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Buchrezension



Grundrechtereport 2001

Zur Lage der BürgerInnen- und Menschenrechte in Deutschland


Der Grundrechtereport herausgegeben von vier BürgerInnenrechtsorganisationen (dem Bundesarbeitskreis kritischer Juragruppen, der Gustav-Heinemann-Initiative, der Humanistische Union und dem Komitee für Grundrechte und Demokratie) erschien letztes Jahr bereits zum 5. Mal in Folge. Entgegen dem offiziellen jährlichen Verfassungsschutzbericht, der BürgerInnen als Hauptgefahrenpotential für die bundesdeutsche Verfassung darstellt, schickt sich der Grundrechtereport ebenso regelmäßig an, die Grundrechtsverstöße und Gefährdungen von Staatsseite aufzuzeigen – was angesichts der derzeitigen Freiheitsbeschränkungsaktivitäten zwecks „Terrorbekämpfung“ für die Zukunft wichtiger denn je werden kann.

Der Grundrechtereport 2001 beschäftigt sich vor allem mit der Frage des staatlichen Umgangs mit Rechtsextremismus. Albert Scherr gelingt in seinem Leitartikel eine differenzierende Betrachtungsweise des Problems. Er räumt mit der Verharmlosung militanter Nazis als irregeleitete und frustrierte Jugendliche auf, ohne zu vergessen, daß ein Mangel an Bildung und Berufschancen Rassismus befördern kann. Er benennt bspw. diskriminierende Sonderregelungen des Ausländerrechts als Grundlage des Gedeihens rechten Gedankenguts und weist darauf hin, daß Rechtsextremismus keineswegs ein „ostdeutsches Sonderproblem“ ist, wobei sehr wohl eine besondere Zuspitzung rechter Gewalt in den neuen Bundesländern erkennbar sei.

Im zweiten Leitartikel des Reports beschreibt Eckart Spoo sehr eindringlich, wie Behörden neonazistische Gewalt verschleiern, verharmlosen und verleugnen.

Unter dem Titel „Verbot von Parteien“ findet sich eine Debatte zum Thema NPD-Verbot. Bela Rogalla vertritt die Pro-Verbot-Seite und zeigt unter der Überschrift „Faschismus ist keine Meinung – sondern ein Verbrechen!“ verfassungsrechtliche Argumente für ein solches Verbot auf. Dagegen lehnt Wolf-Dieter Narr ein NPD-Verbot hauptsächlich aus demokratietheoretischen Erwägungen ab.

Auch in Till Müller-Heidelbergs Beitrag zum Verfassungsschutzbericht taucht das Thema Rechtsextremismus auf. Der Beitrag zeigt die Willkür und Beliebigkeit des Verfassungsschutzes in seiner Beobachtungspraxis. Leider kann die Art und Weise der Darstellung den Eindruck der armen verfolgten und unterdrückten rechten Parteien vermitteln. Republikaner, DVU und NPD werden nicht nur in einem Atemzug mit DKP und PDS genannt, sie werden auch als „missliebige Parteien“ verniedlicht.

Daneben zeigt Ingo Müller, am Beispiel des Verbots der kostenfreien Rechtsberatung, wie alte NS-Vorschriften noch heute gegen unliebsame ZeitgenossInnen zur Anwendung kommen.

Kai Weber dokumentiert Erschreckendes unter dem Titel „Tödliche Routinen im Abschiebungsaltag“. Es wird gezeigt, wie trotz offensichtlicher Mißhandlungsmethoden bei Abschiebungen keinerlei adäquate Konsequenzen für die durchführenden BeamtInnen zu erwarten sind – selbst wenn es zu Todesfällen auf Grund der menschenverachtenden Behandlung kommt.

Heiko Kaufmann fordert in seinem Beitrag gleiche Rechte für alle Kinder ein. Grund dafür ist die Nichtanwendung der UN-Kinderrechtskonvention durch die BRD für Kinder, ohne gesicherten Aufenthaltsstatus. Es wird geschildert, wie Minderjährige auch unter „Rot-Grün“ den Abschiebehaftbedingungen für Erwachsene ausgesetzt werden.

