akj



Home

Aktuell

Erklärungen

das
freischüßler

      Ausgabe 1/99
     
Ausgabe 2/99
     
Ausgabe 3/99
     
Ausgabe 1/00
     
Ausgabe 2/00
     
Ausgabe 3/00
     
Ausgabe 1/01
      Ausgabe 2/01
     
Ausgabe 1/02
     
Ausgabe 1/03

      Ausgabe 2/03
      Ausgabe 1/04

      Ausgabe 1/05

      Ersti-Heft

Vorträge

Projekte

Seminare

Links

Impressum



Faulheit und Müßiggang ...

Aller Laster Anfang

„Arbeit macht das Leben süß - so süß wie Maschinenöl ...“



“Laßt uns faul in allen Sachen,
Nur nicht faul zu Lieb‘ und Wein,
Nur nicht faul zur Faulheit sein.”

Lessing


Arbeit, Arbeit, Arbeit! Ist oft von Gewerkschaften, SozialistInnen und Kommu-nistInnen zu hören. Aber was um alles in der Welt ist so großartig an der Arbeit? Ist die (Lohn-)Arbeit nicht Grund für Unterdrückung und Verelendung? Ist also das Recht auf Arbeit nicht nur ein Recht auf Elend? Was ist so furchtbar daran, keine Arbeit zu haben und sich dem Müßiggang hinzugeben? Fragen über Fragen...

Spätestens seit dem Paul Lafargue im Jahre 1848 seine Abhandlung mit dem Titel “Das Recht auf Faulheit – Widerlegung des ‚Rechts auf Arbeit‘” veröffentlicht hat, gibt es die VerfechterInnen des “Rechts auf Faulheit”. Diese VerfechterInnen führen oft Aristoteles für ihre Thesen an, für den es nur drei Lebensweisen für einen freien Menschen gab: einmal ein Leben, daß im Genuß schöner Dinge dahingeht, zum anderen ein Leben, daß innerhalb der städtischen Gemeinschaft schöne Taten erzeugt und schließlich ein Leben als BeforscherIn der ewigen Schönheiten dieser Welt. Dauerferien also, in denen jeder und jede ihren Bedürfnissen nachgehen kann – klingt prima!


Auch die alten Römer werden bemüht, bei denen “labor” (lateinisches Wort für Arbeit) für Mühsal stand. Weiter wird darauf hingewiesen, daß erst mit der Industrialisierung die Arbeit zum Wert an sich wurde und davor kein Mensch Arbeit der Arbeit wegen als erstrebenswert angesehen hätte. Um motivierte Arbeitskräfte zu schaffen, wurde den Leuten erfolgreich eingeredet, Arbeit sei etwas, worauf man stolz sein könnte und wodurch Selbstverwirklichung zu erreichen wäre – Müßiggang sei aller Laster Anfang.
Schon Napoleon wußte, daß eine viel arbeitende Bevölkerung schwerer auf “dumme Gedanken” kommen kann, wenn er sagte: “Ich bin die Autorität ... und ich wäre geneigt zu verfügen, daß Sonntags nach vollzogenem Gottesdienst die Geschäfte geöffnet werden und die Arbeiter wieder ihrer Beschäftigung nachgehen sollten.” (Ein Schelm, wer hier an die Diskussion um die Ladenöffnungszeiten denkt...)

Aber der Haken ist eben doch da: Aristoteles sah nur die wenigen Freien und nicht die SklavInnen und auch bei “den Römern” standen wohl eher die reichen freien Bürger im Mittelpunkt der Überlegungen. Frauen waren bei beiden keine relevante Größe. Ein Herr Mooshammer würde heute seine Vorstellung von “Leben” sicher auch wie Aristoteles beschreiben und mit Arbeit nichts als Mühsal verbinden. Einige leben eben in diesem Schlaraffenland. Sie machen keinen Finger krumm und haben keine Ahnung, wer die Trauben von den Reben pflückt, wissen aber dafür, wo der beste Wein zu kaufen ist. Und wer tatsächlich die Zeiten vor der Industrialisierung beschwört, der oder die möge doch einmal eine Woche lang versuchen unter damaligen Bedingungen zu leben und dabei noch das Leben und die Faulheit zu genießen. Bei einem Glas Rotwein in warmer Stube, bei guter Gesundheit und mit einer hohen Lebenserwartung darüber zu sinnieren, wie toll es doch die “vorindustriellen Menschen” hatten (und es einige kleine “Naturvölker” heute noch haben), weil die z.B. noch nicht dem “Arbeitswahn” verfallen waren, kann nur peinlich werden.

