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Sie verlassen den demokratischen Sektor!

Mit Passbeschränkungen und Meldeauflagen gegen GipfelstürmerInnen



Für mindestens 29 BerlinerInnen war’s Essig mit der Teilnahme an den Protesten gegen den EU-Gipfel im belgischen Laeken (14.-15.12.2001). Gegen sie verhängte das Landeseinwohneramt Berlin (LEA) Passbeschränkungen gem. § 7 Abs. 2 in Verb. mit Abs. 1 des Passgesetzes (PassG). Nachdem diese Maßnahme neben Meldeauflagen bereits gegen vermeintliche „StörerInnen“ des G-8-Gipfels in Genua verhängt worden war,1 liegt der Verdacht nahe, dass Passbeschränkungen zu „Standardmaßnahmen“ mutieren, um die Teilnahme Deutscher an Anti-Gipfel-Protesten – seien es welche der EU, von IWF und Weltbank oder der G-8 – zu unterbinden. Gerade deshalb ist eine kritische Auseinandersetzung mit ihnen nach wie vor notwendig.


Unter der Passbeschränkung versteht mensch die Beschränkung des Geltungsbereichs des Passes für einen bestimmten Zeitraum. Konkret hieß dies, dass die Betroffenen für das Wochenende, an dem der EU-Gipfel stattfand, mit ihrem Pass nicht nach Belgien, Luxemburg, Frankreich und in die Niederlande ausreisen durften.


Daneben gibt es noch die Ausreiseuntersagung gemäß § 10 Abs. 1 PassG. Diese Befugnisnorm ermöglicht dem BGS einerseits die Durchsetzung der Passbeschränkung, indem er den Betroffenen unmittelbar an der Grenze die Ausreise verweigert. Andererseits kann er – auch wenn keine Passbeschränkung vorliegt – die Ausreise untersagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass gegen die/den Ausreisewillige/n Passversagungsgründe vorliegen. Ob diese Gründe vorliegen, beurteilt der BGS anhand polizeilicher Dateien, z.B. „Gewalttäter Links“. In dieser seit dem Februar 2001 existierenden BKA-Datei werden Daten über Personen gespeichert, denen die Begehung politisch motivierter Kriminalität, insbesondere von Gewalttaten vorgeworfen wird.


Alles Gewalttäter???



Begründet wurden die Passbeschränkungen mit der stereotypen Formel: „Nach Erkenntnissen der Polizei sind Sie in der Vergangenheit mehrfach durch gewalttätiges Verhalten auffällig geworden.“ Dieser Umstand soll die Annahme rechtfertigen, dass die/der PassinhaberIn im Ausland Gewalttätigkeiten begehen könnte. Dadurch werde das internationale Ansehen Deutschlands beschädigt, welches wiederum ein erheblicher Belang der Bundesrepublik im Sinnes des § 7 Abs. 1 PassG darstelle.


Damit letzteres zutrifft, muss die (zu erwartende) Tat der Bundesrepublik und nicht nur der/dem PassinhaberIn zugeordnet werden können.2 Das ist z.B. der Fall, wenn Straftaten vorrangig oder typischerweise von Deutschen begangen werden.3 Gewalttätige Aktionen bei internationalen Spitzentreffen (EU, WTO, IWF usw.) lassen sich aber nicht ohne weiteres der Bundesrepublik zuordnen, da die militanten GipfelgegenerInnen aus vielen Ländern kommen.4 In den Passbeschränkungsverfügungen wurden außerdem lediglich angeblich von Betroffenen in der Vergangenheit begangene „demonstrationstypische“ Straftaten benannt, ohne Tatsachen darzulegen, dass die Betroffenen gerade in der Zukunft und gerade bei diesem Gipfel wieder solche Straftaten begehen werden.


Aber ob es sich bei den von Passbeschränkungen Betroffenen wirklich immer um GewalttäterInnen handelt, ist sehr zweifelhaft.


