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Mit Recht gegen Rechts?

"Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel." So schworen es vor über einem halben Jahrhundert die Befreiten von Buchenwald. Als dieses Jahr ein breites antifaschistisches Bündnis gegen den "Tag des nationalen Widerstandes" der NPD demonstrierte, wurde u.a. ein Flugblatt mit diesem Schwur von der Polizei beschlagnahmt, um es auf verfassungsfeindliche Inhalte zu prüfen. Dagegen werden neofaschistische "Mei-nungskundgaben" immer wieder staatlich geschützt. Staatliche Repression gegen Links und wohlwollende Nachsicht für Rechts sind - trotz Sommerloch-wir-sind-alle-gegen-Rechtsextremismus-Debatte - an der Tagesordnung. Doch warum ist das so?

Staat und Antifaschismus

Der Faschismus kann u.a. bei einer handfesten Krise des Wirtschaftssystems und einer Verschärfung der sozialen Auseinandersetzungen breite Entfaltung in der Bevölkerung finden. Das aber auch nur, wenn Antikommunismus, Rassismus, Militarismus und allgemeine Bewußtseinsrückentwicklung (sprich das Phänomen, daß immer mehr Menschen nur noch daran denken, was sie Weihnachten verschenken) in der Bevölkerung Platz greifen. Die Förderung dieser Elemente ist aber genau das, was der Staat durch Kriminalisierung linker Gruppen, brutale Abschiebepolitik, die Beteiligung an einem Angriffskrieg, öffentliche Gelöbnisse oder das Anstreben eines Elitebildungssystems betreibt. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel gibt die Stadt Celle, deren politische Führung sich nicht entblödet, aufgrund einer intensiven Hetzkampagne der Regionalzeitung ein Flüchtlingswohnheim unter Beifall der ansässigen "Kameradschaft 73" mit einer Betonmauer zu umgeben. Faschistische Regime und Militärdiktaturen (z.B. in Chile, Argentinien oder Nigeria) wurden und werden stets auch von deutschen bzw. in der BRD agierenden Konzernen unterstützt. Antikapitalistische Widerstandsbewegungen werden dagegen mit Unterstützung der selben Konzerne massiv bekämpft. Das zeigt, daß der Faschismus keineswegs den Interessen der Wirtschaft entgegensteht. Ganz im Gegenteil, der Faschismus erwies sich stets bereit, die Kapitalinteressen mit Terror zu verteidigen. Nicht umsonst haben fast alle politischen Lager kurz nach der Zerschlagung des Dritten Reiches dem Kapitalismus abgeschworen. Immer dann, wenn die parlamentarische Demokratie aufgrund zunehmender sozialer Auseinandersetzungen nicht mehr in der Lage ist, die Bevölkerung in das bestehende Wirtschaftssystem zu integrieren und dadurch die Interessen der Wirtschaft gefährdet werden, kann der Kapitalismus also auf die Option Faschismus zurückgreifen. So ist es auch zu erklären, daß der Staat linke Systemgegner massiv bekämpft aber rechten Systemgegnern die Möglichkeit bietet, ihrer vermeintlichen Systemgegnerschaft emotional und gewalttätig "Luft zu machen". Wie intensiv sie das tun sei hier nur an einigen Beispielen aus der jüngeren Vergangenheit gezeigt: Wuppertal (Juli): Nazis greifen schwer bewaffnet eine antifaschistische Demonstration an; Dortmund (Juni): der Rechtsextremist Michael Berger erschoß drei Polizisten; Ludwigshafen (Juli): Rechtsradikale werfen Molotow-Cocktails in ein Flüchtlingsheim; Düsseldorf (Juli): Rechtsradikale beteiligen sich an der Demonstration zur Rettung der Kampfhunde und verteilen, in Anspielung auf den Polizistenmord ihres "Kameraden Berger", Flugblätter mit der Aufschrift: "3 zu 1 für Deutschland"; Uetersen (Juli): Brandanschlag auf eine türkische Moschee; Sülefeld (Juli): 100 Neonazis greifen ein Zeltlager an und verletzen mehrere Personen; Düsseldorf (Juli): Bombenanschlag, 9 Verletzte... (alle genannten Orte liegen im Westen unseres blühenden Landes - die Vorkommnisse im Osten sind so oder so durch die Berichterstattung der Medien bekannt).

