GSG 9 im Mehringhof
Durch ein Großaufgebot der Polizei wurde am 19.12.99 der Mehringhof
in Berlin-Kreuzberg durchsucht. Hier noch mal eine Darstellung der Ereignisse:
Der
Mehringhof wurde in den 70er Jahren von einer Initiative gekauft, die
auf dem ehemaligen Fabrikgelände eine GmbH gründete. Er beherbergt
circa 30 linke Projekte. In dem alternativen Kulturzentrum befindet sich
u.a. ein Fahrradladen, der Buchladen Schwarze Risse, die Schule für
Erwachsenenbildung (SFE),eine Anwaltskanzlei, das Mehringhof Theater und
eine Kneipe (das EX). Es gibt einen Versammlungsraum und zahlreiche Büros
unterschiedlicher politischer Projekte.
Hintergrund der Durchsuchung war die Verhaftung zweier Mitarbeiter des
Mehringhofs und einer in Frankfurt a. M. lebenden Frau. Ihnen wird vorgeworfen
Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ) gewesen zu sein, die in
den 80er Jahren mehrere Sprengstoffanschläge, die sich vor allem
gegen die repressive Asylpolitik der Bundesregierung richteten, verübten.
Den Verhafteten wird ein Anschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für
Asylbewerber in Westberlin 1987 zur Last gelegt. Des weiteren sollen sie
im selben Jahr einen Anschlag auf den damaligen Vorsitzenden Richter am
Verwaltungsgericht G. Korbmacher beteiligt gewesen sein. Korbmacher wurde
bei dem Anschlag gezielt in den Unterschenkel geschossen.
Die Taten sind mittlerweile alle verjährt der Vorwurf der Mitgliedschaft
in einer terroristischen Vereinigung bleibt bestehen. Grund für die
Verhaftungen waren die Aussagen eines im Oktober Verhafteten. Die Kronzeugenregelung
nutzend, bezichtigte er die beiden Mehringhof Mitarbeiter und eine in
Frankfurt lebende Frau der Mitgliedschaft in den RZ und sagte außerdem
aus, im Mehringhof hätte sich ein Sprengstoff- und Waffenlager befunden.
Die Kronzeugenregelung garantierte Verhafteten sog. terroristischer oder
krimineller Vereinigung Straffreiheit oder zumindest Strafminderung, sollten
sie über andere vor Gericht aussagen. Dies sollte vor allem Erfolge
in den Ermittelungen gegen sog. terroristische Vereinigungen garantieren.
Gefangenen wurde also die Möglichkeit gegeben, sich gegen Verrat
an anderen an der Tat Beteiligten, von der drohenden Strafe freizukaufen.
Die Kronzeugenregelung besteht seit Anfang dieses Jahres nicht mehr.
Über 100kg Sprengstoff wurden nach Angaben
der Staatsanwaltschaft 1987 in Salzhemmen durch unbekannte Mitglieder
der R.Z. entwendet. Ein Teil davon wurde bereits für Sprengstoffanschläge
( u.a. auf die Siegessäule 1991) eingesetzt. Der Rest ist bisher
nicht wieder aufgetaucht und wurde im Mehringhof vermutet.
Deswegen wurde zeitgleich mit der Verhaftung der 3 Beschuldigten ( sonntags
um 6.00) der Mehringhof von mehren Polizei- und BGS Einheiten gestürmt,
mit dabei die Bundesanwaltschaft und die Sondereinheit GSG 9, die vermummt
und mit Maschinenpistolen ausgerüstet das Gebäude von innen
sicherten.
Zu diesem Zeitpunkt befanden sich noch die letzten Besucher einer Party
im Gebäude, die alle bis um 11 Uhr dort festgehalten und deren Personalien
festgestellt worden sind.
Für andere war es dagegen beinahe unmöglich in den Gebäude-Komplex
zu gelangen. Fast der gesamte Block um den Mehringhof war abgeriegelt
und Anwohner wurden nur nach Vorzeigen ihres Ausweises mit Polizeieskorte
in ihre Häuser gelassen. Bürgersteige und Strassen waren teilweise
nicht mehr passierbar. Der Schulhof der benachbarten Schule diente als
Parkplatz für unzählige Polizeifahrzeuge. Der Zugang zum Gelände
wurde durch zwei Reihen behelmter und gepanzerter Männer in Grün
abgeriegelt.
