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oder die zwei Seiten sozialliberaler "Radikaldemokratie"

In letzter Zeit sind die Autonomen Referate durch Infragestellung ihrer Position in die Diskussion (zumindest die studentische) gekommen. Vor allem die Studierendenorganisationen von CDU und FDP - der RCDS und die JuLis sind für ihre Klagen gegen das politische Mandat vor den Verwaltungsgerichten bekannt - aber auch JuSos und die aus der FDP-Jugend hervorgegangenen sozialliberalen JungdemokratInnen/Junge Linke sparen nicht mit Angriffen gegen den Autonomiestatus. Der ansonsten sich links gebende Verband ließ dadurch sogar letztes Jahr den linken Giessener AStA platzen. Grund genug liberale Rechtfertigungspolitik ein bißchen unter die Lupe zu nehmen.

Autonome Referate sind an vielen Universitäten in der demokratischen Diskussion allgemein anerkannte Einrichtigungen einer emanzipatorischen Plattform, um strukturell benachteiligten "Gruppen" und Diskussionen die notwendige Infrastruktur zu stellen.

Das war nicht immer so und wurde - auch in Auseinandersetztung mit linken Gruppierungen - gegen vehementen Widerstand rechts- und liberaldemokratischer Politik in den achtziger Jahren durchgesetzt; das bis heute existierende Schwulenreferat an der Freien Universität Berlin als Vorreiter ist ein Beispiel dafür.

Ob Schwule, Lesben, Frauen oder "AusländerInnen", sie alle hatten die Erfahrung gemacht, dass die vorherrschenden Strukturen ihnen nicht die Möglichkeiten bieten konnten der jeweiligen im Verhältnis zur dominierenden "Rest"gesellschaft gerade auch in universitären Strukturen stattfindenden Diskriminierung etwas entgegenzusetzen. Die Einrichtungen der Zwangskörperschaft Studierendenschaft als mittelbare Staatsverwaltung (insbesondere die ASten) waren immer schon durch äußere und innere Grenzen eine Art Vorbereitung auf andere Strukturen, deren Akteurinnen und Akteure sich durch eine enge Bezugnahme bestimmter -nicht nur hinsichtlich ihrer eigenen Karriere- gesellschaftlicher Interessen als nicht neutral erwiesen und ihrem Charakter nach autoritär den Studierenden gegenüberstanden.

Aus diesen Erkenntnissen heraus sollte eine andere, demokratischere Politik den diskriminierten vielfach als Minderheit stigmatisierten Frauen, Lesben, Schwulen und "AusländerInnen" die Möglichkeit geben ihre Positionen in eigenen Freiräumen und vor allen Dingen ohne permanente Einmischung von VertreterInnen, die durch ihr Verhalten patriachalische, rassistische und auch kulturelle Unterdrückung in die Diskussion hineintrugen, zu verwirklichen.

Dazu wurden Vollversammlungen geschaffen, auf denen die Repräsentativfunktion der Vertretungen als rein formelle Machthierachie durch enge Bezugnahme zur Basis mittels basisdemokratischer Auseinandersetzung und Kontrolle eingeschränkt wurde, um allen an der Diskussion Beteiligten die Möglichkeit zu geben ihre eigenen Angelegenheiten eben auch in die eigene Hand zu nehmen.

Gerade deshalb waren und sind autonome Referate als offene Strukturen auch innerhalb der universitären Strukturen begriffen worden, die die notwendige Infrastruktur als Angebot aber nicht als Bezugnahme auf diese Struktur genommen haben. Die Vollversammlungen sind deshalb im Gegensatz zum Studierendenparlament und AStA offen und allenfalls im Rahmen geschlechtlicher und/oder sexueller Orientierung bzw. kultureller Herkunft begrenzt.

Auf ihnen werden VertreterInnen für die jeweiligen Referate gewählt (daher u.a. auch die Begrifflichkeit autonomer Referate), die aufgrund des vorherrschenden Rahmens der Hochschulgesetze bzw. statuarischer Regelungen vom Studierendenparlament bestätigt bzw. gewählt werden müssen.

Die Vollversammlungen sind jedoch die Grundlage einer emanzipatorischen Politik, der den vorgegebenen und vorgeblichen Abtrennungscharakter der Hochschulrealität durchbricht. Die Hochschulen stehen in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit ihren gegensätzlichen Interessen und nicht neben ihnen; deshalb werden auch keine Abgrenzungen gezogen, die aus einer formalen Abgrenzung abgeleitet werden können.

Dennoch und vor allen Dingen auch deshalb, weil der scheinbar gesetzlich vorgegebene und vorgefundene Bereich der Universität eine Abgrenzung zu anderen gesellschaftlichen Bereichen manifestiert und die rechten Protagonisten - wie etwa auch die Kläger gegen das politische Mandat aus RCDS und Burschenschaften - eben die gesellschaftliche Bezugnahme von universitärer Politik leugnen und den Vollzug reaktionärer Politik versuchen voranzutreiben.

