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Zu Besuch in der Autonomen Zone Dortmund

Bericht über den 28. Feministischen Juristinnentag



Wo diskutieren Jurastudentinnen mit Richterinnen, treffen sich Anwältinnen und Verwaltungsjuristinnen und tanzen (denn auch Unterhaltung muss sein) Referendarinnen neben Professorinnen?
Sofern sie an feministischer Rechtwissenschaft interessiert sind: auf dem Feministischen Juristinnentag (FJT). Auf diesem jährlichen Kongress werden zum einen geschlechterspezifische Auswirkungen von Recht beleuchtet – sowohl in der gerichtlichen Durchsetzung als auch auf gesellschaftspolitischer Ebene -, zum anderen bietet er ein Forum für den Austausch über die eigenen Erfahrungen im Jura-Alltag und für die Formulierung von gemeinsamen Zielen und Forderungen. In diesem Jahr fand der FJT vom 26. – 28. April mit ca. 150 Teilnehmerinnen in Dortmund statt.

Ein Schwerpunkt war die Analyse von juristischer und politischer Auseinandersetzung mit Gewalt gegen Frauen. Hier wurden u.a. die Bedingungen von Migrantinnen in der Sexarbeit untersucht und asylrechtliche Aspekte geklärt. Am Beispiel Kambodschas stellte die für die Bundes- und die dortige Regierung tätige Prof. Dagmar Oberlies die Möglichkeiten und Gefahren („am liebsten gleich das ganze amerikanische Recht übernehmen“) internationaler Kampagnen dar, und auch die aktuellen Entwicklungen in der Den Haager Anklagepraxis wurden u.a. von Patricia Viseur-Sellers, Beraterin bei der Anklagebehörde des ICTY, debattiert: führt eine internationale Diskussion über Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung und Kriegsverbrechen zu einer Anerkennung von frauenspezifischen Fluchtgründen? Was sind die Folgen, wenn eine internationale strafrechtliche Verfolgung als Legitimation für politische und militärische Interventionen genutzt wird?

Den Zusammenhang zur aktuellen Weltpolitik stellte die aus Afghanistan geflüchtete Dichterin und Juristin Khaleda Niazi schon auf dem Eröffnungsplenum des FJT her: sie sprach über die Situation der Frauen in Afghanistan und stellte fest, dass diese - obwohl der Widerstand gegen Mudschaheddin und Taliban immer maßgeblich von Frauen ausging – nicht nur in der aktuellen Regierung unterrepräsentiert sind, sondern auch auf internationalen Konferenzen nicht ernstgenommen werden. Niazi kritisierte zudem das Ausbleiben von versprochenen Geldern für den Wiederaufbau und die fortdauernden Bombardierungen in Südafghanistan.

Neben juristischer Praxis und Politik wurde die theoretische Ebene nicht vergessen: so gingen eine Juraprofessorin und eine Doktorin der Philosophie der Frage nach, wie verhindert werden kann, dass Antidiskriminierungsrecht zur Anpassung an den weißen, gesunden, heterosexuellen Mittelstandsmann führt. In diesem Kontext wurde das Spannungsfeld zwischen Gleichstellung und der Möglichkeit von Entfaltung von Differenz ausgeleuchtet und – ausgehend von der Erkentnis, dass ja nur ein relativ kleiner Teil der Menschheit die o.a. „Normalitätskriterien“ (weiß, hetero, männlich, Mittelstand) erfüllt - die Frage gestellt, ob wir „diese kleine radikale Minderheit nicht irgendwann unter Kontrolle kriegen“. Gerade an diesem Punkt der parallelen Marginalisierung von anderen Gruppen würde ich mir von feministischen Juristinnen mehr Interesse und Aktivität wünschen. Aber dafür fehlt wahrscheinlich ein stärkeres gemeinsames und über den feministischen Ansatz hinausgehendes Politikverständnis. Spannend wurde es dahingehend in einer rechtstheoretischen Diskussionsrunde zum Thema „Ist mit Frauen Staat zu machen?“. Die Frage wurde weiterentwickelt zu: „Wollen wir einen Staat?“ „Wollen wir einen Männerstaat?“ „Wollten wir früher nicht den Staat abschaffen?“ Natürlich stand am Ende kein flammendes Bekenntnis zur Anarchie, aber doch das Gedankenspiel einer „Autonomen Zone Dortmund“. Insgesamt fand ich die Diskussion durchaus erstaunlich, denn nicht wenige der Frauen sind im Staatsdienst und auch der Großteil der anderen betreibt im Alltag nicht unbedingt die rechtliche Durchsetzung der Revolution. Da bleibt es natürlich auch beim FJT nicht aus, dass sich eigentlich verpönte und als „männlich“ charakterisierte Dominanzstrukturen herausbilden.

Ein weiterer thematischer Schwerpunkt waren Ansatzpunkte für Rechtsforderungen für Frauen. Dazu wurde u.a. das Modell eines gesetzlichen Mindestlohnes diskutiert – fast alle anderen westeuropäischen Staaten und die USA besitzen eine solche Regelung, in der BRD, wo Berufssparten- und Lohnniveau-übergreifend Frauen durchschnittlich 30 % weniger verdienen als Männer, scheitert dieses Vorhaben aber auch an dem Widerstand der Gewerkschaften, die einen Bedeutungsverlust befürchten. Weiterhin wurden alternative Gestaltungsmöglichkeiten von Eheverträgen vorgestellt, Beispiele für frauenspezifische Beteiligung in Planverfahren aufgezeigt u.v.m.

Einen Ausgleich zu der ganzen inhaltlichen Arbeit bot das überaus amüsante Kulturprogramm am Samstagabend mit den mit den A-Capella-Sängerinnnen Schallusie, der Clownin Pellegrini und anschließender Disco.

Und was bleibt als Ergebnis des 28. FJT? Neben inhaltlichen Erkenntnissen und fortgeführter Kritik an sexistischen Ausprägungen des Rechts insbesondere die Aussicht auf den FJT im nächsten Jahr – und der wird in Berlin stattfinden, also vormerken!


Ulrike Müller


Infos zum FJT: www.feministischer-juristinnentag

Wer Interesse an der Vorbereitung des nächsten FJT hat: wiebkeposchmann@web.de


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