akj



Home

Aktuell

Erklärungen

das
freischüßler

      Ausgabe 1/99
     
Ausgabe 2/99
     
Ausgabe 3/99
     
Ausgabe 1/00
     
Ausgabe 2/00
     
Ausgabe 3/00
     
Ausgabe 1/01
      Ausgabe 2/01
     
Ausgabe 1/02
     
Ausgabe 1/03

      Ausgabe 2/03
      Ausgabe 1/04

      Ausgabe 1/05

      Ersti-Heft

Vorträge

Projekte

Seminare

Links

Impressum



Generalverdacht AraberIn

Zur Rasterfahndung an den Berliner Hochschulen



Es ist Herbst in Deutschland. Diesmal aber wird es kein deutscher, sondern ein arabischer Herbst wie es scheint. Im deutschen Herbst von 1977 jagte die Polizei die EntführerInnen des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer. Im Herbst 2001 jagt sie Bin Laden und seine SchläferInnen. Jenen FeindInnen der westlichen Zivilisation, die unsere dekadente Fiktion von der inneren Sicherheit mit den Türmen des World Trade Centers am 11. September 2001 zum Einsturz brachten.

Aber Politik und Sicherheitsbehörden sind bemüht, uns wieder ruhigen Nachtschlaf zu bescheren. Von der Bombardierung Afghanistans bis zur Rasterfahndung gegen arabische Menschen präsentieren sie die Stärke der Zivilisation auf Kosten der in der Öffentlichkeit als potentielle TerroristInnen stigmatisierten Bevölkerungs- und Religionsgruppen. Auf den Anschlag gegen die Symbole der Freiheit von Kapital und Macht folgt der Angriff auf die Freiheit des Menschen und den demokratischen Rechtsstaat. In der allgemeinen Hilflosigkeit nach den schrecklichen Anschlägen in New York wittern Law-and-Order-Politiker die Chance, ihre sicherheitspolitischen Wunschbefugnislisten durchzusetzen. Obwohl bekannt ist, daß die pauschale sicherheitsbehördliche Überwachung nur Informations- und Datenberge produziert, deren sinnvolle Auswertung auch mit modernsten Hilfsmitteln unmöglich ist, führt der seit einiger Zeit anhaltende kurzblickig-hektische Aktionismus bei der Forderung nach „innerer Sicherheit“ zum konsequenten Abbau von Grund- und Freiheitsrechten zugunsten von Maßnahmen, die regelmäßig ungeeignet sind, mehr „Sicherheit“ zu schaffen.

Ganz in diesem Zeichen steht auch die Rasterfahndung an den Berliner Hochschulen, von der in den letzten Wochen über 900 Studierende aus 12 arabischen Herkunftsländern sowie Afghanistan, Pakistan und dem Iran betroffen sind.


Rasterfahndung ohne Gerichtsbeschluß?


Am 17. September 2001 forderte das Landeskriminalamt Berlin (LKA) auf Weisung von Innensenator Körting (SPD) die Berliner Universitäten zur Herausgabe von Daten arabischer Studierender aus 15 Herkunftsländern auf, um diese mit anderen Daten (beispielsweise des LandeseinwohnerInnen-, des AusländerInnen- oder des Kriminalamtes) zu vergleichen. Auf der Suche nach SchläferInnen sollen Verdächtige, die weitere für die Ermittlungen bedeutsame Prüfungsmerkmale erfüllen, sondiert und Nichtverdächtige ausgeschlossen werden. Grundlage für die Datenübermittlung ist neben strafprozessualen Regelungen1 § 47 ASOG (Allgemeines Gesetz zum Schutz der Sicherheit und Ordnung in Berlin). Darin heißt es, daß die Polizei von öffentlichen Stellen und Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für qualifizierte Rechtsgüter (Sicherheit des Bundes oder eines Landes, Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person) die Übermittlung von personenbezogenen Daten bestimmter Personengruppen aus Dateien zum Zwecke des Abgleichs mit anderen Datenbeständen verlangen kann, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß dies zur Abwehr der Gefahr erforderlich sei.

