akj
Aktuell
Ersti-Heft
|
Gesellschaftliche Kritik verbannen
Der Rechtsradikalismus und seine Bekämpfung war das beherrschende
Thema im diesjährigen Sommerloch. Aber dabei bleibt es nicht aus,
dass auf der Woge breiter Zustimmung zu Maßnahmen gegen neofaschistische
Propaganda der Polizeistaat noch weiter ausgebaut und die Grundrechte
noch mehr ausgehöhlt werden sollen. Konkret sind damit die Pläne
des Berliner Innensenators, Eckart Werthebach (CDU) und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
zur Verschärfung des Versammlungsrechts gemeint. Anlass dafür
sind die NPD-Demonstrationen, die am 29. Januar und 12. März diesen
Jahres am Brandenburger Tor stattfanden.
So fordern Innensenator Werthebach und seine Parteifreunde von der Bundestagsfraktion
einhellig, die Verbotsmöglichkeiten für Demonstrationen zu erweitern
und die befriedeten Bezirke auszudehnen.
Nach den Vorstellungen der CDU/CSU sollen die befriedeten Bezirke, die
bereits für den Bundestag und andere Verfassungsorgane des Bundes
existieren,1 auf öffentliche
Einrichtungen und Örtlichkeiten, "die von ganz herausgehobener
gesamtstaatlicher, nationaler wie historischer Bedeutung sind"“ausgedehnt
werden.2 Dazu zählen nach
Vorstellung der CDU/CSU unter anderem das Brandenburger Tor, das künftige
Holocaust-Mahnmal, die Neue Wache und die Gedenkstätte des ehemaligen
KZ Sachsenhausens.
Bannmeile...
Nach der geltenden Rechtslage braucht mensch für Demonstrationen,
die in den "befriedeten Bezirken" (auch Bannkreise genannt)
um den Bundestag, den Bundesrat und das BVerfG herum stattfinden sollen,
eine Erlaubnis des Bundesinnenministeriums (§ 5 BefBezG). Zwar
garantiert Art. 8 GG, sich ohne Erlaubnis zu versammeln, jedoch kann dieses
Recht gem. Absatz 2 durch Gesetz eingeschränkt werden, was mit dem
BefBezG geschieht.
Die Einschränkung der Versammlungsfreiheit ist aber nur dann verfassungsgemäß,
wenn sie dem Schutz eines gleichwertigen Rechtsgutes dient.3
Gleichwertig bedeutet, dass sich das Rechtsgut nach dem Prinzip des Vorrangs
der Verfassung aus dem Grundgesetz herleiten lassen muss. Die generelle
Erlaubnispflicht für Versammlungen in den Bannkreisen ist nur verhältnismäßig,
wenn sie die ungestörte Gesetzgebungsarbeit von Bundestag und -rat
sowie die Tätigkeit des BVerfG gewährleisten soll. Darunter
ist konkret sowohl der Schutz vor körperlichen Übergriffen auf
Mitglieder und Gebäude der Gesetzgebungsorgane sowie des BVerfG,
als auch die Gewährleistung des freien Zuganges zu deren Gebäuden
zu verstehen.4 Dieser Schutzzweck
lässt sich aus dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes (Art. 20 I
GG) ableiten, da durch Bundestag, Bundesrat und BVerfG als besondere Organe
der Gesetzgebung und Rechtsprechung das Volk die Staatsgewalt ausübt
(theoretisch zumindest...).
Das BefBezG erfüllt die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit
insofern, dass die Versammlungen und Aufzüge zugelassen werden müssen,
wenn es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Tätigkeit des
Bundestages, seiner Fraktionen, des Bundesrates und des BVerfG sowie ihrer
Organe und Gremien oder der freie Zugang zu ihren Gebäuden nicht
beeinträchtigt wird (§ 5 I BefBezG). Das ist insbesondere
dann der Fall, wenn keine der o. g. Stellen am Tage der Kundgebung oder
der Demonstration tagt oder Sitzungen abhält.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dagegen strebt an, dass "Demonstrationen,
die zu der gesamtstaatlichen Bedeutung der entsprechenden Einrichtungen
und Örtlichkeiten (Brandenburger Tor etc. - Anm. d. A.) erkennbar
in Widerspruch stehen und damit das Ansehen Deutschlands beschädigen,
von vornherein zu untersagen" seien.5
Nun wird mensch schwerlich behaupten können, dass solche Orte und
Einrichtungen, sowie deren "gesamtstaatliche Bedeutung" als
ein der Versammlungsfreiheit gleichwertiges Rechtsgut von Verfassungsrang
angesehen werden können.
