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Chilenische Nächte

Bericht über die Polizeigewalt in Genua während und nach dem G8-Gipfel



Donnerstag, den 19.7.2000

Auftakt der Proteste war eine große gemeinsame Demonstration am Donnerstag, dem 19.7. für die Rechte von MigrantInnen. An ihr nahmen ca. 20.000-40.000 Menschen der verschiedensten Gruppierungen, u.a. auch AktivistInnen des sogenannten "black bloc" teil. Weil an der Demonstration u.a. viele MigrantInnen mit unsicherem oder keinem Aufenthaltsstatus teilnahmen, sollte, um diese Menschen nicht zu gefährden, die Demonstration möglichst friedlich und ohne Zwischenfälle verlaufen, was auch geschah. Die Polizei hielt sich am Donnerstag ebenfalls weitgehend zurück und beschränkte sich darauf, die Straßen, die nicht zur Demonstrationsroute gehörten abzusperren.


Freitag, den 20.7.2000

Für Freitag, den Tag an dem der G8-Gipfel begann, gab es ein Konzept vieler kleiner Demonstrationen und Aktionen in der Nähe der abgesperrten "roten Zone" des Gipfels. Hier sollte die Vielfalt der Bewegung aufgezeigt werden und jede Aktionsform, ungestört von anderen, ihren Platz finden. So gab es Straßenfeste, Sitzblockaden, friedliche Demonstrationen, symbolische Aktionen bis hin zu Gruppen, die versuchten militant in die rote Zone einzudringen, um das G8-Treffen so direkt zu stören. Desweiteren gab es sogenannte Themenplätze, wo Aktionen zu bestimmten Themen durchgeführt werden sollten.

Wer sich an diesem Tag einem der sogenannten "black bloc's" angeschlossen hatte, konnte den Eindruck einer weiterhin sehr deeskalativen bis nahezu passiven Polizei gewinnen. Konzept des "black bloc" war es, in die rote Zone einzudringen und den G8-Gipfel zu stören. Dies wurde von der Polizei jedoch den ganzen Tag über souverän vereitelt. Der "black bloc" versuchte den ganzen Tag über immer wieder von verschiedenen Stellen an die "rote Zone" heranzukommen, wurde jedoch jedesmal sofort mit massivem Tränengaseinsatz wieder verjagt, wobei die Polizei den DemonstrantInnen jedoch nicht folgte. Hilfsweise bestand beim "black bloc" das Konzept, überall in der Stadt Symbole des Kapitalismus anzugreifen. Dies wurde dann auch getan, so daß über mehrere Stunden diverse Banken zerstört, Autos abgebrannt, Schaufensterscheiben eingeworfen, brennende Straßenbarrikaden errichtet, ein Supermarkt geplündert, ja sogar ein Gefängnis angegriffen wurde. Bei all diesen Aktionen war weit und breit keine Polizei zu sehen. Man hatte den Eindruck, die Polizei wolle lediglich die "rote Zone" verteidigen und lasse den DemonstrantInnen ansonsten absolut freie Hand.

Dies war jedoch weit gefehlt, denn es traf eben nur auf das kleine Grüppchen von ca. 400 Leuten des sogenannten "black bloc's" zu. Die meisten anderen Demonstrationen wurden von der Polizei von Anfang an massiv und auf brutalste Weise angegriffen. Die "black bloccers" erfuhren davon erst, als sie auf ihrem Rückweg durch die Stadt sehen mußten, daß auf der großen Haupstraße, auf der die Demonstration der sogenannten "tutti bianchis" mit mehreren Tausend Menschen stattgefunden hatte, überall zerrissene Kleidungsstücke und Demonstrationsausrüstung sowie große Blutflecken lagen, teilweise lagen daneben blutverschmierte Mützen. Schließlich mußten sie erfahren, daß im Zuge der Auseinandersetzungen Carlo Giuliani erschossen wurde.

