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Deutsch-afrikanisches Austauschseminar über ökonomische Liberalisierung und Menschenrechte



Vom 22. bis zum 29. September 2002 fand in Windhoek ein Seminar zum Thema “Economic Liberalization and Human Rights“ statt, organisiert von der Deutsch-Simbabwischen Juristenvereinigung und dem Legal Assistance Center in Windhoek, finanziell hauptsächlich von der Böll-Stiftung unterstützt. Mit dabei waren 25 Jurastudierende, Referendare/-innen und Anwälte/-innen aus Deutschland, Malawi, Namibia, Nigeria, Sambia, Simbabwe und Südafrika. Die Woche in Namibia stellte die zweite Hälfte des Seminars dar, die erste Hälfte fand unmittelbar vorher in Berlin statt.

Schwerpunkt waren die Menschenrechte der zweiten und dritten Generation, also nicht die klassischen Freiheitsrechte, sondern soziale, wirtschaftliche, kulturelle sowie Gruppenrechte, z.B. die Rechte auf Arbeit, auf Bildung und auf einen angemessenen Lebensstandard. Diese Menschenrechte gehören zum Internationalen Übereinkommen über ökonomische, soziale und kulturelle Rechte, welches 1966 von der Generalversammlung der UN verabschiedet wurde. An der realen Durchsetzung ändert so eine Kodifizierung natürlich zunächst nichts. Daher wollten wir uns der Frage widmen, welchen Einfluss Menschenrechte gerade im Prozess der wirtschaftlichen Globalisierung nehmen können.

NEPAD & Co. - “This is not an accident.”

Schon während der ersten Woche in Berlin hatten wir teilweise inhaltliche Fronten festgestellt. So waren z.B. viele der deutschen Teilnehmer/-innen (mich nicht eingeschlossen) erstaunt angesichts der einhellig negativen Einstellung der afrikanischen Seite gegenüber dem Liberalisierungsprogramm NEPAD (“New Partnership for Africa’s Development”). Wo auf der deutschen Seite noch das Konzept einer Handelsliberalisierung, von der auch die „Dritte-Welt“-Staaten profitieren würden, sofern nur hinreichend Übergangs- und Anpassungsmechanismen gefunden werden, vertreten wurde, herrschte unter den afrikanischen Teilnehmer/-innen dahingehend eine kritischere und, was die Träger einer solchen internationalen Wirtschaftsentwicklung angeht, ablehnende Haltung. Daran wurde in Windhoek u.a. in einer Podiumsdiskussion, die die unterschiedlichen Perspektiven von ArbeiterInnen und „herkömmlicher“ Wirtschaftswissenschaft im südlichen Afrika deutlich machen sollte, angeknüpft.

Vertreter zweier Wirtschaftsforschungsinstitute und zweier Gewerkschaften lieferten weitgehend die Debatte, wie sie auch in Europa zwischen den für Kritik offenen Teilen der Bevölkerung und der globalisierungskritischen Bewegung stattfindet. Eine vielleicht nicht überraschende Ähnlichkeit - angesichts der Tatsache, dass zwei der vier Diskutanten aus Deutschland stammten. Die fortbestehenden Nord-Süd-Strukturen der wirtschaftlichen Ausbeutung und die verheerenden Auswirkungen für Wirtschaft und demokratisches System der am wenigsten entwickelten Staaten wurden deutlich gemacht und wie sich diese in den von IWF, Weltbank und WTO entwickelten Programmen der strukturellen Anpassung, der Kreditvergabepolitik und der Handelsliberalisierung widerspiegeln. In der sich anschließenden offenen Diskussion wurde von deutscher Seite ein großes Unverständnis geäußert hinsichtlich der Beteiligung afrikanischer Regierungen an der kritisierten Politik - in der WTO hat z.B. jedes Land eine Stimme, das viel kritisierte Liberalisierungsprogramm NEPAD wurde von afrikanischen Regierungschefs entwickelt. Die Begründung mit wirtschaftlicher Abhängigkeit, Privatinteressen der Regierenden und Klasseninteressen genügte den meisten deutschen Teilnehmer/-innen nicht.