So schwer es auch fällt, Faschisten durchs Brandenburger Tor oder
am zukünftigen Holocaust-Mahnmal demonstrieren zu sehen - eine Beschränkung
des Grundrechts der Versammlungsfreiheit durch Bannmeilen zum Schutze
der "überragend nationalen und historischen Bedeutung"
solcher Orte ist unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig.
...und das Versammlungsverbot
Ähnlich verhält es sich mit der Verbotsmöglichkeit nach
§ 15 VersammlG: Bisher kann eine Demonstration gem. 15 VersammlG
nur dann verboten werden, wenn es begründete Anhaltspunkte dafür
gibt, dass sie die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar
gefährdet. Das heißt konkret, wenn zu befürchten ist,
dass von ihr Straftaten ausgehen.
Nach den Vorstellungen der CDU/CSU soll jedoch ein Verbot schon "bei
Gefahr einer nachhaltigen Beschädigung außenpolitischer Belange
oder anderer erheblichen Interessen" der BRD möglich sein.6
Das Problem dabei ist auch in diesem Fall, dass "außenpolitische
Belange" oder "andere erhebliche Interessen" keine der
Versammlungsfreiheit gleichwertigen Rechtsgüter von Verfassungsrang
sind, deren Schutz eine Beschränkung der Versammlungsfreiheit rechtfertigen
würde.7 Im Gegenteil muss
sich ein demokratischer Staat sogar gefallen lassen, dass Menschen durch
ihre Grund-rechtsausübung die außenpolitischen Interessen "beschädigen",
so z. B. wenn Menschen gegen die drohende Hinrichtung von Mumia Abu Jamal
vor der US-Botschaft demonstrieren und der "Verbündete"
USA dadurch eventuell verärgert würde.
Geradezu lächerlich ist die Begründung von Innensenator Werthebach,
bisher sei das Verbot von NPD-Demonstrationen nicht möglich gewesen,
weil eine begründete Prognose darüber, dass von diesen Demonstrationen
Straftaten ausgehen könnten, regelmäßig nicht möglich
sei.8 Dass die Senatsinnenverwaltung
bislang mit ihren Verbotsverfügungen vor den Verwaltungsgerichten
scheiterte, liegt eher daran, dass sie diese mit "polizeilichem Notstand"“wegen
der angeblichen Gefahr gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen "Links-
und Rechtsextremisten"“begründete und damit eine Gleichsetzung
der Neonazis mit gegen sie protestierenden AntifaschistInnen betrieb.
Der "polizeiliche Notstand", der ein Verbot gem. § 15
VersG rechtfertigen könnte, tritt ein, wenn eine unmittelbare Gefahr
besteht, die von der Berliner Polizei unter Aufbietung all ihrer Kräfte
und notfalls unter Heranziehung von Polizeikräften benachbarter Bundesländer
nicht abgewendet werden könnte. Diese Voraussetzungen zeigen schon,
dass das Eintreten des polizeilichen Notstandes als "kaum vorstellbar"
gilt.9
Konsum wichtiger als Demofreiheit?
Im Oktober 1999 hörte sich die Begründung Werthebachs für
eine Einschràn!ung der Versammlungsfreiheit noch etwas anders an.
