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Ein altes neues Thema

Der Ausbau des Überwachungsstaates zur Verfolgung “hehrer Ziele”



Der Berliner Senat hat am 28.05.2002 einen Gesetzentwurf zur Änderung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG - Berliner Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei- und Ordnungsbehörden)in das Abgeordnetenhaus eingebracht.1 Damit sollen zum einen Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag zwischen SPD und PDS umgesetzt werden. In diesem hatte man sich geeinigt, die Videoüberwachung gefährdeter Objekte einzuführen und den Begriff der „Straftat von erheblicher Bedeutung“, der Tatbestandsmerkmal mehrerer Eingriffsbefugnisnormen im ASOG ist, mittels eines Straftatenkatalog zu definieren.2 Des weiteren wird die Wegweisung (mit kurzem „e“) und das Betretungsverbot eingeführt sowie die Regeln zum Schusswaffengebrauch mit unklarer Richtung geändert.

Regelungen im einzelnen

1. Videoüberwachung

Mit der Einfügung eines § 24a in das ASOG erhält die Polizei die Befugnis zur Videoüberwachung an sog. gefährdeten Orten. Politisch wird die Notwendigkeit der Videoüberwachung gefährdeter Objekte mit antisemitischen Anschlägen auf jüdische Friedhöfe und Synagogen begründet. Gegenüber Forderungen gerade der CDU nach Einführung einer allgemeinen Videoüberwachung, wird seitens der SPD und PDS immer wieder betont, dass die Koalition keine allgemeine Videoüberwachung wolle und diese auf besonders gefährdete Orte begrenzt werden solle.

Dies wird aber mit dieser Regelung nicht erreicht. Der Begriff „gefährdeter Ort“ ist extrem weit gefasst. So fallen hierunter jedes Gebäude oder Bauwerk von öffentlichem Interesse, also nicht nur Religionsstätten, Denkmäler und Friedhöfe. Miterfasst werden von der Videoüberwachung an das gefährdete Objekt angrenzende Grün- und Straßenflächen. Voraussetzung ist nicht eine konkrete Gefahr für das betreffende Objekt, sondern eine „konkrete“ Gefahr für Objekte dieser Art.3 Entgegen dieser missverständlichen Formulierung in der Gesetzesbegründung genügt also eine abstrakte Gefahr. Auch ist die Dauer der Speicherung der Videoaufzeichnungen unzureichend geregelt, denn gem. § 24a Abs. 3 sind die Aufzeichnungen „unverzüglich“ zu löschen, wenn sie nicht zur Strafverfolgung benötigt werden. Mit dem Wörtchen „unverzüglich“ wird der Polizei ein (zu) großer Ermessensspielraum bei der Frage eingeräumt, wann die Aufzeichnungen zu löschen sind.

Zweifelhaft ist auch der rechtspolitische Zweck dieser Videoüberwachung. Nach der Gesetzesbegründung soll neben dem Abschreckungseffekt durch offene Videoüberwachung auch bezweckt werden, dass bei rechtzeitigem Erkennen der sich anbahnenden Straftat die Polizei die weitere Tatausführung verhindern kann. Im Widerspruch dazu steht der unter der Hand geäußerte und durch die innenpolitische Sprecherin der PDS-Fraktion, Marion Seelig, in einer Pressemitteilung vom Mai 2002 sogar offen zugegebene „haushaltspolitische“ Grund für diese Maßnahme: „Dass durch den Einsatz der Videotechnik Wachpolizisten auch andere der vielfältigen Schutzaufgaben, die in der Hauptstadt anfallen, wahrnehmen könnten.“ Wie Straftaten verhindert werden können, wenn Polizeibeamte von den gefährdeten Objekten abgezogen werden, bleibt ein Rätsel der SPD/PDS-Koalition.

Besonders dreist erscheint es angesichts dieser weitreichenden Videoüberwachung des öffentlichen Raumes, wenn der PDS-Politiker Benjamin Hoff sich aufgrund der Videokameras in der Humboldt-Universität als oberster Datenschützer für die HUB-Studierenden aufspielt.

