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"Deutschland, wir weben Dein Leichentuch, damit wir leben können"

Bundesverfassungsgericht verwirft Verurteilung wegen Verunglimpfung der BRD

Das BVerfG hat am 3.11.2000 die Verurteilung eines Berliners wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole (§  90 a StGB) aufgehoben und den Fall an das AG Berlin-Tiergarten zurückverwiesen. Laut Beschluss vom 3.11.2000 wurde Christoph E. durch dieses Urteil in seinem Grundrecht der Kunstfreiheit gem. Art. 5 III 1 GG verletzt.1 Hintergrund des Verfahrens ist der fortgesetzte Versuch von Berliner Polizei und Staatsanwaltschaft, die öffentliche Aufführung des Songs "Deutschland" der Hamburger Punkrock-Combo "Slime" zu kriminalisieren (Text siehe Kasten). Schon des öfteren wurden VersammlungsveranstalterInnen festgenommen, weil sie dieses Lied auf den von ihnen organisierten Demonstrationen abgespielt hatten. Die anschließende Verurteilung erfolgte mit der Begründung, das von ihnen abgespielte Lied "Deutschland" verunglimpfe den Staat und erfülle somit den Tatbestand des §  90 a StGB. Dies betraf vorrangig einer der Revolutionären 1. Mai-Demonstrationen in Berlin ("13-Uhr-/O-Platz-Demo"): Ulrich L. wurde 1997, nachdem er über den Lautsprecherwagen besagtes Lied abgespielt haben soll, aus dem Lautsprecherwagen heraus festgenommen und nach vier Monaten U-Haft zu vier Jahren auf Bewährung verurteilt.2 Ebenso erging es More Keskin im Jahre 1999: kurz nach der Abschlusskundgebung der Revolutionären 1. Mai-Demo auf dem Oranienplatz wurde sie verhaftet. Begründung: auf der 1. Mai-Demo 1994 habe sie den Slime-Song abgespielt und folglich sich ebenfalls nach §  90 a StGB strafbar gemacht.3 Gleichartig verhält es sich in diesem Fall, der der Entscheidung des BVerfG zugrunde lag: trotz des "Hinweises" eines anwesenden Polizisten, das Abspielen dieses Liedes sei nicht erlaubt, spielte Christoph E. auf einer Solidaritätskundgebung für den zu dieser Zeit inhaftierten Ulrich L. den Song über die Lautsprecheranlage ab, woraufhin die anwesenden 50 KundgebungsteilnehmerInnen den Liedtext lauthals mitsangen. Es kam, wie es kommen musste: Christoph E. wurde festgenommen und durch das Amtsgericht Tiergarten mit Urteil vom 2.11.1998 wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole gem. §  90 a StGB verurteilt. Die anschließende Berufung vor dem Landgericht und die Revision vor dem Kammergericht Berlin blieben erfolglos.






Die Beschlüsse bzw. Urteile der Strafgerichte sind vor allem deshalb aufgehoben worden, weil sie den Schutzbereich der Kunstfreiheit unzutreffend bestimmt und ihre Schranken im Einzelnen nicht richtig beurteilt haben sollen.4 Während das Landgerichtsurteil und der Beschluss des Kammergerichts auf Grund grundrechtsdogmatischer "Mängel" aufgehoben wurden5, hat das BVerfG dem Amtsgericht Missachtung der der Kunst eigentümlichen Strukturmerkmale und eine nicht-werkgerechte Interpretation vorgeworfen.6 Das AG hätte, so das BVerfG, den in der "künstlerischen Einkleidung" verborgenen Aussagekern ermitteln müssen.7 Nach Auffassung der Verfassungsrichter handelt es sich bei dem slime-Song nämlich um "eine plakative, drastische Kritik mit satirischem Einschlag an gesellschaftlichen und politischen Zuständen in Deutschland". Charakteristisches Merkmal dieser Kunstform sei Verbrämung des Aussagekerns mit "symbolhaft überfrachteten Bildern" und seine Umschreibung in "karikaturhaft überzeichneten Ausdrücken".8 Bemerkenswerterweise vergleicht das BVerfG in dieser Entscheidung den slime-Song mit dem Heine-Gedicht "Die schlesischen Weber". Ein größeres Lob hätten die RichterInnen diesem Lied nicht machen können... Erfreulich ist auch, dass das BVerfG dem Amtsgericht für ein neues Verfahren die Beachtung des zeitgeschichtlichen Hintergrundes mit auf den Weg gegeben hat: Anfang der 80er Jahre fand in Hamburg eine breite öffentliche Debatte um ein in der NS-Zeit eingeweihtes Kriegerdenkmal statt. Dieses "Kriegsklotz" genannte Ungetüm trug die Inschrift "Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen". Diesem Spruch hatte die Band slime ihre Refrainzeile entgegengestellt. Jedoch ist das Bundesverfassungsgericht mit einer leidlich bekannten "Es-kann-dahingestellt-bleiben-ob"-Formel der Frage ausgewichen, ob das Amtsgericht im vorliegenden Fall die Grenzen der Kunstfreiheit zutreffend bestimmt hat. Konkret geht es dabei wohl um die Verwendung des Liedes "als Kampfmittel" (das Lied ist auf einer öffentlichen Kundgebung abgespielt worden, s.o.). Eine Bestrafung wegen Abspielen solch eines Liedes auf einer Demonstration ist also weiterhin nicht von vornherein ausgeschlossen. Dennoch ist trotz der Rückverweisung an das Amtsgericht eine erneute Verurteilung in diesem Fall ziemlich unwahrscheinlich. Wegen der "Vorgabe" des BVerfG, es handele sich bei diesem Lied um eine Satire, dürfte es dem Strafrichter schwer fallen, eine Strafbarkeit nach §  90 a StGB zu begründen.

