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Ist der besondere Schutz der Ehe gerechtfertigt?

Die Ehe ist ein weltlich Ding. So sprach jedenfalls Luther im 16. Jahrhundert und die Säkularisierung der Ehe seit dem 17. Jahrhundert folgte. Teil II Art. 7 der Französischen Verfassung von 1791 besagte bereits: "Das Gesetz betrachtet die Ehe nur als bürgerlichen Vertrag.". Trotzdem setzt ein Herr Wysk1 an den Beginn seiner Dissertation über das bezeichnende Thema "Rechtsmißbrauch und Eherecht" anno 1994 einen Bibelspruch und Herr Braun2 schwadroniert im 21. Jahrhundert von der kirchlichen Prägung der Ehe in höchsten Tönen. Entsprechend verstaubt sind auch ihre Ausführungen über die Ehe als Naturverhältnis, welches der einzig zulässige Regeltatbestand für Lebensgemeinschaften sein müsse. Braun gelingt es sogar im 21. Jahrhundert(!) zu bedauern, daß immer mehr auseinanderfällt, was zusammgehört: Sexualität und Fortpflanzung (da haben die Leute einfach Sex, ohne auch nur an die Zeugung von Nachkommen zu denken... Frechheit!).

Angeregt von solch grandiosen Herren wie Wysk und Braun, deren Ansichten wie gesagt bereits durch jahrhundertelange Entwicklungen überholt sein sollten, hier nun eine kleine kritische Betrachtung des besonderen Schutzes der Ehe durch das Grundgesetz.

Historie

Dieser besondere Eheschutz begann mit der Weimarer Verfassung (WRV). Die WRV war die erste deutsche Verfassung, die einen besonderen Eheschutz enthielt. Art. 119 I WRV besagte: "Die Ehe steht als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation unter dem Schutz der Verfassung.". Diese erstmalige Aufnahme des Eheschutzes in eine deutsche Verfassung erfolgte eher leidenschaftslos und ohne große Debatten. Ein DDP-Abgeordneter brachte es auf den Punkt, als er sagte, der Eheschutz kam vornehmlich deshalb in die Verfassung, weil schließlich auch "andere nicht wichtige Gebiete" geregelt wurden.

Die Literatur dagegen zeigte sich etwas lebhafter. Dort war zu lesen, daß "das zügellose Sichausleben angeblich freier Geister" durch die WRV verhindert wurde oder Art. 119 I WRV wurde als "Erfolg der Wahrung der christlichen Gesellschaftsordnung" gefeiert. Einige sahen sogar im Eheschutz eine Abkehr vom Sozialismus bzw. "gewissen kommunistischen Lehren" und stuften nicht zuletzt deswegen den "volkserzieherischen Wert" des Eheschutzes als besonders hoch ein.

Nachdem der Nationalsozialismus insbesondere der Formulierung der Ehe als Institut zur Mehrung der Nation eine besonders perverse Ausrichtung gab, wurde der Eheschutz unter "Entschärfung" seines Wortlautes ins Grundgesetz übernommen. Auch hier gab es kaum Debatten über den Sinn oder Unsinn dieser Maßnahme. Immerhin brachte ein SPD-Abgeordneter 1948 einen interessanten Gedanken ins Spiel. Er meinte, die Ehe sei eine Frage der sozialen Lebensordnung und habe damit nichts in einer Verfassung zu suchen und überdies sei denen, die gern auf den kulturellen Stellenwert der Ehe pochen gesagt, daß Kultur Ländersache ist.

Nun haben wir aber den Art. 6 I GG und kaum jemand fragt nach dem Sinn dieses besonderen Schutzes der Ehe.

Sieh mal, Schatzi - jetzt hast du sogar noch einen richtigen Job, und wenn ich vor dir sterben sollte, sogar einen Anspruch auf Witwenrente.Nix mit Biene und Blume... Der Ring machts!

Der Eheschutz bedarf freilich einer Rechtfertigung; einer besonderen Schutzbedürftigkeit der Ehe als solcher. Ipsen weiß, daß diese Rechtfertigung darin liegt, daß die Ehe die Vorstufe zur Familie ist und der Schutz der Familie schließlich ein hohes Gut sei - das Ipsen heute noch die Formulierung des Art. 119 I WRV favorisiert, sei hier nur als Randbemerkung angebracht.3 Braun ist noch forscher und macht ein "Gedankenexperiment": Er meint, wenn man sich den Nachwuchs bei einer Ehe wegdenken würde, so bliebe eine bloße Verbindung von Mann und Frau und es wäre genauso wenig ersichtlich, warum man diese gegenüber anderen Liebesbeziehungen bevorzugen sollte wie es ersichtlich wäre, BiertrinkerInnen den WeintrinkerInnen vorzuziehen. Braun schlußfolgert messerscharf (verkennend, daß eine Schwangerschaft nicht vom Tragen eines Eheringes abhängt...), daß die Ehe ihren Sinn in der Reproduktion des Nachwuchses hat.