Die Rasterfahndung zählt zu den eingriffsintensivsten Maßnahmen des Polizeirechts. Daher sind an ihre Anwendung hohe Hürden geknüpft. Im Sinne des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gilt: je exzessiver die Datenerfassung ist, desto höhere Anforderungen sind an die sie rechtfertigenden Umstände, die Nähe der Betroffenen zu den Ursachen der Gefahr und die vorhandene Tatsachenbasis zu stellen. So müßten relativ gesicherte Verdachtsmomente gegen die Personengruppe, deren Daten erfaßt werden sollen, oder zumindest hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der konkreten Gefahr bestehen, sich also ein Terrorakt mindestens im fortgeschrittenen Stadium der Vorbereitung befinden. Davon konnte aber bei den Ermittlungen des LKA nicht ausgegangen werden, das ja eben nicht zur Vermeidung einer bevorstehenden Gefährdung für die öffentliche Sicherheit, sondern zur Aufklärung bereits erfolgter Terroranschläge agierte. Auch für drohende Gefahren genügt ein bloßer Tatverdacht, wie er sich aus den Ankündigungen der Taliban ergeben könnte, nicht aus. Zudem stellt die Begrenzung der TäterInnemerkmale auf die Herkunftsländer der durch die Überprüfung in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffenen Personen einen unzulässigen Pauschalverdacht dar, der dazu geeignet ist, Mißtrauen und Vorbehalte gegen die stigmatisierten Rasteropfer hervorzurufen.

Da sich die Anfragen des LKA an die Berliner Universitäten nicht auf individuelle Personen bezog, verweigerten TU und HUB die Herausgabe der Daten und legten den Fall dem Landesdatenschutzbeauftragten Hansjürgen Garstka zur Prüfung vor. Dieser intervenierte und forderte das LKA auf, die für einen Datenabgleich gem. § 47 IV ASOG gesetzlich notwendigen Gerichtsbeschlüsse beizubringen.

Mindestens grob fahrlässig handelte das Präsidialamt der FU, das auf die Anfrage des LKA kurzerhand mit der Herausgabe der Daten von über 500 Studierenden reagierte, wozu es bis heute jede Auskunft verweigert und wovon keine Übertragungsprotokolle angefertigt wurden.


Die Entscheidung


Notgedrungen stellte das LKA am 19. September 2001 beim zuständigen Amtsgericht Tiergarten einen Antrag auf Anordnung zur Übermittlung personenbezogener Daten, dem das Gericht bereits am folgenden Tag entsprach. Danach werden das LandeseinwohnerInnenämter, Hochschulen, Ver- und Entsorgungsunternehmen, Atomenergie- und Verkehrsbetriebe, Chemielaboratorien, Kommunikationsdienstleister, die Flughafengesellschaft, Sicherheitsdienste, Catering- und Reinigungsfirmen sowie Luftfahrtschulen zur Herausgabe der Daten von Personengruppen verpflichtet, welche dem vom FBI vorgegebenen Kriterienkatalog entsprechen (u.a. männliche, kinderlose Muslime aus 15 zumeist arabischen Herkunftsländern, die vornehmlich in technischen Studienfächern studieren).

Entgegen der Empfehlung der Studierendenschaften, gegen das Urteil Beschwerde einzulegen, übermittelte die TU 400 und die HUB nach eigener Auslegung des Gerichtsbeschlusses 23 Datensätze an den Berliner Staatsschutz. Dabei ist das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten alles andere als unumstritten. Allerdings hat sich Richter Ziegler alle Mühe gegeben, eine öffentliche Diskussion zu vermeiden, denn in der Urteilsbegründung bezieht er sich nahezu ausschließlich auf das Antragsschreiben des LKA, das bis heute geheim gehalten wird. Lediglich im Nachbeschluß vom 21. September geht er auf die Gegenwärtigkeit der Gefahr ein. Danach sei dieser ein prognostisches Element immanent. Zudem haben sich Gefahrenbegriff und Gegenwärtigkeit am Ausmaß des möglichen Schadens zu orientieren, der vorliegend als besonders erheblich unterstellt wird. Es seien daher „an die Gegenwärtigkeit der Gefahr keine überzogenen Anforderungen“ zu stellen (353 AR 199/01 ASOG). Damit hat er im Zustand der kollektiven Verteidigung auch eine Entscheidung gegen die bemüht-rechtsstaatliche Rechtsprechung gefällt.

Die Rasterfahndung an den Hochschulen ist jedoch mehr als bloße TerroristInnenverfolgung. Sie ist ein populistisches Mittel, das den BürgerInnen vorspielen soll, die „innere Sicherheit“ könnte gewährleistet werden. Alle Auskünfte, die das LKA von den Unis so öffentlichkeitswirksam einforderte, hätten ihm ohne weitere Umstände in erheblich größerem Umfang durch die AusländerInnenbehörde erteilt werden können. Insofern ergeben sich Zweifel an der Erforderlichkeit der Maßnahme i.S.d. § 47 I und damit an ihrer Verhältnismäßigkeit.

