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Der Kampf um Freiräume -
Zwangsbeglückung oder Selbstgleichschaltung

Interview mit Prof. Hofmann1 zum Jurastudium

Vor fast einem halben Jahrhundert begannen Sie Ihr Studium. Hat sich das Jurastudium seitdem geändert?

Das klingt schrecklich: Ein halbes Jahrhundert! Aber es ist richtig, ich habe im Herbst 1954 das Studium an der Universität Heidelberg begonnen; zusammen mit vielleicht 70, 80 anderen Erstsemestern und drunter war auch ein Mädchen. Das ist vielleicht schon die erste ins Auge fallende Veränderung. Heute sind unter den Erstsemestern ja fast mehr junge Frauen als junge Männer. Das ändert sich allerdings nach meiner Beobachtung bis zum ersten juristischen Staatsexamen. Da sind es dann wieder deutlich mehr Männer. Die Zahl der weiblichen Studierenden scheint sich grobgeschätzt zu halbieren. Aus Gründen, die man nicht genau kennt.

Die zweite und eigentlich schon angesprochene Veränderung ist die außerordentliche Zunahme der Zahl der Studierenden. Es sind eben nicht mehr 70 oder 80, sondern 300 oder 400 Studierende pro Semester. Das verändert natürlich auch das ganze Klima an der Universität, das Verhalten der Studierenden und das Verhältnis zwischen ihnen und den Dozenten. Es gibt Probleme mit den Bibliotheken usw.

Ein weiterer deutlicher Unterschied ist die enorme, geradezu explosionsartige Zunahme des Lernstoffs. Und es gibt eine Ausdifferenzierung der Fächer, wie wir es nicht kannten. Wir sind noch in den klassischen Grunddisziplinen des Rechts ausgebildet worden, mit verhältnismäßig wenig Spezialisierung. Manche der heute ganz selbstverständlichen und notwendigen Spezialisierungen gab es überhaupt nicht, noch nicht einmal dem Namen nach. Also das Wort Umweltrecht gab es überhaupt nicht, das Europarecht steckte noch in seinen theoretischen Kinderschuhen und spielte im Lehrplan keine Rolle.

Gibt es außer der Spezialisierung der Rechtsgebiete und den sich natürlich auch inhaltlich auswirkenden strukturellen Änderungen des Studiums weitere inhaltliche Änderungen in der Ausbildung?

Da gibt es Unterschiede, die sich daraus ergeben, daß andere Generationen auf den Lehrstühlen nachgefolgt sind. Die jüngeren Dozenten halten ihre Vorlesungen natürlich nicht mehr in dem Stil, wie dies noch die älteren Kollegen zu meiner Zeit getan haben. Daß ein Professor, wie ich es in der Vorlesung Schuldrecht allgemeiner Teil erlebt habe, schlicht einen Vortrag gehalten hat, in dem er sich nicht unterbrechen ließ, und auf Zwischenfragen außerordentlich ungnädig und so heftig reagierte, daß niemand aus dem Auditorium es sich künftig wagte eine Frage zu stellen, das gibt es schon lange nicht mehr. Insofern hat sich das Klima im Hörsaal wesentlich verändert.

In der Erstsemesterbegrüßung des freischüßler heißt es: "Das Jurastudium ist sehr starr und bietet wenig individuelle Entfaltungsmöglichkeiten. Der 'Stundenplan' steht fast so fest wie in der Schule, eigenständige Auswahl des Stoffes, der bearbeitet werden könnte, ist nur sehr begrenzt möglich. Die Versuchung, einfach die Scheine zu 'erschlagen' und zielstrebig auf das Examen zuzuarbeiten ist groß. Fragen nach dem Wesen des Rechts oder dem Inhalt von Begriffen wie Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit, Demokratie etc. bleiben auf der Strecke - dafür scheint keine Zeit zu sein." - Können Sie diese Bedenken teilen?

Also sicher insofern, als daß seit vielen Jahren eine Tendenz zur Verschulung des Universitätslehrbetriebs - jedenfalls in der juristischen Fakultät - zu bemerken ist. Das ist jedoch eine Entwicklung, die von der Masse der Studierenden selbst gewünscht wird und die von daher gefordert, verstärkt und unterstützt worden ist. Dieser Prozeß der Verschulung droht natürlich Freiräume einzuengen, die es früher gab. Freiräume, die man allerdings mit Griesgram bezahlt hat.