Schon im Vorfeld des G-8-Gipfels wurden Passbeschränkungen gegen Personen ausgesprochen, deren einziges „Vergehen“ darin bestand, dass ihre Personalien im Zusammenhang mit einer Demo festgestellt worden sind. Soweit Straftaten in den Verfügungsbegründungen angeführt wurden, handelte es sich um lang zurückliegende Verurteilungen oder um noch laufende bzw. eingestellte Ermittlungsverfahren.5


Auch von den Passbeschränkungen für den EU-Gipfel in Belgien sind Personen betroffen, die weder rechtskräftig verurteilt wurden noch ist gegen sie ein Strafverfahren durchgeführt worden. Einige Betroffene erklären sich die Passbeschränkung damit, dass sie einmal in eine Personenkontrolle gerieten.6


Die Frage ist, ob es sich bei den polizeilich gespeicherten Daten – sei es in der Datei „Landfriedensbruch oder neuerdings „Gewalttäter Links“ – um „konkrete und nachvollziehbare Tatsachen“ handelt, die die Annahme, der/die Betroffene werde Straftaten begehen, belegen.


Da allein die Tatsache eines Eintrags in die einschlägigen Dateien nicht ausreicht, muss vielmehr nach dem Anlass der Speicherung gefragt werden. Damit verbunden ist die Frage, ob dieser Anlass die Annahme rechtfertigt, der Betroffene gefährde im Ausland erhebliche Belange Deutschlands.


Dabei liegt der Verdacht nahe, dass polizeiliche Datenbestände quasi ein Eigenleben führen: Die Polizei speichert die Daten eines/einer Betroffenen bei der Eröffnung des Ermittlungsverfahrens, z.B. wegen Landfriedensbruch, überprüft diese aber nicht im Hinblick auf den weiteren Fortgang des Verfahrens nach Abgabe an die Staatsanwaltschaft. Die Folge ist, dass die Betroffenen freigesprochen oder Strafverfahren gegen sie mangels Tatverdacht eingestellt werden, sie aber in den Polizeidateien weiterhin als StraftäterIn gelten.


Meldeauflagen


Im Unterschied zum Genueser G-8-Gipfel verzichteten die Berliner Behörden diesmal darauf, gegen die Betroffenen zusätzlich zur Passbeschränkung Meldeauflagen zu verhängen. Unter Meldeauflagen versteht mensch das Gebot, sich für einen bestimmten Zeitraum regelmäßig auf einer Polizeidienststelle einzufinden.7 Diese waren sowieso rechtswidrig, werden aber trotzdem in anderen Bundesländern weiterhin angewendet. Rechtsgrundlage für die Meldeauflagen ist die sog. polizeiliche Generalklausel, die sich ähnlichlautend in allen Polizeigesetzen findet (in Berlin: § 17 ASOG). Sie besagt, dass die Polizei bzw. die Ordnungsbehörden Maßnahmen zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung treffen darf. Diese sehr weitgehende Ermächtigung wird durch das Subsidiaritätsprinzip eingeschränkt. Dieses besagt zweierlei: Handeln die Behörden aufgrund eines besonderen Gesetzes, haben sie „nur“ die dort vorgesehenen Befugnisse. Nur wenn das Gesetz keine Befugnisse vorsieht, ist ein Rückgriff auf das Polizeigesetz (Berlin: ASOG) zulässig.8 Das Passgesetz sieht zur Durchsetzung der Passbeschränkung in § 10 die Ausreiseuntersagung vor. Folglich ist ein Rückgriff auf das Polizeigesetz unzulässig.

Der zweite Subsidiaritätsgrundsatz besagt, dass der Rückgriff auf die Generalklausel unzulässig ist, wenn ein Lebenssachverhalt durch eine Spezialbefugnis im Polizeigesetz erfasst wird.9

Ebenso wie die Meldeauflage enthält die speziell geregelte Vorladung (Berlin: § 20 ASOG) das Gebot, zu einer bestimmten Zeit auf einer Polizeiwache zu erscheinen. Die Zwecke, die eine Vorladung rechtfertigen, sind abschließend geregelt. Der Zweck, die Einhaltung anderer Verhaltenspflichten (hier: Ausreiseverbot) zu überwachen bzw. zu gewährleisten, ist nicht vorgesehen. Das heißt, dass diese Spezialbefugnis zwar einschlägig ist, die gesetzlichen Voraussetzungen aber nicht vorliegen. Wegen der Vorrangigkeit der Spezialbefugnis dürfen Meldeauflagen also nicht auf die Generalklausel gestützt werden.10

