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Folgenschwere Weichenstellung - AutorInnenaufruf
Die Deutsche Bahn war jahrzehntelang ein staatliches Unternehmen und
heute ist sie privatisiert. Mit dieser Privatisierung überließ
der Staat einmal mehr einen wichtigen Bereich "dem Markt" und
die Bahn steht nicht mehr länger im "Dienst der Allgemeinheit"
sondern im Dienst der AktionärInnen. Die Deutsche Bahn ist damit
nur ein Beispiel von vielen, für eine Entwicklung, die in einem der
nächsten freischüßler näher beleuchtet werden könnte.
Vielleicht kommt ja der eine oder die andere bei den im folgenden angerissenen
Problemfeldern und Gedanken auf den Geschmack und kann es kaum erwarten,
einen Artikel oder ein Statement zu verfassen(?).
Mit
der Privatisierung der Deutschen Bahn entzog sich der Staat seiner Verantwortung
in einem wichtigen Bereich, der noch vor ein paar Jahren zu den "Gemeinschaftsgütern"
zählte.
Doch was sind "Gemeinschaftsgüter"? Und warum soll der
Staat dort irgendeine Verantwortung haben? Beide Fragen hängen eng
miteinander zusammen und verlangen zunächst einen Blick in die Vergangenheit.
Vor gar nicht allzu langer Zeit hieß es noch, dass eine - wie auch
immer geartete - Marktwirtschaft zu sozialen Ungleichheiten führen
muss und dass daher gewisse Bereiche "dem Markt" entzogen sein
sollten, um die Teilnahme aller Menschen (Reiche und Arme) an diesen Bereichen
zu gewährleisten. Zu diesen Bereichen, die auch als "Gemeinschaftsgüter"
gekennzeichnet wurden, zählten z.B.: die persönliche Sicherheit,
Bildung, Gesundheit, etc. und auch die Bahn. Wie schon erwähnt, soll
es hier speziell um die Bahn gehen. Mit der Bezeichnung der Bahn als "Gemeinschaftsgut"
war ganz klar verbunden, dass sie staatlich sein müsse, dies sei
(unter anderem) Voraussetzung dafür, dass sich die Marktwirtschaft
sozial nennen dürfe.
Nun ist die Bahn privatisiert und doch spricht niemand davon, dass die
real existierende Marktwirtschaft nicht mehr sozial sei (außer denjenigen,
die das bisher auch schon taten). Wie auch immer - so wie andere ehemalige
"Gemeinschaftsgüter" auch - entwickelt sich die Bahn zu
einer Art Luxusverkehrsmittel. Die früher erkannte Notwendigkeit,
"Gemeinschaftsgüter" "dem Markt" zu entziehen,
lag vor allem darin, die Folgen des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs
zu mildern. Die Tatsache, dass die Marktwirtschaft, möge sie auch
noch so sozial sein, zwangsläufig zu einer Verschärfung der
sozialen Gegensätze führt,
sollte zumindest dadurch abgeschwächt werden, dass jeder und jede
die Bahn (oder andere "Gemeinschaftsgüter") benutzen konnte.
Diese Überlegungen basierten übrigens nicht auf irgend einem
Großzügigkeitswahn der BRD und ihrer Staatsorgane, sondern
das war der sozialstaatliche Verfassungsgrundsatz, dass der Staat für
den Ausgleich sozialer Gegensätze zu sorgen hatte.
Heute scheint alles anders. Die Bahn ist privat und gekennzeichnet durch
Sicherheitsmängel, Unfälle, Streckenstillegungen, Preiserhöhungen
und Arbeitsplatzabbau auf der einen und Prunkbauten in Berlin sowie Ankündigungen
für einen Transrapid in NRW oder Bayern auf der anderen Seite. Die
Regionalbahnen sollen eingeschränkt werden oder nur noch als Zubringer
für neu entstehende Luxusstrecken dienen, obwohl 90% aller Fahrten
bei der Bahn unter 50 km liegen. Wer will es der Deutschen Bahn AG auch
verdenken, schließlich ist sie ein Wirtschaftsunternehmen und somit
aktive Wettbewerbsteilnehmerin in der Marktwirtschaft (Art. 87e III 1
GG). Doch es gibt auch noch den Art. 87e IV 1 GG, der besagt, dass die
Verkehrsbedürfnisse der Allgemeinheit durch den Bund gewährleistet
werden müssen. Da ist wieder die Sache mit der Verantwortung des
Staates. Mit den Absätzen drei und vier des Art. 87e GG und ihrem
Verhältnis zueinander wird deutlich, dass das Allgemeinwohl seit
der Privatisierung nicht länger Ziel der Deutschen Bahn ist, sie
vielmehr ein reines Wirtschaftsunternehmen darstellt.
Daraus folgt wiederum das "Gebot zu marktorientiertem Ressourceneinsatz".
"Damit sind auch überkommene Leistungsangebote der Eisenbahnen
stets aufs neue zu überprüfen und zu modernisieren oder, wo
nicht länger erfolgversprechend, vom Markt zu nehmen.".
Die Deutsche Bahn AG ist eben kein "Gemeinschaftsgut" mehr,
sondern eine ganz normale Aktiengesellschaft.
Gewinne für die AktionärInnen sind entscheidend, nicht die Sicherheit
und der Service für die Menschen. Gut ausgelastete Hauptstrecken
und Schwerpunktbahnhöfe, die eher an Shoppingcenter erinnern, sind
angesagt, ökologische Verkehrsmittelalternativen interessieren nicht.
Wo die Profitmaxime gilt, da ist es egal, dass dringend ein Ausweg aus
der luftverpestenden Auto- und Flugzeugflut gefunden werden muss.
Die Bahn ist nur ein Beispiel für die gesamte Entwicklung in der
BRD, in Europa und der Welt. Die private Wirtschaft übernimmt mehr
und mehr und immer unverhohlener die Macht. Im Sprachjargon des Deregulierungswahns
klingt das dann so: "Es entspricht einem Grundprinzip der sozialen
Marktwirtschaft, dass Aufgaben, die im Wettbewerb wahrgenommen werden
können, für den Bürger und Konsumenten kostengünstiger
erledigt werden. Daher sollte sich der Staat auf seine Kernaufgaben beschränken.".
Streckenstillegungen und Pläne zur Reduzierung der Regionalzüge
etc. zeigen, dass die Aufgabe der Bereitstellung von Verkehrsverbindungen
für alle(!) nicht im Wettbewerb realisierbar ist, und dass eine Bahnfahrt
seit der Privatisierung kostengünstiger wurde, ist nicht ersichtlich.
So unsinnig die Begründungen für Privatisierungen auch sein
mögen, Privatisieren liegt im Trend. "Der Markt" scheint
ein neues Heiligtum darzustellen und so ist alles gut, was "dem Markt"
dient und den Staat auf seine "Kernaufgaben" zurückschraubt.
Was sollen diese "Kernaufgaben" aber sein? Nach dem Behaupteten,
wäre der Staat nur dann ein guter Staat, wenn er "dem Markt"
dienen würde und siehe da - genau das ist zu beobachten. Dem Staat
(oder auch Gebilden wie der EU) bleibt lediglich die Aufgabe zugewiesen,
die neu gewonnene Macht "der Privatwirtschaft" zu sichern, indem
er nach innen gegenüber seinen BürgerInnen immer schärfere
Überwachungs- und Kontrollmethoden anwendet und nach außen
die Grenzen seines "Wirtschaftsraums" gegen "ungebetene
MitesserInnen" immer brutaler abschirmt.
Bert Bertel
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