Also zu meiner Zeit und bis in die jüngste Vergangenheit hatten wir eine juristische Ausbildung, die sich grob gesagt in drei Abschnitte einteilen ließ. Da stand am Anfang der Besuch der Vorlesungen und der Besuch der begleitenden Arbeitsgemeinschaften. Es folgte der Abschnitt mit den Übungen, abgekoppelt vom Vorlesungsbetrieb in eigenen Lehrveranstaltungen, Klausuren und Hausarbeiten. Das hatte zur Folge, daß sich bei Ausgabe der Hausarbeiten alle in die Bibliotheken stürzten und nicht mehr in die Vorlesungen kamen. Sobald die Studierenden dann alle Scheine beisammen hatten, haben sie das Studium an der juristischen Fakultät überhaupt aufgegeben und sind zum kommerziellen Repetitor gegangen. Dagegen richtet sich nun seit langem die Tendenz, die Ausbildung wieder an die Fakultät zurückzuholen und dort zu intensivieren, aber das ist offenbar nur um den Preis einer mehr oder weniger weitgehenden Verschulung möglich. Dabei bleiben natürlich Freiräume auf der Strecke.

Das alte Modell, in dem zwischen der Ausbildung in der Universität und dem juristischen Staatsexamen ein tiefer Graben bestand, hatte auf der anderen Seite auch gewisse Vorteile. Diese allerdings nur für guten Studierenden, denen Studium und Examen wesentlich leichter viel, weil dieses System verhältnismäßig viel Freiraume bot. Man konnte außer den juristischen Vorlesungen auch anderen Lehrveranstaltungen und Interessen nachgehen und dennoch sicher sein, daß man gleichwohl seine Scheine erwarb. Zwar gab es Schwierigkeiten, weil man in den Übungen dann plötzlich mit Arbeitstechniken und Aufgaben konfrontiert wurde, die in der Vorlesung so nicht behandelt worden waren. Aber es gab eben Freiräume, die man, wenn man wollte, produktiv nutzen konnte.

Der Vorteil der Verschulung ist jedoch, daß die Universitätsausbildung stärker auf das Examen ausgerichtet ist und der Bruch zwischen Ausbildung und Staatsexamen nicht ganz so kraß ausfällt. Das ist natürlich im Vergleich zu dem früheren Modell ein beachtenswerter Vorteil, aber es bleibt eine Verschulung und ist die Ersetzung eines sich früher auf einen bestimmten, relativ kurzen Lebensabschnitt konzentrierenden Examensstreß durch einen Dauerstreß, der mit dem ersten Semester beginnt.

Wenn man dieses an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität mit Nachdruck betriebene neue Modell verfolgt, muß man also auf jeden Fall die Notwendigkeit im Auge behalten, diese wichtigen Freiräume zu schaffen und zu integrieren. Dazu gibt es - wenn ich das richtig verstanden habe - gewisse Möglichkeiten in den Wahlfächern. Wenigstens in ihnen sollen Freiräume für die Studierenden geschaffen werden, sich außerhalb dieses weitgehend schulmäßig verlaufenden Betriebs nach eigener Eignung und Initiative wissenschaftlich zu betätigen; und zwar gerade auch in Bereichen, die nicht unbedingt Gegenstand der Ausbildung sind. Man muß wirklich darauf achten und drängen, daß diese Möglichkeiten gewissermaßen als Kompensation in den Studiengang eingebaut werden, denn sonst sollte man das Ganze lieber gleich in Form eines Fachhochschulstudiums gestalten.

Halten Sie das Studium der Rechtswissenschaften, wie es heut praktiziert wird, für wissenschaftliche Bildung oder eher für eine Berufsausbildung? Und wird sie der tatsächlichen Berufspraxis gerecht?

Das ist eine sehr komplexe und schwierige Frage. Ich glaube auch nicht, daß man sie einheitlich beantworten kann. Aber vieles von dem was betrieben wird und vor allem wie es betrieben wird, steht ganz unter dem Gesichtspunkt der Berufsausbildung. Ohne daß auf der anderen Seite der Wunsch, an der Universität eine sofort umsetzbare Berufsausbildung zu erwerben, tatsächlich erfüllt wird. Daß eine stärkere Berufsbezogenheit des juristischen Studiums für alle juristischen Berufe in der Praxis tauglich macht, ist auch eine Illusion. Deswegen begegne ich auch diesem Versuch einer stärkeren Praxisorientierung mit einer gewissen Bedrückung und mit Zweifeln.