Dazu muß gesagt werden, daß der "black bloc" nicht der einzig militant agierende Block an diesem Tag war, sondern daß an zahlreichen Stellen in der Stadt von verschiedensten Gruppen und Demonstraionszügen militante Aktionen ausgingen. Teilweise war dies so geplant und teilweise gingen DemonstrantInnen entgegen ihrem eigentlichen Konzept zu Miltanz über, nachdem sie massiv von der Polizei angegriffen wurden. So auch der Demonstrationszug der tutte bianchis aus Italien.


Samstag, den 21.7.2000

Am Samstag sollte es eine große Demonstration aller Protestierenden geben. Hier wurde endgültig deutlich, daß die italienische Polizei völlig wahllos brutalste Gewalt gegen jeden, der es gewagt hatte an diesem Tag auf die Straße zu gehen, anwendete. Der riesige, bis dahin friedliche Demonstrationsszug von ca. 150.000 - 300.000 Menschen wurde urplötzlich von allen Seiten, sogar von Hubschraubern aus der Luft, mit Tränengas beschossen, so daß die Menschen verstreut wurden. Von da an griff die Polizei den ganzen Tag in der Stadt die nun mehreren Demonstrationszüge völlig willkürlich und grundlos an. Panzerwagen rasten längs durch die Demonstrationszüge, obwohl es für die Menschen keine Ausweichmöglichkeit gab. Menschen sprangen in Panik mehrere Meter hohe Mauern hinunter und verletzen sich schwer. In dieser Situation wurde - u.a. auch noch vom Meer und von Hubschraubern aus weiter mit Tränengas geschossen und Polizistengruppen prügelten auf panische, fliehende und liegengebliebene Menschen ein. Immer wieder wurde berichtet, daß die Polizei- und Carabinierieinehiten auch auf völlig Wehrlose, auf Menschen mit erhobenen Armen und auf bereits Verletzte einprügelte und dabei ersichtlich größte Freude an den Schmerzen der DemonstrantInnen und brutalen Quälereien hatten.

"Es kam zu Verfolgungsjagden durch ganz Genua. Wer alleine bleibt wird verfolgt und zusammengeschlagen. Hunderte Personen bezeugen die Verfolgung und Verprügelung von Personen, nur weil diese als Demonstranten erkannt werden. Die Polizei verprügelt einen Journalisten der Sunday Times, An einem ruhigen Ende der Demo, auf der Strandpromendade, wird plötzlich von einem Dach Tränengas abgeschossen, wodurch eine Panik ausgelöst wird...es kommen Lastwagen der Polizei vorbei, von denen aus uns zugerufen wird: Wir bringen Euch alle um!"1

Eine andere Betroffene erzählt, daß sie mit einigen anderen, nach einem Polizeiangriff auf die Demonstration in eine Seitenstraße flüchtete, als sie merkte, daß ihnen ca. 8-10 Polizisten gefolgt waren. Sie hoben die Hände und versuchten zu vermitteln, daß sie absolut friedliche DemonstrantInnen seien. Allesamt wurden jedoch für mehrere Minuten brutal mit Schlagstöcken verprügelt, ohne daß sie auch nur irgendeine Art von Gegenwehr zeigten. Die Polizisten traten sie in den Rücken und schlugen immer wieder auf die Köpfe. Mehrere der DemonstrantInnen waren über und über mit Blut bedeckt. Während einer der Verprügelten laut weinte, schrie und schon überall blutete schlugen die Polizisten ihn mit offensichtlichem Vergnügen immer wieder abwechselnd auf den Kopf (er mußte später weggetragen werden). Die betroffene Augenzeugin berichtet, von da an zu Tode geängstigt und auf alles gefaßt gewesen zu sein.

Ein weiterer Betroffener berichtet, daß er mit einigen anderen in einer kleinen Seitenstraße grundlos von der Polizei verhaftet wurde. Dabei wurde er von einem Carabinieri immer wieder angeschrien, zu Boden zu schauen. Ein Mitverhafteter wurde von mehreren Polizisten bis in die Bewußtlosigkeit geprügelt, so daß er später im Polizeiauto fast erbrechen mußte. Im Polizeiauto sitzend machten die Polizisten von draußen mit den Fingern Kreuze ans Fenster oder symbolisierten mit dem Finger "Kopf ab", wenn man ihnen in die Augen schaute.

