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Genugtuung für die Opfer des Massakers
von Distomo?
Hoch schlagen die Wogen der Bestürzung über das Erstarken des
Rechtsextremismus in der BRD im Sommerloch. Die Presse, die Wirtschaftsvertreter-Innen,
die Gewerkschafts-funktionärInnen, die Politiker-Innen aller Couleur
- sie übertreffen sich gegenseitig in Kampfansagen an rassistisches
und faschistisches Gedankengut und rechte Gewalt. Je lautstärker
sie dabei auf den Dreck vor den Türen anderer zeigen, desto mehr
versuchen sie gleichzeitig, den Dreck vor der eigenen Tür unter den
Teppich des Schweigens zu kehren. Die Auszahlung der Entschädigungen
an die ehemaligen ZwangsarbeiterInnen kann nicht beginnen, die Wirtschaft
hat gerade erst die Hälfte ihres Beitrages zusammen - genausoviel
wie schon vor vier Monaten. Der Stiftungsrat streitet sich noch über
die Besetzungen in seiner Spitze, klar scheint bisher nur, daß die
Opfer dort nicht vertreten sein werden.
Ein
anderes Beispiel, das zeigt, mit welcher Unmenschlichkeit der deutsche
Staat auch heute noch gegenüber den Opfern des Faschismus auftritt,
ist der Prozeß von Überlebenden und Nachfahren von Opfern eines
Massakers der deutschen Besatzer im Jahre 1944 in Griechenland gegen die
BRD um Entschädigung. Distomo, eine Bergbaugemeinde in der Nähe
von Delphi, wurde am 10. Juni 1944 von Angehörigen des 7. Regiments
der 4. SS-Polizei-Panzer-Division geplündert und verwüstet.
218 Einwohner, in der Mehrzahl Frauen und Kinder, wurden auf bestialische
Art ermordet. In einem Ermittlungsverfahren der Münchner Staatsanwaltschaft
1, das 1972 wegen angeblicher Verjährung eingestellt wurde, ist davon
die Rede, daß Augen ausgestochen, Brüste abgeschnitten, Menschen
an ihren Gedärmen aufgehängt wurden. Babys wurden aufgeschlitzt,
einer Schwangeren das Embryo aus dem Leib gefetzt, der Toten anschließend
in den Arm gelegt.
1995 brachte der griechische Rechtsanwalt Ioannis Stamoulis, damals noch
Europaabgeordneter und Präfekt von Böotien, eine Klage von 269
Überlebenden und Nachfahren der Opfer des Massakers von Distomo vor
das zuständige Landgericht Livadia. 1997 wurde die Bundesrepublik
zu einer Entschädigungszahlung von umgerechnet 56 Millionen Mark
verurteilt. Doch anstatt Schadensbegrenzung zu betreiben, legte die Bundesregierung,
sich auf ihre Staatenimmunität berufend, vor dem Areopag, dem höchsten
Gerichts Griechenlands, Revision ein.
Am 22. Mai diesen Jahres gab es ein böses Erwachen, denn der Oberste
Griechische Gerichtshof erklärte das Urteil von Livadia als rechtskräftig
und erklärte die BRD vor den Augen der internationalen Öffentlichkeit
offiziell zum Schuldner. Trotzdem weigerte die Bundesregierung sich mit
der Berufung "auf Beratungsbedarf" zu zahlen. Am 23. Juni schließlich
ging Rechtsanwalt Stamoulis endgültig in die Offensive: Er drohte,
auch gegen die griechische Seite Klage zu führen, sollte der Titel
zur Zwangsvollstreckung nicht spätestens bis zum 26. Juni zugestellt
werden. Das Ultimatum wirkte: Der griechische Konsul in Berlin bestätigte
am 26. fristgemäß die erfolgte Zustellung.
Am 11. Juli schließlich verschaffte sich eine Gerichtsvollzieherin
unter Polizeischutz Zugang zu Goethe-Institut in Athen, um den Wert für
eine mögliche öffentliche Versteigerung zu schätzen, zwei
Tage später das Deutsche Archäologische Institut und die deutsche
Schule in Athen. Sollte sich die BRD weiterhin weigern zu zahlen, drohte
am 20. September die öffentliche Versteigerung von Besitztümern
der Rechtsnachfolgerin des Dritten Reiches.
Lange Zeit sah alles danach aus, daß es zu einer Zwangsversteigerung
kommen würde. Der deutsche Botschafter in Athen legte gegen die Einleitung
der Vollstreckungsmaßnahmen offiziellen Protest beim griechischen
Außenministerium ein. Die griechische Botschaft in Berlin konnte
sich über eine geharnischte Protestnote aus dem Hause Fischer freuen.