Nichtsdestotrotz stellt das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit des 90 a StGB nicht grundsätzlich in Frage. Dass bestimmte Handlungen dem Schutzbereich der Kunstfreiheit zuzuordnen seien, stehe einer Bestrafung nach §  90a StGB nicht a priori entgegen.9 Vielmehr bedürfe es stets einer einzelfallbezogenen Abwägung der widerstreitenden Verfassungsrechtsgüter.10

Doch bestehen an der Verfassungsmäßigkeit des §  90 a StGB erhebliche grundsätzliche Zweifel. So wurde schon auf dem 3. StrafverteidigerInnentag 1979 ausgeführt, dass unter anderem der Tatbestand des §  90 a StGB "...in hohem Maße unbestimmt, [seine] Anwendbarkeit nicht mehr berechenbar [ist]. Sie belasten die Wahrnehmung des Grundrechts der Meinungsfreiheit [Gleiches läßt sich für die Kunstfreiheit sagen - Anm. d. Verf.] mit dem Risiko der Strafverfolgung und nötigen zur Selbstzensur."11 Trotz dieser grundrechtsfreundlichen Kammerentscheidung des BVerfG besteht weiterhin die Notwendigkeit, die Abschaffung des §  90 a StGB zu fordern und somit mit der obrigkeitsstaatlichen Tradition, "den Staat als oberste und erste Privatperson zu begreifen, die jederzeit für Verleumdung empfindlich ist und von ihr verletzt werden kann"12 zu brechen.

Ernst Eisler


  1. BVerfG, 1 BvR 581/00 vom 3.11.2000, http://www.bverfg.de

  2. Rote Hilfe 4/97, S. 18

  3. Rote Hilfe 3/99, S. 13f.

  4. BVerfG, 1 BvR 581/00, http://www.bverfg.de, AbsNr. 15

  5. BVerfG, aaO, AbsNr. 16

  6. BVerfG, aaO, AbsNr. 20

  7. BVerfG, aaO, AbsNr. 21

  8. Alle Zitate: ebenda

  9. BVerfGE 81, 278 (290)

  10. BVerfGE 81, 278 (294)

  11. zit. nach: Sonnen, AK-StGB, §  90 a, Rdz. 23

  12. Schlussbeurteilung des 3. Internationalen Russell-Tribunals, zit. nach Sonnen, AK-StGB, §  90 a, Rdz. 24


Wo Faschisten und Multis das Land regiern,
wo Leben und Umwelt keinen interessieren,
wo alle Menschen ihr Recht verliern,
da kann eigentlich nur noch eins passieren:
Deutschland muss sterben, damit wir leben können. (4x)

Schwarz ist der Himmel, rot ist die Erde,
gold sind die Hände jener Bonzenschweine,
doch der Bundesadler stürzt bald ab,
denn Deutschland, wir tragen Dich zu Grab.

Wo Faschisten und Multis das Land regiern,
wo Leben und Umwelt keinen interessieren,
wo alle Menschen ihr Recht verliern,
da kann eigentlich nur noch eins passieren:
Deutschland muss sterben, damit wir leben können. (8x)

Wo Raketen und Panzer den Frieden sichern,
AKW's und Computer das Leben verbessern,
bewaffnete Roboter überall,
doch Deutschland, wir bringen Dich zu Fall.

Deutschland muss sterben, damit wir leben können. (4x)

Deutschland verrecke, damit wir leben können,
Deutschland!

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