akj
Aktuell
Ersti-Heft
|
Gerechtigkeit durch gleichgestelltes
Töten bei der Bundeswehr?
Liberale Forderungen als Verhandlungsmasse
Frauen und Schwule als Potential zur Kriegsführung
"Das Gesetz in seiner majestätischen Gleichheit verbietet
es den Reichen wie den Armen, auf den Straßen zu betteln, unter
den Brücken zu schlafen und Brot zu stehlen."
Anatole France
Die Frage des unbeschränkten Zugangs von Frauen und Schwulen zu
den militaristischen Strukturen der Bundeswehr ist in den letzten Monaten
in die (nicht nur juristische) Diskussion - insbesondere durch Urteile
auf europäischer Ebene - gelangt. Laut Süddeutscher Zeitung
vom 02.08. 2000 laufen in Köln schon die ersten Eignungstests für
Frauen, denen laut Grundgesetz (Artikel 12a Abs. 4) der Dienst an der
Waffe untersagt ist. Im Berliner Boulevardblatt BZ wird am 10.08. vermeldet,
dass vier Frauen in der Kaserne Grünau Eignungstests vollziehen:
"Panzer und Waffen faszinieren mich. Dass ich im Kampf sterben könnte,
muss ich in Kauf nehmen" meint Tanja Eberling und Claudia Doscher
wusste schon immer, dass sie "am liebsten bei der Luftwaffe"
Dienst ableisten wollte. Selbst die linksliberale Presse stellte sich
passend zur Vorstellung des Berichts zur Umstrukturierung der Bundeswehr
Ende Mai aufs Thema ein: Die Frankfurter Rundschau offerierte am Wochende
vor der Vorstellung der sogenannten "Wehrstrukturkommission"
in ihrem neu gestylten Magazin eine mit Farbfotos garnierte Berichterstattung
zum Thema, die einen Vergleich mit der Wehrmachtsberichterstattung zu
Zeiten der letzten Kriegseinstimmungen nicht zu scheuen braucht: die Redakteurin
mit Soldaten auf Fahrt im U-Boot; dazu passend ein weiterer Artikel "Das
erste deutsche U-Boot". Das transportierte Fazit war nicht nur die
"Banalität", dass das Leben von Frau und Mann an Bord schön
ist, sondern die auch bis weit in linke Kreise verbreitete These, dass
mit dem Urteil des EuGH der Weg nun frei sei für die Öffnung
der Bundeswehr. Eine breite Front der Zustimmung von den Konservativen
über die Sozialdemokratie bis hin zur Bundestagsabgeordneten Christina
Schenk (PDS-Fraktion) zur "Emanzipation" hat sich formiert,
so scheint es. Aber woher der plötzliche Ansturm auf die Gleichheit
- wenn auch nur in der Armee?
Bundeswehr als Interventionsarmee
Die Bundeswehr steht vor einschneidenden Umstrukturierungen: "Deutsche
Außenpolitik ist Friedenspolitik" (Kapitel 11, Satz 1 Koalitionsvertrag)
hieß es noch vielsagend zu Beginn der SPD/Grünen-Regierungsübernahme:
Die angekündigte und vielbeachtete Wehrstrukturkommission wurde am
02.Mai 1999 ohne Debatte von Kriegsminister Scharping als Kommission für
"Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" eingesetzt
und sollte den Plänen der Umwandlung der Bundeswehr in eine Interventionsarmee,
die außerhalb des NATO-Gebietes den Krieg zum Regelfall machen soll,
die nötige Rückendeckung geben. Die Personalstruktur soll nach
Willen Scharpings auf 225.000 SoldatInnen verkleinert werden (zuzüglich
22.000 in Aus- und Weiterbildung). Auch der Wehrdienst, dessen Abschaffung
zur Zeit diskutiert wird, soll ab 2002 auf 9 Monate verkürzt werden.
Langfristig stört der Wehrdienst aber die Pläne einer Interventionsarmee,
die mit 150.000 Mann/Frau-starken Einsatzkräften die wirtschaftlichen
Interessen Deutschlands im Ausland vertreten soll (genauer: "Aufrechterhaltung
des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und
Rohstoffen in aller Welt" so die Verteidigungspolitischen Richtlinien).
