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Juristenbiographie: Heinrich Heine
Immer
wenn es gilt, den Juristenstand von dem Vorurteil rein zu waschen, es
handle sich dabei um ein besonders humor- und kulturloses Volk stumpfer
Paragraphenreiter, werden bevorzugt Standesvertreter bemüht, die
in der Kunst und Literatur von besonderer Bedeutung sind. Daß sie
jedoch auch Juristen waren, wollen meist auch nur die Juristen wahrhaben.
Als einen dieser Ehrenretter wollen wir diesmal Heinrich Heine (1797-1856)
heranziehen. Und dies, obwohl sich in ihm wie in keinem zweiten das jurstisch-poetische
Spannungsverhältnis offenbart, das der junge Dichter vor allem in
dem quälenden Gegensatz von Pflicht und Neigung mit sich auszutragen
hatte.
Lange nach Heine urteilte der große Rechtsphilosoph und Literaturkenner
Gustav Radbruch über das Verhältnis zwischen der Juristerei
und der Literatur: "Die Dichtung ist auf das Recht nicht eben gut
zu sprechen. Das Recht, das starrste unter den Kulturgebilden, und die
Kunst, die wandlungsfähigste Ausdrucksform des wandelbaren Zeitgeistes,
leben in einer natürlichen Feindschaft, die sich durch zahlreiche
Äußerungen von Dichtern über das Recht, durch vielfache
Abkehr junger Dichter vom Juristenberuf belegen läßt."1
In beidem könnte Radbruch hier an Heine gedacht haben. Nicht nur,
daß Heine seinen juristischen Doktorhut schon bald nach Beendigung
"jener gottverfluchten Studien" an den Nagel hängte,2
auch in seinen späteren Werken finden sich immer wieder spitze ironische
Seitenhiebe und melancholische Bemerkungen auf die studentischen Lehrjahre
und ihre Früchte. Rückblickend urteilt er 1854 in seinen "Memoiren":
"Von den sieben Jahren, die ich auf deutschen Universitäten
zubrachte, vergeudete ich drei schöne blühende Lebensjahre durch
das Studium der römischen Casuistik."3
Die gottverfluchten Studien
Die Entscheidung, Jura zu studieren, wurde dem 22jährigen Harry
Heine4 weitestgehend von seiner
ehrgeizigen Mutter, der Arzttochter Peira (Betty) van Geldern (1771-1859),
abgenommen. Nach dem Scheitern seiner Kaufmannslehre zunächst in
Frankfurt am Main und später bei seinem reichen Onkel, dem Bankier
Salomon Heine (1767-1844) in Hamburg, sah sie für ihren Sohn jene
Karriereleiter vor, die den Söhnen der jüdischen Oberschichten
vorbehalten blieb, die kein Interesse für das Kaufmannsgewerbe zeigten
und deren erste Sprosse das Jurastudium war. Sie schickte ihn an die erst
1818 als vaterländisches Bollwerk gegen den französischen Ungeist
gegründete "Preußische Rhein-Universität" in
Bonn, wo er sich zum Wintersemester 1819 einschrieb, "zu den Füßen
Makeldys und Welkers saß und die Manna ihres Wissen einschlürfte."5
Mit Studienbeginn eröffnete sich für Heine die schillernde Welt
der Wissenschaften, in deren intellektuellem Klima sein wissensdürstender
Geist Erquickung finden konnte. Mit ungewöhnlichem Eifer stürzte
er sich in ein universell angelegtes Studium, in dem er die Juristerei
jedoch auf Sparflamme betrieb. Vor allem deutsche Geschichte und Literaturwissenschaften
standen im Vordergrund seines Interesses.6
Allein die "Enzyklopädie und Methodologie der Institutionen
des römischen Rechts" bei Karl Theodor Welcker (1790-1869) waren
Gegenstand seiner rechtswissenschaftlichen Studien im ersten Semester.
Für sein juristisches und politisches Denken hinterließ dieses
Kolleg jedoch prägenden Eindruck. Denn der liberale Professor und
spätere Abgeordnete der Frankfurter Nationalversammlung war ein glühender
Vertreter des vernunftechtlichen Naturrechts und ein entschiedener Gegner
der Historischen Rechtsschule.
Was er an Welcker hatte, erfuhr Heine erst recht, als er im nächsten
Semester den Institutionenvorlesungen bei Ferdinand Mackeldey (1784-1834)
hörte. "Dieser blasse Vertreter der Historischen Schule erschien
ihm schon bald als die Verkörperung oberflächlicher Gelehrsamkeit
und juristischer Öde."7
Nach einem kurzen Intermezzo in Göttingen, setzte Heine sein Studium
im Februar 1821 in Berlin fort. Die preußischen Hauptstadt war trotz
der alles zersetzenden Restauration eine aufregende europäische Metropole
mit bedeutendem Geistes- und Kulturleben. Schon bald fand Heine Zugang
zum literarisch-philosophischen Forum der Großstadt. Im Salon der
Rahel Varnhagen (1771-1833) kam er mit der intellektuellen Prominenz der
Stadt in Kontakt.
