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Anti-Terror-Paket

Fortsetzungslieferung



Die Trümmer des World-Trade-Centers brannten noch, als am 11. September bei vielen Internet-Providern in den USA FBI-Beamte erschienen, um dort die Überwachungssoftware "Carnivore" zu installieren. Die Idee einer staatlichen Überwachung des weltweiten E-Mail-Verkehrs war freilich keineswegs aus dem Schrecken und dem aktuellen Bedrohungsgefühl geboren worden. Schon Jahre vorher hatten Sicherheitsprotagonisten und Geheimdienstvertreter zum Kampf gegen "cyber crimes" eine effektive Kontrolle des Internet sowie entsprechende Vorbehaltsrechte bei Entwicklung und Verkauf von Verschlüsselungssoftware gefordert. Sie waren damit aber nur zum Teil erfolgreich, nicht zuletzt auch wegen des Widerstands aus Wirtschaftskreisen.1

Mit den Terroranschlägen hat sich die Stimmung nun grundlegend gewandelt: Einen Kurssturz erlebten nicht nur Aktienwerte, sondern auch die Freiheitsrechte gegenüber staatlicher Überwachung und Kontrolle. Wer möchte sich in dieser Situation schon den Vorwurf einhandeln, er lege dem weltweiten Kampf gegen den Terrorismus Steine in den Weg?


Alte Hüte, wieder modern


Die Gunst der ernsten Stunde wissen auch Otto Schily und seine Mitstreiter in der Bundesrepublik zu nutzen. Sie hatten ebenfalls schon vorher gefordert, unter anderem bei der Überwachung der Telekommunikation "Lücken" zu schließen.2 "Die Initiativen, die wir vergangene Woche im Kabinett beschlossen haben", verkündete Schily freimütig, "sind nicht erst nach dem 11. September eingeleitet worden".3 So hatte sich die "rot-grüne" Regierungskoalition bereits vor den Terroranschlägen z. B. auf die Schaffung eines neuen "Anti-Terror-Paragraphen" 129 b Strafgesetzbuch geeinigt.4 Wer von den grünen Mandatsträgern mag jetzt noch daran erinnert werden, dass diese Partei eigentlich die Abschaffung des § 129 a Strafgesetzbuch ("Bildung terroristischer Vereinigungen") auf ihre Fahnen geschrieben hatte, einer Strafbestimmung, die in der Praxis fast ausschließlich gegen Personen aus dem linken Spektrum Anwendung fand?5

Gefordert wird auch, den Sicherheitsbehörden einen leichteren Zugriff auf die Daten von Ausländern zu ermöglichen. Dabei wird schlicht auf die Unkenntnis des Ausländerrechts gesetzt: Schon lange ist den Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten ein nahezu ungehinderter Zugang zu den Daten des Ausländerzentralregisters gestattet.6


Während Bundesinnenministerium und Auswärtiges Amt noch darüber diskutieren, ob allen einreisenden Ausländern, Asylbewerbern und Aussiedlern Fingerabdrücke abgenommen werden sollen, schwebt dem SPD-Innenpolitiker Wiefelspütz schon die daktyloskopische Totalerfassung auch aller Deutschen vor.7 Aber warum nur so ein vorsintflutliches Identifikationsverfahren? Sollte nicht von jedem hier geborenen Säugling gleich der "genetische Code" ermittelt und abgespeichert werden, wo heute doch schon eine geringe Körpersubstanz (wie z. B. am Tatort aufgefundene Haare) zur nahezu zweifelsfreien Ermittlung der Identität eines Straftäters ausreicht? - Wer demgegenüber an das verfassungsmäßige Recht auf informationelle Selbstbestimmung erinnert,8 muss den Vorwurf gewärtigen, dass damit ja schließlich Datenschutz zum Terroristenschutz werde. Was nutzt da schon der Hinweis engagierter Datenschützer, dass die Sicherheitsbehörden bisher kaum je einen Fall präsentierten, in dem die Ergreifung eines Straftäters am Datenschutz scheiterte. Der Berliner Datenschutzbeauftragte Hansjürgen Garstka nennt es ein "altes Spiel der Sicherheitsbehörden": Wenn sie selbst versagt hätten, forderten sie neue Befugnisse.9

Aber wer heutzutage auf die gesetzliche Ausdifferenzierung der jeweiligen Befugnisse für die unterschiedlichen Sicherheitsbehörden als Errungenschaft des Rechtsstaates verweist, muss sich vorhalten lassen, die neue Bedrohung durch den Terrorismus nicht richtig zu erfassen. Die scharfe Abgrenzung zwischen polizeilichen und militärischen Aufgaben sei nicht mehr gültig, belehrte uns Innenminister Schily.10 Gerade er sollte hingegen wissen, dass der Einsatz der Bundeswehr im Inneren durch die Verfassungsänderungen im Zuge der Notstandsgesetzgebung 1968 auf genau umgrenzte Ausnahmesituationen beschränkt wurde - eine vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte keineswegs zufällige Regelung.11