Über den Tag wurden Hunderte Verletzte in Krankenhäuser gebracht. Auch beim Sitz des Genoa Social Forums gab es eine kleine Verletztenstation. Den ganzen Tag über wurden hier alle paar Minuten, teilweise schwer Verletzte angebracht. Ebenfalls im Minutentakt kamen Menschen von der Demonstration zurück - mit verbundenen Armen, blutenden Platzwunden, blauen Augen, humpelnd etc . . .

Schon seit Freitag, aber verstärkt dann am Samstag gab es immer wieder Berichte von Leuten, die weit abseits von jeglichem Demonstrationsgeschehen oder auch lange nach den Demonstrationen oder noch davor völlig willkürlich von vorbeifahrenden Carabinieri's mit gezogenen Waffen mit Morddrohungen bedacht oder in eine Ecke geschleift, dort übel verprügelt und teilweise dann auch verhaftet wurden. In der ganzen Stadt verbreitete sich dadurch eine Atmosphäre der Angst vor solch willkürlichen Übergriffen und Verhaftungen.


Der Überfall auf die Diaz-Schule

Doch damit nicht genug. Am selben Tag gegen 24 Uhr überfiel eine Sondereinheit der Polizei die Diaz-Schule und das Genoa Social Forum(GSF)-Gebäude, die sich beide in derselben Straße direkt gegenüber befanden. Die Diaz-Schule war eine seit dem Freitag vom GSF zur Verfügung gestellte Räumlichkeit, die von DemonstrantInnen vor allem zum Übernachten genutzt wurde. Insbesondere DemonstrantInnen, die sich durch die Ereignisse der Vortage auf den Campingplätzen der Stadt zu unsicher fühlten, hatte es hierher gezogen, da sie dachten, in der Nähe des GSF vor plötzlichen Polizeiüberfällen sicherer zu sein. Völlig falsch waren die von italienischen Politikern und Medien geäußerten Unterstellungen, hier hielte sich ein Großteil des sogenannten black bloc's auf, horte hier Waffen und Molotov-Cocktails und nutze die Schule, um seine Aktivitäten zu koordinieren. Ganz im Gegenteil schlief hier ein guter Querschnitt durch die verschiedenen Strömungen der DemonstrantInnen; junge und alte; anarchistische und dogmatische; - friedliche und auch ein paar vielleicht militante. Nach dem Überfall wurden als Beweise für Waffen zahlreiche Holzlatten u.ä. vorgelegt, die die Polizei angeblich in der Schule gefunden hatte. Dazu muß gesagt werden, daß die Schule gerade saniert wurde, teilweise eingerüstet war und durch die Bauarbeiten an verschiedenen Stellen in der Schule Baumaterial, wie z.B. Holzlatten herumlagen. Desweiteren hatten die Polizisten während der Aktion alle Gepäckstücke in eine Ecke der Schule geworfen und diese durchsucht. Dabei fischten sie gezielt alle schwarzen Kleidungsstücke aus den Rucksäcken und packten sie auf einen speziellen Haufen, den sie später mitnahmen. Die meisten Kleidungsstücke waren jedoch nicht schwarz - die interessierten sie aber nicht.

Die vermummten Polizisten stürmten ohne Vorwarnung in die Schule. Sie fingen sofort an, auf die teilweise schon schlafenden DemonstrantInnen einzuprügeln. Augenzeugen berichten, daß es von diesen keinerlei Gegenwehr gab. Alle waren nur in Panik und versuchten noch irgendwie zu entkommen.