Bestehendes Recht gegen Rechts

Soll von einem solchen Staat verlangt werden, mit Recht gegen Rechts vorzugehen und gäbe es entsprechendes Recht eigentlich, oder müßte es erst geschaffen werden? Art. 9 Abs. 2 GG stellt fest, daß Vereinigungen, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, verboten sind. Da neonazistische Organisationen von ihrer Natur her die Völkerverständigung mit Füßen treten, sind sie nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift verboten. Nach § 3 VereinsG müßten die jeweiligen Innenminister lediglich die entsprechenden Verbote aussprechen. Parteien fallen nicht unter Art. 9 GG, da für sie der besondere Schutz des Art. 21 GG gilt. An ein Verbot sind hier hohe Anforderungen gestellt und vor allem kann nur das Bundesverfassungsgericht nach einem Antrag von Bundesregierung, -rat oder -tag ein solches Verbot erlassen. Doch im Grundgesetz finden sich einige Normen, die ihm einen antifaschistischen Grundcharakter verleihen und so das Vorgehen gegen neonazistische Parteien erleichtern würden. Art. 139 GG sagt z.B., daß die Befreiungsgesetze der Alliierten weiter gelten und diese von den Normen des Grundgesetzes unberührt bleiben. Das Potsdamer Abkommen wurde durch ein solches Befreiungsgesetz (Alliiertes Kontrollratsgesetz Nr. 2) umgesetzt. Damit ist das Verbot jeglicher nationalsozialistischer Parteien, Vereinigungen und Tätigkeiten Bestandteil deutschen Rechts geworden. Da die Befreiungsgesetze von den Vorschriften des Grundgesetzes unberührt bleiben, schützt Art. 21 GG keine nazistischen Parteien. Für die herrschende Meinung ist Art. 139 GG schlicht nicht mehr existent, weil unter die Befreiungsgestze des Art. 139 GG nur Entnazifizierungsgesetze gefaßt werden, welche wiederum 1954 aufgehoben wurden. Das BVerfG erkannte aber schon früh, daß "die gesamte deutsche Rechtsordnung [...] vom Besatzungsrecht überlagert" bleibt. Auch die Bundesregierung begriff 1970 die wirkliche Tragweite des Art. 139 GG, als sie in einer Stellungnahme an die Vereinten Nationen verlauten ließ: "Das ausdrückliche Verbot von neonazistischen Organisationen und die Tatsache, daß man nazistischen Tendenzen vorbeugt, folgern gleichermaßen aus dem Grundgesetz, und zwar in der Richtung, daß die von den Alliierten und deutschen Behörden zur Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus in Kraft gesetzte Gesetzgebung auch weiterhin in Kraft ist.". Auch allgemeines Völkerrecht richtet sich eindeutig gegen jede Begünstigung des Faschismus (z.B. "Deklaration über die Grundsätze des Völkerrechts" von 1970). In einer Resolution der UNO-Vollversammlung vom 26.11.1968 wurde "das Wiederaufleben nazistischer Organisationen in der BRD" sogar "nicht als innere Angelegenheit der BRD" bezeichnet. Diese Grundsätze sind durch Art. 25 GG Teil des Bundesrechts, gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten für die Bevölkerung. Auch daraus könnte ein besonderes Vorgehen gegen neonazistische Parteien und Organisationen begründet werden. Auch das Demokratieprinzip, das Sozialstaatsprinzip, die Verfassungsbindung aller Staatsgewalten und die Anerkennung der Würde des Menschen in Art. 1 GG verpflichten den Staat, nicht durch ein stures Abstellen allein auf Art. 21 GG das Verbot neonazistischer Parteien zu blockieren, denn NPD, DVU, REP u.a. streben gerade die Liquidierung solcher Grundsätze an. Neben dem Grundgesetz bietet auch das Strafrecht einige Handhabe gegen Rechts. Die Fortführung der per Befreiungsgesetzen verbotenen nazistischen Parteien und Vereinigungen und die nazistische Propaganda sind unter Strafe gestellt (§§ 84, 85, 86, 86a, 130 StGB). Normen gegen Rechts bestehen also genug - Gesetzesver-schärfungen sind das letzte, was gebraucht wird.