Damals forderte Werthebach eine Beschränkung, weil "die freie
Entfaltung der großen Mehrheit der Bevölkerung"“
und der Touristen in Berlin "zunehmend durch eine exzessive Wahrnehmung
der Versammlungsfreiheit durch Minderheiten immer öfter ausgeschlossen
wird".10 Das offenbart,
worum es Werthebach in Wirklichkeit geht: das für die Demokratie
unabdingbare und gerade für gesellschaftliche Minderheiten bedeutsame
Grundrecht11 der Versammlungsfreiheit
soll zu Gunsten des "Rechts" auf ungehemmten Konsum eingeschränkt
werden! Damit reiht sich die geplante Verschärfung des Versammlungsrechts
in die lange Liste von Maßnahmen zur Privatisierung des öffentlichen
Raumes und damit einhergehenden Ausgrenzung von als "Randgruppen"
stigmatisierten Minderheiten.12
Die Bekämpfung des Neofaschismus mit den Mitteln des Rechts ist
ohne Zweifel legitim und notwendig, aber sie darf nicht dadurch erfolgen,
dass den Behörden mittels verfassungsrechtlich nicht fundierter und
völlig unbestimmter Begriffe die Möglichkeit in die Hand gegeben
wird, jegliche Kritik an gesellschaftlichen Zuständen zu unterdrücken.
Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis diese Maßnahmen auch
gegen Links angewendet werden. Erinnert sei da nur an die Gedenkfeier
zum 50. Jahrestag der Befreiung des KZ Sachsenhausens 1995, als die Polizei
anreisenden Anti-faschistInnen Platzverweise erteilte bzw. sie in Gewahrsam
nahm.13 Warum sollten in Zukunft
linke Demonstrationen gegen den offiziellen Geschichtsrevisionismus an
vergleichbaren Orten nicht mit der Begründung verboten werden, sie
stehen zur "gesamtstaatlichen Bedeutung" dieser Orte "in
erkennbarem Widerspruch"?
Zur Bekämpfung des Neofaschismus stehen schon jetzt ausreichend
Mittel zur Verfügung, die gerade als Konsequenz aus zwölf Jahren
Nazidiktatur in das Grundgesetz aufgenommen wurden. Dazu gehören
die Grundrechtsverwirkung (Art. 18 GG) sowie die Möglichkeiten für
ein Verbot verfassungswidriger Vereinigungen und Parteien (Art. 9 II bzw.
21 II GG).
Die Bundestagsfraktion der Unionsparteien hat eine Gesetzesinitiative
nach der Sommerpause zur Durchsetzung ihrer Forderungen angekündigt.
Werthebach plant, im Herbst der Innenministerkonferenz einen Gesetzesvorschlag
vorzulegen und ihn mit Bundesinnenminister Schily abzustimmen. Es ist
zu befürchten, dass sie damit Erfolg haben, da die Berliner SPD und
Schily Zustimmung zu entsprechenden Plänen signalisiert haben.
Ernst Eisler
-
vgl. Gesetz über befriedete Bezirke
für Verfassungsorgane des Bundes, BefBezG (BGBl. I 1999, S. 1818).
-
Pressemitteilung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
v. 8.8.2000 (www.cducsu.bundestag.de/texte/bosb19i.htm).
-
BVerfGE 69, 315 (348f.).
-
Breitbach, NVwZ 1988, S. 584ff. Die h.M.
betrachtet als Schutzgut auch die Entschlussfreiheit der Abgeordneten
vor dem „Druck der Straße. Das widerspricht aber eindeutig
der Bedeutung der Versammlungsfreiheit für die Demokratie, die
voraussetzt, dass durch Demonstrationen der politische Willensbildungsprozess
beeinflusst werden kann.
-
CDU/CSU-Fraktion, den 8.8.2000.
-
Pressemitteilung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
vom 8.8.2000.
-
so auch OVG Berlin zum - gescheiterten
- Verbot der NPD-Demo am 12.3.2000; zit. nach: Neues Deutschland,
14.3.00, S. 17.
-
www.Berlin.de/home/Land/SenInn/Presse/52_00/
-
Ridder/Breitbach/Rühl/Stein-meier,
VersammlR; § 15 Rn. 140.
-
www.Berlin.de/home/Land/SenInn/Presse/155_99/
-
BVerfGE 69, 315ff.
-
zur Problematik allgemein: Wem gehört
die Stadt? In: freischüssler 3/1999 u. 1/2000.
-
junge Welt, 25.4.1995, S. 1.
back
|