2. Straftat von erheblicher Bedeutung

Der Begriff „Straftaten von erheblicher Bedeutung wird nicht mehr inhaltlich definiert („Vergehen, die aufgrund ihrer Begehungsweise, Dauer oder Schwere besonders geeignet sind, den Rechtsfrieden besonders zu stören“; § 17 Abs. 3 ASOG in der geltenden Fassung), sondern durch einen Verweis auf § 100 StPO abgelöst. Ziel ist es, den der Polizei durch die bisherige Regelung eröffneten weiten Beurteilungsspielraum durch einen exakten Straftatenkatalog einzuschränken. Dies ist zunächst zu begrüßen, wirft jedoch die Frage auf, ob mit einer strafprozessualen Norm dieses Ziel zu erreichen ist. Der Polizeirechtler Gusy weist in seinem Lehrbuch (S. 107f.) zutreffend darauf hin, dass die Konkretisierungs- und damit Begrenzungsfunktion der Verweisung für die polizeiliche Informationserhebung als gering einzuschätzen ist. Denn in der Praxis tritt eher der Grundtatbestand einer Strafnorm nach außen sichtbar hervor (z.B. der Diebstahl an sich) als die Gewerbs- oder Bandenmäßigkeit des Diebstahls, die Anknüpfungspunkt der Befugnis für viele Normen der polizeilichen Informationserhebung ist. Nichtsdestotrotz ist zu begrüßen, dass der Ermessensspielraum der Polizei in dieser Frage beseitigt wurde und so zumindest ein wenig die polizeiliche Datenerhebung eingegrenzt werden kann.

3. Schusswaffengebrauch

Bestenfalls überflüssig ist die Anfügung eines Abs. 4 an § 9 des Gesetzes über die Anwendung unmittelbaren Zwanges (UZwG Bln), wonach das Recht zum Schusswaffengebrauch in den Fällen der Notwehr und des Notstandes unberührt bleiben. Rechtspolitischer Hintergrund ist, dass für die Länderpolizeigesetze, die den gezielten Todesschuss (euphemistisch auch „finaler Rettungsschuss“ genannt) nicht ausdrücklich regeln4, in der rechtswissenschaftlichen Literatur diskutiert wird, ob die Vorschrift, wie sie mit § 9 Abs. 4 in Berlin eingeführt werden soll, den gezielten Todesschuss erlauben soll. Nach einer Ansicht unter den Juristen enthalten die strafrechtlichen Vorschriften über den Notstand und die Notwehr (§§ 32, 34 StGB) allgemeine Rechtsgedanken, die als taugliche Legitimationsbasis die Rechtswidrigkeit polizeilichen Handelns beseitigen können.5 Die überwiegende und zutreffende Auffassung geht aber davon aus, dass diese strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe zwar in einem Strafverfahren gegen die handelnden Beamten zu berücksichtigen sind, aber keine Befugnis für den gezielten Todesschuss begründen, so dass dieser polizeirechtswidrig wäre.6 Hinzu kommt, dass das UZwG das Recht auf Leben (Art.2 Abs. 2 GG) nicht als durch dieses Gesetz einschränkbares Grundrecht aufzählt, so dass § 9 Abs. 4 UZwG-neu, wenn es als Befugnisnorm für den gezielten Todesschuss verstanden wird, verfassungswidrig wäre.

Auch bleibt der Sinn dieser Neuregelung unklar. Ob die Berliner Koalition damit den gezielten Todesschuss einführen will oder nur die bestehende Rechtslage (strafrechtliche Rechtfertigung bei gleichzeitiger Polizeirechtswirdigkeit) bestätigen will, lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen. Letztendlich wäre diese Neuregelung damit überflüssig, weil genau dies bereits § 8 Abs. 3 UZwG Bln regelt, der besagt, dass das Recht zum Schusswaffengebrauch aufgrund anderer Vorschriften - eben auch die über Notwehr und Notstand im StGB - unberührt bleibt. Was bleibt, ist die böse Vorahnung, dass im Falle eines gezielten Todesschusses, seine polizeirechtliche Legitimität genau mit dieser Vorschrift begründet werden wird.