Wer an dieser Stelle anfängt nachzudenken und sich daher fragt, wie eine solche Argumentation im 21. Jahrhundert noch ziehen kann, der muß sich wohl fehlende Achtung vor der Tradition und vor der Autorität eines Herrn Ipsen, Braun u.a. vorwerfen lassen.

Daß die Zeugung von Kindern und die Bildung einer Familie auch ohne Ehe möglich ist und daß eine Ehe nicht notwendigerweise Kinder und Familien hervorbringt, ist wahrscheinlich kommunistische Propaganda übelster Art, denn schon diese simplen Erkenntnisse lassen das Ehe-als-Vorstufe-der-Familie-Argument brüchig erscheinen. Das BVerfG ist aber gegenüber solcher "Propaganda" immun und damit der Meinung, daß die Ehe eine "rechtliche Absicherung der Partner bei der Gründung einer Familie mit gemeinsamen Kindern" sei.4 Die Frage stellt sich, ob denn damit uneheliche Kinder, unverheiratete Paare mit Kindern usw. gewollt weniger "rechtliche Absicherung" genießen (was z.B. gegen Art 6 V GG verstoßen würde). Und was ist, wenn zwar eine Ehe besteht, aber keine GEMEINSAMEN Kinder vorhanden sind? Und ist eine kinderlose Ehe dann so etwas wie eine forderungsentkleidete Hypothek?

Herr Braun weiß, daß z.B. das Ehegattensplitting allein dem Zweck dient, die Errichtung einer Familie zu erleichtern. Damit wäre ein Gebrauchmachen vom Splitting ohne die Absicht der "Mehrung der Nation" glatter Rechtsmißbrauch. Denn, so fragt Braun, "Welches Interesse sollte der Staat haben, eine Beziehung finanziell zu unterstützen, aus der niemals eigene Nachkommen hervorgehen können?". Braun sieht immerhin, daß es auch kinderlose Ehen gibt, die auch den besonderen Eheschutz genießen. Dies geschehe wegen der Typisierung des Schutzes, und weil "der Deutsche" eben lieber keine Kinderzeugungspflicht fordern sollte – was Braun klammheimlich zu bedauern scheint.

Sonstiges gegen die Schutzbedürftigkeit

Es ist auch zu beachten, daß die Familie im klassischen Sinne von Mann, Frau und Kind heute EINE Form der Familie darstellt. Daneben haben sich zahlreiche andere Formen herausgebildet. Diese Familienformen würden (und werden) aber bei einem Schutz der Ehe als Familienvorstufe ohne ersichtlichen Grund benachteiligt. Einige mögen nun aufschreien und als ersichtliche Gründe die Tradition, die kulturelle Überlieferung oder sogar das Wohl der Kinder anführen.

Die Wahrung von Traditionen um der Traditionen willen kann freilich nicht Aufgabe einer Verfassung sein. Doch da ist oft zu hören, Art. 6 I GG sei nun einmal eine "objektive Wertentscheidung" des Grundgesetzes und man möge angesichts dessen in Ehrfurcht verstummen. Doch was genau soll das sein: eine "objektive Wertentscheidung"? Autorität kraft göttlicher Gnade? Verbindlichkeit kraft (von wem auch immer) erschauter Werte oder ehrwürdiger Tradition?

Das Kulturargument greift schon wegen des Charakters von Kulturfragen als Ländersache nicht. Zudem müßte dann auch konsequent gesagt werden, daß hierzulande die kulturelle Überlieferung das Christentum als "übliche" Religionsform hervorgebracht hat. Doch ein besonderer Schutz des Christentums ist dem Grundgesetz fremd. Vielmehr werden explizit alle Religionen gleich geschützt – warum also bei der Familie auf die Traditionen pochen?

Wer das Wohl der Kinder anführt, müßte sich schon zu der Aussage versteigen (wie es Wysk und Braun tun), daß die einzig wahre und gesunde Entwicklung eines Kindes nur mit verheirateten Eltern möglich ist. Diese Aussage basierte aber auf reinen Vorurteilen, deren verfassungsrechtlicher Schutz nicht einsichtig erscheint. Kinder deren verheirate Eltern Erziehung mit Schlägen, sexuellem Mißbrauch und anderen Erniedrigungen verwechseln, wird schwer zu vermitteln sein, daß es total wichtig für ihre Entwicklung sei, daß ihre Eltern verheiratet sind. Doch Herr Brau weiß Bescheid! Allein die Ehe könne die "Zeugung und Aufzucht von Kindern" gewährleisten. Die zunehmende Abkehr von der Ehe und der allgemeine Werteverfall würden dazu führen, daß die Gesellschaft nicht mehr überlebensfähig werde. Man fragt sich, wie die Menschheit vor der Erfindung der Ehe durchgekommen ist... und ob ein in der Ehe mißhandeltes Kind angesichts der Überlebensfrage der Menschheit sein Schicksal besser ertragen kann...