Aus der Motivation heraus, nicht mit europäischen Konzepten afrikanische Probleme lösen zu wollen, sondern afrikanische Vorstellungen unterstützen zu wollen, sahen sich viele zum ersten Mal damit konfrontiert, dass NEPAD nicht „das“ afrikanische Konzept darstellt. Die Frage lautete daher: wem sollen wir zuhören? Auf afrikanischer Seite stießen derartige Unklarheiten teilweise wiederum auf Unverständnis: selbst die Darstellungen der UN, die zu beachten ja nicht fern liegt, zeichnen ein anderes, kritischeres Bild. Thematisiert wurde auch die Forderung nach arbeitsrechtlichen und sicherheitstechnischen Standards und dem Argument gegenübergestellt, dass gleiche Anforderungen an alle einen entscheidenden wirtschaftlichen Vorteil der meisten Entwicklungsländer vernichten und einen protektionistischen Akt darstellen würden. Am Beispiel der EPZ’s (Export Processing Zones = Sonderwirtschaftszonen, in denen ausländischen Investoren/-innen als Anreiz Steuervergünstigungen, Ausnahmen von arbeitsrechtlichen Mindeststandards und kostengünstige Nutzung von Infrastruktur gewährt werden) wurde deutlich, wie die Konzentration auf das Allheilmittel der ausländischen Investitionen zur staatlichen Subventionierung von Hungerlöhnen führt. Nach Berechnungen eines gewerkschaftsnahen Wirtschaftsforschungsinstituts müsste ein Mindestlohn – elementare Grundversorgung: Nahrung, Wohnung, Schulbesuch für Kinder – bei ca. 1500 Namibischen Dollar (ND) angesetzt werden. Bei Ramatex, der vor den Toren Windhoeks im Aufbau befindlichen EPZ, beträgt das Grundgehalt 400 ND. Auch die Annahme, Investoren/-innen hätten ein wirtschaftliches Interesse an stabilen und demokratischen Verhältnissen in den Staaten ihrer Aktivitäten, der Markt besitze also einen eigenen positiven Regulationsmechanismus, scheitert spätestens am Beispiel Angolas: ganz ohne Stabilität oder Demokratie gelangen die meisten der ausländischen Investitionen im südlichen Afrika gerade dorthin. „Competition benefits the strong.“ – „Vom Wettbewerb profitieren die Starken.“ Über mögliche weitergehende Konsequenzen dieser grundsätzlichen Anmerkung eines südafrikanischen Teilnehmers haben wir zwar nicht mehr gesprochen, trotzdem zeigte sich das Vertrauen der deutschen Teilnehmer/-innen in ein ausgleichendes Potential von wirtschaftlicher Liberalisierung etwas gemindert.

“HIV/AIDS doesn´t discriminate,... or does it?“

... unter diesem Titel stellte Michaela Figueira von der AIDS Law Unit des Legal Assistance Centre dar, wie prekäre Lebens- und Arbeitssituationen, fehlender Zugang zu Bildung, wirtschaftliche Abhängigkeit von Frauen sowie die Notwendigkeit von Arbeitsmigration das HIV-Risiko entscheidend vergrößern und mangelhafte medizinische Versorgung mögliche Therapien beeinträchtigt. AIDS trifft eben nicht alle gleich. Die momentan hauptsächlich betriebenen Präventionsprogramme, die diese sozialen und wirtschaftlichen Faktoren ignorieren und sich auf den Aspekt der Änderung des individuellen Sexualverhaltens konzentrieren, gehen an einem Kern des Problems vorbei und werden es daher nicht lösen können. Auch das Recht auf eine angemessene medizinische Versorgung macht einen Kurswechsel in der internationalen Wirtschafts- und Entwicklungspolitik hin zu einer tatsächlichen Bekämpfung von globaler sozialer Ungleichheit notwendig.

