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Jura studieren - trotz alledem!

Jedesmal zu Beginn des Semesters gilt es, etwas Passendes für die ErstsemesterInnen zu schreiben. Dabei geht es fast immer um die Frage nach dem Sinn und Unsinn des Studiums. Während dieses Studiums werdet Ihr schnell feststellen, daß so ziemlich alles was mit Recht zu tun hat, umstritten ist. Warum sollte also die Frage nach dem Sinn und Unsinn des Studiums eine Ausnahme machen.

Im großen und ganzen gibt es zwei Strömungen: Radbruch sah den Geist durch das Recht "verkümmert, verkrüppelt und verrenkt" (Gustav Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, 12. Auflage, 1969, S. 271) - Prof. Redslob verglich das Jurastudium mit der Dressur von Zirkusflöhen, da diese gefangen in einer Zigarrenkiste auf der eine Glasscheibe liegt, lernen nur bis zur Glasscheibe zu hüpfen und diese Prozedur solange fortgesetzt wird, bis die Flöhe nur noch kriechen - im "freischüßler" wurde diese These aufgegriffen und die Glasscheibe bei den Flöhen mit der 4-Punkte-Grenze bei Klausuren verglichen und damit die Gefahr der geistigen Verarmung während des Jurastudiums beschrieben.

Andererseits wird behauptet, daß das alles nur "Vorurteile unserer Tanten" seien und damit absolut abwegiges Zeug. Nur dieses "Geschwätz" von Flöhen etc. führe dazu, daß Jurastudenten und Studentinnen am Ende tatsächlich opportunistische Flohhirne würden (so jedenfalls eine Reaktion auf die im freischüßler vertretene "Flohdressurthese").

Das zuletzt Gesagte überzeugt natürlich vollständig, denn es ist allgemein bekannt, daß Mißständen am effektivsten begegnet werden kann, wenn man sie konsequent und in aller Entschiedenheit ignoriert bzw. wegdiskutiert. Wahrscheinlich würde das Studium unzählige geniale DenkerInnen hervorbringen, wenn "unsereiner" nur beständig genug davon reden würde, wie kreativitätsfördernd und geradezu gesunden Widerspruchsgeist hervorrufend usw. dieses Studium sei...

Aber wieder zum Ernst der Sache - zum Jurastudium und dessen Sinn und Unsinn. Letztendlich werdet Ihr Euch im Laufe der Zeit selbst ein Bild machen können und überhaupt kommt es immer darauf an, was jeder und jede einzelne aus dem Studium macht - oder juristisch gesprochen: es kommt auf die Bewertung aller Umstände des Einzelfalls an. Hier muß die Betonung aber auf "aller" Umstände liegen. Das Jurastudium ist sehr starr und bietet wenig individuelle Entfaltungsmöglichkeiten. Der "Stundenplan" steht fast so fest wie in der Schule, eigenständige Auswahl des Stoffes, der bearbeitet werden könnte, ist nur sehr begrenzt möglich usw.. Die Versuchung, einfach die Scheine zu "erschlagen" und zielstrebig auf das Examen zuzuarbeiten ist groß. Fragen nach dem Wesen des Rechts oder dem Inhalt von Begriffen wie Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit, Demokratie etc. bleiben auf der Strecke - dafür scheint keine Zeit zu sein.

Doch nicht verzagen: trotzdem Jura studieren und versuchen, sich aus dem üblichen Strudel zu lösen der zwangsläufig konservative, autoritätshörige, antidemokratische, ordnungsfanatische, geistig verarmte, marktkompatible Juristen und Juristinnen erzeugt. Laßt Euch nicht verrückt machen von der Masse des Stoffes und vor allem laßt Euch nicht unterkriegen. In diesem Sinne: Viel Spaß beim studieren und beim freischüßler-lesen.

Kalle Klecks

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