Andererseits wird aber vieles was unter diesen Aspekt betrieben wird, von vielen, wenn nicht von den meisten Studierenden gewünscht. Und es stellt natürlich ein großes Problem dar, mit einer anderen Orientierung des juristischen Studiums nicht Gefahr zu laufen, eine Zwangsbeglückung der Studierenden durchzuführen, die diese gar nicht haben wollen. Dieser Einseitigkeit des Studiums stehen die Versuche einiger Hochschullehrer entgegen, in den juristischen Lehrveranstaltungen, insbesondere in Seminaren, auch eine wissenschaftliche Geistesbildung außerhalb der berufsausbildungsorientierten Studienordnung zu betreiben. Diese Hochschullehrer versuchen mit bescheidenen Kräften und begrenzten Wirkungsmöglichkeiten, etwas vom Geist der Universität aufrecht zu erhalten. Das hängt jedoch ganz von der Persönlichkeit des Hochschullehrers ab und ist strukturell wenig bis gar nicht abgesichert.

Besteht die Gefahr, daß durch das bloße Erlernen von Technik und Methodik und durch die Beschränkung der Ausbildung auf eine Exegese von Normen anstatt einer Analyse von zu regelnden sozialen Problemen eine JuristInnengeneration von Subsumtionsmaschinen herangezogen wird?

Ich fürchte, so viel Techniker wie dieses Schreckbild suggeriert bringen wir gar nicht hervor. Auch die juristische Technik ist letztlich eine Kunst, die so einfach zu erlernen und zu handhaben gar nicht ist. Aber es ist richtig, ich sehe eine gewisse Einseitigkeit. Die Gefahr dieser Einseitigkeit ist jedoch durch die Art unserer wissenschaftlichen Kunst vorgegeben. Wir beschäftigen uns mit einem Normensystem und nicht mit der sozialen Wirklichkeit. Dieses Normensystem ist zwar auf eine jeweilige Wirklichkeit bezogen und hat ihren Sinn nur durch den Bezug auf die Wirklichkeit, ist aber für sich ein eigenständiges, geistiges Gebilde, dessen Eigenart und Eigengesetzlichkeit erstmal studiert werden muß.

Es stellt Ansprüche an Abstraktionsfähigkeit. Darin liegt aber auch die Gefahr einer völligen Loslösung von der sozialen Wirklichkeit, wie dies historisch in der Begriffsjurisprudenz kulminierte. Da stellt sich die Frage, wie man dieser Gefahr sinnvoller Weise begegnen könnte.

Vielleicht sollten wir diese Gefahr etwas spezifizieren. Die UnAufgefordert publizierte2 die Ergebnisse einer Langzeitstudie der Konstanzer Arbeitsgruppe Hochschulforschung zur politischen Meinungsbildung der Studierenden. Darin heißt es: "Die Präsenz und Geltung konventionell-konservativer Werte, häufig bis hin zu nationalistischen, demokratiefeindlichen Positionen sind bei Wirtschaftswissenschaftlern und Juristen besonders hoch. (...) Für den Fortbestand demokratischer Grundwerte sind diese neuen Meinungsführer riskant, bedenkt man ihre künftige gesellschaftliche Stellung und Bedeutung. Aus den Fachbereichen der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften rekrutiert sich größtenteils der Nachwuchs für gesellschaftliche Führungspositionen. Es zeichnet sich ein gewisses Meinungskartell zukünftiger Vertreter von Staat, Wirtschaft und Technik ab, in dem national-konservative Töne in nicht unerheblichem Maße bestimmend sind. Ein Eintreten für demokratische Prinzipien ist bei den künftigen Anwälten und Richtern sehr schwach ausgeprägt, zum Teil nur formal-konventionell oder gar labil (...). Der Eindruck entsteht, dass viele Jurastudenten sich weniger dem Recht und der Gerechtigkeit verpflichtet fühlen, als der bloßen Aufrechterhaltung von Ordnung in ihrem Sinne und ihrer Karriere." - Können Sie diese Einschätzung teilen?

Da ist natürlich was dran, das läßt sich gar nicht leugnen. Aber man muß die Sache auch ein bißchen differenzieren. Ich darf anknüpfen an das, was wir vorhin gesagt haben: Juristen sind nach ihrer Profession strukturell konservativ, weil sie auf das Bestehen und Funktionieren der gegebenen Ordnung verpflichtet sind. Das ist auch unabdingbar. Damit geht natürlich die Gefahr einher, daß die Pflege oder Erhaltung des Bestehenden ideologisch überhöht wird. Während auf der anderen Seite das Stichwort Demokratie einen Bewegungsprozeß kennzeichnet.