An der Berliner Alma mater, die Wilhelm von Humboldt erst 1810 im neuhumanistischen
Geist gegründet hatte, hörte Heine bei einigen der bedeutendsten
Professoren ihrer Zeit. Darunter der Theologe Friedrich Schleiermacher
(1768-1834), der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) und
der Begründer der Historischen Rechtsschule Friedrich Carl von Savigny
(1779-1861), den "süßlichen Troubadour der Pandekten".8
Hier lernte er auch 1822 den gleichaltrigen Rechtsgelehrten Eduard Gans
(1797-1839) kennen, mit dem er die Herausgabe einer kritischen Zeitschrift
für Rechts- und Staatswissenschaft plante und im "Verein für
Kultur und Wissenschaft der Juden" aktiv wurde. Dieser scharfzüngige
Gegner der Historischen Rechtsschule, ein Schüler Thibauts und Anhänger
Hegels, war zu dieser Zeit Privatdozent und trat später vor allem
als Lehrer von Karl Marx (1818-1883) und Wegbereiter des Linkshegelianismus
in Erscheinung. Durch Gans kam Heine mit der Rechtsphilosophie Hegels
in Kontakt, den er im Salon von Rahel Varnhagen auch persönlich kennenlernte.
Im Januar 1824 wurde Heine von seinem Onkel, der nur widerwillig zwei
weitere Studienjahre seines undankbaren Neffen finanzieren wollte, nach
Göttingen geschickt. Dort sollte er in der wissenschaftlichen Abgeschiedenheit
der Georgia Augusta das ungeliebte Jurastudium zum Ende bringen. Indem
er seiner Muse einen Maulkorb anlegte, "damit sie beim juristischen
Strohdreschen mit ihren Melodien nicht störe",9
promovierte Heine 1825 zum Doktor der Rechte bei Gustav Hugo (1764-1844),
dem damaligen Dekan der Juristischen Fakultät. Dieser ließ
es sich nicht nehmen, im Anschluß an dieses "gelinde Examen"10
eine lange lateinische Rede zu halten, in der er auch auf das Verhältnis
von Jurisprudenz und Poesie einging. Er bezeichnete Heine als ein eindrucksvolles
Beispiel für die "Verbindung des völlig Ungleichen"
und bescheinigte ihm, nicht nur ein großer Dichter, sondern auch
ein großer Jurist zu sein.11
Eine Anstellung fand Heine dennoch nicht. Bereits im August 1822 waren
die erst zehn Jahre alten Emanzipationsedikte in Preußen aufgehoben
worden, die auch Juden den Zugang zu akademischen Lehrämtern ermöglicht
hatten. Zwar liebäugelte Heine nach Beendigung des Studiums noch
mit einer Professur in München, weswegen er sich 1825 im Hinterzimmer
des Pfarrers der evang. Gemeinde zu St. Martin in Heiligenstadt auf den
Namen Christian Johann Heinrich taufen ließ, aber auch das konnte
seine juristische Karriere nicht retten. Ob dies nun daran lag, daß
er Jude war oder an seinem exzentrischen, unangepaßten Charakter,
ist nicht bekannt. Jedenfalls konnte er sich schon bald nach Ende "jener
gottverfluchten Studien [...] nimmer entschließen von solcher Errungenschaft
Gebrauch zu machen."12
Juristische Ansichten
Als Sohn jüdischer Eltern im französisch besetzten Düsseldorf
erlebte Heine die Freiheit des Code Napoléon, der den bis dahin
diskriminierten Juden bürgerliche Rechte verlieh und ihnen Zugang
zu öffentlichen Ämtern ermöglichte. Ein Umstand, den Heine
nie vergaß und der ihn den französischen Revolutionskaiser
und sein fortschrittliches Gesetzbuch zum Vorbild machte. Dagegen erschien
ihm das römische Recht, das damals den größten Teil des
akademischen Unterrichts ausmachte, als die "Bibel des Teufels"13:
"Welch ein fürchterliches Buch ist das Corpus Juris, die Bibel
des Egoismus. Wie die Römer selbst blieb mir immer verhaßt
ihr Rechtskodex. Diese Räuber wollten ihren Raub sicherstellen und
was sie mit dem Schwerte erbeutet, suchen sie durch Gesetze zu schützen;