1999 kündigte Scharping am 8. September (60 Jahre zuvor überfielen
deutsche Truppen Polen) in der Führungsakademie der Bundeswehr in
Hamburg an: "Ab dem Jahr 2001 werde ich die Bundeswehr in Umfang,
Strukturen und Ausrüstung auf die Anforderungen der kommenden 10
bis 15 Jahre neu ausrichten. Die Voraussetzungen dafür werde ich
im nächsten Jahr schaffen. Dann wird auch klar sein, welche Mittel
die Bundeswehr dafür benötigt." Die Bundeswehr benötigt
nach einer Streichung des Wehrdienstes qualifizierte Kräfte, die
nun mit den wieder mal als Lückenbüßerinnen herhaltenden
Frauen aufgefüllt werden sollen. Der auch sonst keiner friedenspolitischen
Initiative zugängliche Bundeswehrverband hat deshalb tatkräftig
Tanja Kreil mit der Stellung eines Anwalts unterstützt, damit sie
ihre Klage auf Einstellung beim Elektronikinstandsetzungsdienst der Bundeswehr
bis vor den EuGH, wegen Verstoßes gegen die Gleichbehandlungsrichtlinie
des Europäischen Rates aus dem Jahre 1976, bringen konnte. Der EuGH
entschied erwartungsgemäß, dass Frauen auch in Deutschland
das Recht hätten, den Dienst an der Waffe auszuüben (unter Einschränkungen
für bestimmte Tätigkeiten).1
Bekanntlich steht jedoch das Grundgesetz der BRD gegen eine solche Entscheidung.
Art. 12 Abs. 4 Satz 2 verbietet den Dienst an der Waffe für Frauen.
Schon 1956, als gegen den Widerstand antimilitaristischer Gruppen die
Wehrpflicht eingeführt wurde, stand in Art. 12 Abs. 3, Satz 1 eine
ähnliche Formulierung, die 1968 im Rahmen der Notstandsgesetze neu
formuliert wurde. Einfach-Gesetzliche Vorstösse oder Entscheidungen
europäischer Instanzen können jedoch das GG in seinem Wertegehalt
nicht aushebeln. Spätestens seit dem Beschluss des zweiten Senates2
zur sogenannten Bananenmarktordnung ist aber kaum eine Entscheidung des
BVerfG in der Frage zu erwarten. Dass durch die europäische Hintertür
Verfassungsgrundsätze der Mitgliedsstaaten und erkämpfte demokratische
Rechte über Bord geworfen werden, hat allerdings auch die Redaktion,
der dem eigenen Anspruch nach kritischen juristischen Zeitschrift Forum
Recht weder im 50-Jahre-GG-Heft 4/1999, im Europa-Heft 1/2000 noch in
der Besprechung eines der Urteile in der Rubrik Recht Kurz (Heft 2/2000)
zu thematisieren vermocht. Ganz im Einklang mit den Neukommentierungen
des Art. 12 GG in den aktuellen Auflagen der Grundgesetzkommentare zur
veränderten politischen Weltlage versuchte sich sogar eine Redakteurin
unter Bezugnahme auf den Gleichheitsgrundsatz an der Einstimmung der LeserInnenschaft
zu einer Teilhabe an einem Grundrecht auf das Töten. Ein Artikel
gleichen Tenors findet sich auch im neuen Grundrechtereport 2000 (Rowohlt-Verlag),
neben einem Artikel der Autoren Günter Dworek und des (vom Vorsitzenden
des Tribunals gegen den NATO-Krieg3,
Prof. Dr. Norman Paech) in Berlin verurteilten Kriegsverbrechers Volker
Beck (MdB Bü90/Grüne), die das Gleiche auch für Schwule
einfordern.
Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit
Zweifellos: Kaum ein anderes Thema hat die Menschheit mehr bewegt als
die Frage nach Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. Die Vorkämpferin
der feministischen Frauenbewegung und einer gerechten Gesellschaftsordnung,
die Feministin, Pazifistin und Kommunistin Clara Zetkin, hat sich des
Themas nicht nur in der von ihr gegründeten Zeitschrift "Gleichheit"
angenommen - sie hat Zeit ihres Lebens dafür gekämpft, dass
die formelle Gleichheit in eine Gerechtigkeit einmündet, in der die
freie Entwicklung eines jeden Menschen die Voraussetzung für die
freie Entwicklung aller ist. Die damit gestellte Frage, was die inhaltliche
Bedeutung der Gleichheit ist und worin sich ihr fortschrittlicher Charakter
und ihr Ziel begründet, ist allerdings kaum mit dem herrschenden
Gleichheitsbegriff (nicht nur in der rechtswissenschaftlichen Diskussion)
vereinbar, der sich letztendlich an einer liberalen Vertragsgleichheit
orientiert. Gerade deshalb versucht sich die Autorin Ahrendts im Grundrechtereport
2000 und des in die gleiche Richtung zielenden Recht Kurzartikels in Forum
Recht mit der Formulierung zu helfen, dass Gleichheit nicht rechtfertigungsbedürftig
sei. Vielleicht nicht rechtfertigungsbedürftig, aber inhaltsbedürftig
allemal, wenn die formelle Gleichheit nicht ins Reaktionäre abgleiten
soll. Im letzten Freischüssler ist im Artikel von Alex Legis die
Entstehung und Herleitung des Gleichheitsbegriffes als Ausformung liberaler
Vertragsgleichheit zutreffend charakterisiert worden. Auf nähere
Ausführungen sei deshalb darauf verwiesen. Kurz dargestellt sei aber
die Passage zu den ungleichen Verhältnissen:
Ungleiche Verhältnisse
Die Arbeiterin, die gezwungen ist, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, schließt
mit dem Eigentümer der Produktionsmittel zwar einen Arbeitsvertrag,
hat aber damit mitnichten eine gleichberechtigte Stellung zu ihm. Ihr
wird nicht nur der von ihr produzierte Wert geraubt, sie wird auch gezwungen,
ihre eigenen Rechte einzuschränken, um ihren Lebensunterhalt sichern
zu können. Auch die Frau, die mit dem Mann einen Ehevertrag schliesst,
hat damit mitnichten eine gleichberechtigte Stellung inne - weder in der
Gesellschaft noch im "kleinen Staate" der Familie. Diese Beziehung
zwischen formaler Gleichheit und realer (struktureller) Ungleichheit findet
sich in allen Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft mehr oder
minder wieder. In der Hochschule manifestiert sie sich durch die Struktur
des Zugangs zur Universität, in ihr aber auch durch Ignorierung emanzipatorischer
Inhalte in der Forschung. Wer aufgrund seiner Abstammung aus einem nicht
privilegierten Elternhause schlechteren Zugang zu Bildungsmöglichkeiten
hatte, hat keinen gleichberechtigten Zugang zur Universität. Frauen
haben aufgrund ihres Geschlechts keinen gleichberechtigten Zugang zu Professurstellen
an der Universität, so dass die Frauenquote unter 10% liegt - obwohl
sie alle scheinbar gleiche Rechte in Anspruch nehmen können. Wenn
nun die Unterdrückung von Schwulen und Frauen dazu missbraucht wird,
Soldat oder Soldatin zu sein als "normalen Beruf" darzustellen,
welcher einer "Gleichstellung" nicht verschlossen sein dürfe,
verkennen die BefürworterInnen Motive gesellschaftlicher Unterdrückung
von Frauen und Schwulen und können keine andere Lösung anbieten
als die Einordnung in die hierarchische, militaristische, im Kern frauen-
und schwulenfeindliche Struktur der Bundeswehr. Durch die Aufnahme von
Frauen oder die Akzeptanz von Schwulen wird die Bundeswehr weder besser
noch wird sich das Geschlechterverhältnis dadurch ändern, wie
es die Autorin Ahrendts im Grundrechtereport resümiert. Das whk,
eine Wiedergründung des u.a. von Magnus Hirschfeld 1897 gegründeten
Institutes für Sexualwissenschaft, wendet sich entschieden gegen
eine solche Verschleierung von gesellschaftlichen Machtverhältnissen:
Ebenso wie das Konstrukt der Ehe, welches vom konservativen Lesben- und
Schwulenverband Deutschlands (LSVD) propagiert wird, um Trans- und Intersexuelle,
Schwule und Lesben in vorgefertigte patriachale Normen einzubinden, kritisiert
wird (siehe dazu die Rezension von Verena Grundmann über das Buch
von Eike Stedefeldt in diesem Heft), wird auch die Bundeswehr entschieden
abgelehnt. Auch die 1915 in Den Haag von Frauen aus kriegsführenden
und "nichtbeteiligten" Staaten gegründete Frauenliga für
Frieden und Freiheit (IFFF) streitet seit ihrer Gründung gegen militaristische
Strukturen und die Einbindung von Frauen. Gerade durch die "Integration"
wird die Armee Schwule und Frauen nicht nur zu erneuten Opfern einer patriachalischen
Unterdrückung machen (die zahlreichen Beispiele aus den USA zeigen
dies deutlich), sondern auch zu TäterInnen, die andere Menschen töten.
Zynischerweise sind im Tod alle gleich!
An
die Hochzeiten der Friedensbewegung in den achtziger Jahren anknüpfend
hat sich deshalb (in Anlehnung an die Initiative: Frauen in die Bundeswehr:
Wir sagen Nein!) die Initiative Frauen ans Gewehr: Wir sagen nein! gebildet,
deren Aufruf bereits tausende unterstützt haben4.