Sich mit dem demokratischen Prinzip zu beschäftigen heißt, sich mit einem Bewegungsprinzip politischer Organisation auseinanderzusetzen. Wenn es ein gemeinsames Merkmal für die demokratischen Staaten und darüber hinausgehend für die korrespondierenden demokratischen Gesellschaften gibt, dann ist es das der beständigen Revision und Veränderung des Bestehenden. Das trifft in unserer Verfassung zwischen dem Rechtsstaatsprinzip als ein statisches und dem Demokratieprinzip als ein bewegendes Prinzip eines grundsätzlich unabschließbaren Prozesses aufeinander. Das bedeutet, daß mit Demokratie auch der Gedanke der Mitwirkung und Partizipation untrennbar verbunden ist. Während sich Recht, rechtliche Entscheidungsverfahren und Rechtsstaatlichkeit in Institutionen manifestieren, in denen bestimmte Verfahren entscheiden, an denen nicht mehr beliebig gerührt werden kann.

Wir haben es also mit zwei ganz unterschiedlichen Lebensprinzipien einer organisierten Gemeinschaft zu tun, die sich mit unterschiedlichen Rechtfertigungen verbinden und insofern beide Gefahren einer ideologischen Überhöhung beinhalten. In diesem Konflikt schlägt sich die große Zahl der Juristen im Zweifel - wenn man es positiv ausdrücken will - auf die Seite der Rechtsstaatlichkeit und nicht auf die der Demokratie und Veränderung. Das läßt sich natürlich politisch auch zuspitzen und verschärfen.

Wichtig ist daher, in der juristischen Ausbildung ein Verständnis für beide Momente zu bewirken, wie sie in unserer Verfassung, unserer Gesellschaft und unserem Staat auch gerade in ihrer Spannung und Gegensätzlichkeit und in der Notwendigkeit dies auszutarieren existieren. Wenn das gelingt, ist schon viel gewonnen. Wenn es indes nicht gelingt, dann ist mir auch schon des öfteren nächtlich der Gedanke gekommen, wie anfällig und beliebig instrumentalisierbar die Juristen sind, die wir ausbilden.

Wenn das Jurastudium den strukturell konservativen Juristen hervorbringt, geht mit ihm ein sehr stark sozialisierender Prozeß einher, dem sich die Studierenden auch nicht völlig verschließen können. Wie ist dieser Vorgang mit der Tatsache vereinbar, daß das Studium selbst alles andere als sozialwissenschaftlich ist, die Sozialisation also unreflektiert zu verlaufen droht?

Genau aus dieser Einsicht hat es Versuche gegeben, diesen sozialwissenschaftlichen Mangel, diesen blinden Fleck namens soziale Wirklichkeit, zu beheben. Die Versuche einer institutionalisierten Behebung dieses Mangels sind bisher jedoch gescheitert. Angefangen von dem Versuch der Juristenausbildung ein sozialwissenschaftliches Grundstudium vorzuschalten bis hin zu der Idee, wenigstens einen Schein aus diesem Bereich als Examensvoraussetzung zu verlangen. Sie sind deswegen gescheitert, weil der Zwang, sich mit bestimmten Dingen zu beschäftigen, für welche die meisten Studierenden das Jurastudium normalerweise nicht gewählt haben, auf breiter Front Abwehrhaltung und Umgehungsstrategien hervorgerufen hat.

Deswegen würde ich mehr darauf setzen, Freiräume zu schaffen und für diejenigen, die Interesse haben, ein differenziertes Angebot bereit zu stellen. Die Möglichkeit zu motivieren, in dem man Themen interessant macht, sollte genutzt werden, um wenigstens einen Teil der Jurastudierenden zu erreichen, um sie mit der Kehrseite des juristischen Studium vertrauter zu machen. Dies kann vor allem in den Seminaren stattfinden. Und durch die Mitarbeit aller Teilnehmenden auch besser als das in irgendeiner Vorlesung möglich wäre. Wenn es gelänge eine Seminarkultur zu schaffen, die es ja mal gegeben hat und die darin zum Ausdruck gekommen ist, daß man zu meiner Zeit in jedem Semester ein Seminar besucht hat, dann gäbe es auch genug Möglichkeiten ein breitgefächertes Seminarangebot anzubieten.

Für wie zeitgemäß halten Sie das juristische Staatsexamen? Welche anderen Abschlüsse halten Sie für geeignet?