Diesen Vorstellungen nach soll der Zugang zur Universität nur noch einer Elite den notwendigen Bildungsweg ermöglichen, um die Rechtfertigungsideologie kapitalistischer Politik konsequent zu generieren.

Liberale Vertragsgleichheit

Damit sind wir bei einem Grundpfeiler liberaler Politik neuen Ausmasses (viele benutzen auch den Begriff des Neo-Liberalismus) angelangt. Die Legitimationsbasis des bürgerlichen Staates geht aus den Kämpfen gegen den Absolutismus hervor und hat eine Basis in der Aufklärung gefunden. Mit der Abkehr eines von Gott hervorgerufenen Naturzustandes gab sich das aufstrebende Bürgertum im Kampf mit dem feudalistischen Adel um den Herrschaftsanspruch eine legitimatorische Basis. Das Naturrecht nach dem Gustus eines Thomas von Aquin hatte noch eine theologische Gerechtigkeitsvorstellung; dagegen setzte das rationalistische Naturrecht seine Prinzipien, dass politische Herrschaft auf die Vereinbarung des Menschen zurückzuführen, der Staat und damit auch Rechtsordnung der menschlichen Wohlfahrt und der Achtung angeborener Grundrechte Respekt schenken muß. Das Volk wurde als Souverän und der Herrscher als Vollstrecker gesehen (T.Hobbes leitete daraus bspw. aber auch Unterdrückung des "bösen" Menschen ab).

Gesellschaftsvertrag

John Locke entwickelte schließlich seine Theorie des Gesellschaftsvertrages, der einen Naturzustand proklamiert der vor allen Dingen Privateigentum, Geldverkehr und Warentausch als wichtigen Bestandteil einer bürgerlichen Gesellschaft ansah. Die aus einem Naturzustand herausgetretenen Mitglieder schliessen Veträge zur gegenseitigen Anerkennung ihres Eigentums und werden so Bestandteil eines Gemeinwesens. Das rationalistische Naturrecht setzte sich schließlich in verschiedenen Menschenrechtserklärungen und Verfassungen durch; in der Verfassung von Virginia (1776) wurde in Art. 2 festgeschrieben: "alle Macht kommt dem Volke zu und wird folglich von ihm hergeleitet"; 1789 folgte bekanntlich die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte in Frankreich.

Der Liberalismus setzte auf seine Grundkonzeption des Optimismus, der Humanität und der natürlichen Gleichheit des Menschen seine natürlichen Rechte, den Eigentumsschutz, der durch Vertragsabschluß legitimiert dem Staat übertragen wurde und in Gestalt von Gesetzen und Normen formelle Gleichheit garantieren sollte. Das Recht mußte kurzgefasst berechenbar werden für die kapitalistischen Strukturen der Warengesellschaft.

Dieser Konzeption einer Vernunftsstruktur liegt aber zugrunde, dass durch Entscheidungen nicht Interessen sondern Moral und Vernunft repräsentiert wird und aus der Auseinandersetzung das Beste entsteht; soziale Interessengegensätze stehen jedoch bekanntlich diesem Modell entgegen. Gerade der Eigentumsschutz schützt eben die Eigentümer bzw. Besitzenden und nicht die Eigentumslosen. Die postulierte Gleichheit wird bei "neutralem" Recht gerade nicht gewährleistet. Indem nun einfach eine Gültigkeit der Gesetze apostrophiert wird, wird verschleiert, warum der Staat entstanden ist , daß seine Gesetze dem Eigentumsschutz dienen. Recht und Gerechtigkeit werden ungesellschaftlich verstanden. Die Herkunft des Rechts als Form der Sicherung ökonomischer Verhältnisse und der Inhalt der den materiellen Bedingungen der herrschenden Klasse entspricht, werden ignoriert. Die Form wird verabsolutiert. So erscheinen auch die Bewegungen der ArbeiterInnen, der Gewerkschaften und allgemein linke Gruppen als GegnerInnen, wenn sie inhaltliche Gegenbegriffe setzen, die nicht die Besitzenden begünstigen.

Ungleiche Verhältnisse

Die Arbeiterin, die gezwungen ist ihre Arbeitskraft zu verkaufen schließt mit dem Eigentümer der Produktionsmittel zwar einen Arbeitsvertrag,hat aber damit mitnichten eine gleichberechtigte Stellung zu ihm. Ihr wird nicht nur der von ihr produzierte Wert geraubt, sie wird auch gezwungen, ihre eigenen Rechte einzuschränken, um ihren Lebensunterhalt sichern zu können. Auch die Frau, die mit dem Mann einen Ehevertrag schliesst, hat damit mitnichten eine gleichberechtigte Stellung inne - weder in der Gesellschaft, als auch im "kleinen Staate" der Familie.