4. Wegweisung / Betretungsverbot

Die Einführung der Wegweisung und des Betretungsverbots zur Abwehr häuslicher Gewalt (§ 29a ASOG-neu)ist die einzige Änderung, die aus bürgerInnenrechtlicher Sicht im Ergebnis positiv zu bewerten ist. Nach dieser Vorschrift kann die Polizei eine Person aus ihrer Wohnung, der unmittelbaren Umgebung sowie an Aufenthaltsorten der gefährdeten Person verweisen bzw. ihr das Betreten dieser Orte verbieten, wenn von ihr Gefahren für Körper, Gesundheit und Freiheit von BewohnerInnen derselben Wohnung ausgehen. Diese Befugnisnorm soll die Zeit bis zum Erlass einer Gerichtsentscheidung nach dem Gewaltschutzgesetz überbrücken, weshalb sie auch automatisch nach 14 Tagen oder mit einer negativen Gerichtsentscheidung endet (Abs. 2). Problematisch könnte die Anwendung dieser Norm in der Praxis sein. Eine Wegweisung bzw. ein Betretungsverbot nach dem Gewaltschutzgesetz erfordert einen nicht geringen Aufwand an Beweisen zum Nachweis, dass (meistens) der Lebenspartner häusliche Gewalt ausübt. Diese Entscheidung trifft nach dem ASOG die einzelnen Polizeibeamte, so dass ein relativ schwerwiegender Eingriff in Grundrechte des Betroffenen (Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung) allein im Ermessen der Polizeibeamten steht. Hinzu kommt, dass im Einzelfall die Einschätzung der Sachlage schwierig sein wird, wenn die Polizei wegen familiärer Streitigkeiten gerufen wird und erfahrungsgemäß mit gegensätzlichen Sachverhaltsdarstellungen der beteiligten Personen konfrontiert werden wird. Dem soll in Berlin jedoch damit Abhilfe geschaffen werden, dass mit dem Berliner Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt eine Zusammenarbeit zwischen Polizei und Anti-Gewalt-Projekten stattfindet, die so der Polizei die notwendige Kompetenz im Umgang mit häuslicher Gewalt vermitteln soll.

Fazit

Neben der eindeutig unannehmbaren Einführung der Videoüberwachung und der problematischen Neuregelung der Vorschriften zum Schusswaffengebrauch fehlen alle diejenigen Gesetzesänderungen, die die PDS noch als Opposition 1999 gefordert hatte, um den scheinbar unaufhaltsamen Trend im Polizeirecht, die Befugnisse der Polizei auf Kosten der BürgerInnenrechte immer mehr auszuweiten, umzukehren: so forderten die Fraktionen von PDS und Bündnis 90/Grüne die Abschaffung der verdachtslosen Personenkontrollen an sog. „gefährlichen Orten“ und die Einführung der Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte in geschlossenen Einsätzen. Diese Kennzeichnung stand ja erst vor kurzem wieder in der Diskussion, als die Antifaschistische Aktion Berlin mit einem „Fahndungsplakat“, das Polizeibeamte bei gewaltsamen Festnahmen von DemonstrantInnen zeigt und ironisch eine Belohnung für die Festnahme dieser „Gewalttäter“ aussetzt, herausbrachte und dafür vielfältigen Repression seitens der Berliner Polizei ausgesetzt war.

Dass von der SPD eine bürgerInnenrechtsfreundliche Politik nicht zu erwarten ist, dürfte spätestens seit den Antiterrorgesetzen der 70er Jahre deutlich sein.7 Um so mehr schmerzt angesichts der Haltung der PDS, die dieses Gesetz aus Koalitionsraison mitträgt und sich nicht zu schade ist, es als maßvoll zu apologetisieren, die erneute Transformation einer Oppositionspartei zu einer jede Schweinerei mittragenden Regierungsstütze.

Hedobald Braxén




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1Abgeordnetenhaus von Berlin - Drucksache 15/490.

2Koalitionsvertrag, S. 20, koala_berlin_spd-pds2002.pdf bei refrat.hu-berlin.de

3Drucksache 15/490, S. 2.

4“Ein Schuss, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken wird..“ ist nur zulässig, wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leben oder einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist. Z.Zt. in Bayern, BaWü u.a. Ländern.

5Ule/Rasch, 2. Aufl. 1982, Rdn. 5.

6Knemeyer, 9. Aufl. 2002, Rdn. 374; Götz, 12. Aufl.1995, Rdn. 414.

7Geschichtsblinden ZeitgenossInnen haben spätestens die Otto-Pakete die Augen geöffnet.