(Mehr) Pro und (weniger) Contra

Wäre das konsequente staatliche Vorgehen gegen Rechts aber nicht ein Angriff auf die Grundrechte der Nazis, wie Meinungs-, Demonstrations- oder Vereinigungsfreiheit? Der BAKJ hat auf seinem letzten Kongreß in Berlin eine Resolution verabschiedet mit dem treffenden Titel: "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!". Slogans wie "Macht Euch frei von der Judentyrannei", die Predigt von Rassentheorien, die Forderung nach Einverleibung von Gebieten unserer Nachbarstaaten, die Aufforderung in der NPD-Zeitung "Nationale Nachrichten - aktuell": "Sagt uns, wo es in Euren Städten Probleme mit gewalttätigen ‚Autonomen', der ‚Antifa', ausländischen Jugendbanden, organisierter Kriminalität oder Parteienfilz gibt" oder die Ankündigung von "Umerziehungslagern" für die Zeit nach der "Machtergreifung" als schützenswerte Meinungen zu bezeichnen, fällt zumindest schwer. Doch auch im linken Spektrum gelingt es einigen immer wieder, genau das zu tun. Als Beispiel sei hier ein Artikel von Christian Rath angeführt, in dem selbst für die "Auschwitzlüge" der Schutz der Meinungsfreiheit gefordert wird.1 Wird Art. 139 GG ernst genommen, so können für solche Äußerungen keine Grundrechte einschlägig sein. Auch wäre es widersinnig, volle Demonstrationsfreiheit für Faschisten zu fordern, und andererseits gegen faschistische Demonstrationen vorgehen zu wollen. Der Schutz faschistischer Propaganda und insbesondere die Verharmlosung von NS-Massenmorden und die Verhöhnung der Opfer widerspricht dem antifaschistischen Charakter des Grundgesetzes. Die Bejahung der Grundrechte an dieser Stelle würde bedeuten, ein Grundrecht auf faschistischen Terror zu statuieren. So eindeutig der Wortlaut und der ursprüngliche Sinn und Zweck antifaschistischer Rechtsvorschriften auch ist, von staatlicher Seite werden sie weitgehend ignoriert. Auch die sommerliche NPD-Verbotsdebatte gibt wenig Anlaß zur Freude. Wenn Politiker aller Couleur plötzlich die Notwendigkeit eines Verbots der NPD erkennen wollen, so wirkt das nicht nur heuchlerisch. Was sind das für VerbotsverfechterInnen, die rechte Gewalt immer wieder verharmlosen, die zwischen AusländerInnen unterscheiden, die uns "nutzen" und solchen die uns "ausnutzen", die im "DDR-Kommunismus" die Ursache für Rechtsextremismus sehen, die von "durchrasster" Gesellschaft und "Asylbetrügern" reden, die militärische Rituale immer mehr in die Öffentlichkeit tragen und auch vor einem Angriffskrieg nicht zurückschrecken? Die Zuspitzung allein auf die Frage Verbot der NPD oder nicht, lenkt vom eigentlichen Problem ab.

Wie sinnvoll ist es also, nimmer müde auf geltendes aber ignoriertes Recht hinzuweisen? Sinnlos wäre es, wenn der weit verbreitete Irrglaube, daß Rechtsvorschriften nur von den Herrschenden gemacht und benutzt würden, zutreffend wäre. Gerade die angeführten, von Antifaschisten erstrittenen, Vorschriften zeigen das Gegenteil. Rechtsnormen sind Ergebnisse gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und spiegeln so die zu ihrer Entstehung gegebenen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse wieder. Sie sind nicht nur eine Waffe der Herrschenden, es sei denn sie werden den Herrschenden überlassen. Es ist aber notwendig, legale Spielräume zu erstreiten. Diese müssen durchgesetzt und gegen Mißbrauch verteidigt werden, denn sobald sich die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse ändern, wirkt sich das auf die Anwendung der Normen aus. Die Forderung nach staatlichen Maßnahmen gegen Rechts wird nicht dadurch falsch, daß diese Maßnahmen dann gegen Links gewandt werden könnten. Linke Opposition wird auch so (mit oder ohne rechtlicher Grundlage) staatlich bekämpft. Die Durchsetzung formaler Verbote ist eine Sache. Es muß darüber hinaus die Anwendung erzwungen und der Mißbrauch verhindert werden. Verbote rechter Aktivitäten zu fordern bedeutet nicht, den Antifaschismus an den Staat zu delegieren! Zu erkennen, daß die Faschismusgefahr auch im kapitalistischen Wirtschaftssystem begründet ist und gleichzeitig auf die Forderung nach staatlichen Maßnahmen gegen Rechts zu verzichten, weil der Staat ein kapitalistischer ist, hieße, diese Gefahr hinzunehmen und die von AntifaschistInnen erstrittenen Vorschriften insbesondere des Grundgesetzes brach liegen zu lassen. Erst, wenn der Kampf um die Straße endgültig für die "nationale Sache" entschieden ist, so NPD-Chef Udo Voigt, wäre der Kampf um die Parlamente mit Aussicht auf Erfolg zu führen. Soll dieses Konzept nicht aufgehen und wollen wir uns nicht bald in der Situation sehen, daß Linke den "fairen parlamentarischen Kampf" mit den Rechten fordern, so muß die Forderung nach staatlichen Maßnahmen (ohne Delegierung des Antifaschismus an den Staat) eine zentrale Funktion für den antifaschistischen Widerstand bilden.

Hartmut Schäfer


  1. Rath, Christian in: Grundrechtereport 1999, S. 68 ff.; ähnlich auch Junge Freiheit v. 29.08.97; 05.06.98.

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