Selbst Mietern und Projektmitgliedern wurde der Zutritt verwehrt, um
die Polizeimaßnahmen nicht zu verzögern. Jeder einzelne Zutritt
musste durch einen der beiden Oberstaatsanwälte genehmigt werden.
Auch Journalisten wurde der Zugang verwehrt.
Der Mehringhof kritisiert in seiner Pressemitteilung, dass sich die Mieter,
unter ihnen auch die Rechtsanwälte nur unter Polizeiaufsicht im Gebäude
bewegen durften. Einige Räume wurden ohne jegliche Zeugen durchsucht,
den Mietern das Recht auf Anwesenheit bei der Durchsuchung verwehrt.
Den Schaden beziffert der Mehringhof auf 100.000,- DM. Abgerissene Wandverkleidungen,
zerbohrte Wände, aufgebrochene Schlösser und zertrete Türen
(obwohl der Polizei nach Angaben eines Mieters Schlüssel für
sämtliche Türen zur Verfügung standen). Insbesondere die
Räume des Puppentheaters und der Bandproberaum seien regelrecht verwüstet
worden. Unverständlich blieb der Mieterversammlung des Mehringhofs
auch, warum einige Computer besonders gründlich nach Sprengstoff
durchsucht worden sind.
Das Ergebnis der 12stündigen Durchsuchung war äußerst
dürftig. Sprengstoff wurde nicht gefunden, Waffen auch nicht. Beschlagnahmt
wurde allerdings eine Liste von möglichen Unterstützern linker
Aktionen von 1986. Auf dieser war unter anderen auch der Name des jetzigen
Innenministers Otto Schily vermerkt.
Interessant wäre eigentlich noch zu wissen, ob die Polizei eigentlich
selber an die Anschuldigung glaubte. Denn das in einem Gebäudekomplex
in dem knapp hundert Leute arbeiten, fast 13 Jahre lang Sprengstoff gelagert
sein soll, ohne das jemand etwas davon mitbekommt, ist nun wirklich nicht
sehr wahrscheinlich. Dank der vielen oppositionellen Strukturen, die im
Mehringhof untergebracht sind, dürfte der zumindest der Verfassungsschutz
ziemlich gut über Vorgänge dort informiert sein, vermutet Rainer
Nitsche, der Verleger des Transit Verlags, der im Mehringhof seine Büroräume
hat in einem Interview mit der jungen Welt (22.12.99). Seiner Ansicht
nach ist die Zeugenaussage, dort würde sich ein Sprengstoffdepot
befinden, durch die Kronzeugenregelung entstanden. Der Aussagende hätte
sich so von einer möglichen Strafe freikaufen wollen.
Auch das Haus der Demokratie verurteilte die Durchsuchung des Mehringhofs
als repressive Maßnahme gegen unbequeme, oppositionelle Strukturen.
Fazit:
Ohne Frage war die Durchsuchung des Mehringhofs völlig überzogen.
Der Einsatz von ca. 1000 Polizeibeamten und vor allem der Antiterroreinheit
GSG 9 sollte wohl eher der Einschüchterung dienen, als zur Aufklärung
über Waffendepots der RZ. Der Mehringhof hat zentrale Bedeutung für
die radikale Linke vor allem im Westteil der Stadt. Vielleicht diente
die größte Durchsuchung seit Gründung des Mehringhofs
viel mehr dazu, wieder einmal Einblick in die linke Szene zu erhalten.
Diese Vermutung bestätigt sich vor allem dadurch, dass zahlreiche
Computer angeworfen worden sind und von Speziallisten untersucht wurden.
Ziel einer solch unverhältnismäßige Durchsuchung könnte
es auch sein das Feinbild "links" zu festigen oder zumindest
mal wieder in Erinnerung zu bringen.
Quellen: Presseerklärung des Mehringhofs, der BAW, des Hauses der
Demokratie; junge Welt vom 21 u. 22. 12. 99
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