deshalb war der Römer zu gleicher Zeit Soldat und Advokat. Wahrhaftig
jenen Dieben verdanken wir die Theorie des Eigentums, das vorher nur als
Tatsache bestand, und die Ausbildung dieser Lehre in ihren schnödesten
Consequenzen ist jenes gepriesene römische Recht, das allen unseren
heutigen Legislationen, ja allen modernen Staatsinstituten zu Grunde liegt,
obgleich es im grellsten Widerspruch mit der Religion, der Moral, dem
Menschengefühl und der Vernunft steht."14
Daß Heine nicht gerade ein Bewunderer Savignys und seiner Historischen
Rechtsschule war, lag nicht nur an dessen eitler und selbstgefälliger
Art. Vor allem sein Antisemitismus und seine reaktionäre Lehre stießen
bei Heine auf heftigen Widerstand. Durch den Naturrechtler Welcker geprägt,
kritisierte er wie Hegel, daß die Historische Rechtsschule bei ihrer
Quellenforschung am äußerlichen hängenbleibe.15
Politisch erkannte er sehr wohl, daß Savignys scheinbar nur juristisch
motivierte Rechtstheorie durch Bewahrung des Alten der Revolution entgegentreten
wollte. Heine hielt die ganze Lehre für bloße Rechtfertigungswissenschaft,
die den staatlichen Despotismus als historisch gewachsenes Gewohnheitsrecht
verteidigen solle.16 Oder wie
Karl Marx es bezeichnete: eine Schule, "welche die Niederträchtigkeit
von heute durch die Niederträchtigkeit von gestern legitimiert, eine
Schule, die jeden Schrei des Leibeigenen gegen die Knute für rebellisch
erklärt, sobald die Knute eine bejahrte, eine angestammte, eine historische
Knute sei."17
Neben mittelalterlicher Rechtsgeschichte interessierte Heine vor allem
das Strafrecht. Unter dem Eindruck der Vorlesungen des Göttinger
Kriminalisten Anton Bauer (1772-1843) beschäftigte er sich intensiv
mit den Strafrechtstheorien und plante eine Abhandlung gegen die Todesstrafe
zu schreiben, wobei er sich in erster Linie auf Beccaria stützen
wollte. 1837 verfaßte er eine kleine Studie zur "Gefängnisreform
und Strafgesetzgebung", in der er die wichtigsten Straftheorien einer
pointierten und geistreichen Kritik unterzog.18
Darin kritisiert er Hegels Straftheorie als "spiritualisierte"
Version des barbarischen ius talionis19
und weißt verstärkt auf das Spannungsverhältnis zwischen
der negativen Generalprävention und der Menschenwürde hin: Das
höchste Unrecht sei, "das Jemand leiden soll zum Heile eines
Anderen."20 Lediglich die
frühsozialistischen Präventionstheorien sagen Heine zu, die
allein in der Verbesserung der gesellschaftlichen Zustände eine effektive
Verbrechensverhütung erkennt.
Heine der Revolutionär
Abgesehen von Heines Streitigkeiten mit seinem Verleger Campe, von dem
er nicht ohne Anwendung seiner juristischen Fertigkeiten immerhin so viel
Geld für seine Werke abtrotzte, um gut leben zu können, und
einiger Spekulationen an der Börse, machte er von der Rechtswissenschaft
keinen Gebrauch. Er hatte es sich vielmehr zur Aufgabe gemacht, mit stets
gespitzter Feder "politische Annalen heraus[zu]geben, Zeitinteressen
vor[zu]tragen, revolutionäre Wünsche an[zu]zetteln, die Leidenschaften
auf[zu]stacheln, den armen deutschen Michel beständig an der Nase
[zu] zupfen, daß er aus seinem gesunden Riesenschlaf erwache [...]."21
Das tat er nie ungestraft und so manches Mal mit stark überzogener
Ironie und Polemik, wo sie zuweilen auch am falschen Platze war.
Heine selbst aber sah sich als ein "Sohn der Revolution".22
In einer Zeit, die vom Partikularismus der reaktionären Landesfürsten,
ihrer allmächtigen Zensur und Polizei geprägt war, galt seine
Sehnsucht dem geeinten Volk, das in Freiheit und Gleichheit zu leben versteht.