Indessen soll nicht nur die Bundeswehr mehr Geld erhalten, sondern auch der Verfassungsschutz, der nach dem Ende der Systemkonfrontation schon um Aufgaben und Legitimität bangen musste. Künftig soll er uns nun, vor allem durch die "Regelanfrage" bei Ausländern, vor Terroristen schützen. Das Instrument ist aus der Berufsverbotepraxis der siebziger Jahre bekannt. Was es zutage fördern dürfte, sind Informationen über die politische Betätigung von Ausländern in "extremistischen" Organisationen. Wer hingegen einen terroristischen Anschlag vorbereitet, dürfte kaum durch besonderes politisches Engagement die Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen. In der Wahrnehmung der Stammtische ist freilich jeder, der an einer Demonstration gegen die Unterdrückung der Kurden in der Türkei teilnimmt, schon ein potentieller Terrorist. Die Unfähigkeit zur Differenzierung wird mithin dazu beitragen, den Pauschalverdacht gegen Menschen aus Ländern mit überwiegender islamischer Bevölkerung weiter zu nähren.


Rasterfahndung total


Nicht zuletzt deswegen regt sich gegen die momentan in großem Stil betriebene Rasterfahndung denn auch kaum Kritik. Dabei zeugt manches dabei weniger von kriminalistischem Scharfsinn als von blindem Aktionismus: So beschloss das Amtsgericht Tiergarten auf Antrag des Landeskriminalamts Berlin am 20. September die Rasterfahndung nach einer Personengruppe u. a. mit den Kriterien "islamische Religionszugehörigkeit ohne nach außen tretende fundamentalistische Grundhaltung", "keine Auffälligkeiten im allgemeinkriminellen Bereich", "rege Reisetätigkeit", "finanziell unabhängig" und "Flugausbildung".12 Man hatte schlicht das vom FBI angenommene Täterprofil abgeschrieben. Nicht bedacht wurde dabei, dass die Dateien der Universitäten sowie vieler anderer öffentlicher Institutionen, die zum Abgleich benutzt werden sollen, solche Angaben überhaupt nicht enthalten. Noch verfügen Universitätsverwaltungen und andere staatliche Behörden nicht über solche, die Privatsphäre betreffenden Daten wie der Verfassungsschutz oder der BND - dies wäre immerhin das Ende des Datenschutzes.

Die "Panne" wurde schnell bemerkt: Schon einen Tag später korrigierte das Amtsgericht seine Entscheidung und erweiterte die zu überprüfende Personengruppe erheblich. Sie sollte nur noch die Eigenschaften "vermutliche islamische Religionszugehörigkeit und vermutlich legaler Aufenthaltsstatus in Deutschland" umfassen. Es half nichts, dass die Studierendenvertretungen protestierten und Rechtsmittel einlegten - die Universitätsverwaltungen lieferten nunmehr Studierendendaten an das Landeskriminalamt und der Abgleich der Daten konnte vollzogen werden.


Das Prinzip der Rasterfahndung, bisher vor allem bei der Suche nach RAF-Mitgliedern eingesetzt, besteht in der Umkehrung der rechtsstaatlichen Unschuldsvermutung: Jeder, dessen Daten in die Rasterung einbezogen werden, gilt es einmal als grundsätzlich verdächtig.13 Er mag sich noch so rechtstreu verhalten - falls seine Person mehrere der Suchkriterien erfüllt, muss er mit möglicherweise unangenehmen und stigmatisierenden Nachforschungen der Polizei rechnen. Dabei ist der Erfolg einer so gigantischen Datenauswertung durchaus fragwürdig. Polizei und Geheimdienste drohen nicht selten offenbar in der Fülle der Informationen zu ertrinken. So wurde z. B. durch eine Rasterfahndung zu RAF-Zeiten eine Wohnung ermittelt, in der tatsächlich der Arbeitgeberpräsident Schleyer gefangengehalten wurde. Nur ging die Meldung damals "auf dem Dienstweg" verloren.14 Auch die CIA und die anderen US-amerikanischen Dienste konnten trotz ihres weltweit gespannten Überwachungsnetzes, trotz etlicher konkreter Hinweise auf die Attentäter nicht rechtzeitig vor den Terroranschlägen warnen. Einer der Köpfe des Attentats, der in Hamburg lebende Student Mohamed Atta, wurde zwar mehrere Monate von CIA-Agenten observiert. Die Spur wurde indes nicht weiterverfolgt, auch wurden die deutschen Sicherheitsbehörden nicht informiert.15


Aus rechtsstaatlicher Sicht ist das Instrument der Rasterfahndung ebenso problematisch wie die in den letzten Jahren eingeführte Schleierfahndung sowie die beabsichtigte flächendeckende Überwachung der Telekommunikation einschließlich des Internet16: Intelligente Straftäter schlüpfen durch die Maschen, indem sie z. B. gefälschte Pässe benutzen, ihre Nachrichten verschlüsseln oder sich der Steganografie, des Versteckens von Nachrichten in unverfänglichen Abbildungen, bedienen. In das Visier der staatlichen Sicherheitsbehörden bzw. Geheimdienste gerät statt dessen eine Vielzahl unbescholtener Personen, deren Gespräche heimlich belauscht und deren E-Mails gelesen werden, die ohne konkreten Anlass sich einer polizeilichen Kontrolle unterziehen müssen usw. Die Vorstellung, diese Methoden der Überwachung träfen ja nur "Gangster", ist schlechterdings illusionär.


