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Gene für den Staatsschutz
Nach tagelanger Suche wurde die vermisste 12jährige Ulrike sexuell
missbraucht und getötet aufgefunden. Erwartungsgemäß dauerte
es nicht lange und es meldeten sich die konservativen Sicherheitsfanatiker
zu Wort. So forderte die CSU, dass generell die Genome aller Männer
in einer Datei gespeichert werden sollen, um im Falle von Sexualverbrechen
auf diese zurückgreifen zu können. Nicht nur, dass diese Idee
organisatorisch nicht realisierbar ist, da die Genlabore auf Jahre mit
der Entschlüsselung des Genmaterials beschäftigt wären.
Viel schlimmer wiegt die Tatsache, dass so die Unschuldsvermutung, die
ein Prinzip eines rechtsstaatlichen Strafrechts darstellt, aufgehoben
wäre: Alle Männer würden zu potenziellen Sexualverbrechern
erklärt. Glücklicherweise ist dieser Vorschlag vorläufig
in der Versenkung verschwunden. Dennoch besteht kein Grund sich beruhigt
zurückzulehnen. Auch die zurzeit bestehende Möglichkeit zur
Speicherung von Geninformationen wird von den Sicherheitsbehörden
ausgiebig genutzt. Und zwar gerade als Repressionsinstrument gegen links.
Gesetzesgrundlage
Die Einführung einer Gendatei wurde 1998 nach mehreren Aufsehen
erregenden Sexualstraftaten gesetzlich geregelt. Eine breite Law-and-Order-Fraktion
quer durch die Parteien und Sicherheitspraktiker nutzten die emotional
aufgeheizte Stimmung, um die DNA-Analyse als kriminalistische Wunderwaffe
gegen Sexualverbrechen anzupreisen.
Exemplarisch ist der Fall der ermordeten Christina Nytsch vor drei Jahren:
16 000 Männer zwischen 18 und 30 Jahren im Raum Cloppenburg wurden
zur "freiwilligen" Abgabe einer Speichelprobe aufgefordert.
Wer nicht zum Spucken antrat, war verdächtig. Zudem war es aufgrund
der aufgeheizten gesellschaftlichen Stimmung nicht möglich, sich
dem Massenscreening zu entziehen. Dies geschah dann auch im Falle des
Täters - er ließ sich ebenso "freiwillig" eine Speichelprobe
entnehmen und wurde so überführt. Das Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung, die Unschuldsvermutung, das Recht des Beschuldigten,
nicht an seiner Überführung mitwirken zu müssen? Faktisch
aufgehoben. Die Warnungen von DatenschützerInnen vor dem "gläsernen
Menschen" verhallten angesichts dieser Lynchstimmung ungehört.
Vor diesem Hintergrund ordnete der damalige Innenminister Kanther im
April 1998 ohne gesetzliche Grundlage die Einrichtung einer zentralen
Gendatei beim Bundeskriminalamt (BKA) an.
Diese Praxis der präventiven Genspeicherung wurde erst im September
1998 durch das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz (BGBl. 2646) legalisiert.
Der durch dieses Gesetz eingefügte § 81g StPO sieht vor,
dass zur Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren
einem Beschuldigten Körperzellen entnommen und molekulargenetisch
untersucht werden dürfen, wenn dieser einer "Straftat von erheblicher
Bedeutung" verdächtigt wird. Schon der Wortlaut des §
81g StPO zeigt, dass unter diesen Begriff nicht nur Sexualstraftaten fallen,
sondern insbesondere(!) auch gefährliche Körperverletzung, besonders
schwerer Diebstahl oder Erpressung. Darüber hinaus ist der Begriff
"Straftat von erheblicher Bedeutung" so vage, dass er in einer
Vielzahl von Ermittlungsverfahren als Grundlage für Gentests eingesetzt
werden kann. Damit widerspricht er dem verfassungsrechtlichen Gebot der
Normenklarheit.
Praxis
Und die Praxis der Strafverfolgungsbehörden zeigt, dass die Genspeicherung
gerade in Strafverfahren gegen Linke verstärkt zum Einsatz kommt.
So reichte in einem Fall aus Rosenheim (Bayern) der Fingerzeig eines Nazis
auf eine Gruppe von AntifaschistInnen mit der Behauptung, der Beschuldigte
hätte ihn verprügelt, um einen Speicheltest anzuordnen.1
Im Fall eines Antifaschisten aus Braunschweig wurde der Gentest mit dem
Vorwurf begründet, er solle auf einer gewerkschaftlichen 1. Mai-Demonstration
eine gefährliche Körperverletzung an einem Polizisten begangen
haben. Aufgrund dieses Falles kommentierte die niedersächsische Landtagsabgeordnete
Silke Stokar (Grüne): "Unsere Befürchtungen, dass die Akzeptanz
für die Gendatei mit der schnellen Identifizierung von Sexualstratätern
geschaffen wird und dann zu einer Gendatei auch für den Staatsschutz
ausgebaut wird, sehen wir bestätigt". Und auch eine Anfrage
der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (PDS) bestätigt diese Befürchtung.
Nach der Antwort der Bundesregierung auf diese Anfrage waren im März
2001 bereits 118 551 Datensätze beim BKA gespeichert - nur ein Fünftel
davon werden im Zusammenhang mit Sexualdelikten angelegt.2
Grundrechte?