Weitaus beunruhigender als der Beschluß vom 20. September ist der oben bereits zitierte Nachbeschluß vom Folgetag. Darin wird der vielgestaltige Rasterkatalog des FBI auf lediglich zwei Eigenschaften zusammengestrichen, nämlich „vermutlich islamische Religionszugehörigkeit und vermutlich legaler Aufenthaltsstatus in Deutschland“. Damit wurde einer breit angelegten Rasterfahndung nach Muslimen gleich welchen Geschlechts, welcher Herkunft oder welcher Tätigkeit Tür und Tor geöffnet. Bei einer erneuten Anfrage des LKA wird bspw. die Humboldt-Universität zur Herausgabe von weit über 300 Daten nicht nur Studierender, sondern auch von MitarbeiterInnen und dem Lehrpersonal verpflichtet sein, wenn sie nicht gegen den Gerichtsbeschluß Beschwerde einlegt.

Angesichts der Untätigkeit der Universität hat der ReferentInnenrat der Humboldt-Universität (RefRat) seinerseits Beschwerde gegen die Gerichtsbeschlüsse eingelegt. Allerdings dürfte diese mangels Beschwerdebefugnis kaum Aussicht auf Erfolg haben. Vielversprechender dagegen erscheint die vorbereitete Klage gegen die Universität, welche die Herausgabe weiterer Daten im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt. Dieses im Falle einer erneuten Anfrage des LKA eingreifende Rechtsmittel wird von einigen möglicherweise betroffenen Studierenden mitgetragen, so daß an der Antragsbefugnis keine Zweifel bestehen.


Verfassungsrechtliche Aspekte


Die Aussonderung von personenbezogenen Daten allein nach der vermuteten bzw. unterstellten Religionszugehörigkeit spiegelt nicht nur das rassistische Vorgehen der Innenbehörden wider, sondern verstößt auch gegen geltendes Verfassungsrecht. Art. 6 der europäischen Datenschutzkonvention2 zufolge sind Daten über die „rassische Herkunft“, politische Anschauungen, religiöse oder andere Überzeugungen sowie die Gesundheit und das Sexualleben insbesondere in Fällen ihrer automatisierten Verarbeitung besonders geschützt. Diese Konvention geht unmittelbar auf Art. 8 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) zurück und ist Ausgangspunkt besonderer Schutzvorschriften.3 Sie gibt damit den common sense des europäischen Grundrechtsschutzes wieder. In der Bundesrepublik ergibt sich der entsprechende materielle Rechtsgedanke unmittelbar aus dem Verfassungsrecht, da es sich bei der Religionszugehörigkeit und im Kontext der Terrorprävention auch bei der Staatsangehörigkeit um grundrechtlich besonders geschützte, sogenannte sensible Daten handelt. Um so mehr, da die verfassungsrechtlich geschützte Religionszugehörigkeit zu den unverfügbaren und „persönlichkeitsnahen“ personenbezogenen Daten zählt.

Selbst wenn mensch die den Beschluß des Amtsgerichtes tragende Gefahrenprognose unterstellt, sind die schutzwürdigen Belange der betroffenen Studierenden höher zu bewerten als das öffentliche Interesse am Erhalt einer völlig untauglich breiten Datenbasis, die durch das Amtsgericht nicht einmal ausdrücklich zu Zwecken gem. § 47 ASOG freigegebenen wurde. Daß durch diese Maßnahmen nicht nur die von der Datenübermittlung unmittelbar Betroffenen einer informationellen Gruppenverfolgung ausgesetzt werden, sondern auch einige nicht polizeilich überprüfte KommilitonInnen ihren Job verloren haben, weil sie genau in das Raster unserer persönlichen Vorurteile paßten, wird unter NATO-Partnern allenfalls als Kollatrealschaden zu werten sein.


Raster Locke

back

Weitere Informationen zur Rasterfahndung

- http://www.uni-frankfurt.de/rasterfg.html


- http://www.aktiv.org/DVD/Themen/terrords2.html



1§§ 98 a, b StPO

2Konvention Nr. 108 vom 28.01.1981

3z.B. der europ. Datenschutzrichtlinie und im Recht der europ. polizeilichen Zusammenarbeit (Schengen, Europol etc.)