Eine gründliche Personen- und Gepäckkontrolle vor Besteigen eines Flugzeugs sowie die Begleitung des Fluges durch bewaffnete "Sky-Marshalls" verteuern zwar das Flugticket. Aus bürgerrechtlicher Sicht gibt es dagegen jedoch nichts zu erinnern, weil diese Maßnahmen - polizeirechtlich gesprochen - konkret dazu geeignet sind, eine Gefahr abzuwehren. Die einzelnen "Sicherheitspakete", die uns nicht erst nach dem 11. September, sondern als stetige Fortsetzungslieferung präsentiert werden, höhlen hingegen das System des klassisch-rechtsstaatlichen Polizeirechts immer weiter aus.17 Es wird hierdurch Schritt für Schritt durch Elemente des Ausnahmezustandes ersetzt. Das Gefühl einer massiven Bedrohung wie nach den Anschlägen in den USA schafft hierfür die Akzeptanz. Später tritt dann ein Gewöhnungseffekt ein: Über die Abschaffung dessen, was in Zeiten des akuten Bedrohungsgefühls geschaffen wurde, wird kaum noch gesprochen. Erinnert sei nur an die Veränderungen vor allem des Straf- und Strafprozessrechts im Zuge der RAF-Fahndung im "deutschen Herbst". Es bleibt der Verlust an Rechtsstaatlichkeit, an gesetzlich gewährleisteter Einhegung der Staatsgewalt. "Wer mehr Sicherheit will, muss weniger Freiheit akzeptieren", lautet die offenbar weithin akzeptierte Formel.18 So wird denn die Freiheit um den Preis eines trügerischen Gefühls der Sicherheit Stück für Stück preisgegeben.

Martin Kutscha



Personalia: Dr. Martin KUTSCHA, geb. 1948 in Bremen, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege in Berlin, Bundesvorsitzender der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ).


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1Vgl. Olaf Winkel, Private Verschlüsselung als öffentliches Problem, in: "Leviathan" 4/1997, S. 567 ff.

2Vgl. nur Bundestagsdrucksache 13/9443, S. 7.

3Interview in: "Der Spiegel" 39/2001, S. 32.

4Vgl. "Frankfurter Rundschau" v. 18. 9. 2001.

5Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Abg. Ulla Jelpke im Bundestag, wonach es in der Zeit von 1995 bis 2000 insgesamt 428 Ermittlungsverfahren nach § 129 a StGB gegen Verdächtige aus dem linken Spektrum, hingegen nur 3 gegen Rechtsextremisten gab (nach "Frankfurter Rundschau" v. 4. 4. 2001).

6Vgl. Thilo Weichert, AZRG - Kommentar zum Ausländerzentralregistergesetz, Neuwied/Kriftel 1998, §§ 15 ff.

7Vgl. "Frankfurter Rundschau" v. 28. 9. 2001.

8Vgl. dazu Martin Kutscha, Innere Sicherheit und informationelle Selbstbestimmung, in: Hans-Jürgen Lange (Hrsg.), Staat, Demokratie und Innere Sicherheit in Deutschland, Opladen 2000, S. 355 ff.

9"Berliner Zeitung" v. 19. 9. 2001.

10"Berliner Zeitung" v. 13. 9. 2001.

11Vgl. Jürgen Seifert, Verfassungskompromisse und Verschleierungsnormen in der Notstandsverfassung, in: Ders., Kampf um Verfassungspositionen, Köln/Frankfurt 1974, S. 198 (207 ff.).

12Geschäftsnr. 353 AR 199/01 ASOG.

13Vgl. Helmut Bäumler, in: Hans Lisken/ Erhard Denninger (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, München 1992, Rdnr. J 211 ff.

14Vgl. "Berliner Zeitung" v. 2./3. 10. 2001.

15Vgl. "Berliner Zeitung" v. 24. 9. 2001.

16Vgl. im einzelnen Martin Kutscha, Auf dem Weg in einen Polizeistaat neuen Typs? in: "Blätter" 2/2001, S. 214 ff.

17Ausführlich dazu Fredrik Roggan, Auf legalem Weg in einen Polizeistaat, Bonn 2000.

18So der ehemalige Landespolizeipräsident von Baden-Württemberg, Alfred Stümper (Interview in "Frankfurter Rundschau" v. 29. 9. 2001).