Landreform und die ganz normale Diskriminierung

Um die namibische Debatte über die immer wieder diskutierte Frage der Landreform und deren Ausgestaltung kennen zulernen, besuchten wir eine extern veranstaltete Podiumsdiskussion. „Hauptopponenten“ dort waren der Vorsitzende der National Union of Namibian Workers, Kapenda, und der Vorsitzende der Namibian Agricultural Union, de Wet, ehemaliger Landwirtschaftsminister während der Apartheid. Nachdem Kapenda in sehr deutlichen Worten seine Ablehnung gegenüber einer auf Einverständlichkeit und Entschädigung setzende Landreform deutlich machte, entwickelte sich die Diskussion sehr emotional und konfrontativ, wobei wir jedoch nicht einschätzen konnten, was davon echt war und was nicht – Kapenda, in führender Position sowohl in der Gewerkschaft als auch in der von der Gewerkschaftsbasis kritisierten SWAPO-Partei, nimmt in anderen Situationen durchaus auch gemäßigtere Haltungen ein. De Wet verteidigte als einziger die Position der Landbesitzer/-innen und bestätigte dabei alle Klischees. So wies er z.B. darauf hin, dass Kapenda ja nur dank des durch den Kolonialismus eingeführten Bildungssystems des Englischen mächtig und in der Lage sei, an dieser Diskussion teilzunehmen. Wir Deutschen schienen die einzigen im Saal zu sein, die von dieser unverblümten Aussage geschockt waren. Doch west-europäischen Standards von „political correctness“ entsprach auch die Gegenseite nicht: immer wieder wurde Bezug genommen auf einen natürlichen Zusammenhalt der schwarzen Bevölkerung Afrikas, diese besteht offensichtlich nur aus Brüdern. Beim Hinausgehen noch von uns auf sein Bildungs-Statement angesprochen, ließ deWet uns wissen, dass er über derartige Themen nicht mit Ausländern/-innen spräche. Was sein Großvater von einer solchen Einstellung seitens der „Eingeborenen“ gehalten hätte, wollte er uns leider auch nicht verraten.


Supreme Court in Windhoek


SWAPO oder nicht?

Die politische Landschaft in Namibia wird entscheidend geprägt von der SWAPO („South West Peoples Organization“). Entstanden als Unabhängigkeitsbewegung, regiert diese Partei seit 1990 – dem Erreichen der Unabhängigkeit Namibias von Südafrika - allein, entwickelt ein Quasi-Ein-Parteien-System und entfernt sich dabei immer stärker von ihren sozialistischen Wurzeln. Eine Exkursion führte uns zu „the namibian“, der ursprünglich SWAPO-nahen, aber mittlerweile sehr kritischen Tageszeitung. 1985 gegründet kämpfte sie zunächst gegen das Apartheids-Regime und für die Unabhängigkeit. Aufgrund dieser politischen Aktivität war sie immer wieder Ziel von Anschlägen und Repressionen gegen Mitarbeiter/-innen. Seit dem Erreichen der Unabhängigkeit konzentriert sich die Redaktionspolitik auf die kritische Beobachtung der Regierungstätigkeit, auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten - mit dem deutlichen Erfolgsbeweis, dass sich die SWAPO im Jahr 2000 entschied, nicht mehr in „the namibian“ zu inserieren.