Ein Leben in Faulheit scheint letztlich nur für eine kleine Oberschicht möglich, wenn andere für sie arbeiten, produzieren und Dienstleistungen anbieten. Daß einige wenige in Saus und Braus und in Faulheit leben und die große Masse lediglich als Reservoir an Arbeitskräften erscheint, um dieses Leben zu gewährleisten, war schon immer so. Das der arbeitende Teil der Menschheit einstmals SklavInnen genannt wurde und heute unter dem Begriff ArbeitnehmerInnen firmiert, ist sicher ein beachtlicher Fortschritt, hat aber am ganz grundsätzlichen Grundprinzip nichts geändert.

In 1000 Jahren werden vielleicht einige VertreterInnen der heutigen “oberen 10.000” anführen, um zu sagen, daß “die alten Europäer” schon damals das Leben zu genießen verstanden und die Arbeit als elende Schinderei erkannt haben.

Trotz der Schwäche der Argumentation der “FaulheitsanhängerInnen” bleibt doch eine Erkenntnis unbenommen: Es ist absolut erstaunlich, wie die Masse der Menschen willig schuftet. Für einen zweiwöchigen Urlaub pro Jahr, ein Auto, eine Familie etc. wird tagtäglich alles gegeben. Ziel der ganzen Anstrengungen ist es stets, einmal so richtig ausspannen zu können und sich Faulheit leisten zu können.

Die Absurdität des Arbeitsfetischismus wird sehr schön in Heinrich Bölls “Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral” deutlich. Dort trifft ein Tourist einen Fischer, der am Strand liegt und döst. Er fragt ihn, warum er so döse. Darauf sagt der Fischer, er habe gestern genug Fische gefangen, da kann er den Rest der Woche dösen. Der Tourist malte ihm aus, was wäre, wenn er trotzdem den Rest der Woche fischen würde: er könne expandieren, reich werden, andere für sich arbeiten lassen und den ganzen Tag am Strand liegen und dösen. Darauf der Fischer: aber das mach ich doch auch so, ohne mich dafür vorher kaputtgerackert zu haben...

Es heißt, wir leben in einer Arbeitsgesellschaft und wenn in der Bundesrepublik 4 Millionen Arbeitslose existieren, überlegen die fortschrittlichen Kräfte nur, wie diese Zahl verringert werden könnte. Stattdessen könnte überlegt werden, ob nicht der Rückgang von notwendiger Arbeit einfach akzeptiert werden, ja sogar begrüßt werden sollte. Wenn neue Technologien die Arbeit erleichtern und die Arbeitszeit des Menschen verkürzen, sollte dann die neu gewonnene Zeit nicht für die Ausdehnung der Freizeit genutzt werden? Freilich solche Gedanken sind im Kapitalismus absurd. Einsparung von Arbeitskraft heißt hier, Einsparung von Kosten bei steigendem Profit und als Bonus gibt’s den Nebeneffekt, daß bei hoher Arbeitslosigkeit die Gewerkschaften zu allem bereit sind. Da wird auf Lohn verzichtet, länger gearbeitet usw. Die fröhlichen gewerkschaftsverachtenden selbstausbeuterischen 60-Stunden Tele-ArbeiterInnen prägen immer mehr die öffentliche Meinung und es ist geradezu ein Zwang zum Spassss bei der Arbeit zu spüren.

Und hier liegt das Kardinalproblem: All das Gesagte klingt vielleicht ganz nett und die Anekdote vom Fischer leuchtet ein, aber da ist eben noch der Kapitalismus, der seine Schäfchen nur überleben läßt, wenn sie bereitwillig ihre Arbeitskraft verkaufen. Wer also abhängig beschäftigt ist und sich der Faulheit hingibt, der wird schlicht verarmen.

Das heute dominierende Gesellschaftsmodell in dieser Welt steht also den schönen Thesen der Faulheit im Wege. Im Kapitalismus ist nichts Gutes für die Masse der Menschen herauszuholen. Folgerichtig lösen sich die VertreterInnen des “Rechts auf Faulheit” von überkommenen Gesellschaftsstruk-turen und sprengen frech (gedanklich) die Fesseln dieser Strukturen. Sie fordern ein Verbot der Arbeit: Jeder und jede darf nicht mehr als drei Stunden am Tag arbeiten! So sei gewährleistet, daß die notwendige Arbeit getan wird und gleichzeitig genug Zeit für das eigene Leben bleibt.