Der ursprüngliche Sinn der Ehe war und ist es, daß dem Manne eine Frau zur Seite gestellt wird, die ihn verpflegt und seinen Nachwuchs bzw. den "der Nation" heranzieht. Diese Frau sollte durch die Ehe derart an den Mann gebunden werden, daß sie nicht ohne dessen Willen (wenn überhaupt) aus dem Eheverhältnis entkommen kann. Sicher ist das heutige Eherecht von vielen eindeutig diskriminierenden Regelungen abgerückt. Das Leitbild der Hausfrauenehe fiel 1977 und der BGH würde heute nicht mehr vertreten, daß die Rolle der Frau und des Mannes in der Ehe und der Familie durch Gott vorbestimmt sei – wie er es noch 1953 tat (BGHZ 11, 65).

Besonderer Eheschutz ist verfassungswidrig

Doch der Grundgedanke, daß dem Manne eine Ehefrau (in der Funktion einer Hausfrau, einer Mutter und einer Sexpartnerin) zur Seite gestellt wird, lebt fort. Art. 11 der Konvention über die Beseitigung aller Formen der Diskriminierung der Frau besagt: "Um die Diskriminierung der Frau wegen Eheschließung oder Mutterschaft zu verhindern... [soll dies und das gewährleistet werden]". Es wird also erkannt, daß die Ehe typischerweise eine Diskriminierung der Frau bedeutet, doch es wird lediglich versucht, die Symptome abzumildern. Art. 6 I GG erschwert es aber unter dem Vorwand des Familienschutzes und der Tradition, daß die Ehe, wenn sie (wie allzu oft) zum reinen Gefängnis für einen Teil (meist der Frau) wird, aufgelöst werden kann. Ja der besondere Eheschutz übt, insbesondere durch miet-, erb- und steuerrechtliche Vorteile von Ehepaaren, geradezu einen "sanften Zwang" zum Eheschluß aus. Das abstrakte Institut der Ehe steht damit höher als die Freiheit und Unabhängigkeit des bzw. der einzelnen – und dies alles um einer patriarchalen Tradition zu frönen! Strenggenommen ist der besondere Eheschutz damit grundrechtsgefährdend und eine ersatzlose Streichung wäre nur wünschenswert. Angesichts der hohen Scheidungsraten und der zunehmenden Ablehnung gegenüber der Ehe muß die Frage erlaubt sein, warum ein Institut, das immer weniger (freiwillig) angenommen wird und das in sehr vielen Fällen schlicht nicht funktioniert und welches grundrechtsgefährdend ist, einen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz genießen soll!

Immerhin erkennt das Grundgesetz, daß durch einen bedingungslosen Schutz der Ehe nichteheliche Kinder und nichtverheiratete Mütter diskriminiert würden. Doch anstatt die Ursache dafür - nämlich den besonderen Eheschutz als solchen - zu bekämpfen, wird durch Art. 6 IV und V lediglich eine Abschwächung der Folgen des Art. 6 I GG vorgenommen.

Eine besondere Schutzbedürftigkeit ist nach dem Ausgeführten für die Ehe nicht erkennbar. Folglich ist der bestehende besondere Schutz der Ehe und die damit verbundene Diskriminierung anderer Lebens- und Liebesformen nicht zu rechtfertigen. Einzige Konsequenz aus diesen Erkenntnissen kann nur die Forderung nach der ersatzlosen Streichung des Eheschutzes in Art. 6 GG sein.

Die Ewigkeitsklausel des Art. 79 III GG steht dem nicht entgegen. Art. 6 GG in seiner jetzigen Fassung ist schließlich selbst grundrechtsgefährdend. Zudem will Art. 79 III GG lediglich die GRUNDSÄTZE der Art. 1 bis 20 GG unberührt lassen. Dazu zählen die Menschenwürde, die Rechtsgleichheit, die Freiheit, die Demokratie, die Sozialstaatlichkeit und die Rechtsstaatlichkeit. Diese Grundsätze würden aber durch einen nicht vorhandenen besonderen Eheschutz unberührt bleiben.

Die Streichung ist also möglich – es sei denn, es findet sich jemand, der substantiiert darlegen kann, daß ohne einen besonderen Schutz der Ehe die genannten Grundsätze der Art. 1 bis 20 GG in diesem Lande eben doch nicht mehr gewährleistet werden könnten bzw. noch weniger gewährleistet werden könnten.

Lutz Ifer


  1. Dr. Wysk, Peter; Rechtsmißbrauch und Eherecht, 1994.

  2. Prof. Dr. Braun, Johann; Gleichgeschlechtliche Partnerschaft und Ehe, ZRP 2001, 14 ff..

  3. Prof. Dr. Ipsen, Jörn; Staatsrecht II, S. 98ff..

  4. BVerfG NJW 93, 3058.

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