Ein weiterer Besuch führte uns zu einem uns schon bekannten Wirtschaftsforschungsinstitut, dem wirtschaftspolitischen „think tank“ der Regierung. Das Gespräch mit einem führenden Mitarbeiter - Deutscher, was für ein Zufall – brachte uns zwar keine neuen Informationen, aber die Frage, wie ein so wenig fähiger Mensch in so eine Position kommen kann. Auf unsere Frage, wie es sich denn mit den Hungerlöhnen in der Windhoeker EPZ verhält, zeigte er sich gänzlich uninformiert und verwiese darauf, dass sich die Regierung bestimmt etwas dabei gedacht haben wird. Als Ausgleich dazu fanden wir hohe Kompetenz und Kritik an der Regierung bei LaRRI („The Labour Resource and Research Institute“), dem gewerkschaftsbasisnahen Wirtschaftsforschungsinstitut. Die schwarzen namibischen Gewerkschaften waren während der Apartheid verboten, gewannen nach der Legalisierung aber schnell an Einfluss, so dass ihre Führungsschichten mittlerweile permanent in die Regierung einbezogen werden, um die Blockade wirtschaftspolitischer Entscheidungen zu verhindern. In dieser Konstellation wird auch der bekannte Konflikt zwischen gewerkschaftlichen Forderungen und dem Regierungsinteresse an ausländischen Investitionen ausgetragen. Angesichts der extrem hohen Arbeitslosigkeit, die noch aus der aktiven Verhinderungspolitik des süd-afrikanischen Apartheidssystems gegenüber mittelständischen Unternehmen hervorgeht, werden an Arbeitgeber/-innen keine Bedingungen gestellt. Das Beispiel der EPZ Ramatex zeigt dabei noch eine andere Tendenz: Die Fabrikhallen bestehen aus Fertigbauteilen und können jederzeit wieder abgebaut werden, denn durch staatliche Förderung amortisiert sich der Aufbau einer Betriebsstätte schnell, und das Unternehmen hat kein Interesse an einer langfristigen Bindung an einen Ort. Die aktuelle Politik der extremen Investitionsförderung unterstützt auf diese Weise die einem nachhaltigen Wirtschaftswachstume entgegenstehende Mobilität von Investor/-innen. Die Möglichkeit, all dies mit Parteipolitiker/-innen zu diskutieren, fiel mangels erscheinender Referent/-innen leider aus.

Obwohl wir uns inhaltlich viel mit dem Thema Armut beschäftigten, sahen wir doch fast ausschließlich die reichen Seiten von Windhoek. Nur eine kurze „Stadtrundfahrt“ zeigte uns die Township Katutura, die anfängt mit einfachen Steinhäusern und endet mit den das Versagen der Wirtschaftsordnung deutlich machenden Wellblechhütten - ein Anblick, der auch noch mal auf unsere seltsame Unterbringung hinwies: gefängnisartig ummauert, mit Pool, schwarzen Angestellten und hauptsächlich weißen Gästen. Es war von namibischer Seite ausgesucht worden, was uns Deutsche von Kritik abhielt. Trotz der Perversität, sich in einer solchen Umgebung über existenzielle ökonomische Probleme zu unterhalten, waren auch die Gespräche in der Freizeit meist inhaltlich geprägt: immer wieder thematisiert wurden z.B. die Schwierigkeiten einer effektiven und tatsächliche Bebauung gewährleistenden Landreform, die nach Ansicht der Afrikaner/-innen wenig Anlass zu Hoffnungen bietende Situation in Simbabwe und die Gefahr, dass sich eine ähnliche Entwicklung in Namibia wiederholt; aber auch über die Wahl in Deutschland wurde gesprochen, wobei einige Afrikaner/-innen die Wiederwahl Schröders begrüßten, und über die von Däubler-Gmelin gezogene Bush-Hitler-Parallele – die afrikanischen Teilnehmer/-innen konnten die Empörung über diese Äußerung nicht verstehen.

Persönliches Fazit:

Auch wenn meiner Meinung nach entscheidende ökonomische und politische Gegensätze vernachlässigt und die Titelfrage so eben nicht gestellt wurde, war es überaus interessant, eine globalisierungskritische Stimme zu hören, die mehr als eine neuerdings moderne „Bewegung“ darstellt. Ob es für eine nähere Auseinandersetzung mit so einem Thema allerdings notwendig und „verantwortlich“ ist, Unmengen von CO-2 zu produzieren (Flugbenzin), ist eine andere Debatte.

Ulrike



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