Gleichberechtigung und Gleichstellung bedeutet, so die Landesweite Antifaschistische
Konferenz BaWü, als allerersten Schritt die bestehenden Ungerechtigkeiten,
dass Frauen die Ärmsten im Land sind, von den Unternehmen keine qualifizierten
Arbeitsplätze erhalten, dass Frauendiskriminierung, Sexismus und
Gewalt zum Bild dieser Gesellschaft gehören, abzuschaffen. Kernpunkt
auch hier eine deutliche Absage an jede Form des Militarismus und eine
Gleichstellungsforderung in ganz anderer Hinsicht: "Kein Dienst an
der Waffe - weder für Frauen noch für Männer!"
Undemokratische Verfahrensregeln
Damit sind wir wieder bei unseren ausgehenden Betrachtungen: indem die
ApologetInnen ihre affirmativen Begeisterungsstürme bei der Eingliederung
von Frauen und Schwulen in die Bundeswehr nicht verbergen können
und den Begriff der Gleichheit allein in der Regelung eines Verfahrens
sehen, lösen sie ihn vom Inhalt und beschränken ihn auf einen
formaljuristischen Bereich. Mittels des Positivismus wird auf eine Analyse
der Gesellschaft verzichtet. Die Gesetze, die Ordnung sind ein Faktum;
wer die Macht hat, wendet sie an. Christina Schenk versteifte sich sogar
bei der akj-Podiumsdiskussion "killing softly?" am 30.06.2000
in der Humboldt-Universität zu der Feststellung, dass insbesondere
Hierachien denen sich Frauen unterordnen müssen notwendig seien,
was die Struktur der Feuerwehr beweise. Die klassische liberale Theorie,
die noch ein Ziel hatte, wird zuungunsten der eigentumsorientierten Realität
des herrschenden Rechtsverständnisses aufgegeben. Der Begriff der
Gleichheit wird so ad absurdum geführt - Gleichheit als Eingliederung
in unterdrückende Strukturen, die dem Ziel dienen, andere Menschen
zu unterdrücken, sie zu töten und als Grundvoraussetzung den
Soldaten und zukünftigen Soldatinnen jeden Willen an eine selbstbestimmte
Politik nehmen. Höhnischerweise wird noch darauf hingewiesen, dass
qualifizierte Arbeitsplätze winken. Wenn Gleichheit ohne Bezugnahme
auf den emanzipatorischen Inhalt gefordert wird, wahrt ein solches Verständnis
von Gleichheit nur bestehende Machtstrukturen. Notwendig bleibt dennoch,
für eine wirkliche Gleichstellung im zivilen Bereich zu streiten,
ohne zu vergessen, dass grün-liberale GleichheitsapologetInnen zwar
Gleichheit sagen aber mitnichten Gerechtigkeit meinen. Und Claudia Haydt
und Tobias Plüger haben es für die aktuelle Diskussion auf den
Punkt gebracht: Würde Soldatinnen und Soldaten sind Mörderinnen
und Mörder wirklich emanzipatorischer klingen als Soldaten sind Mörder?
Wanja Rättvisa
-
EuGH vom 11.01.2000, Az: C-285/98.
-
BverfG vom 07.06.2000, Az: 2 BvL 1/97.
-
Urteil im Internet: www.nato-tribunal.de.
-
Aufruf: www.vvn.telebus.de.
Literatur:
Ein weiterer Schritt der Militarisierung, Tobias Pflüger und Claudia
Haydt von der Tübinger Informationsstelle Militarisierung e.V. kommentieren
das Urteil aus pazifistischer und feministischer Perspektive. In: Gigi
- Zeitung für sexuelle Emanzipation, Nr. 6.
Reinhard Kühnl, Liberalismus als Form bürgerlicher Herrschaft,
Von der Befreiung des Menschen zur Freiheit des Marktes, Heilbronn 1999.
Clara Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands,
Berlin 1958.
Anne Rieger, Die Gleichberechtigungsfalle, Marx. Blätter, 2/2000,
6ff.
Werner Seppmann, Das Ende der Gesellschaftskritik - Die 'Postmoderne'
als Ideologie und Realität, Köln 2000. Der Staat - das Recht
- die Ordnung, Marxistische Bätter 3/2000.
IMI: www.imi-online.de.
whk:www.whk.org. DFG-VK:
www.dfg-vk.de akj: www.akj-berlin.de
back
|