Die Polizisten schlugen gezielt immer wieder auf die Köpfe und in die Gesichter. Dem Freund eines Augenzeugen wurde von einem Polizisten abwechselnd immer wieder mit dem Schlagstock in den Rücken geschlagen und dann eine Dreadlock abgeschnitten. Später sah er den Polizisten wieder - er hatte sich die Dreadlocks wie einen Skalp am Gürtel befestigt. Ein anderer Demonstrant versuchte mit anderen vom 1.Stock des Gebäudes über das Baugerüst zu fliehen. Als er jedoch noch jemandem beim Ausstieg aus dem Fenster half, wurde er von einem Schlagstock so hart am Hinterkopf erwischt, daß er sofort im Treppenhaus zu Boden fiel. Auf dem Boden liegend wurde er nun ca. eine Viertelstunde von Polizisten mit Schlagstöcken geschlagen, getreten und beschimpft. Dabei erlitt er zwei Platzwunden am Hinterkopf, von denen eine später genäht werden mußte, sowie einen komplizierten Unterarmbruch. Ein weiterer Betroffener hatte viele Platzwunden. Ein Polizist sprühte ihn dann von oben bis unter mit einem Feuerlöscher voll, was dem Verletzten unglaubliche Schmerzen bereitete.

Ein Journalist, der sich in der Schule befand, hatte sich zu Beginn der Aktion extra etwas von den anderen separiert, alleine in eine Ecke gesetzt und seinen Presseausweis vor sich gehalten, einerseits um die Aktion zu beobachten, andererseits in der Hoffnung die Polizisten würden ihn so nicht pauschal wie "irgendeinen" Demonstranten behandeln. So sah er, wie die Polizei in das Gebäude stürmte und als erstes mehrere Tische, die im Türbereich standen meterweit quer durch den großen Raum warfen. Sehr schnell waren auch mehrere Polizisten bei ihm und fingen an auf ihn einschlagen, so daß er nach einer Weile vor Schmerzen seine Pressekarte fallenließ und die Arme senken mußte. Daraufhin trafen ihn die Schläge dann auch auf Kopf und Schultern und einer auf das Ohr, auf dem er dann nichts mehr hören konnte. Ein Polizist schrie ihn immer wieder an "Where's your Giuliani?" und "Where's the black bloc now?". Ein anderer schlug auf ihn mit einem richtigen Ast von einem Baum ein, der ca. 5 Zentimeter Durchmesser hatte. Als die Polizisten einfach nicht aufhören wollten, krümmte er sich auf der Erde zusammen, woraufhin die Polizisten nun auch noch auf ihn eintraten und immer weiterschlugen. Auf der einen Körperhälfte trug er davon von oben bis unten Verletzungen davon. Weil die Polizisten einfach nicht aufhörten auf ihn einzuschlagen und einzutreten fing er an zu fürchten, sie würden ihn totschlagen. Der Journalist beschreibt die Polizisten als total aufgeputscht und in unbeschreiblicher Rage, mit hassverzerrtem Gesicht, wie unter Drogen und ihn wie einen Gegenstand anstarrend, gar nicht als Menschen wahrnehmend. Irgendwann ließen sie dann von ihm ab, wodurch er wieder etwas von der Umwelt wahrnehmen konnte, nämlich, daß in dem gesamten Raum ein unglaublich lautes Gebrülle, verzweifeltes Geschreie und Gewimmere herrschte. Später mußte er sich dann in eine Ecke zu allen anderen legen, die er nur noch als einen wimmernden und unheimlich stark blutenden Haufen beschreiben konnte. Dann fingen die Polizisten an das ganze Gepäck zu durchsuchen, ohne die teilweise Schwerstverletzten weiter zu beachten. Auf vereinzelte "docktor, docktor"-Rufe wurden sie lediglich zur Ruhe angehalten. Erst nach der Durchsuchung wurden zunächst zwei bis drei Sanitäter hereingelassen, die hoffnungslos überfordert waren. Später wurden einige Sanitäter mehr hereingelassen.

