Eine inhaltliche Bestimmtheit und Rechtssicherheit
fehlt damit. Damit liegt auch ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz
des Art. 3 Abs. 1 GG vor, da Arbeitnehmer mit Konsequenzen rechnen müssen,
während dies für Selbstständige nicht der Fall ist. Art.
5 Abs. 1 soll gerade auch Mitglieder verschieden starker Gruppierungen
schützen. Eine Drittwirkung der Grundrechte kann die vorgeblichen
Treuepflichten nicht mehr beschränken - damit wird jedoch vom BAG
nur die ungestörte Kapitalverwertung geschützt, die Meinungsfreiheit,
die auch im Arbeitsverhältnis von elementarer Bedeutung ist, wird
so negiert.
Politische Streiks
In seiner ersten grundlegenden Entscheidung19
zum Streikrecht hat das Bundesarbeitsgericht aus allgemeinen Grundsätzen
die Inhalte und Grenzen eines Streikes bestimmt, die bis heute prägend
sind. Ein Streik wurde als "im allgemeinen unerwünscht"
betrachtet. Erst 197120 hat das
BAG ein Streikrecht durch die Koalitionsfreiheit des Art 9 Abs. 3 als
geschützt angesehen. Streiks, die nicht durch Gewerkschaften oder
gewerkschaftsähnliche Organisationen getragen werden, die nicht um
ein tariflich regelndes Ziel sowie innerhalb der Friedenspflicht geführt
werden, sind nach Ansicht des BAG keine Streiks, die von Art. 9 Abs. 3
erfasst werden. Im sogenannten "Zeitungsstreik" von 1952 streikten
die Arbeiter gegen das Betriebsverfassungsgesetz, durch das die Rechte
der Gewerkschaften erheblich eingeschränkt wurde und damit gegen
den Staat als Gesetzgeber, was als verfassungswidrige Nötigung des
Parlamentes als unzulässig gelte. Gleiches gilt auch für Demonstrationsstreiks
gegen die Änderung des § 116 AFG. Politische Streiks, die
nicht unter Art. 9 Abs. 3 fallen müssen dementsprechend unter dem
Blickwinkel des Art. 5 Abs. 1 betrachtet werden; das BVerfG lehnt zwar
den Einsatz wirtschaftlicher Zwangsmittel zur Durchsetzung bestimmter
Meinungen ab21 , der bekannte
Bremer Arbeitsrechtler Däubler22
hat es jedoch treffend auf den Punkt gebracht, dass die wirtschaftlich
Unterlegenen so im Meinungskampf eine "faktische Gleichheit"
eher wieder herstellen als beeinträchtigen würden. Die Meinung
der Herrschenden setzt da jedoch wie beschrieben andere Maßstäbe.
Politische Parteitätigkeit und Berufsverbote
Besondere Bedeutung hat der sogenannte "Radikalenerlass"23
und der Radikalenbeschluss24
des BVerfG erlangt. Das Bundesverfassungsgericht hat verlangt, dass der
Beamte die in Art. 33. Abs. 5 genannte politische Treupflicht durch Identifizierung
mit der Idee des Staates, welchem er dient, durch Bejahung nachkommen
muss. Die Treupflicht verlange ein entsprechendes Verhalten um ihn für
die Beamtenstelle als geeignet erscheinen zu lassen.
Das Parteienprivileg des Art. 21 GG, das in Abs. 2 die Verfassungswidrigkeit
an eine Entscheidung des BVerfG knüpft sei nicht verletzt, da die
Treuepflicht einen anderen Regelungsgegenstand zur Grundlage habe. Die
durch Art. 3 Abs. 3 GG verbotene Diskriminierung wegen unerwünschter
politischer Anschauung schütze nur das politische "Haben"
und "Mitteilen" und nicht das politische Äußern,
dies werde nur durch die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 erfasst. Die
Treuepflicht sei mithin eine Schranke im Sinne des Art. 5 Abs. 2. Die
Folgen dieser Entscheidung waren die bekannten "Berufsverbote"
für Bewerber, die diesen Anforderungen nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes
nicht entsprachen. Tausende - vor allem KommunistInnen aber auch SozialdemokratInnen
- waren von diesem traurigem Kapitel bundesdeutscher Geschichte betroffen.
Dies bedeutete insbesondere für LehrerInnen den Entzug gerade ihrer
Berufsgrundlage, da der Staat de facto ein Bildungsmonopol inne hat. Gerade
die von dem Bewerber geforderte innere Verbundenheit, die sich einer Prognose
des Staates entziehe und so ein fast uferloses Ermessen mit sich bringt,
hat Kritik hervorgerufen25 .