Oliver Tolmein und Michael Findeisen beschäftigen sich jeweils mit dem „Terrorismusparagraphen § 129 a StGB, der als Instrument einer Strafen-um-jeden-Preis-Mentalität dargestellt wird und dessen alsbaldige Abschaffung auf der Tagesordnung stehen sollte.

Außerdem finden sich Beiträge zu den Themen „Eingetragene Lebenspartnerschaft“, Ungleichheit der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Ost und West, Einschränkung des Demonstrationsrechts, Verbot von Studiengebühren, Europäischer Grundrechtsschutz u.v.m..

Der strukturelle Aufbau des Grundrechtereports erscheint jedoch erneuerungsbedürftig. Das Buch ist in Abschnitte geteilt, die dem Aufbau des Grundrechtekatalogs des Grundgesetzes folgen. Jedes Grundrecht wird systematisch abgearbeitet. Dadurch beschränkt sich der Report allerdings selbst und presst sein „alternatives“ Anliegen in eine verkrustete Struktur. Durch die Übernahme dieser Struktur müssen soziale Grundrechte weitgehend außen vor bleiben. Die Beschränkung auf Grundrechte klammert auch die internationale Entwicklung der Menschenrechte nahezu vollständig aus. Diesbezüglich kann auch gefragt werden, warum bereits im Titel des Buches zwischen Bürger- und Menschenrechten unterschieden wird.

Auch die bloße Feststellung von Grundrechtsverletzungen von Staatsseite mag nicht befriedigen. Oft bleibt die Frage offen, worin die Ursachen für diese Verletzungen liegen.

Abschließend bleibt festzustellen, daß der Grundrechtereport ein wichtiges Projekt in einem Land bleibt, wo das Militär zur wichtigsten außenpolitischen Größe avanciert, BürgerInnen zunehmend nur als potentielle Bedrohung für Privateigentum und Staat angesehen werden und wo Rechtsextremisten immer offeneren Terror ausüben können, wobei führende PolitikerInnen weiter die „Gefahr von Links“ und neuerdings (austauschbar) „die Terrorgefahr von ‚den Islamisten‘“ beschwören.

Wichtig ist deshalb nicht nur, daß es ein solches Projekt gibt, wichtig ist vor allem, daß viele Menschen das Buch lesen und so eine spürbare Aufklärungswirkung erzielt wird. Der Absatz des Reports 2001 ging schleppend voran. Die HerausgeberInnen machen dafür maßgeblich die faktisch ausgefallene Präsentations-Pressekonferenz verantwortlich. Diese Präsentation durch Rita Süssmuth und Claudia Roth fiel aus, nachdem der arbeitskreis kritischer juristinnen & juristen berlin (akj-berlin) Protestschreiben an die geplanten Präsentatorinnen sendete. Rita Süssmuth sagte daraufhin ab, Claudia Roth hatte bereits vorher abgesagt. In dem Protestschreiben wurde deutlich gemacht, daß es widersinnig sei, wenn Repräsentantinnen von gravierenden Grundrechtsbeschneidungen einen Report präsentieren würden, der eben solche Grundrechtsbeschneidungen thematisiert.

Der schleppende Absatz des Reports liegt aber sicher nicht allein an der mißlungenen Präsentation. Die genannten Kritikpunkte spielen gewiß auch eine Rolle. Fortschrittliche LeserInnen werden sicher auch dadurch abgeschreckt, daß seit Jahren die „Internationale Gesellschaft für Menschenrechte“ einen festen Platz im Adressenregister des Reports hat. Diese Gesellschaft hegt rege Kontakte zu rechtsextremen Gruppierungen, Zeitschriften und Einzelpersonen und muß als völkisch und rechts eingestuft werden. Die Redaktion des Reports wurde auf diese Tatsachen aufmerksam gemacht, hält diese Gesellschaft aber offenbar weiterhin für unterstützenswert.

Eine partielle Erneuerung des im wesentlichen beachtenswerten und notwendigen Grundrechtereports kann sicher helfen, für den nächsten Report mehr begierige und mitgerissene LeserInnen zu finden.


Volker Gerloff



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