Hier könnte (den Kapitalismus verinnerlicht) entgegnet werden, daß ja dann niemand mehr in der Lage ist, durch Fleiß und Arbeit zu Wohlstand zu kommen und sich von den anderen abzuheben. Genau das ist aber das Gute daran! Durch eigenen Fleiß und eigene Arbeit ist noch nie jemand zu Wohlstand gekommen, sondern immer nur durch den Fleiß und die Arbeit anderer, die er oder sie sich angeeignet hat. Und daß sich niemand mehr durch übermäßige materielle Wertanhäufung von anderen abheben kann, führt zum Abbau der gnadenlosen Konkurrenz jede/r gegen jede/n und kann also auch nicht für schlecht befunden werden.

Drei Stunden Arbeit pro Tag im Kapitalismus sind undenkbar. Der Kapitalismus müßte also notwendigerweise überwunden werden, damit die Faulheit Einzug halten könnte. Ganz konkret müßte dafür gesorgt werden, daß die Arbeit nicht mehr als Überlebensvoraussetzung gilt. Marx meinte dazu, daß das “Reich der Faulheit” erst dort beginne, wo “das Arbeiten, das durch Not und Zweckmäßigkeit bestimmt ist” aufhöre. Da hat der gute Mann wohl wieder mal Recht gehabt.


Angenommen, alle Arbeit würde nach den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet sein und nicht nach der Aussicht auf Profit. Angenommen Armeen, Rüstungsindustrien, Geheimdienste und andere Freiheitsbeschränkungsverwaltungsapparate würden abgewickelt und so zusätzliche Arbeitskräfte freigesetzt. Und angenommen die Arbeit ist nicht mehr notwendiges Übel, um überleben zu können. Dann würde das Modell der Faulheit möglicherweise funktionieren.

Damit wäre auch das Ziel der materiellen Gleichheit der Menschen – und damit der Gerechtigkeit – machbar. Heute ist in den sog. “westlichen Demokratien” die formale Gleichheit der Menschen weitgehend durchgesetzt. Jede/r hat also formal die gleichen Rechte aber auf Grund materieller Ungleichheiten können diese Rechte nur von einigen genutzt werden. So haben der Millionär und die Bettlerin gleichermaßen das Recht unter einer Brücke zu schlafen, wie sie das Recht haben sich einen Mercedes zu kaufen. Bei nur formaler Gleichheit ist klar, wer von welchem Recht Gebrauch machen wird. Bei materieller Gleichheit würde es ganz von der Lust und Laune abhängen wer wann welches dieser Rechte wahrnimmt (bis es soweit ist, fährt der Mercedes auch mit Rapsöl und heißt außerdem nicht mehr Mercedes – Faulheit bei verpesteter Luft ist schließlich auch nix).

Jede/r hätte also ein minimales Pensum zu arbeiten, damit der Rest der Zeit für “das Leben” zur Verfügung steht.

Sicher sind die von den “FaulheitsvertreterInnen” geforderten drei Stunden Arbeit pro Tag zu pauschal. Schließlich müssen die Trauben für den Wein von den Reben gepflückt werden, wenn sie reif sind und das Theater muß geöffnet haben, wenn sich die Leute unterhalten lassen wollen usw. usf. Aber der Gedanke, statt immer mehr Arbeit – und damit immer mehr Ausbeutung – zu fordern oder gar Rüstungsstandorte der Arbeitsplätze wegen zu verteidigen, eher immer mehr zeitlichen Freiraum zur selbstbestimmten Gestaltung zu fordern, erscheint logisch und erstrebenswert.

Volker





Empfehlenswerte Literatur zum Thema:


  • Ahrendt, Hannah, Vita activa oder Vom tätigen Leben, 1998

  • Beck, Ulrich, Schöne neue Arbeitswelt. Vision: Weltbürgergesellschaft, 1999

  • Böll, Heinrich, Erzählungen, 1997

  • Lafargue, Paul, Das Recht auf Faulheit. Und andere ausgewählte Texte, 1988




back