Dann begann der Abtransport der Gefangenen (alle, die es nicht geschafft hatten zu entkommen, wurden verhaftet). Von den 93 Verhafteten mußten über 60 auf einer Trage herausgeschafft werden. Für die aus dem GSF-Gebäude nur zum Zusehen verurteilten JournalistInnen und anderen DemonstrantInnen bot sich ein Bild des Schreckens. Blutüberströmt, teilweise ohnmächtig, mit großen Kopfverletzungen, zuckend, zitternd und teilweise abgedeckt wurden die Leute herausgetragen. Genauso, als sie ca. eine Stunde später, nachdem die Polizei weg war, in die jetzt leere Schule hineingingen: ". . . an mehreren Stellen im Gebäude waren Blutlachen auf dem Boden, an den Wänden, an einer Stelle auch ein ca. 1m langes Brett dessen Ende voller Blut war, daneben an der Wand ein großer Blutfleck; einige Blutlachen im Gebäude sahen besonders krass aus, da das Blut sehr dick und dunkel und stellenweise mit leberfarbigen Verdickungen durchsetzt war."2 2 Viele der Verhafteten wurden zunächst in ein Krankenhaus gebracht und dort notdürftig behandelt. Nach Angaben einer Krankenhausangestellten aus dem San Martino Krankenhaus in Genua waren die Verletzten in einem unvorstellbaren, furchtbaren Zustand. Sie berichtete von multiplen und komplizierten Frakturen, eingeschlagenen Schädeln und ausgeschlagenen Zähnen. Nach ihren eigenen Angaben hatte sie so etwas noch nie erlebt oder gesehen. Ein Deutscher mußte noch in der Nacht an der Schädeldecke operiert und künstlich beatmet werden. Zumindest ein anderer schwebte für einige Zeit in Lebensgefahr. Der Journalist wurde in einem Wagen mit einem Deutschen abtransportiert, der in panischer Angst immer wieder schrie, weil er seine eine Gesichtshälfte nicht mehr spürte und dachte, er sei gelähmt oder ähnliches. Dabei waren sie ständig unter Polizeibewachung - das ganze Krankenhaus wimmelte nur so von Polizisten, die demonstrativ weiterhin ihre Gummiknüppel trugen. Weder Abgeordnete, noch Anwälte wurden in das Krankenhaus hineingelassen. Die meisten der Verhafteten liefen oder saßen laut dem Augenzeugenbericht des Journalisten völlig traumatisiert herum, starrten vor sich hin, murmelten mit sich selbst oder wimmerten. Er traf hier eine Bekannte wieder, der bis auf einen, sämtliche vorderen Zähne ausgeschlagen wurden - sie war so stark traumatisiert, daß sie ihn gar nicht erkannte und die ganze Zeit nur vor sich hin wimmerte. Nach der Behandlung wurden alle Verhafteten in einer dunkle und kalte Ecke des Krankenhauses gesammelt, wo sie weiterhin stark bewacht wurden, wobei sich die Polizisten über die sichtlich stark Mitgenommenen immer wieder lustig machten oder sie dumm anmachten. Vom Krankenhaus aus ging es dann schließlich auf das Polizeirevier Bolzaneto. Auf dieser Fahrt saß der Journalist in einem Wagen mit einem Spanier, dem das ganze Bein eingegipst wurde - es war ihm dreimal gebrochen worden. Außerdem war seine gesamte andere Körperhälfte größtenteils dunkelblau. Viele der Verhafteten hatten am ganzen Körpen, meist auf Oberschenkeln, am Rücken oder der Seite riesige dunkelblaue Flecken.


