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Buchrezension



Abschaffung des Strafrechts

Arno Plack: „Plädoyer für die Abschaffung des Strafrechts“

 

Wenn Strafen Abhilfe brächten und sie Gewalttätigkeit eindämmten, sie müßten nach über achthundert Jahren Kriminalgeschichte längst das Verbrechen aus der Welt geschafft haben."1 Arno Plack, Jahrgang 1930, hat Philosophie und Rechts­wissenschaften studiert. Sein „Plädoyer für die Abschaffung des Strafrechts" erschien 1974 im List Verlag.



Es ist heute leider nur noch schwer erhältlich, jedoch definitiv weiterhin lesenswert, vor allem wegen seiner fundamentalen Kritik am geltenden Strafrecht.

Zunächst macht er eine Unterscheidung zwischen „wirklichen" Verbrechen, vor denen die Gesellschaft geschützt werden sollte (z.B. Gewaltdelikte), und Straftatbeständen, die überflüssig sind, weil entweder die ihnen zugrundeliegenden Konflikte schon durch das Zivilrecht gelöst werden könnten (z.B. Schadensersatz bei Eigentumsverletzungen) oder weil sie lediglich der Repression der Menschen dienen. Sodann fordert er die Abschaffung dieser "überflüssigen" Straftatbestände.

Beim Umgang mit "wirklichen" VerbrecherInnen sieht Plack das heutige Strafrecht als völlig unzureichend an, da der Strafgedanke an sich vor allem auf dem Gedanken der Vergeltung beruhe, Strafe den/die VerbrecherIn als solchen stigmatisiert und dadurch eine Resozialisierung eher verhindert als begünstigt. Daran ändere auch die Ergänzung des Vergeltungsgedankens nichts. Das Strafrecht beruht auf dem Prinzip der individuellen Schuld des Täters bzw. der Täterin, was Plack als verfehlt verwirft. Dies ist einer seiner zentralen Punkte. Er begründet dies zum einen damit, daß es nicht möglich sei präzise herauszufinden, was eineN Täterin zu seiner/ ihrer Tat getrieben hat. Daher sieht er es als Anmaßung der Juristinnen an, über Schuld und Verantwortung zu urteilen. Fehlurteile seien hier vorprogrammiert. Vor allem jedoch ist seiner Meinung nach der verbrecherische Ausbruch von Aggression auf angestaute, sich immer wieder in Aggressionen entladende frühkindliche Frustrationen zurückzuführen und vielen nicht vorzuwerfen, da sie diese Ausbrüche nicht kontrollieren können. Hier kritisiert Plack die herrschende These vom Menschen als durch und durch rationales Wesen mit der daraus gefolgerten völligen Willensfreiheit und Verantwortlichkeit. Rationales Denken könne nicht sämtliche vitalpsychischen Triebe kontrollieren, sondern sei im Gegenteil von diesen beeinflußt und ihnen unterworfen. Von daher sei das Konstrukt einer individuellen Schuld eine Illusion. „Das Strafrecht ist institutionalisierte Gleichgültigkeit gegenüber den vitalpsychischen Ursachen des Verbrechens".2 Verbrecherinnen sind somit nach Plack krank und müssen geheilt anstatt bestraft werden. Aus dieser, hier nur sehr grob und unvollständig dargelegten, Kritik am Strafrecht entwickelt Plack dann eigene Ansätze für einen Umgang mit Verbrecherinnen.

Seine Kritik an Strafe und individuellem Schuldvorwurf veranlaßt ihn, beides völlig zu verwerfen. An ihre Stelle will er ein Maßnahmerecht stellen, das lediglich auf die Herbeiführung von pönalisierten Erfolgen bzw. auf die einem Menschen angelastete Gefährlichkeitabstellt. Auch hier gibt es Freiheitsentzug, jedoch ohne Strafcharakter, sondern lediglich zum Schutz der Gesellschaft und zur Resozialisierung. Dies liest sich dann beispielsweise so: „der manifest Gefährliche muß von der Gesellschaft abgesondert werden, zu deren Schutz und zum Zwecke psychiatrischer oder psychothera­peutischer Behandlung; durch seinen von klein auf entwickelten Haß auf andere Menschen ist er im psychologischen Sinne nicht einzuschätzen und kann nicht durch vernünftiges Zureden zu lebensändernder Einsicht gebracht werden."3 Diese Absonderung und Behandlung soll solange andauern, wie die behandelnden Ärztinnen den/die Straftäterinnen noch als gefährlich ansehen. Für den Fall, daß eine „bloße Behandlung" nicht ausreicht, will Plack „...Arbeitserziehung in geschlossenen Heimen oder Lagern, aus deren engster Umschließung der dort Eingewiesene sich Stück für Stück herausarbeiten könnte".4 Dem Einwand, daß Freiheitsentzug ohne ein begangenes Verbrechen doch ungerechtfertigt sein könnte, begegnet er: „Nur eine noch dem Vergeltungsgedanken verhaftete defence sociale wird darauf sehen, daß dem Täter nach Inhalt und Maß keine größere Gefährlichkeit angelastet wird, als er durch sein Tun bestätigt hat.",5 und: „Es ist ein falscher Perfektionismus, der die Gefährlichkeit eines Mitmenschen nur und erst so sicher feststellen möchte, wie sie aus einer Untat hervorspringt."6 Ferner: „Die noch dem Brutalsten unterstellte Würde ersetzt Vorsicht."7Es ist, jedenfalls vom Standpunkt unser aller Sicherheit nicht einzusehen, weshalb eine Verpflichtung zu vorbeugender psychotherapeutischer Behandlung als freiheitsberaubende Sanktion empfunden werden soll."8 Ohne auf die Zitate hier im einzelnen näher einzugehen (sie sprechen am besten für sich selbst) ist m.E. als Fazit festzuhalten, daß hier aus einer zum Teil durchaus fundierten und ernst zu nehmenden Kritik am heutigen Strafrecht ein Konzept für den Umgang mit Straftäterinnen entwickelt wird, das von seinem emanzipatorischen Potential dem heutigen System sicherlich bei weitem hinterherhinkt. Ein bloßes Gefährlichkeitsgutachten reicht hier, um einen Menschen evtl. lebenslänglich von der Gesellschaft auszuschließen, ihn in psychiatrischen Anstalten Zwangsbehandlungen und Zwangsarbeit zu unterwerfen, ihm seine Menschenwürde abzusprechen und mit psychiatrischen Methoden seine Persönlichkeit zu brechen. Somit erreicht das Buch am Ende bei vielen wohl eher genau den nicht vom Verfasser erwünschten Zweck: mancheR arangiert sich lieber mit dem heutigen fehlerhaten System, als Placks Ideen heraufzubeschwören. Dennoch lohnt sich das Lesen des Buches, u.a. auch wegen Placks Kritik an den diversen gängigen Theorien über die Ursachen von Verbrechen.


Martin Henselmann



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1S. 178.

2S. 88.

3S. 354.

4S.383.

5S.387.

6S.389.

7S.388.

8S.389.