Diese Beziehung zwischen formaler Gleichheit und realer (struktureller) Ungleichheit findet sich in allen Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft mehr oder minder wieder. In der Hochschule manifestiert sie sich durch die Struktur des Zugangs zur Universität, in ihr aber auch durch Satzungen der Studierendenschaft. Wer aufgrund seiner Abstammung aus einem nicht privilegierten Elternhause schlechteren Zugang zu Bildungsmöglichkeiten hatte, hat keinen gleichberechtigten Zugang zur Universität. Frauen haben aufgrund ihres Geschlechts keinen gleichberechtigten Zugang zu Professurstellen an der Universität, obwohl sie alle scheinbar gleiche Rechte in Anspruch nehmen können und "AusländerInnen" sind besonderen Unterdrückungsstrukturen ausgesetzt.

undemokratische Verfahrensregeln

Damit sind wir wieder bei unseren ausgehenden Betrachtungen: indem die sozialliberalen Jungdemokratinnen den Begriff der Gleichheit allein in der Regelung eines Verfahrens sehen lösen sie ihn vom Inhalt und beschränken ihn auf einen formaljuristischen Bereich.

Mittels des Positivismus wird auf eine Analyse der Gesellschaft verzichtet. Die Gesetze, die Ordnung sind ein Faktum; wer die Macht hat, wendet sie an. Die klassische liberale Theorie, die noch ein Ziel hatte, wird zu ungunsten der eigentumsorientierten Realität des herrschenden Rechtsverständnisses aufgegeben. Der Begriff der Volkssouveränität wird so ad absurdum geführt - nicht das Volk sondern "repräsentative" Vertreter (im Fall des FrauenLesbenreferates besonders rigoros) -Innen bestimmen im herrschenden Diktus bleibend welche Frau die Vertretung der Basis zu übernehmen hat. Von radikaler Demokratie keine Spur! Und warum das Alles? Zuvor hatten sich noch vier Frauen darunter drei Vertreterinnen der laut Eigenwerbung "radikaldemokratischen" JungdemokratInnen auf der Vollversammlung der FrauenLesben zur Wahl gestellt, waren aber ob ihres sozialliberalen Verständnisses von Gleichheit mit deutlicher Mehrheit nicht gewählt worden. Grund genug um mittels des StuPas zurückzuschlagen. Selbstbestimmte Politik heißt in der Praxis radikaldemokratischer Politik offensichtlich Wahrung eigener Verbandsinteressen (u.a. 800 DM Knete).

Notwendig bleibt dennoch für den Begriff der radikalen Demokratie zu streiten, ohne zu vergessen, daß sozialliberale Radikaldemokraten zwar links blinken aber rechts abbiegen.

alex legis


Literaturtip:
Reinhard Kühnl (Politikprof. in Marburg gleich neben Giessen),
Liberalismus als Form bürgerlicher Herrschaft, Von der Befreiung des Menschen zur Freiheit des Marktes, distel verlag 1999.

 

Angriff gegen Autonome Referate

Im letzten Jahr zerbrach in Gießen die linke AStA-Koalition an der Frage des Statusses der Autonomen Referate. Die Referenten für Internationales, Wissenschaftskritik (beide Assoziation Marxistischer StudentInnen - AMS) und Antifaschismus (Grüne Liste) traten aufgrund dessen mit sofortiger Wirkung zurück. Die Liste Aktives Lehramt kündigte die Zusammenarbeit auf.Was war geschehen?

Anlass war die FrauenLesben-Vollversammlung, bei der eine Mehrheit der anwesenden Frauen für ein aus verschiedenen Gruppen bestehendes Bündnis votierten - gegen den Vorschlag der sozialliberalen JungdemokratInnen für vier Kandidatinnen (darunter führende Funktionärinnen des Verbandes). Die deutliche Niederlage nicht verkraftend wurde nun versucht gegen die basisdemokratische Entscheidung anzugehen. Die Jusos versuchten die Wahl anzufechten, weil eine(!) Frau an der Abstimmung teilgenommen hat, die ihren Schwerpunkt in Gießen hat, aber an einer Frankfurter Hochschule eingeschrieben ist (ein Sachverhalt, der allen bekannt war; die VV hatte sich aufgrund der Verankerung in Gießen für ihre Stimmberechtigung entschlossen - zumal ihre Stimme angesichts der Mehrheiten nicht ins Gewicht fiel). Insbesondere die Jungdemokratinnen pochten formaljuristisch auf die Gesetze, die eine solche Wahl nicht zulassen. Bei der Bestätigung im Studierendenparlament stand dann eine große Koalition aus RCDS, JuSos und JungedemokratInnen gegen die gewählten Referentinnen der FrauenLesben-Vollversammlung, die daraufhin ihr Referat nicht einnehmen konnten. Zwar hatten vor den Wahlen des Autonomen Referates noch alle AStA-Listen den Autonomiestatus anerkannt - die Erwartung eigene Kandidatinnen durchzusetzen, war jedoch stärker als linke Politik. Eine Entwicklung, die sich auch in Kassel und Hamburg beobachten lässt: auch dort formierte sich eine "Neue Mitte" gegen emanzipatorische Politik (nähere Infos dazu unter www.marxisten.de).

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