Nicht mehr loyales Verhalten, sondern die innere Einstellung als Rückfall
in "vorbürgerlich, irrationale Rechtsvorstellungen"26
sei die Folge. Das Verfassungsgericht beachte Art. 33 Abs. 3 Satz 2 GG
nicht, der es untersage, dass durch ein Bekenntnis oder eine Weltanschauung
ein Nachteil erwachse. Die Argumentation des Gerichtes bezüglich
Art. 3 Abs. 3 GG verkenne, das dieses Recht keine fiktiven Gefahren, sondern
realen vorbeugen wolle; nicht diejenige Person, die eine Überzeugung
habe, sondern die die diese Überzeugung nach Außen trage sei
gefährdet. Die Eignung eines Bewerber zum Verfassungsrang zu erheben
hat keine Grundlage, da die Verfassungswidrigkeit und die Treuepflicht
unterschiedliche Gebiete regeln. Die Verwaltung, die über die Einstellung
oder die Entlassung entscheidet, würde sich eine Zuständigkeit
des Verfassungsgerichts anmaßen. Das Parteienprivileg des Art 21
Abs. 2 GG, das die Partei und ihre Mitglieder schützt, begrenzt eindeutig
eine politische Treuepflicht. Der Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes
ist deshalb vehement zu widersprechen auch weil das ILO-Übereinkommen
(Internationale Arbeitskommission, eine Unterorganisation der UN) Nr.
111, welches die Diskriminierung für politische Ansichten verbietet,
keine Beachtung gefunden hat - ebenso wie die Europäische Menschenrechtskonvention.
In Art. 10 Abs. 1 wird der Anspruch eines Jeden auf freie Meinungsäußerung
garantiert. Die Freiheit der Meinung ohne Eingriffe der Behörden
ist garantiert. Abs. 2 schränkt dies u.a. für die Fälle
ein, die "in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen
Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung...unentbehrlich ist".
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EMRK) hat im
Fall der verbeamteten Lehrerin D. Vogt, die Mitglied der DKP war und deswegen
aus dem Schuldienst entlassen wurde (nach einer Ablehnung einer Verfassungsbeschwerde
wegen offensichtlicher Unbegründetheit durch das BVerfG) ein bahnbrechendes
Urteil27 für die Meinungsfreiheit
getroffen. Neben der Feststellung, dass auch Beamte sich auf Art. 10 EMRK
berufen können wurde der Begriff der "Unentbehrlichkeit"
genauer definiert. Unentbehrlich sei nur im Sinne einer dringenden gesellschaftlichen
Notwendigkeit zu verstehen; dies müsse im Einzelfall unter dem Gesichtspunkt
der Verhältnismäßigkeit geschehen. Die Einschränkung
zum verfolgten Ziel und die Rechtfertigungsgründe seien zu prüfen.
Die Treuepflicht für eine Lehrerin, die keine besondere Stellung
innehabe, in der Sicherheit und Ordnung gefährdet sei, ist unverhältnismäßig
zumal die DKP keine verbotene politische Partei ist, sondern im Rahmen
der BRD rechtmäßig tätig sei. Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche
Äußerungen haben nicht vorgelegen.
Kirchliche Arbeitsverhältnisse
Beschäftigte, die sich in kirchlichen Arbeitsverhältnissen
befinden, werden oftmals damit konfrontiert, dass sie ihre Meinung nicht
frei äußern dürfen, wenn sie keine arbeitsrechtlichen
Schritte seitens des Arbeitgebers befürchten wollen. In Art. 140
GG, der das Recht der Religionsgemeinschaften regelt, beinhaltet die Weitergeltung
der Art. 136 - 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11.08.1919 (WRV).
In Art. 137 Abs. 3 1. S der WRV ist festgelegt, dass jede Religionsgesellschaft
ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für
alle geltenden Gesetzes ordnet und verwaltet.
Exemplarisch steht der Fall28
eines Arztes, der - angestellt bei einer kirchlichen Stiftung - einen
(veröffentlichten) Leserbrief an eine Wochenzeitschrift zusammen
mit 50 Personen unterzeichnete. Die geäußerte Kritik richtete
sich gegen Äußerungen eines Vorstandsmitgliedes der bayerischen
Ärztekammer, der Abtreibungen mit den Massenmorden während der
Nazi-Diktatur im Konzentrationslager Auschwitz verglichen hatte. Auch
wurde eine "notwendige und sinnvolle Entwicklung" des Schwangerschaftsrechtes
angemahnt, angesichts der "zum Teil unlösbaren Schwierigkeiten
von Frauen (...) die ungewollt schwanger geworden sind". Dem Arzt
wurde daraufhin fristgemäß gekündigt. Das Bundesarbeitsgericht
hob die ordentliche Kündigung wegen Sozialwidrigkeit auf. Die dagegen
gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg29
; der Fall wurde an das BAG zurückverwiesen, der die Kündigung
daraufhin bestätigte.