Als einzigen Weg zu Freiheit und Gleichheit erkannte Heine den revolutionär-demokratischen
Umsturz von Staat und Gesellschaft und die Begründung einer Volkssouveränität,
in der das "Recht auf Leben" und das "Recht auf Widerstand
gegen Bedrückung" als Ganranten für eine freiheitliche
Existenz aller Menschen verbrieft sind.23
Doch so gerne er auch seine heiß geliebten "Eichenwälder
dem rechten Gebrauch" zuführen wollte, nämlich zur Errichtung
von "Barikaden für die Befreiung der Welt",24
ein Straßenkämpfer war er nicht gewesen. Heines Waffen waren
"Worte gleich flammenden Sternen, die aus der Höhe herabschießen
und die Paläste verbrennen und die Hütten erleuchten."25
So führte er kraft seiner publizierten Gedanken, die Revolution in
die Literatur und damit in die Köpfe seiner Leser ein. Doch obwohl
er sich viel lieber als ein Anwalt der Hüttenbewohner als der Philister
sah, waren es vor allem letztere, die seine oft verbotene Literatur lasen.
Börne, der Heine mehrfach wegen dessen wenig revolutionärer
Lebensweise tadelte und ihm Opportunismus und gesinnungsloses Ästhetentum
vorwarf, erkannte beim Studium mancher Heinewerke dennoch den "wahren
Dichter" und "gründlichen Geschichtsforscher": "Sooft
ich etwas von Heine lese, beseelt mich die Schadenfreude: wie wird das
wieder unter die Philister fahren, wie werden sie aufschreien, als lief'
ihnen eine Maus über ihr Schlafgesicht! Und da muß ich mich
erst besinnen, um mich zu schämen. Die! sie sind imstande und freuen
sich über das Buch und loben es gar. Was sind das für Menschen,
die man weder begeistern noch ärgern kann!"26
Aber Heine ärgerte genug. Nicht zuletzt darum mußte er Deutschland
1832 verlassen und wurde 1835 gar mit einem Publikationsverbot belegt.
Auch wenn man Heine vorwerfen kann, daß er nicht das Leben derjenigen
teilte, für die er eintrat, so erscheint es um so bemerkenswerter,
daß ihn das Schicksal der besitzlosen Massen stets umhertrieb und
er die Not bekämpfte, die er nicht litt, um für die Idee der
Freiheit und Gleichheit aufopfernd zu wirken. Daher war der begeisterte
Verteidiger der französichen Revolutionen wohl stets eher ein Revolutionär
als ein Jurist gewesen:
"Schlage die Trommel und fürchte dich nicht,
Und küsse die Marketenderin!
Das ist die ganze Wissenschaft,
Das ist der Bücher tiefer Sinn."
Heinrich Heine
-
Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, Gesamtausgabe
Bd.2, 1993, S.339 f.
-
Heinrich Heine, Säkularausgabe, Bd.
XII, hrsg. von den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der
klassischen dt. Literatur in Weimar und dem Centre National de la
Recherche Scientifique in Paris, Berlin/Paris 1970 ff., S.150.
-
a.a.O., S. 149.
-
den Vornamen Heinrich führte der
Dichter aus jüdischem Hause erst nach seiner protestantische
Taufe 1825.
-
siehe Fn.2, S. 149.
-
Er hörte u.a. Vorlesungen bei August
Wilhelm Schlegel (1767-1845) und Ernst Moritz Arndt (1769-1860).
-
Stefan Grote, Pandekten und Poesie - Heinrich
Heine als Studiosus iuris, JuS 1999, S. 1155.
-
siehe Fn.2, Bd. III, S. 243 f.
-
siehe Fn.2, Bd. XX, S. 154 f.
-
Heinrich Heine, Ein Wintermärchen.
-
Vgl. Finke, Heine-Jahrbuch VII, 1968,
S. 12 ff.
-
siehe Fn.2, S. 150.
-
siehe Fn.2, S. 75.
-
siehe Fn.2, S. 149 f.
-
Vgl. Stefan Grote, Fn. 9, S. 1156.
-
siehe Fn.2, Bd. VI, S. 177.
-
Karl Marx, Marx/Engels-Gesamt-ausgabe,
1. Abt. Bd. 2, 1982, S. 172.
-
siehe Fn. 19, Bd. XIV/1, S. 115 ff.
-
lat.Wiedervergeltung - ist die Vergeltung
einer Rechtsverletzung durch ein gleichartiges Übel (Auge um
Auge).
-
aaO. S. 116.
-
siehe Fn.2, Bd. IX, S. 303.
-
siehe Fn.2, Bd. IX, S. 317.
-
vgl.Helmut Bock, Heinrich Heine auf Helgoland,
in: IMPULSE, Folge 11, 1988, S. 145f.
-
siehe Fn.2, Bd. IX, S. 54 f.
-
a.a.O. S. 317 f.
-
Ludwig Börne, Brief aus Paris, in: Börne, Sämtliche
Schriften, Bd. 3, 1964, S. 171.
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