Das Polizeirevier Bolzaneto

In Bolzaneto angekommen warteten schon eine ganze Menge Polizisten, die sich sichtlich über die Ankunft freuten und klatschten. Die Polizisten begrüßten sich teilweise mit Hitlergruß. Die Gefangenen wurden von Anfang an eingeschüchtert. So wurden allen mit Stiften große Kreuze auf die Wangen gemalt und sie wurden angeschrien, wobei immer wieder die Worte "black bloc" fielen. Danach mußten sie alle im geduckten Gang in eine große Zelle gehen, wobei ihnen auch die Köpfe so weit wie möglich heruntergedrückt wurden. Für viele war dies eine absolute Tortur, da sie ohnehin aufgrund iherer schweren Verletzungen kaum normal gehen konnten. Dabei wurden sie von rechts und links immer wieder getreten, geschlagen und geschubst, wenn sie nicht tief genug gingen. Männer und Frauen wurden hier getrennt. Die Frauen mußten (nach alledem) für weitere 19 Stunden mit erhobenen Händen an der Wand stehen - auch die mit gebrochenen Armen oder Beinen. Einer Frau, der bei dem Überfall auf die Schule durch einen Knüppelschlag gegen die erhobenen Arme ein Arm gebrochen wurde, erhielt erst am Dienstag medizinische Behandlung, als sie den Arm schon kaum noch bewegen konnte und ihn schon kaum noch spürte. Die Frau mit den ausgeschlagenen Zähnen hatte mittlerweile einen völlig aufgeschwollenen, immer noch blutenden Mund und war weiter Belustigungsobjekt für die Polizisten. Sie zwangen sie mehrmals ihren Namen zu sagen, was sie aufgrund ihrer starken Verletzung (der Kiefer war offensichtlich gebrochen) nicht mehr richtig konnte. Daraufhin wurde sie beschimpft und geschlagen. Auch die Männer mußten sich alle an die Wand stellen. Eine Person, der vorher die Beine gebrochen wurden konnte nicht stehen, wurde weiter geschlagen, bis sie sich irgendwie hingestellt hatte. Die Polizisten drohten: "Wenn ihr euch bewegt, werdet ihr erschossen." Es hagelte weiter Schläge, Tritte, Beschipfungen und Drohungen. Wer nach stundenlangem Stehen Schwäche zeigt und die Arme etwas sinken läßt wurde sofort geprügelt. Es wurden sogar kleine Menge Tränengas in die Zellen gesprüht, woraufhin eine Person Blut erbrach. Die Polizisten nannten dies "Zwiebelbömbchen". Im ganzen Gebäude waren immer wieder Schmerzens- und Angstschreie zu hören. Von den Polizisten kamen offen immer wieder faschistische Sprüche wie "hasta la victoria siempre" bei gleichzeitigem Hitlergruß oder "scheißjüdische Zigeunerin", "schwule Kommunisten", "viva il Duce", "uno, due, tre, viva Pinochet". Die Gefangenen wurden teilweise gezwungen faschistische Lieder zu singen. Einer berichtet, daß er "Che Guevara - Arschloch" sagen sollte und bis in die Bewußtlosigkeit geprügelt wurde, als er es einfach nicht laut genug tat. Offen hingen auf der Wache Mussolini Bilder u.ä. herum. Immer wieder wurde geschlagen, beleidigt und provoziert mit Sprüchen wie "Abschaum der Gesellschaft", "Bastard", "Schwuli" etc. Bei der geringsten Reaktion oder Antwort hagelte es Schläge. Den ganzen Tag über bis zum Abend durfte keiner auf Toilette gehen, so daß sich viele in die Hosen machen mußten, wofür es auch wieder Schläge gab.

In der italienischen Zeitschrift "republica" berichtete ein italienischer Polizist entsetzt über die Verhältnisse in Bolzaneto: "Sie mußten sich an die Wand stellen. Dort wurden sie mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen. Einige Polizisten haben dann gegen Gefangene uriniert. Sie wurden zusammengeschlagen und mußten "faccetta nera" (eine faschistische Hymne) singen. Ein Mädchen erbrach Blut und die Polizisten sahen dabei zu. Anderen Mädchen wurde angedroht, sie mit Schlagstöcken zu vergewaltigen . . . "

Nach den Erlebnissen der Vortage, in der Schule und in Bolzaneto und teilweise über 16 Stunden an der Wand-Stehen berichten viele Gefangene, daß sie anfingen zu halluzinieren, Bilder auf dem Boden sahen etc. Für viele war es besonders schlimm nicht zu wissen wie lange das ganze noch so weitergeht sowie das Gefühl des totalen Ausgeliertseins gegenüber einer faschistischen Polizeimeute.