Das BVerfG hat die Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsgarantie des
Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV nicht nur auf die Kirche selbst
beschränkt gesehen, sondern auch auf deren rechtlich selbständigen
Teile, die der Kirche in bestimmter Weise (ohne Rücksicht der Rechtsform)
zugeordnet sind. Dies sei der Fall wenn sie nach kirchlichem Selbstverständnis
ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen seien ein Stück
des Auftrages der Kirche wahrzunehmen und zu erfüllen. Das Karitative
Wirken entspreche insbesondere der Religionsausübung und der Freiheit
der Entfaltung des Glaubens. Dies beziehe sich nicht nur auf den Träger
der Einrichtungen sondern auch auf die Einrichtung selber30
.
Auch wenn es im Ermessen der Kirche liege welcher Rechtsform sie sich
bediene, gelte im Privatrecht das staatliche Arbeitsrecht, was zur Folge
hat, dass zwar die kirchlichen Arbeitsverhältnisse nach den arbeitsrechtlichen
Vorschriften beurteilt, werden sie aber dennoch zu den eigenen Angelegenheiten
der Kirche gerechnet werden31
. Die durch die verfassungsrechtliche garantierte Selbstverwaltung garantierte
kirchliche Anschauung darf deshalb nicht in Frage gestellt werden. Dem
Angestellten dürfen deshalb Loyalitätspflichten auferlegt werden,
die die Glaubens- und Sittenlehre der Kirche widerspiegeln. Der Inhalt
richte sich nur nach den von der verfassten Kirche anerkannten Maßstäben.
Das zwingende Erfordernis des friedlichen Zusammenlebens von Staat und
Kirche müsse mittels einer Güterabwägung, bei der dem Selbstverständnis
der Kirche ein besonderes Gewicht beigemessen werde, gewährleistet
werden. Dies betreffe auch das Individualarbeitsrecht. Entscheidungen
dürften aber nicht gegen das allgemeine Willkürgebot des Art.
3 Abs. 1 GG verstoßen.
Das BAG hatte in seiner ersten Entscheidung zwar die kirchliche Krankenpflege
als karitative Einrichtung der Religionsgemeinschaft zugeordnet, die in
Ausübung der religiösen Betätigung betrieben werde; hatte
aber in einer Interessenabwägung den Verstoß gegen Regel des
kirchlichen Selbstverständnisses zugunsten des Arztes ausgelegt,
dessen Interessen schutzwürdiger seien, da es um Erhaltung seines
Arbeitsplatzes ginge. Seine Äußerung sei auch rein privater
Natur gewesen auch wenn sie das rechte Maß überschritten habe;
eine Kündigung sei dadurch jedoch nicht gerechtfertigt. Besonders
deutlich wird die Rechtsprechung der Gerichte, wenn die sexuelle Orientierung
in die absolutistische anmutende Gnädigkeit der Kirche gestellt wird.
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg32
steht für diese Art von Rechtssprechung, indem es u.a. darauf abgestellt
hat, ob die Homosexualität öffentlich gelebt werde.
Arthur Bredouille
-
BVerfGE 61,1, 9; v.Münch/ Kunig -
Wendt, Art. 5; Rdnr. 8.
-
BVerfGE 7, 198, 208.
-
BVerfGE 7, 198, 219.
-
BVerfG in AP 2 zu § 74 BetrVG; BVerfG
in DB 1976, 1485.
-
ArbG München in DB 1984, 512f..
-
BVerfG in BVerfGE 7, 198, 209f..
-
BVerfGE 34, 269, 290, 292.
-
BVerfGE 22, 114, 121.
-
BAG AP 2 zu § 13 KSchG.
-
BAGE 7, 256, 261; BAG, AP 4 zu §
13 KSchG.
-
BAG in AP 73 zu § 626.
-
Däubler/2, Rdnr. 568; Kempff, S.
47.
-
BAG, AP Nr. 2 zu § 134 BGB.
-
BAG, AP 69 zu § 626 BGB.
-
BAG, AP 73 zu § 626 BGB
-
ArbG in DB 1984, 512.
-
BAG AP 1, Bl.6 zu § 74 BetrVG 1972.
-
Thümmel, S. 21;
-
BAG, AP 1 zu Art. 9 GG
-
BAG, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG.
-
BVerfGE 25, 256.
-
Däubler/1, Rdnr. 671.
-
Erlaß zur Beschäftigung von
Radikalen im öffentlichen Dienst, Bulletin der Bundesregierung
Nr. 15, 142 (03.02.1972).
-
BVerfGE 39, 334f..
-
Kempff, S. 70ff.; Däubler/2, Rdnr.
1745;
-
Däubler/2, Rdnr. 1745.
-
EGMR vom 26.09.1995 in NJW 1996, 375.
-
BAG in DB 1983, 2778.
-
BVerfG in BB 1985, 1600.
-
BVerfGE 53, 366, 398f.; BVerfG in BB 1985,
1600, 1601.
-
BVerfGE 53, 366, 392.
-
LAG Ba-Wü vom 24.06.1993 in Arbeit 1993, 221.
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