Ich vertrete seit langem die Meinung, wir sollten wegkommen vom Staatsexamen und hinkommen zu einem Universitätsexamen. Damit würde man einige Problem, auch etliche der eben besprochenen, lösen können. Die Verbindung von Ausbildung und Examen wäre institutionell gesichert. Die Ausbildung könnte sich stärker nach den jeweiligen Schwerpunkten der Fakultät richten, wenn kein Einheitsexamen mehr notwendig ist. Auch für die Konkurrenz der juristischen Fakultäten wäre das sehr zuträglich. Und der Schwerpunkt der Ausbildung würde sich an die Fakultät zurückverlagern.3

Natürlich wird dadurch ein Staatsmonopol beseitigt, das sich der Staat nicht so einfach aus der Hand nehmen lassen wird. Selbst innerhalb der Fakultät gibt es beileibe nicht nur Befürworter dieser möglichen Lösung, denn durch den Wegfall der Justizprüfungsämter käme eine Menge mehr Arbeit auf die Fakultäten zu. Das ist natürlich auch eine politisch heikle Frage, die nicht zuletzt der Gesetzgeber zu entscheiden hat. Aber es ginge und ich denke, daß dabei mehr gewonnen würde, als verloren zu gehen droht. Angesichts der Vielfalt der juristischen Tätigkeitsfelder in Staat und Gesellschaft ist ein Universitätsexamen heute geeigneter als ein Examen, das sich immer noch am Berufsbild eines Richters oder Verwaltungsbeamten orientiert. Und wenn jetzt noch irgend jemand ausrechnet, daß es insgesamt auch billiger wird, bin ich recht zuversichtlich, daß es kommen wird.

Im Zusammenhang um die Einführung neuer Hochschulabschlüsse wird heutzutage in erster Linie an Bachelor/Master-Studiengänge gedacht. Setzt sich mit Bachelor-Abschlüssen nicht ein juristisches Schmalspurstudium durch?

Das Bachelor-Studium wäre die institutionalisierte Form eines Schmalspurstudiums. Das ist für die juristischen Fakultäten nicht nur nicht erstrebenswert, sondern schlichtweg nicht akzeptabel. Das mag in anderen Studiengängen anders sein. Man muß aber überlegen, wofür Juristen ausgebildet werden und wofür sie mit einem Universitätsabschluß qualifiziert werden sollen und das in großen Mengen. Angesichts dessen kann ich mir nicht vorstellen, daß solche Abschlüsse unterhalb des Standards in irgendeiner Weise sinnvoll sind. In Studiengängen wo es sich sinnvollerweise anbietet, eine Differenzierung des Studiums zu betreiben zwischen einem Universitätsstudium, das zur Wahrnehmung bestimmter Berufstätigkeiten befähigt, und einem Aufbaustudiengang, das in einer vertieften wissenschaftliche Ausbildung letztlich wissenschaftlichen Zwecken dient, könnten solche Modelle vielleicht sinnvoll sein. Im Jurastudium wäre eine solche Unterscheidung und Zweiteilung jedoch nicht sinnvoll. Es gibt ja bereits die Unterscheidung von dem Jurastudium an der Universität und dem an den Rechtspflegerschulen, und dieser Trend wird sich an den Fachhochschulen auch weiter fortsetzen. Es ist ein genereller Fehler in der Hochschulpolitik, daß man, sobald man eine gute Lösung für ein bestimmtes Fach entdeckt zu haben glaubt, versucht, dieses auf alle Fachbereiche anzuwenden.

Welche Eigenschaften sollten JuristInnen haben, damit Sie sich ruhigen Gewissens aus deren Ausbildung zurückziehen bzw. Sie sich im Streitfall vor Gericht wagen können?

Ich wünsche mir neugierige Juristen, die immer noch eine Frage mehr stellen. Die in ihrem eigenen Fach und über das Fach hinaus Neugierde auf andere Bereiche und andere Lebensverhältnisse entwickeln. Neugier auf Literatur. Lust darauf, sich auch mal in anderen wissenschaftlichen Bereichen umzusehen. Neugier auf die Welt und darauf sich die Welt anzuschauen, aber genau hinzuschauen und nicht nur Spaß zu haben, den man im Grunde ja auch zu Hause haben kann. Das sollte Juristen auszeichnen, um eben der Gefahr der Einseitigkeit entgegenzuwirken, die mit diesem Studium der Normenvorschriften verbunden ist. Durch solche Erfahrungen sollte man neu lernen, warum eine solche Einseitigkeit für das Bestehen einer organisierten Gesellschaft auch notwendig ist.


  1. Prof. Dr. Hasso Hofmann, geb. 1934, Professor für Öffentliches Recht, Rechts- und Staatsphilosophie an der Humboldt-Uni; Mitglied der Bayerischen und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften

  2. UnAufgefordert, Ausgabe 117, S.10 f.

  3. Anmerkung der Redaktion: Gemeint ist die Zurückverlagerung vom kommerziellen Repititorium an die Universität.

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