Ähnliche Berichte gibt es auch von DemonstrantInnen, die schon am Samstag tagsüber verhaftet und nach Bolzaneto gebracht wurden. Überall in den Zellen und Gängen liefen die Polizisten aggressiv schreiend und willkürlich schlagend oder tretend umher und versetzten die Verhafteten so regelrecht in Todesängste. So beschreibt ein Betroffener den Empfang dort, wie das Geschrei in einem Fußballstadion, als seien die Gefangenen eine Art Kriegsbeute. In der Zelle wurde ihm befohlen sich nackt auszuziehen und dann Kniebeuge zu machen. Ein Zelleninsasse wurde aus der Zelle gezogen und später im Rollstuhl mit gebrochenen Füßen wieder hineingefahren. An der Wand stehend bekam man schon die Panik, denn in Stirnhöhe an der Zellenwand befanden sich oft schon Blutspuren. Überhaupt war für viele das schlimmste, während der ganzen Zeit dort permanent jeden Augenblick mit Schlägen rechnen zu müssen. Viele wurden unter Schlägen gezwungen italienische Dokumente, die ihnen nicht übersetzt wurden, zu unterschreiben.


Verhaftung von 10 Deutschen am 23.7.

Am Abend des 23. 8. wurde die Gruppe ca. 20 km außerhalb von Genua von der Polizei durchsucht und daraufhin verhaftet. Zuvor wurde das Auto bereits zweimal von Polizisten durchsucht, ohne daß es dabei Probleme gab. Bei der Verhaftung verhielten die Polizisten sich äußerst aggressiv und schlugen eine Person mit einem Radmutterschlüssel. Sofort nach dem Eintreffen auf dem Polizeirevier wurde angefangen die Festgenommenen zu schlagen und zu treten. Dabei wurden sie mit für sie unverständlichen italienischen Befehlen angeschrien, zu Boden geworfen und zusammengetreten. Anschließend mußten sie sich ausziehen und wurden erfolglos auf eventuelle Verletzungen durchsucht, die von Auseinandersetzungen mit der Polizei auf den Demonstrationen herrühren könnten. Nach dem Anziehen wurden sie für weitere 3 Stunden massiv mißhandelt. Trotz deutlich sichtbarer Verletzungen und hörbarer Schmerzen wurden sie von insgesamt zwanzig Polizisten mit wechselnder Besetzung immer wieder verprügelt. Sie mußten sich auf den Boden hocken, wurden beschimpft, mußten Polizistenstiefel küssen, wurden mit den Köpfen gegen Wände geschlagen, es wurde Hundekommando "gespielt" und Polizisten stellten sich auf ihre Hüften und quetschten sie. Auch nachdem sie in eine Zelle gesperrt wurden, wurden sie weiter verbal attakiert, angespuckt und ausgelacht.

Schließlich erfuhren sie die erlogenen Gründe für ihre Verhaftung: bei der Verhaftung weggerannt, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Verletzung eines Polizisten bei der Verhaftung. Als Beweis für die angeblichen Auseinandersetzungen bei der Verhaftung wurden die während der Mißhandlungen entstandenen Verletzungen angeführt. Nach mehr als sieben Stunden Mißhandlungen durch die Polizei wurden sie gegen 5 Uhr morgens unter weiteren Schlägen ins Gefängnis transportiert.

Den männlichen Gefangenen erging es dann im Gefängnis nicht viel besser. Auch dort wurden sie, jetzt vom Gefängnispersonal mißhandelt, geschlagen, bedroht und eingeschüchtert. So wurden sie zB auch hier unter Schlägen gezwungen die Begrüßung mit dem Hitlergruß ebenso zu erwidern . . .

Schließlich wurde eine absolut lächerliche Anklage gegen die zehn zusammengeschustert. Angeblich wären sie Mitglieder der kriminellen Vereinigung "black bloc". Als Beweismittel dienten einige dunkle Kleidungsstücke, sowie das Autowerkzeug und Campingzubehör, daß sie bei sich hatten. Aufgrund dieser Anklage blieben die zehn über 5 Wochen mit mehreren Haftprüfungsterminen in Haft. Erst als bei einem weiteren Haftprüfungstermin ein neuer Richter (die andere war gerade im Urlaub) die Sache begutachtete wurden sie wegen der völligen Lächerlichkeit der Beweise endlich freigelassen.