Doch auch im Hinblick auf das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
(Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 2 Abs. 1 GG) ist die Speicherung genetischer Informationen
problematisch. Zwar hat BVerfG durch die präventiven Genspeicherung
den absolut geschützte Kernbereich der Persönlichkeit als nicht
betroffen angesehen. Dies gelte jedenfalls, solange sich die Eingriffsermächtigung
nur auf den nicht-codierenden, zu etwa 30 % aus Wiederholungseinheiten
bestehenden Anteil der DNA beziehe.3
Demgegenüber warnten jedoch Datenschützer schon 1997, dass "auch
auf der Basis der Untersuchung von bisher nichtcodierend angesehenen Merkmalen
konkrete Aussagen über genetische Dispositionen der betroffenen Personen
mit inhaltlichen Informationswert getroffen werden können."
Durch eine Änderung der Untersuchungsmethode und der Ausweitung der
Zweckbestimmung wäre es also durchaus möglich aus den codierenden
Teilen der DNA tatsächliche oder vermeintliche Rückschlüsse
auf persönlichkeitsbezogene Merkmale zu ziehen. Denn die Genforschung
arbeitet zurzeit daran, persönliche Merkmale, wie Charaktereigenschaften
(Aggressionspotenzial, Intelligenz), Erbkrankeheiten, Anfälligkeit
für Krebs aus den genetischen Informationen ableiten zu können
aber auch angebliche Anlagen für "Sozialschädlichkeit"
nachweisen zu können.
Doch die Begehrlichkeiten der ErmittlerInnen gehen weiter. Wenn von jedem
Menschen von schon Geburt an ein genetischer Fingerabdruck genommen und
gespeichert wird, könnte mittels automatischer Datenabgleichung jede
an einem Tatort gefundene genetische Spur ohne Probleme der entsprechenden
Person zugeordnet werden. Zumal es so gut wie unmöglich ist, an einem
Tatort keine Spuren zu hinterlassen, da schon kleinste Hautschuppen oder
Haare molekulargenetisch verwertbar sind. Doch auch auf die codierenden
Bestandteile der DNA haben die KriminalistInnen ein Auge geworfen. So
begründet der Bund deutscher Kriminalbeamter das kriminalistische
Interesse an diesen Teilen damit, dass "[b]ei einem entsprechenden
wissenschaftlichen Stand ... dann allein aus aufgefundenen Körperzellen
Rückschlüsse auf die Hautfarbe, die Haar- und Augenfarbe, die
Statur usw. gezogen werden [könnten]".4
Die Gefahr, den "gläsernen Menschen" mit Hilfe von von
Persönlichkeits- und Risikoprofilen aus DNA-Analysen zu schaffen,
ist damit längst keine düstere Vision aus einem Science-Fiction-Roman
mehr, sondern könnte bald bittere Realität werden. Zum Schaden
der Rechte aller BürgerInnen - auch derjenigen, die angesichts Aufsehen
erregender Sexualverbrechen solche Maßnahmen zur schnellen Täteridentifizierung
begrüßen und mit einem totalen Überwachungsstaat keine
Probleme haben - sie haben ja angeblich "nichts zu verbergen"...
Gregor Mendel
-
Rote Hilfe 3/2000, S. 11f.
-
Pressemittlg. PDS-Fraktion im Bundestag
v. 27.3.01, Nr. 2567
-
BVerfG, 2 BvR 1741/99 u.a., Abs.Nr. 48,
www.bverfg.de
-
Stellungnahme des BDK v. 15.6.98, zit. nach Gössner: Erste RechtsHilfe,
S. 100
Literatur:
Rote Hilfe Zeitung 1/2000, S. 18;2/2000, S. 25f.; 3/2000, S. 11f.
Gössner: Erste RechtsHilfe, Göttingen 1999, S. 92-103
Rechtshilfetip
Im konkreten Fall einer geplanten DNA-Analyse kann die Rote Hilfe folgende
Tips geben:
-
Wie immer gilt: keine Aussagen, keine
Unterschriften! Besonders keine Einwilligung zur freiwilligen Speichelprobe
unterschreiben!!!
-
Wahrscheinlich drohen die PolizeibeamtInnen
mit einer zwangsweisen Blutentnahme. Diese muß von einem/r RichterIn
angeordnet werden (nur bei "Gefahr im Verzug" auch Anordnung
durch Staatsanwaltschaft oder Polizei; es ist fraglich, ob bei DNA-Analysen
"Gefahr im Verzug" möglich ist (insbesondere nachdem
vor kurzem höchstrichterlich festgestellt wurde, daß die
bei Polizei und Staatsanwaltschaften ausufernde Anwendung der "Gefahr
im Verzug"-Eingriffbefugnisse rechtswidrig ist - die freischüßler-Red.)).
Die Blutentnahme muß von einem/r ÄrztIn durchgeführt
werden.
-
Wie gegen jede erkennungsdienstliche Behandlung,
legt explizit gegen die Speichelprobe Widerspruch ein und laßt
ihn schriftlich festhalten.
-
Die Erfahrung hat gezeigt, daß ein/e
anwesende/r RechtsanwältIn solche rechtlich fragwürdigen
Maßnahmen zumindest zu diesem Zeitpunkt verhindern kann. Informiert
eine/n AnwältIn eures Vertrauens oder den Ermittlungsausschuß
über eure Festnahme und die geplante DNA-Analyse. Euch steht
bei jeder Festnahme eine Anruf bei einer Person Eures Vertrauens zu.
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Laßt euch von eventuellen Drohungen der PolizeibeamtInnen nicht
einschüchtern, sondern behaltet einen klaren Kopf. Bedenkt die
folgenschweren Konsequenzen einer Speicherung in der DNA-Datei!
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