Weitere Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Meldeauflagen ergeben sich daraus, dass sie meist so spät ergehen, dass die gesetzlich vorgeschriebene Anhörung des Betroffenen unterbleibt. Die Behörden führen so die Voraussetzungen, unter denen sie von der Anhörung absehen dürfen, selbst herbei.11 Ebenso ist es unverhältnismäßig, den Betroffenen zu verpflichten sich auf einer bestimmten Polizeiwache zu melden. Die Passbeschränkung verbietet „nur“ die Ausreise in bestimmte Länder. Innerhalb der Bundesrepublik darf sich der/die Betroffene aber frei bewegen und er/sie darf in andere Länder ausreisen.12


Fazit


Obwohl die Eingriffe in BürgerInnenrechte durch Meldeauflagen – gestützt auf die Generalklausel - nach der polizeirechtlichen Systematik unzulässig waren, griffen die Ordnungsbehörden dennoch auf sie zurück. Auch andere Beispiele haben gezeigt, dass immer dann, wenn polizeiliches Handeln zur Bewältigung politischer und sozialer Konflikte als notwendig erachtet wird, gesetzliche Machtbegrenzungen bewusst überschritten werden.13 In diesem Fall wurde das Polizeirecht gebrochen, um einen Teil der Globalisierungsbewegung als gewalttätig zu stigmatisieren und die Teilnahme an Protesten gegen die asoziale und militaristische Politik demokratisch wenig legitimierter transnationaler Institutionen wie G-8, WTO, IWF oder EU zu unterbinden. Dass mensch sich dabei nicht darauf verlassen kann, dass seine/ihre Rechte durch „unabhängige Gerichte“ geschützt werden, zeigt die Rechtsprechungspraxis zu den Ausreiseverboten.

Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim14 thematisierte in einem Beschluss nicht einmal den Ausschluss der Generalklauselanwendung durch die Spezialbefugnis zur Vorladung. Das Verwaltungsgericht (VG) Berlin verzichtete in seinen Beschlüssen15 zu Meldeauflagen im Zusammenhang mit dem G-8-Gipfel auf die sonst absolut übliche summarische Prüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen und stellte lediglich eine Interessenabwägung an. Dabei wurde allein die Teilnahme an „vielfältigen Veranstaltungen der linken Szene“ als Anhaltspunkt gewertet, dass der Betroffene sich an gewalttätigen Ausschreitungen beteiligen könnte. Lediglich in einem Fall im Zusammenhang mit dem EU-Gipfel hob das VG Berlin eine Passbeschränkung auf, weil dem Betroffenen nur ein Landfriedensbruch zur Last gelegt wurde, der vom VG als nicht ausreichend angesehen wurde, um diese Maßnahme zu rechtfertigen.

Helle Martensen




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  1. 1das freischüßler Sonderausgabe 2001, S. 44ff.

  1. 2OVG Lüneburg, Dt. Verwaltungsblatt (DVBl) 1979, S. 740; Rachor, in Handb. d. Polizeirechts, 2001, Kap F, Rdnr 715.

  1. 3Rachor, aaO.

  1. 4Rachor, aaO.

  1. 5siehe das freischüßler, aaO.

  1. 6taz-Berlin, 11.12.01, S. 23.

  1. 7Rachor, (Fn. 2), Rdnr 711.

  1. 8Knemeyer, Polizei- u. OrdnungsR, 1998, Rdnr 115.

  1. 9Knemeyer (Fn 9), Rn 114.

  1. 10Rachor, (Fn. 2), Rdnr 721.

  1. 11Rachor, (Fn. 2), Rdnr 723.

  1. 12Rachor, (Fn. 2), Rdnr 724.

  1. 13Roggan, Auf legalem Wege in einen Polizeistaat, Bonn 2000, S. 210f.

  1. 14DVBl 2000, S. 1630/1633.

  1. 15AZ: VG 1 A 232.01, 233.01.