Die Festnahme der internationalen Theaterkarawane

Eine ca. 15köpfige internationale Theatergruppe war während des G8-Gipfels ebenfalls in Genua. Sie führten dort auf den Straßen zahlreiche Theaterstücke auf. Am Sonntag dem 22.7. wollten sie dann aufgrund der vielen schrecklichen Ereignisse Genua verlassen. Endgültiger Auslöser war ein Mann, der Sonntag Mittag in ihr Camp kam, um seine Freunde zu suchen. Ihm war von Polizisten die ganze Nase von der einen Gesichtshälfte auf die andere geschlagen worden und sein ganzes Gesicht war von Tränengas oder Säure verätzt.

Auf einem Parkplatz wurden sie dann von der Polizei kontrolliert. Zunächst wurde aber die gesamte Bevölkerung, die sich angesammelt hatte, um die Sache zu beobachten, außer Sichtweite gedrängt. Ein Mitglied der Karawane wollte erklären, daß sie eine Theatergruppe seien. Er zeigte den Polizisten ihre Projektmappe und versuchte alles zu erklären. Die Plizisten interessierten sich jedoch nicht dafür und fischten gezielt alle schwarzen Textilien aus dem Gepäck, um sagten dann: "black bloc!". Außerdem nahmen sie die Jonglierkeulen und Küchenmesser als angebliche Beweismittel an sich. Schließlich meinte einer der Polizisten: "So jetzt habt ihr drei Tage Euer Fest gehabt und das wird jetzt unseres.

Anschließend spiegelten die Polizisten den Theaterleuten eine regelrechte Erschießungsszene vor. Sie mußten sich alle in einer Linie mit den Gesichtern zur Wand, den Beinen gespreizt und den Händen erhoben an den Bus stellen. Dann traten die mit Maschinenpistolen bewaffneten Polizisten ein paar Schritte zurück und es folgte eine mehrminütige Stille. Die Verhafteten berichten, daß sie nur noch auf die Schüsse gewartet hätten.

Danach fuhren sie zu einer Polizeiwache nach Genua, wo wie schon soviele zuvor geschlagen, getreten, gedemütigt und bedroht wurden. Wieder Hitlergrüße, wieder sexistische Anspielungen und Vergewaltigungsandrohungen. Ein Polizist hatte sogar eine Hakenkreuztätowierung auf der Hand. Auch hier wurden die Gefangenen wieder unter Schlägen gezwungen unverständliche Dokumente zu unterschreiben.

Nachdem die Theaterleute dann von den Polizisten an die Gefängnisbeamten übergeben wurden, wurde es noch schlimmer. Einer mußte sich nackt ausziehen, mußte Kniebeuge machen und wurde immer, wenn er unten war in die Genitalien getreten. Stundenlang mußten sie mit erhobenen Händen und nach außen gedrehten Handflächen, wodurch sich nach kürzester Zeit Unterarmkrämpfe einstellten, an der Wand stehen. Bei jedem Versuch, die Hand zu bewegen, gab es Schläge. Auf die Toilette gehen wollen hieß zwei bis drei Schläge. Die Bitte um einen Arzt aufgrund der starken Schmerzen wurde ignoriert. Auch die Theaterleute bezeichnen als einen der schlimmsten Faktoren das Bewußtsein jeden Augenblick wieder geschlagen oder getreten zu werden. Die Prozedur dauerte die ganze Nacht, ohne daß die Verhafteten schlafen durften. Auch beim Transport in das Gefängnis am nächsten Tag schlugen die Polizisten jedesmal, wenn jemand eingeschlafen war von außen an das Gitter und riefen "Viva il Duce" oder "Mussolini".

Einen Anwalt bekamen sie zum ersten Mal am Teg der Haftprüfung für ganze zehn Sekunden zu sehen. Der sprach kaum englisch und es konnte in der kurzen Zeit natürlich überhaupt nicht beredet werden. Auch die Theaterleute kamen erst nach mehrwöchiger Haft aus der Untersuchungshaft frei.


Genua-Bilder


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1aus der Übersetzung eines italienischen Augenzeugenberichtes.

2aus einem Gedächtnisprotokoll.