Abgesehen von formalen Ausflüchten für die Blockadehaltung in
Berlin - das Vorgehen Griechenlands sei ein Verstoß gegen Völkerrecht
- wurden unverhohlene Drohungen in Richtung Athen geschickt, das Vorgehen
der griechischen Behörden könne eine "Belastung der seit
langem guten deutsch-griechischen Beziehungen" bewirken. Vor allem
sehe die Bundesregierung die "universellen Grundsätze der Staatenimmunität"
verletzt. Nach diesen Grundsätzen könne kein Staat durch ein
Gericht eines anderen Staates verurteilt werden, so das Auswärtige
Amt. Dabei übersieht die Bundesregierung jedoch, wie der Hamburger
Völkerrechtler Prof. Dr. Norman Paech gegenüber junge welt (15.7.)
sagte, das dies nur für "normales" Regierungshandeln gelte.
Und weiter: "Doch, und dieses hat auch eine Parallele in dem Fall
Pinochet gehabt, gehören solche Kriegsverbrechen, wie sie von deutschen
Truppen in Griechenland begangen worden sind, nicht zum normalen Regierungsverhalten
einer Regierung. Die Taten, die dem Verfahren zugrunde liegen, sind außerhalb
jeglicher 'normalen' Regierungsverantwortlichkeit anzusiedeln. Dieses
sind schwere Kriegsverbrechen gewesen."
Wie die Nachrichtenagentur AFP am 20.9. meldete, kippte der griechische
Richter Theodores Kanelopoulus den Beschluß des höchsten griechischen
Gerichts, nachdem die griechische Regierung vor den deutschen Drohungen
eingeknickt war. Begründung: Eine Fortsetzung der Verfahren zur Beschlagnahme
gefährden die internationalen Beziehungen Griechenlands. So viel
zur richterlichen Unabhängigkeit! Bis zum Oktober 2001 sind die Zwangspfändungen
deutscher Einrichtungen erst einmal ausgesetzt. Am 2. Oktober des kommenden
Jahres soll nun darüber entschieden werden, ob die Massnahmen rechtens
sind oder nicht. Ob es dem Anwalt der Opfer bis dahin gelingt, eine Entscheidung
des Europäischen Gerichtshofes zu erreichen, muß abgewartet
werden.
Dabei waren es bei weitem nicht die einzigen Kriegsverbrechen, die von
deutschen Besatzern während der Besetzung Griechenland zwischen 1941
und 1944 an der griechischen Bevölkerung begangen wurden. Unter dem
Vorwand der Partisanenbekämpfung wurden Hunderte Dörfer und
Kleinstädte geplündert, verwüstet und häufig alle
Einwohner jeden Alters und Geschlechts umgebracht. Schätzungsweise
90000 Griechen wurden Opfer von Geiselmorden und anderen "Strafaktionen".
Fast 58000 Juden wurden umgebracht. Die Gesamtverluste betrugen etwa 7,2
Prozent der Vorkriegsbevölkerung.
Doch anstatt die Verbrechen des Deutschen Reiches offen zuzugeben und
Ersatz für den Schaden zu leisten, zog sich die Rechtsnachfolgerin,
die BRD, bis 1990 auf die offizielle Position zurück, etwaige Schadensersatzforderungen
müßten bis zum Abschluß eines Friedensvertrages zurückgestellt
werden. Auch wenn diese Argumentation einer juristischen Überprüfung
nicht standgehalten hat - was auch in verschiedenen Anhörungen im
Deutschen Bundestag geäußert wurde -, da sich der Aufschub
nach dem Londoner Schuldenübereinkommen von 1953 nur auf Reparationszahlungen
bezog, sah sich die Bundesregierung nicht genötigt, ihre Handlungsweise
zu verändern. Stattdessen wurde nach 1990 - bei dem 2+4-Vertrag vom
September 1990 handelt es sich formal um einen Friedensvertrag - behauptet,
die Frist für die Anmeldung von Entschädigungsansprüchen
wäre längst abgelaufen. Damit wird den Opfern des faschsitischen
Terrors ein zweites Mal vom deutschen Staat ein Schlag ins Gesicht versetzt.
So kann letztendlich nur gehofft werden, daß möglichst viele
Opfer vor die Gerichte ziehen, um nicht nur Entschädigung für
erlittenes Unrecht zu erhalten, sondern auch um dafür zu sorgen,
daß der deutsche Staat ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende endlich
für seine Verbrechen an den Menschen bezahlen müßte -
und wenn es nur in finanzieller Art und Weise wäre.
Alexis Sorbas
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